(Mein persönliches Problem liegt im Übrigen hier auch irgendwo begraben: Wenn ich eine Kurzgeschichte in einer Anthologie oder Journal wirklich mies finde, schreibe ich das nicht hier nieder. Warum? Weil ich den Autoren, die oft mitlesen, nicht zu nahe treten will. Und weil ich eben denke: Ist nur eine Kurzgeschichte eines Hobbyautors. Und überhaupt: Wer bin denn ich, dass ich hier Kritik üben dürfte? Aber vielleicht ist das ein falscher Zugang? Vielleicht würde man das Genre mehr ernst nehmen, wenn man auch mal offen Kritik übt.)
Das ist etwas, das mich regelmäßig auf die Palme bringt (no offence intended) Diese schauderhafte Neigung, nicht sachlich zu argumentieren,
sondern alles als persönliche Beleidigung aufzufassen. Wenn ich mir alles, was Pukallus und Hahn mir im Laufe der Jahrzehnte eingebleut
haben, so zu Herzen genommen hätte, wäre ich heute noch mit dem Aufwischen der Tränen beschäftigt.
Wie kannst du so was über Sven schreiben? Seid ihr nicht befreundet? Was hast du eigentlich gegen Kleinverleger? Wie kannst du
eine lieben Kollegen, die eine tolle Anthologie gemacht hat, so vor den Kopf stoßen? Wofür hälst du dich? Ist doch alles Geschmackssache.
Alle Kritik ist relativ. Ja genau - relativ zur Sachkenntnis und zur Befähigung des Wertenden, was selten dazu gesagt wird.
"Es gibt eine Sorte ungemein überlegener Menschen, die gern versichern, alle sei relativ. Das ist natürlich Unsinn, denn wenn alles
relativ wäre, gäbe es nichts mehr, wozu es relativ sein könnte." (Bertrand Russell) Einem klugscheißernden Laien, der über keinerlei
praktische Erfahrungen verfügt, beizubringen zu wollen, daß "relativ" keine Qualitäts- sondern eine Verhältnisaussage ist - da fangen
die Probleme schon an.
Es geht hier nicht um verärgertes Gefrotzel, sondern um eine Grundsatzdiskussion, die für eine kleine Szene wie der deutschen SF
von entscheidender Bedeutung ist. Holger Pohl, mit dem ich sonst seltener einer Meinung bin als ein Jedi mit einem Sith-Lord, hat
in seiner jüngsten Kolumne von einem Respekt gegenüber dem Schreiben gesprochen. Recht hat er. Ich will das gern an einem
außerliterarischen Beispiel illustrieren.
Der eine oder andere wird vielleicht schon gehört haben, daß ich auch als Amateurmusiker aktiv bin. Obwohl ich für einige Auftritte
viel Lob eingestrichen habe, ist das Wort "Amateur" bislang noch in fetten Lettern zu setzen. Vor einer Stunde habe ich mir zum
sondundsovielten Mal einige Songs aus der Unplugged-Studiosession von Epica angehört. Der junge Typ, der das Piano-Intro zu
"Feint" spielt, braucht nur ein paar Takte, um Fertigkeiten zu demonstrieren, die ich mir in diesem Leben vermutlich nicht mehr
aneignen werde: präzises Timing und "Touch", jeder Ton wird scheinbar mühelos genau so gesetzt, wie er in diesem Sekundenbruchteil
zu klingen hat, damit das Ganze wirkt.
Das ist Professionalität, und es ist zu 100% unabhängig vom Geschmack der Hörers/Lesers/Betrachters. Es ist keine Geschmackssache,
daß Christian Günther ein professioneller Graphik-Designer ist und ich auf diesem Gebiet eine komplette Nulpe. Es ist völlig unstrittig, daß
Uwe Post ein professioneller Softwareentwickler ist und ich bestenfalls ein gut unterrichteter Laie. Und genau das wollen die Möchtegerns
in der Szene einfach nicht in die Köpfe bekommen: daß es auch in der Literatur Bewertungsmaßstäbe gibt, die vom rein Handwerklichen
bis ins Künstlerische reichen. Ich kann für meine Bewertungen in Anspruch nehmen, daß sie im Schnitt ausagekräftiger und sachgerechter
sind als pure Fan-Aussagen wie "Ich fand die Story aber tolll - die hat meine Mama geschrieben". Und das liegt nicht daran, daß ich so toll
bin, sondern daß selbst ein Großmaul wie der Iwoleit ein paar Sachkenntnisse vorweisen kann. Und die fallen nicht vom Himmel, die muß
man sich erarbeiten.
Ich neige sogar immer mehr zur Überzeugung, daß der Unterschied zwischen Amateur und Profi nicht so sehr das Talent oder die Befähigung
ist, sondern die pure Einsicht, was den Unterschied zwischen Können und Dilettantismus ausmacht und was einem abverlangt wird, wenn man
ein professsionelles Niveau erreichen will. Ich persönlich habe höchste Achtung vor jeder Art professioneller Meisterschaft, und sei es bei einem
Straßenfeger. Wer diese Einsicht hat, kann sich jederzeit verbessern, in welchem Ausmaß auch immer. Wem diese Einsicht fehlt, der wird nie
was, und ich scheue mich nicht, es so jemandem auch deutlich zu sagen. Asche auf mein Haupt.
"Hier stehe ich und kann nicht anders." (Martin Luther)
Schöne Grüße
Michael
Bearbeitet von Michael Iwoleit, 09 October 2017 - 20:01.