Theodore Sturgeon: The Skills of Xanadu
#1
Geschrieben 16 August 2005 - 12:52
- die dt. Ausgabe am besten direkt beim Shayol Verlag
- die engl. Ausgabe bei Amazon
Nach der ersten Geschichte Die Goldene Helix setzen wir fort mit
Das Geheimnis von Xanadu (orig. The skills of Xanadu).
Fragen zum KG-Lesezirkel beantwortet die FAQ.
Sullivan und yiyippeeyippeeyay
#2
Geschrieben 20 August 2005 - 23:29
#3
Geschrieben 25 August 2005 - 07:47
vielen Dank für das Gedicht, geht ja richtig unter die Haut. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Samuel Taylor Coleridge noch nicht kannte.
Ich verstehe nicht, wieso immer von einem "knappen Stil" gesprochen wird. Wenn man "mit so wenig Worten so viel erzählen kann", würde ich das nicht als "knappen Stil" bezeichnen sondern lieber das begnadete Erzähltalent hervorheben. Sturgeon fesselt den Leser mit kleinen Gesten, lullt ihn ein und schlägt schließlich geschickt mit der Keule zu.
Besonders gut gefallen hat mir in dieser Geschichte, dass Bril ernst genommen wird und seine Eigenheiten nicht ins Lächerliche gezogen werden. Er mag es nicht, wenn andere Leute ihm beim essen zuschauen? Er will eine eigene Hütte? Okay, kein Problem.
Sehr spannend verläuft auch die Suche nach der "Regierung" und die Erklärungen, was der Senat und die Senatoren sind. Durch solche grundlegenden Unterschiede im Verständnis werden in wenigen Zeilen beide Gesellschaften charakterisiert, ganz große Klasse.
Xanadu ist eindeutig Utopia, ohne jeden Fehler. Es wird zwar angedeutet, dass es in Vergangenheit fast zur Ausrottung gekommen ist, aber diese Phase wurde überwunden. Faszinierend sind die Ursachen für das Utopia: die Fähigkeiten der Menschen gehen nicht verloren, jeder Einzelne hat das gleiche Wissen und Können wie die anderen. Dazu kommt die Sensibilität, instinktiv das Richtige zu tun um Ungleichmäßigkeiten auszugleichen - und zwar auf jeder nur denkbaren Ebene: das kann ein zu erfüllender Wunsch sein, ein Mangel an Rohstoffen etc.
Witzig verläuft die "Eroberung" von Brils Welt. Sie bekommen eben nicht nur die "normalen" Fähigkeiten um das Leben zu verbessern, sondern es werden auch Ideale vermittelt und, was das wichtigste ist, jeder ist plötzlich gleich. Der Möchtegern Eroberer werden selbst erobert...
Der von dir vorgeschlagene Schluss wäre tatsächlich noch stärker, rocky, aber ich kann mit den Sätzen gut leben.Die letzten paar Sätze gefallen mir aber nicht.
Sullivan
#4
Geschrieben 30 August 2005 - 00:55
Aber im Genauen.
Von Zeile zu Zeile wandelt man durch die wundersame Welt, die Sturgeon kreiert. Wie schon bei Viridis schafft er mit Xanadu einen ganz neuartigen Planeten, der das Herz der SF-Geneigten höher schlagen lässt.
Wie Rockmysoul gefiel mir dabei schon die Ausgangslage: "And the sun went nova" - sofort ist der Leser aufmerksam, eine gute Idee, um von Zeile 1 an zu fesseln.
Probleme hingegen bereitete mir von Anfang an der Protagonist Bril. Sicher ist es für den Lauf der Geschichte notwendig, dass der "hochentwickelte" Besucher den freundlichen und verständnisvollen Leuten von Xanadu stets mit Arroganz und Abneigung gegenübertritt, aber trotzdem machte ihn mir das Schritt für Schritt immer unsympathischer, bis ich ihm nur noch das Schlechteste gönnte...
Und auch sein ach so überlegenes Streben nach Privatsphäre (=sich in einen Metallsarg einsperren) und sein hochnäsiges Herabsehen auf andere Normen, regten mich innerlich ziemlich auf [ich bin nun mal ein Leser, der sehr leicht Emotionen wie Zorn und Mitgefühl bei Charakteren empfindet].
Jedoch schrieb Sturgeon für mich dann das perfekte Ende, das alles in Wohlgefallen auflöst: Brils kriegerisch-arrogante Eroberer-Rasse bekommt die Ideale der "Xanaduren" aufgedrückt und der Spuk hat ein Ende.
Im Gegensatz zu meinen Vorrednern gefielen mir dabei auch Ninas Schlussworte sehr gut. Zuerst lächelt sie mit weiser Überlegenheit über den bevorstehenden, neunzehnten Versuch, Xanadu zu übernehmen und dann offenbart sie, dass das fühlende Verständnis ihres Volkes noch größer sind, als man es eh schon vermutet: Nina hat Brils kurzzeitige Liebesgefühle längst registriert - und doch sieht sie ihn nicht als das arme Würstchen an, das er eigentlich ist, sondern einfach als den "lustigen Bril", einer der vielen Möchtegerneroberer, der am Ende eines Besseren belehrt wird. Diese tolerante Haltung voller Herzensgüte, weder verurteilend noch nachtragend, erscheint mir als idealen Weg, eine Geschichte zu beenden: Durch und durch positiv und angenehm für den wohlgesinnten Leser.
Mein Fazit: "Xanadu" ist keine außergewöhnliche, aber eine unterhaltsame Geschichte mit gefälliger Moral am Ende und einigen sehr schönen SF-Elementen. Auch beweist Sturgeon weiterhin sein stilistisches Können: Die Dialoge sind lebendig, Handlungen und Dinge werden prägnant und zugleich schön beschrieben.
Ein Autor, der mir in Erinnerung bleiben wird.
Bearbeitet von Jueps, 30 August 2005 - 14:48.
»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«
#5
Geschrieben 30 August 2005 - 09:51
Mich stoert am Ende, dass dort von "Eroberungen" gesprochen wird. Es scheint ja nicht in der Natur der Bewohner von Xanadu zu liegen, erobern zu wollen, auch wenn es in der Natur des Menschen liegt. Aber ist die Eroberungslust immer noch da, wenn man mit sich, den Mitmenschen und der Natur in Einklang lebt? Oder zaehlt es als Selbstverteidigung? Fuer mich waeren Begriffe wie "Befreiung" oder "Bekehrung" passender gewesen, auch wenn sie auch nicht so richtig zutreffend sind (Probleme mit der alten Sprache ). Werden, wie Jueps schreibt, den Eroberten die Ideale von Xanadu aufgedrueckt? Ist es nur eine natuerliche Entwicklung, wenn alle Menschen gleich sind und alles (fast) gleich gut koennen? Oder behalten sie ihre Eigenarten und kulturellen Errungenschaften? Wenn nicht, ist "Eroberung" vielleicht doch nicht so falsch.
@ Sullivan
Wenn Du "Die Tore zu Anubis Reich" ("The Anubis Gates") von Tim Powers gelesen hast, ist Dir Coleridge immerhin mal als Figur in einem Roman ueber den Weg gelaufen.
#6
Geschrieben 30 August 2005 - 14:52
ja, mein "aufdrücken" war vielleicht eine etwas überspitzte Wortwahl, denn auch ich bezweifle stark, dass die 'Xanaduren' irgendeine Absciht hegten, jemandem etwas aufzuzwingen.
Andererseits: Da Brils Volk die Ideale nicht freiwillig übernimmt [und es wahrscheinlich auch niemals getan hätte, mit Begründungen wie "Niedere Ideale? Niemals!"], sollte man schon ein Wort dieses Kalibers wählen.
Ich denke, ein wunderbarer Begriff für den Vorgang am Ende wäre Läuterung gewesen. ["Halt", sagt eine andere Stimme in meinem Kopf, "das klingt zu religiös! 'Eroberung' passt wohl im Endeffekt am besten zur Grundhaltung der KG..."]
Bearbeitet von Jueps, 30 August 2005 - 14:54.
»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«
#7
Geschrieben 30 August 2005 - 19:04
@morn:
"Die Anubis Tore" kenne ich noch nicht, hole ich vielleicht bei Gelegenheit mal nach.
Jueps, ich kann dich verstehen. So ähnlich ging es mir bei Cordwainer Smith, die Charaktere waren mir so unsympathisch, dass ich die Story nicht genießen konnte ("Ein Planet namens Shayol" bildet die rühmliche Ausnahme).
Bei Sturgeon mag ich gerade die Charaktere! Sie erwachen zum Leben so dass man sie nicht als lächerliche Parodie abtut sondern ernst nimmt, ihre Ansichten auf sich wirken lässt und dann erst urteilt. Privatsphäre, das Herabsehen auf die Mitmenschen - Bril bedauert sogar schon die Einwohner von Xanadu, dass sie wahrscheinlich ausgerottet werden müssen. Da prallen zwei Gesellschaften aufeinander, die verschiedener nicht sein könnten.
jueps meinte außerdem:
Ganz meine Meinung. Die Ideale von Xanadu/Sturgeon verändern die Menschen und öffnen ihnen die Augen. Dieses Motiv findet man auch in anderen Geschichten, am stärksten ist mir "Wenn alle Menschen Brüder wären" in Erinnerung geblieben, die einige Parallelen aufweist. Auch dort haben wir den Konflikt "offene Gedanken, alle sind gleich" und den festgefahrenen, bürokratischen Strukturen, die alle nur das "Beste" für uns wollen.Diese tolerante Haltung voller Herzensgüte, weder verurteilend noch nachtragend, erscheint mir als idealen Weg, eine Geschichte zu beenden: Durch und durch positiv und angenehm für den wohlgesinnten Leser.
Was denkt ihr, ist dieser Ansicht von Sturgeon zu naiv? Würde vollkommene Transparenz zu einer besseren Gesellschaft führen oder würde man damit andere Probleme bekommen? Oder liegt es, wie Bril bemerkt, sogar in der Natur des Menschen, Geheimnisse zu haben?
Sullivan
#8
Geschrieben 30 August 2005 - 19:27
#9
Geschrieben 31 August 2005 - 08:12
Stimmt, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Die Einwohner können mit Absicht wegschauen wenn sie merken, dass jemand Privatsphäre braucht. Hier gilt wieder das Balance Prinzip, um Bedürfnisse zu erfüllen: wenn es für das "persönliche Wohlbefinden" notwendig ist, jemandem einen Freiraum zu gewähren, bekommt er ihn auch.Wenn ich mich recht erinnere, sagt Nina, dass sie nichts so sehr schaetzen wie die Privatsphaere.
Ein gutes Argument - sie müssen gar nicht mehr miteinander sprechen. Sturgeon skizziert hier eindeutig eine Gesellschaft, die sich auf empathische/telepathische Weise versteht. Die gemeinsamen Fähigkeiten sehe ich eher als Pool oder Bibliothek, wo sich jeder bedienen kann. Als "Mensch" hat er aber auch noch eigenes kreatives Potential, dass die Gesellschaft letzten Endes weiterbringt. Bleibt die Frage, ob der Ansatz funktionieren würde. Wie sieht es mit der Motivation aus, um das eigene Potential wirklich zu nutzen, mit der "Bezahlung" (wie auch immer, Geld, Anerkennung, Privilegien etc.). Darauf geht Sturgeon nicht ein und bei längerem Nachdenken habe ich so meine Zweifel, ob die "wir haben uns alle lieb" Methode funktioniert. SullivanAber warum sollten sie dann miteinander sprechen muessen?
#10
Geschrieben 31 August 2005 - 08:42
Das ist ein guter Punkt. Allerdings koennte Neugier darueber, was alles moeglich ist, schon Motivation genug sein. Ich denke, dass Wissbegier und Forscherdrang wesentliche Eigenschaften des Menschen sind. Und wenn jeder seinen Neigungen nachgehen kann, was auf Xanadu der Fall zu sein scheint, dann koennte dies Bezahlung genug sein.Wie sieht es mit der Motivation aus, um das eigene Potential wirklich zu nutzen, mit der "Bezahlung" (wie auch immer, Geld, Anerkennung, Privilegien etc.). Darauf geht Sturgeon nicht ein und bei längerem Nachdenken habe ich so meine Zweifel, ob die "wir haben uns alle lieb" Methode funktioniert.
#11
Geschrieben 04 September 2005 - 13:48
So, ich hab endlich die Story noch mal gelesen, nachdem ich sie Mitte August schon durch hatte, und mir nicht ganz klar war, was ich von ihr halten soll. Im Wesentlichen komme ich aber zu dem Schluss, dass Sturgeon schon auch ein wenig warnt vor den Xanadu'schen Fähigkeiten. Deshalb sind die oben zitierten Zeilen am Ende des Coleridge-Gedichts für mich das Motto dieser KG. (Der mit den blitzenden Augen und dem Haar ist für mich Tanyne, der dreifache Kreis der um ihn geWEBT wird, der Gürtel... )Beware! Beware!
His flashing eyes, his floating hair!
Weave a circle round him thrice,
And close your eyes with holy dread,
For he on honey-dew hath fed,
And drunk the milk of Paradise.
Denn irgendwie sind diese Gürtel doch auch gruselig. Sie werden als "lebendig" von Tanyne beschrieben, und sie existieren irgendwie symbiotisch mit ihrem Träger, geben ihm eine (wahrscheinlich süchtig machende) Macht bzw. Einklangsgefühl mit allen anderen Trägern. Das erinnert mich an einen der gruseligsten "schöne-weltigen" SF-Romane, über ein zu weit entwickeltes "Herdenhirn" in einem lieblich erscheinenden US-Städtchen: Frank Herberts Santaroga Barrier (dt.?).
Einerseits sind die Xanaduer in Sturgeons filosofischer Gegenüberstellung die Seite, die sich nicht mehr mit Maschinen abgibt, damit sie nicht von deren Konsequenzen (erneut) zerstört werden. Andererseits wurde der Gürtel von ihnen ENTWORFEN - wie, ohne bereits vorhandene Gürtel, Forschung, maschinen-unterstützter Entwicklung?! (Und wo wir schon dabei sind - wie kann aus 3 Menschen, eine Gemeinschaft von 12 bis 13 Tausend wachsen ohne fortschreitender Inzucht-Probleme? Bestrahlt der Gürtel etwa auch "gutmütig" die Eier/Spermien der TrägerInnen? )
Die Welt von Kit Carson ist glaubhaft angedeutet, auch heute eine Fortentwicklung bestimmter Strömungen der modernen Welt, und Bril ist ein konsequenter Sohn dieser Gesellschaft. Die Szene, in der er die Tür unbekleidet aufmachen MUSS um an den Gürtel zu kommen, ist herrlich.
Letztendlich ist aus meiner Sicht die positiv-progressive Art, in der Sturgeon die Xanaduer darstellt, eine Falle für LeserInnen. Am Ende der KG ist mir etwas mulmig zumute, dass ich die X'er sympathisch fand/finde. Denn wenn ich vor die Wahl gestellt würde, so einen Gürtel an zu ziehen, wissend was er für Nebeneffekte hat, würde ich ihn glaub ich ablehnen.
Fazit: Eine trickreiche, lesenswerte Geschichte. Man lese sie 2 Mal!
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 04 September 2005 - 14:01.
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#12
Geschrieben 05 September 2005 - 10:08
#13
Geschrieben 05 September 2005 - 15:49
eine interessante Standpunkt. Zum einen das Problem Inzucht: hier stimme ich dir zu, obwohl der Gürtel bestimmt seinen Teil dazu beiträgt, die Auswirkungen in Grenzen zu halten. (Gab es den Gürtel damals schon, als bloß noch 3 Leute übrig waren?).
Ich sehe den Gürtel aber nicht als falschen Freund, durch den man letzten Endes an die Kette gelegt wird! Stattdessen sorgt er dafür, dass die Menschen nach Idealen leben können, ohne dass einer den anderen ausnutzt. Das erinnert mich ein wenig an Moulin Rouge: Wahrheit, Freiheit, Schönheit und Liebe.
Sehr interessant ist die Idee, dass jeder Mangel spürbar ist und ein Defizit erzeugt, auf dass die anderen Menschen "ausgleichend" reagieren: emotional, ökonomisch, zwischenmenschlich, ... Wieso überhaupt reagiert wird, bleibt die große Frage, aber es funktioniert überraschend gut. Es scheint auch gar keinen Konflikt von Wünschen zu geben...
Würde ich einen Gürtel besitzen wollen? Hmm, schwere Frage, die Antwort lautet trotz aller Bedenken ja.
Was findest du an den Gürteln gruselig, yippie?
Sullivan
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