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George R.R. Martin/Gardner Dozois (ed.): Old Venus (Bantam, 2015)


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9 Antworten in diesem Thema

#1 Armin

Armin

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Geschrieben 15 Dezember 2016 - 08:56

Um die Idee zu wiederholen: Nach der Lektüre der Best-of-Anthologien von Jonathan StrahanGardner Dozois und Neil Clarke (die Links verweisen jeweils auf die offenen Lesezirkel zu den Büchern) haben sich für mich zwei herausragende Anthologien des Jahres 2015 herauskristallisiert: Jonathan Strahans Meeting Infinity sowie Old Venus, herausgegeben von George R.R. Martin und Gardner Dozois. Beide haben sich damit auf meiner Leseliste einen Platz ganz oben gesichert; in diesem Thread möchte ich peu à peu meine Meinung zu den Storys aus Old Venus dokumentieren, zu Meeting Infinity habe ich das bereits hier getan.

 

George R.R. Martin/Gardner R. Dozois (ed.): Old Venus (Bantam, 2015)

 

Amazon zum Buch:

From pulp adventures such as Edgar Rice Burroughs's Carson of Venus to classic short stories such as Ray Bradbury's "The Long Rain", the planet Venus has loomed large in the imaginations of science fiction writers. Here, that steamy, swampy jungle world with strange creatures; lurking amidst the dripping vegetation is explored in sixteen all-new stories collected by bestselling author George R. R. Martin and editor Gardner Dozois.

 

Gardner Dozois: Introduction: Return to Venusport

Das Vorwort von Gardner Dozois (in „Old Mars“ durfte Kollege Martin einführen, der sich dieses Mal sicher lieber um einen allseits sehnsüchtig erwarteten Fantasy-Schinken gekümmert hat, haha) schafft zweierlei: Einerseits schildert er, wie sich im Lauf der Jahrzehnte durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Sicht der Venus gewandelt hat, bis schließlich 1962 durch Mariner 2 alles über den Haufen geworfen wurde; andererseits präsentiert er viele literarische Beispiele für die Umsetzung der „alten Venus“ in der Science Fiction, die sogenannten „planetary romances“. Das ist höchst unterhaltsam geschrieben (ich habe tatsächlich zwischendurch öfter mal laut gelacht) und macht Lust auf die folgenden Geschichten.

 

Allen M. Steele: Frogheads

Großartiger Auftakt für dieses Buch mit einer Geschichte, die alle Zutaten hat, die eine pulpige Retro-Venus verlangt: eine schweißtreibende Dschungel-Atmosphäre, radebrechende Russen und primitive Eingeborene, die sich mit Schokolade statt Glasperlen einwickeln lassen. Vor diesem Hintergrund sucht Privatdetektiv Ronson auf der Venus nach dem verschwundenen Sohn seines megareichen Auftraggebers. Am Ende, das darf verraten werden, weil es so schön zur „planetary romance“ passt, siegt die Gerechtigkeit. Wirklich gute, sehr unterhaltsam zu lesende Geschichte, die zwar ein paar Fragen offenlässt, was aber unterm Strich angesichts des hohen Unterhaltungsfaktors zu vernachlässigen ist.



#2 Armin

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Geschrieben 16 Dezember 2016 - 08:08

Lavie Tidhar: The Drowned Celestrial

Es geht unterhaltsam weiter, wenn auch nicht ganz auf dem Niveau der Steele-Geschichte. Dafür ist Lavie Tidhars Erzählung ein bisschen zu sehr auf Non-stop-Action angelegt, was sich  bei einer Länge von 10.000 Wörtern dann doch nach und nach abnutzt; trotzdem hat die Schatzjagd von Erdenmensch Colt und Venusier Sharol ihre amüsanten Momente, als Zugabe gibt†™s gehäufte C.L. Moore-Verweise.

Die Geschichte kann übrigens auch online gelesen werden:

http://www.apex-maga...wned-celestial/

 

Paul McAuley: Planet of Fear

(gelesen in Gardner Dozois†™ Best-of-Antho)

Der kalte Krieg wird auf die Venus transportiert. Keine schlechte Geschichte, die aber nicht an das ebenfalls aus „Old Venus“ stammende „Ruins“ von Eleanor Arnason (kommt weiter hinten im Buch), die ja eine ganz ähnliche Ausgangslage wählt, heranreicht. Trotzdem: unterhaltsam.


Bearbeitet von Armin, 16 Dezember 2016 - 08:09.


#3 Armin

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Geschrieben 18 Dezember 2016 - 09:18

Matthew Hughes: Greeves And The Evening Star

P.G. Wodehouse (1881-1975) lässt grüßen: Dessen Kammerdiener Jeeves stand ganz offensichtlich Pate für den namensgebenden Butler Greeves, der natürlich einen Adeligen begleitet, der zwar nicht Bertram Wooster heißt, aber Bartholomew Gloster. Der, Bartie genannt, ist von seinem alten Schulfreund Archibald Spotts-Binkle, Baldie genannt, auf die Venus gelockt worden. Was dort passiert, ist dermaßen vergnüglich, dass nichts davon verraten soll, um den Lesespaß nicht zu verderben. Absolute Empfehlung und angesichts des Tonfalls (very British) eine angenehme Abwechslung zum bisher Gelesenen (das doch eher US-pulpig war).

 

Gwyneth Jones: A Planet Called Desire

Ein wohlhabender Mensch namens John Forrest lässt sich durch Raum und Zeit auf eine Venus schicken, auf der es noch Meere und Leben gibt. Dort erlebt er allerlei Abenteuer, was ihm ziemlich gut gefällt, sodass er sich letztlich entscheidet, auf der Venus zu bleiben.

Nicht so überzeugend wie das bisher Gelesene, was vor allem an der etwas zerfaserten Handlung liegt, die mehr aus einer Abfolge an einzelnen Abenteuern besteht, als dass sie über einen roten Faden (außer dem Protagonisten) verfügen würde.



#4 Armin

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Geschrieben 19 Dezember 2016 - 08:31

Joe Haldeman: Living Hell

Joe Haldeman („Der ewige Krieg“) schickt einen Piloten auf der Venus auf eine verzweifelte Rettungsmission - und das mit viel augenzwinkerndem Humor. In der Station am Äquator, die angesteuert wird, arbeiten ausschließlich Frauen; nachdem eine Sonneneruption für allerlei technische Ausfälle und Störungen gesorgt hat, muss unser Erzähler seinen Flug auf eher altmodische Art hinter sich bringen, eine unsanfte Landung inklusive. Und dann wird†™s richtig exotisch, weil das ebenso vielfältige wie todbringende Leben (daher der Titel „Living Hell“) auf der Venus geradezu genüsslich geschildert wird - großartig! Das Finale fällt dann ein bisschen ab, sodass die Story ein wenig hinter den Geschichten von Steele und Hughes zurückbleibt; trotzdem hat die Lektüre sehr viel Spaß gemacht.

 

Stephen Leigh: Bones Of Air, Bones Of Stone

Tomio kehrt nach fünfzehn Jahren auf die Venus zurück, auf der er einst seine Beine verloren hat, um gemeinsam mit seiner ehemaligen Freundin Avariel Vergangenheitsbewältigung zu betreiben.

Keine schlechte Geschichte, aber auch kein Highlight - dafür bleibt Tomio als Hauptfigur zu farblos, Avariel dagegen zu unnahbar; irgendwie kommt man an beide nicht so recht ran, was es schwer macht, an ihren Schicksalen Anteil zu nehmen. Und: Im Gegensatz zu allen bisher überzeugenden Geschichten fehlt es deutlich an Humor.

 

Eleanor Arnason: Ruins

(gelesen in Gardner Dozois†™ Best-of-Antho)

Diese Geschichte bietet nun wirklich alles, was ich von einer Retro-SF-Anthologie wie „Old Venus“ erwarte. Nonchalant erzählt, fährt „Ruins“ eine Flora und Fauna auf, die einerseits exotisch ist, andererseits aber auch wohl vertraut wirkt (die Erklärung dafür gibt†™s am Ende der Story), hat einen Kalter-Krieg-Konflikt (klasse!), außerirdische Hinterlassenschaften und wirklich großartig gezeichnete Figuren. Besonders der alte Kommunist Arkady hat mir†™s angetan, aber auch der kleine Flugsaurier „Baby“ sorgt für mehr als nur einen Schmunzler. Nicht gebraucht hätte ich die schon erwähnte abschließende Erklärung der Autorin zur alternativen Wirklichkeit, die sie entworfen hat. Zumindest das mit der UdSSR wurde während der Lektüre schon klar. Das ist aber nicht mehr als eine Fußnote: klasse Geschichte.

 

David Brin: The Tumbledowns of Cleopatra Abyss

(gelesen in Neil Clarkes Best-of-Antho)

Eine Geschichte, die mich weniger anspricht. Warum? Vielleicht, weil das hier nicht die alte Retro-Venus ist, auf der die anderen Geschichten spielen, sondern eine in ferner Zukunft. Der Terraforming-Prozess scheint kurz davor zu sein, abgeschlossen zu werden, und doch ist dabei etwas schief gegangen. Liegt†™s an den nicht näher definierten „Coss“? Sind das Aliens?

Das alles spielt für Hauptperson Jonah nicht unbedingt die ganz große Rolle, der erlebt sein Abenteuer und erweist sich als gewitztes Bürschen und am Ende doch als Held, der gut in eine Retro-SF-Geschichte passt (immerhin kriegt er das Mädchen und rettet den Tag). Insofern ist das wohl keine schlechte Geschichte, für meinen Geschmack aber fürs Ergebnis sehr lang und leider nicht das, was ich mir vor der Lektüre erwartet hatte. 



#5 Armin

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Geschrieben 20 Dezember 2016 - 09:01

Garth Nix: By Frogsled And Lizardback To Outcast Venusian Lepers

Garth Nix ist einfach nicht mein Autor. Irgendwie kommt er bei mir furchtbar geschwätzig an, und ich neige dann dazu, Sätze zu überfliegen, und habe am Ende keine Ahnung (oder zumindest keine vollständige), um was es eigentlich gegangen ist †¦ Hier haben wir ein modernisiertes Pulp-Ambiente mit zeitgemäßeren Zutaten als in den anderen Geschichten (Klon-Soldaten und ähnliches Gedöns) - mich hat†™s einfach nicht gepackt.

 

Michael Cassutt: The Sunset Of Time

Eine weitere Geschichte, die mir nicht so gut gefallen hat, hier liegt†™s wohl am ehesten am fehlenden Humor und am irgendwie umständlich wirkenden Setting. Es geht um Jor, der von der Erde auf die Venus geflohen ist, hier auch eine Beziehung zu einer Eingeborenen hat, und um allerlei mehr, das mir nicht genug erscheinen will, um mich länger damit aufzuhalten. Schade, Michael Cassutt habe ich aus seinen Wild-Cards-Beiträgen (unter anderem „Looking for Jetboy“ in „Inside Straight“, 2008) als lesenswerter in Erinnerung.



#6 Armin

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Geschrieben 21 Dezember 2016 - 09:11

Tobias S. Buckell: Pale Blue Memories

Mal eine ernstere Geschichte, die für mich gut funktioniert: Auf einer alternativen Erde hat der Zweite Weltkrieg keinen Sieger gehabt, deshalb tummeln sich jetzt hier sowohl amerikanische als auch deutsche Astronauten auf der Venus. Die stellen sich allerdings allesamt nicht sonderlich geschickt an und werden von den überraschend aggressiven und wehrhaften Eingeborenen versklavt. Das (richtig traurige) Ende hat mich wirklich überrascht. Dass der Autor in seiner Geschichte mit einer Menge an Logiklöchern und unwahrscheinlichen Konstruktionen hantiert, kann ich ihm in dieser Retro-Anthologie sogar verzeihen - da wurde in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren weitaus größerer Unsinn verzapft.

 

Elizabeth Bear: The Heart†™s Filthy Lesson

(gelesen in Jonathan Strahans Best-of-Antho)

Keine anspruchsvolle, aber eine sehr unterhaltsame Geschichte. Da ist endlich mal der viel beschworene Sense of Wonder, der natürlich vor allem dem Setting zu verdanken ist: der „alten“ Venus.

Inhaltlich geht†™s um die nicht sonderlich angesehene Wissenschaftlerin Darthi, die endlich auch den Erfolg ihrer Partnerin und Kollegin Kraken haben möchte und deshalb auf eine reichlich törichte und vor allem gefährliche Mission geht. Darthi muss man nicht sympathisch finden und wird es wohl auch nicht tun, da sie so ziemlich alles falsch macht, was man nur falsch machen kann - das wird durch das exotische Venus-Setting aber mehr als ausgeglichen. Hat Spaß gemacht.



#7 Armin

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Geschrieben 22 Dezember 2016 - 08:26

Joe R. Lansdale: The Wizard Of The Trees

Eine sehr geradlinig erzählte Geschichte ohne größere Überraschungen und Höhepunkte, die wahrscheinlich in einem Pulp-Magazin der dreißiger Jahre nicht sonderlich auffallen würde - das ist nicht als Kompliment gemeint, denn Lansdales Story ist doch recht dünn: Hauptfigur Jack wird zur Venus transportiert und hilft dort einer Prinzessin und einem Prinzen gegen Vogelmenschen, die die Welt versklaven wollen. Um aus diesem Plot etwas herauszuholen, hätte man ihn schon sehr geschickt erzählen müssen - das ist hier aber leider nicht der Fall.

 

Mike Resnick: The Godstone Of Venus

Ein später Höhepunkt im Buch: Marcus Aurelius Scorpio, von der Erde stammend, und sein telepathischer Venus-Kumpan Merlin lassen sich von einem schwer durchschaubaren Pärchen anheuern, um den sagenhaften „Godstone“ zu finden - seltsamerweise hat von dem aber noch niemand etwas gehört.

Resnick ist natürlich wie geschaffen für einen solchen Stoff, da sei beispielsweise an seiner Lucifer-Jones-Storys erinnert (den ehrenhaften Reverend auf die Venus zu schicken, wäre allerdings auch eine tolle Idee gewesen - vielleicht beim nächsten Mal?). Er erzählt mit leichter Hand, und die Geschichte macht einfach von Anfang bis Ende Spaß. Mehr will sie nicht, und das ist gut so.

 

Ian McDonald: Botanica Veneris: Thirteen Papercuts by Ida Countess Rathangan

(gelesen in Jonathan Strahans Best-of-Antho, auch im Dozois und im Clarke enthalten)

Lady Ida begibt sich nach fünfzehn Jahren erneut auf die Venus und wandelt dort auf der Suche nach ihrem Bruder auf den Spuren der Vergangenheit.

Tolle Mixtur: einerseits sehr „pulpiges“ Setting, das an alte Venus-(und Co.)Abenteuer-Romane erinnert, andererseits sehr anspruchsvoll erzählt, sodass man es als Leser nicht leicht hat, aber doch für die Mühen belohnt wird.

Schöne Geschichte, längst nicht so zugänglich wie „The Queen of Night†™s Aria“, McDonalds Beitrag zur Vorgänger-Anthologie „Old Mars“ (auch in Strahans Best-of-Band Nr. 8 enthalten), aber trotzdem mindestens ebenso lesenswert. 

 

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Fazit: folgt ...



#8 Armin

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Geschrieben 23 Dezember 2016 - 08:01

Fazit: ein großartiges Buch. Nicht unbedingt nach „literarischen“ Maßstäben, aber definitiv in Sachen Unterhaltungsfaktor. Spontan würde ich sagen, dass „Old Venus“ sogar die ebenfalls sehr vergnügliche Vorgänger-Anthologie „Old Mars“ aussticht. Unterm Strich bleiben fünf absolute Top-Storys, nämlich die Geschichten von Allen M. Steele, Matthew Hughes, Eleanor Arnason, Mike Resnick und Ian McDonald, dicht gefolgt von den mindestens guten Storys von Joe Haldeman und Elizabeth Bear und weiterem gut Lesbarem (Tidhar, McAuley) - eine vorzügliche Ausbeute 



#9 quanat

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    Giganaut

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Geschrieben 23 Dezember 2016 - 10:49

Fazit: ein großartiges Buch. [ .... ] eine vorzügliche Ausbeute 

 

@Armin: Eine mühevolle, angenehm persönliche und exzellente Zusammenfassung zum Buch, das macht doch Spass zu lesen!

 

http://www.skyvalley...ce-probe-886918



#10 Armin

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Geschrieben 23 Dezember 2016 - 11:25

 

Danke für den Link!




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