Hunter†™s Run
(Eos Paperback, 2009)
Dieser Roman hat eine mindestens ebenso lange wie ungewöhnliche Vorgeschichte. Gardner Dozois (bekannt unter anderem als Herausgeber der „The Year†™s Best Science Fiction“-Ziegelsteine und als langjähriger Redakteur von Asimov†™s Science Fiction, der aber auch als Story-Autor schon zwei Nebula Awards gewonnen hat) hatte 1976 seine eigene Idee zum ursprünglichen Manuskript ausgearbeitet, das in den frühen achtziger Jahren von George R.R. Martin (heute mit seiner „Das Lied von Eis und Feuer“-Saga zum Bestseller-Autor mutiert) mit dem Titel „Shadow Twin“ versehen und erweitert wurde. Trotz Martins Vorschlag, daraus in beiderseitigem Wechsel einen Roman zu basteln, lag der Text zwanzig Jahre in Dozois†™ Schublade, ehe sich schließlich Daniel Abraham (sein Fantasy-Vierteiler „Die magischen Städte“ erscheint bei Blanvalet) der Geschichte annahm: Daraus wurde als „Shadow Twin“ eine Novelle, die zunächst 2004 online bei scifi.com veröffentlicht wurde, dann 2005 in einer 120-seitigen Sammlerausgabe von 526 Hardcover-Exemplaren bei Subterranean Press erschien. Es blieb nicht bei der Novelle: Unter dem Titel „Hunter†™s Run“ folgte im Januar 2008 die 280-seitige Roman-Fassung zunächst wieder als Sammlerausgabe bei Subterranean Press (wieder 526 Exemplare, wahlweise für 50 beziehungsweise 150 Dollar erhältlich) sowie als Harcover bei Eos und schließlich dann endlich im Februar 2009 auch als Taschenbuch bei Eos (282 Seiten mit Nachwort und kurzen Interviews mit allen drei Autoren, die man unbedingt erst nach dem Roman lesen sollte, 7,99 Dollar oder bei Amazon derzeit 5,57 Euro).
Der Mexikaner Ramón Espejo ist der Armut seines Lebens auf der Erde entflohen: Eines der riesigen Raumschiffe der mysteriösen Enye hat ihn auf den Planeten São Paulo gebracht. Doch auch sein Kolonistenleben ist wenig erfolgreich. Ramón betätigt sich mehr schlecht als recht als Prospektor auf der kaum erforschten Welt und träumt von einem spektakulären Fund, der aber konsequent ausbleibt. Er lässt sich von seiner Freundin Elena durchfüttern, mit der ihn eine merkwürdige Beziehung verbindet. Trotz häufiger handfester Auseinandersetzungen hilft ihm Elena auch in seinen schwierigsten Momenten: Ramón hat bei einem Streit in einer Bar einen Mann, genannt „der Europäer“, niedergestochen. Es stellt sich heraus, dass es sich bei diesem um einen Diplomaten gehandelt hat, den eine wichtige Mission auf São Paulo geführt hat. Ramón bleibt nur die Flucht aus Diegotown, will er nicht über kurz oder lang von der Polizei geschnappt werden. Er lässt seinen alten Traum neu aufleben: Vielleicht, so hofft er, gelingt ihm ja jetzt, in der Wildnis der fremden Welt, auf vollkommen unerforschtem Terrain, der Fund seines Lebens. Das geschieht tatsächlich, doch nicht so, wie es sich Ramón erträumt hat. Er stößt auf eine Gruppe technologisch den Menschen weit überlegener Außerirdischer, die sich in einem Berg versteckt haben. Ramón wird zum Instrument der mächtigen Aliens, die ihm die Aufgabe übertragen, einen Flüchtigen zu fangen. Mit dem monströsen Maneck als Aufpasser an seiner Seite macht sich Ramón gezwungenermaßen daran, diesen Auftrag zu erfüllen. Und er staunt nicht schlecht, als er entdeckt, wen er da eigentlich verfolgt. Denn diese Entdeckung stellt sein ganzes Leben auf den Kopf.
Die Geschichte atmet den Geist der siebziger Jahre und will ihr ursprüngliches Entstehungsdatum wohl auch gar nicht verleugnen. Insofern ist „Hunter†™s Run“ aus heutiger Sicht inhaltlich ein eher altmodischer Science-Fiction-Roman, der vor allem ein packendes Abenteuer vor einem exotischen Setting (wenn auch immer wieder mit angenehm-vertrauten Einsprengseln, wie der Fahrt auf dem Fluss - George R.R. Martin weist im Interview explizit auf die Inspiration durch Mark Twain hin), erzählen will, was ihm auch wunderbar gelingt. Dazu kommt eine spannende Frage, die immer noch zeitgemäß ist, vielleicht sogar viel zeitgemäßer als zum Entstehungsdatum des ersten Teils dieser Geschichte: Was macht uns zu Menschen? Mit dieser speziell für ihn selbst sehr kniffligen Frage muss sich Ramón Espejo beschäftigen, eine sehr ambivalente Figur, in vielen seiner Charaktereigenschaften überhaupt nicht sympathisch und doch jemand, der es schafft, mit seinem Schicksal den Leser bei der Stange zu halten. Alles andere als altmodisch ist die Sprache: Der Roman ist stilistisch mehr als solide, Brüche - wie man sie bei drei Autoren, die daran gearbeitet haben, befürchten könnte - gibt es nicht, andererseits werden logischerweise auch keine literarischen Offenbarungen angeboten. Das wäre bei einem solchen Gemeinschaftswerk dann wohl doch zu viel verlangt †¦ Trotzdem: Ein guter Roman, der nicht unbedingt in die heutige SF-Landschaft passt (und ganz sicher nicht „a new benchmark in modern SF“ ist, wie es bei Amazon/UK fälschlicherweise heißt), aber vielleicht gerade deshalb viel Lesevergnügen anbietet.
Bearbeitet von Armin, 18 September 2009 - 20:47.