Liebe Leut,
auch noch einige Bemerkungen zum Thread von mir: Beim Lesen habe ich mich gefragt, ob ich meine Arbeit nicht gut genug
gemacht und damit einige Mißverständnisse begünstigt habe, wie sie in dieser Diskussion offenbar geworden sind. Zwar habe
ich am Ende des Artikel einige Fragen gestellt und mögliche Konsequenzen für die SF-Szene angedeutet, aber primär ging es mir
darum, eine Entwicklung zu skizzieren, die nach meinem besten Wissen tatsächlich stattgefunden hat und (man mag mich
korrigieren) vorher noch nicht zusammenhängend dargestellt wurde: die gegenseitige Annäherung von allgemeiner Literatur und
Science Fiction und die Entkrampfung im Verhältnis zueinander. (Ich habe Gary Shteyngart auf Facebook mal gefragt, und
er hat kein Problem damit, wenn sein genannter Romans als SF bezeichnet wird.) "Gegenseitig" ist hier ein wesentliches
Stichwort. Es handelt sich nicht nur um Mainstream-Autoren, die SF-Elemente benutzen, sondern auch um SF-Autoren, die
sich in den Übergangsbereich zwischen SF und Mainstream und darüber hinaus entwickelt haben. In einem Literaturblog
wurde einmal spekuliert, ob wir Heutigen ein Buch, das den literarischen Meisterwerken des 19. Jahrhunderts ebenbürtig
ist, als solches erkennen würden, ob wir nicht genauso ignorant wären wie die ersten Rezensenten von "Moby Dick". Als
Beispiel für einen noch völlig verkannten Autor nannte er Samuel R. Delany, vor allem wegen seines Romans "Through
the Valley of the Nest of Spiders" (der nur im Schlußteil einige SF-Elemente aufweist). Das halte ich für ein erstaunliches
Lob, wie es in noch in den Achtzigern für einen aus der SF stammenden Autor kaum denkbar gewesen wäre (mit
Ausnahme von Vonnegut, Bradbury und Lem vielleicht).
Wenn ich diesem Leben doch noch erwachsen werden will (mein Ehrgeiz in dieser Richtung hält sich in Grenzen), sollte ich
wohl akzeptieren, daß es völlig legitim ist, wenn Dirk aus Zeitgründen nur das liest, was ihm ein zuverlässiges Lesevergnügen
verspricht, oder wenn er in einer Grundsatzdiskussion auf Facebook meint: "Es kommt darauf an, warum man eigentlich liest."
(Sorry, weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang - vielleicht war's auch hier.) Das muß jeder für sich wissen. Ich persönlich
habe mir das Lesen aus einer Erwartungshaltung aus guten Gründen abgewöhnt. Ich will eben nicht wissen, was mich erwartet.
Ich laß mich gern überraschen und verblüffen. SF lese nicht mehr so viel, sondern hauptsächlich aktuelle Weltliteratur, vor
allem Kurzgeschichten. Ich habe großartige (und nebenbei auch unterhaltsame, keineswegs verkrampft ästhetisierende)
Stories aus Kuba, Vietnam, Indien oder Afrika gelesen, die mir vermutlich nie in die Hände gefallen wären, wenn ich meine
Lektüre aus einer Erwartungshaltung heraus wählen würde. Entdeckungen zu machen, finde ich bereichernder.
Im Übrigen halte ich es für meine Pflicht als Chronist, nicht die übrige Welt aus der Perspektive der Science Fiction zu betrachten,
sondern die SF als eines von vielen interessanten kulturellen Phänomenen in einer großen weiten Welt, deren Nabel sie nicht
ist. Dabei kommt man, meine ich, zu aufschlußreicheren Erkenntnissen, und mein Artikel hat einige davon zusammengefaßt.
Schöne Grüße
Michael
Bearbeitet von Michael Iwoleit, 02 September 2017 - 23:37.