ich war auf der Sternenbrücke, würde aber gern auf dem Planeten bleiben.
Die namensgebende technische Einrichtung, die Sternenbrücke erinnert mich ein wenig an den Roman Das Netz der Sterne von Andreas Brandhorst. Es ist die Möglichkeit schnell durch den Raum zu reisen, aber wie dort, müssen Brückenköpfe geschaffen werden und diese kann man nur bauen, wenn man vorher die Reise in einem normalen Raumschiff unternommen hat und das dauert wie wir wissen Jahrhunderte. Genau darum geht es. Ein solcher Brückenkopf ist verlustig gegangen und damit die Verbindung zu dem Planeten in der Nähe, der bereits durch Menschen terraformt und besiedelt wurde. Die Technik wird natürlich genau und logisch beschrieben, interessiert mich aber nicht, Entschuldigung. Was mich aber sehr interessiert sind die Charaktere und die Gesellschaftsmodelle.
Der Roman beginnt auf der Erde der Zukunft, in der wenige große Konzerne das Leben bestimmen. Protagonist ist zunächst ein Arzt, der seinen gesamten Verdienst in die Erstellung einer virtuellen Welt steckt, in der er seine verstorbene Frau wieder treffen will. Seine Zeit verbringt er hauptsächlich in Traumalkoven in seiner Wunschwelt. Sein Begleiter, wenn er denn wach ist, ist sein Hund. Während der Leser ihn begleitet erhält er einen Einblick in die dunkle Seite der Konzernmacht, Verarmung, Kriminalität und erbitterter Kampf um die besseren Stellungen in den Konzernen. Der soziale Status ist bei jedem Menschen sofort sichtbar, denn jeder trägt auf der Stirn eine Raute, deren Farbe dies anzeigt. Durch die Umstände bedingt wird dieser Arzt auf die Reise gehen, um den Brückenkopf wieder herzustellen. Yul und sein Hund treffen dabei auf Reja und nach 146 Jahren im Cryoschlaf bahnt sich eine Verbindung an, die unterschwellig aber immer von der Liebe zu Yuls Frau gebremst wird. Trotzdem unterhält der Autor mit gekonnt geschriebenen Sexszenen den Leser bis zur Ankunft des Schiffes an dessen Ziel. Dabei gelingt es ihm, ohne Gossensprache auszukommen, was ich ehrlich bewundere. (von vielen Autoren habe ich auf meine Frage, warum sie diese verwenden, gesagt bekommen, es ginge nicht anders)
Ich hoffe es ist kein Spoiler, wenn ich hier schon schreibe, dass sich die Gesellschaft auf dem Planeten durch die Abwesenheit der Macht der Konzerne (und durch einige andere Faktoren) völlig anders entwickelt hat. Die Stirn der Bewohner ist frei. Es ist eine Gesellschaft, die das Wohl der Gemeinschaft über alles stellt. Ein Computer wird wegen jeder Entscheidung zu Rate gezogen, Ratio. Ich war darauf gefasst, dass diese Gesellschaft kein Paradies sein kann und der Haken kommen muss. Er kommt. Zunächst da, wo ihn die meisten Autoren sehen, wenn sie eine Dystopie schreiben wollen - die Gefahr der Überbevölkerung und einer gesetzlichen Beschneidung der Kinderzahl. ( Ich bin der Meinung, dass dieses Problem so nicht existieren würde. Wir gehen immernoch davon aus, dass jeder Frau Mutter sein will, dabei sehen wir doch jetzt schon, dass ein gesichertes Leben und die Möglichkeit sich zu entfalten zu einem Rückgang der Geburten führt. ) Interessanter ist, dass der Autor nicht Stellung bezieht, sondern seine Figuren die verschiedenen Standpunkte selbst gegeneinander stellen läßt „Ich will mich meines eigenen Verstands bedienen†¦selbst denken. Selbst Risiken abwägen, meinen eigenen Pfad durchs Leben wählen.“ (S. 271). „Die Bedürfnisse der Gesellschaft sind wichtig†¦.für alle. Wenn jeder nur das Beste für sich selbst herausholen will, geht es am Ende allen schlecht.“ „aber in einem Kollektiv von Tausenden träumen wir nun einmal nicht. Nur wenige werden glücklich als Null in einem Programmcode dessen Fürchte in ferner Zukunft blühen sollen“ (S. 272). Individualismus gegen Gemeinwohl. Beides in Extremen gedacht und das Gemeinwohl mit Strenge durchgesetzt und mit Machtstrukturen, deren Herkunft im Dunkeln bleibt. Die Strenge wird mit Rationalität begründet, aber „Rationalität in sich ist ziellos†¦. Sie braucht immer eine Zielvorgabe“ (S. 287)
Ein sehr spannender Satz, finde ich. ich habe eine Weile darüber nachgedacht.
Welcher der Überzeugungen wird nun gewinnen?
Diese Diskussionen haben mir wieder gut gefallen. Besonders interessant zu erfahren, mit welchen Begründungen man als Mensch Elend und Armut riskieren will. Ich treffe ja nun immer wieder in Gesprächen auf diese Auffassung und kann sie jetzt vielleicht ein klein wenig besser verstehen. Das Besondere ist diesmal, dass zumindest Argumente dagegen gestellt werden und mit dem Vorurteil aufgeräumt wird, dass eine Gesellschaft ohne Konkurrenz-kampf und ohne Privateigentum an den Produktionsmitteln in Barbarei und Stumpfsinn verfallen müsste.
Wofür der Autor sich entscheidet lasse ich hier lieber noch offen. Aber ich glaube er ist doch Dialektiker. Die Beziehung zwischen Teil und Ganzem ist eben nicht starr, sie besteht nicht aus Extremen, sondern ist eine Wechsel-wirkung. Wenn diese gestört ist, geht es beiden Seiten nicht gut.
Die politischen Auseinandersetzungen haben natürlich auch ihre moralischen Auswirkungen. Da ist der Autor voll in seinem Element. In jedem seiner Bücher gab es diese moralischen Denkansätze, Diskussionspunkte, die allgemein und über den Inhalt des Buches hinaus nachdenklich machen. Um nur zwei zu nennen, die gerade mich besonders angehen: Welchen Wert haben Erinnerungen, vor allem solche, die schmerzen? Wäre es sinnvoll, sich von diesen zu befreien? (das Thema hatten wir schon in der Geschichte der letzten Eisbärin. es scheint ein wichtiges Thema zu sein, eines mit dem ich mich gerade auch auseinandersetze)
Würde ich in eine Wunschwelt gehen, wenn ich dort den Menschen wieder treffen könnte, den ich liebe? Ist es dann egal, ob es eine virtuelle Welt ist?
Neben all diesen Problemen entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die so frei von Kitsch ist, so frei von Zuckersirup, die von beiden ehrlich und respektvoll entwickelt wird und voller Leidenschaft ist. Selten so eine empathische Schilderung einer Beziehung gelesen.
Es wäre natürlich für mich noch besser, wenn es gelänge, eine Gesellschaft zu zeigen, die wirklich ohne Unterdrückung auskommt und in der die Spannung aus der Aneignung der Natur kommt, aus dem Neuen, vielleicht auch aus Missverständnissen. Dass der Autor als Dilemma die Zwangswegnahme von Kindern genommen hat ist ein kleiner Kritikpunkt, das ist mir zu einfach. Wie gesagt, ist es aber nur der Ausgangspunkt und nicht die eigentliche Diskussion in der Gesellschaft.
Sicher eine Leseempfehlung.