
Kennt jemand "absurdes Theater"? Vielleicht aus der Schulzeit, Samuel Beckett ("Warten auf Godot")? Wer damit etwas anfangen kann, wird Tarkovskijs "Solaris" mögen: Quälende Pausen in den Dialogen, scheinbar end- und ziellose Kamerafahrten, visuelle und akustische Verfremdungen, übertriebene Gefühlsdarstellungen ... Tarkovskij zieht alle Register, um eine drückende, surreale Stimmung zu erzeugen. Alle Stellen, die Lem in seinem Buch mit philosophischen, gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Exkursen verbringt, füllt der Regisseur mit ... tja, mit meditativen, fast psychedelischen Bildern. Wer das nicht mag, sollte die zweieinviertel Stunden lieber mit etwas anderem verbringen als mit diesem Film.
Tarkovskij greift auch ein anderes sperriges Element des Romans auf, nämlich die Anwesenheit von damals aktueller, heute veralteter Technik in einer Handlung, die mindestens 200 Jahre in der Zukunft liegt. Die ersten 45 Minuten des Films spielen auf der Erde (Kelvin trifft u.a. Berton, der im Buch nur in Form eines alten Protokolls auftritt), die genau so aussieht wie die Erde der siebziger Jahre. Dieser Widerspruch ist eindeutig nicht aus Einfallslosigkeit oder Geldmangel vorhanden, sondern als weiteres verfremdendes Element; auch wechselt der Film gelegentlich zwischen Farbe und Schwarzweiß.
Um so überzeugender wirkt die Station: Keine hochglanzpolierte, superfuturistische, designergestylte Station, sondern ein Platz, an dem Wissenschaft getrieben wird. Es ist wohl dieses Element, das am ehesten einen Vergleich mit Kubricks ähnlich liebevoll ausgestattetem Film "2001" zulässt.
Was die Handlung angeht, bleibt der Film erstaunlich nah am Buch. Einige Nebenelemente wurden umgeordnet, um sie verfilmbar zu machen (so wie Bertons Auftritt). Die allerletzte Szene, Kelvins Landung auf dem "alten Mimoiden", hat Tarkovskij völlig umgeschrieben. Sie passt von der Stimmung wunderbar, birgt aber eine geringfügig optimistischere Note als das Buch, indem hier der geknüpfte "Kontakt" mit dem denkenden Ozean vertieft wird. ("Optimistisch" ist natürlich ein relativer Begriff bei diesem Stoff.)
Zur DVD: Nicht die englische Version kaufen! Sie beinhaltet zwar die Original-Tonspur auf russisch (wichtig für Cineasten), dafür reisst aber die englische Übersetzung mehrfach ab, wie ich von mehreren Seiten gehört habe. Die deutsche Ausgabe ist technisch einwandfrei (von der Augenschmerzen verursachenden DVD-Navigation mal abgesehen).
Wer (wie ich) ein Freund früher elektronischer Musik ist (Klaus Schulze, Tangerine Dream, Kraftwerk), sollte ein Ohr auf die Filmmusik von Tarkovskijs Landsmann Edward Artemiev werfen. Sie ist als CD erhältlich, die auch die Musik zu "Stalker" und ""The Mirror" enthält, zwei weiteren Filmen von Tarkovskij.
-- tichy