Elizabeth Hand: Engels, in Unkenntnis
#1
Geschrieben 02 Januar 2006 - 09:46
Engels, in Unkenntnis.
Wie der Lesezirkel funktioniert, ist im FAQ Thread beschrieben.
Viel Spaß beim Lesen!
yiyippeeyippeeyay und Sullivan
#2
Geschrieben 09 Januar 2006 - 17:57
Bearbeitet von Jueps, 09 Januar 2006 - 18:00.
»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«
#3
Geschrieben 11 Januar 2006 - 17:03
Also, ich fand die Story ziemlich genial. Die Übersetzung lässt durchblicken, dass die Dame sehr flüssig schreiben kann; ich würde gerne mal das Original lesen - dafür muss ich mir wohl mal Last Summer at Mars Hill aneignen.
Die Story lebt m.E. von den Szenen/Stimmungen, die sie präsentiert, und von ihrer lustvoll-gesellschaftskritischen Allegorie. Während die Protagonistin Rebecca von der hohlen Welt des Turbokapitalismus immer mehr reduziert wird (Telefon weg, Licht weg), trifft sie einen netten bebrillten alten Mann und die betitelten Engels. Man merke dass Hand diese 3 Letzteren kaum beschreibt (fast ALLE Rollen werden vor allem anhand ihren zur Schau gestellten Konsum-Schätzen fest gemacht!), und u.a. zumindest mich an der Nase herum führte, weil ich beim 1. Auftauchen der Engels-Geschwister dachte "ach so, also doch kein sozialistischer Dreh", und dann am Ende, als Rebecca die beiden in des alten Mannes Auto sieht, wieder zurück auf den "Dreh" kam: War also der nette Alte eine Reinkarnation von Marx? Hat Marx sich je mit der Familie Lancaster befasst? (Man recherchiere in seinen Briefen an Engels zur Geschichte Englands... )
Der yuppiehaften, geschniegelten Geldwelt der Börsenmakler wird's also so richtig heimgezahlt, und der Wissenschaftliche Sozialismus (wie ihn der echte Engels nannte) bekommt hier phantastische Stützen um es dem gewissenlosen großen K (mit Feuer und Zigarrenrauch) heim zu zahlen! Zum Totlachen!
Dabei sind Plot und Dialoge kurz gehalten, dicht um den emotional-allegorischen Kern gewickelt. Großes Lob!
Als Einstieg zu ihrem Werk war diese Geschichte jedenfalls sehr angenehm.
(Übrigens wurde die Übersetzung zum allergrößten Teil von einer ehemaligen Säule des Boards gebastelt. Gut gelungen, finde ich! Macht Lust Ms. Hand näher kennen zu lernen! - ... was ich ja demnächst angehen muss, da unsere 3. Story noch ins Dt. übersetzt werden soll...)
P.S.: Diese Story wurde auch ein paar Mal im AC-Thread zu der entspr. Ausgabe vor 2 Jahren erwähnt. Die Besprechung von Jakob möchte ich hier zitieren, und kurz darauf eingehen:
Das Verspielte an der Sache ist gerade das, was mir in vielen dt. Geschichten fehlt. Ein wenig Verrücktheit als Würzung in der KG-Suppe würde ich mehr Autoren empfehlen. Mir gefällt übrigens auch sehr, dass die Story nicht in irgendein klares Genre fällt - weder SF noch Fantasy; wenn überhaupt zu klassifizieren, würde mir am ehesten das Etikett "Märchen" gefallen (im Britischen redet man ja auch von "magic realism"). Die 9/11-Anmerkung sollte Epilog.de m.E. wirklich streichen; es würde ein Hinweis reichen, dass die Story vor diesem Datum geschrieben wurde, falls dt. LeserInnen nicht wissen welchen "schwarzen Montag" Ms. Hand in ihrem kurzen Kommentar vorweg meint... http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/cool.pngEngels, in Unkenntnis hat ganz knapp den zweiten Platz für mich belegt. Klasse Story, aber ein bisschen zu verspielt für meinen Geschmack. Dass das ganze ein bisschen böse ist, ist eher ein Pluspunkt. Deshalb finde ich es eigentlich auch nicht so günstig, dass eine Anmerkung druntersteht, das sich gefälligst niemand aufregen solle, dass eine Story, in der ein Hochhaus abfackelt, nach dem 11. September 2001 noch veröffentlicht wird. Einen thematischen Zusammenhang muss man da schon ziemlich zurechtkonstruieren - und ich finde sowieso, das solche Konstruktuionsarbeiten prinzipiell den LeserInnen überlassen werden sollten. In Randbemerkungen Interpretationsanweisungen zu geben, geht mir ein bisschen gegen den Strich. Wer sich aufregen will, soll das tun - und es dann gut begründen, das wäre nicht ganz leicht ...
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 11 Januar 2006 - 17:47.
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#4
Geschrieben 17 Januar 2006 - 16:15
eine sehr gut erzählte Geschichte aus interessanter Perspektive. Wie yippie ganz richtig bemerkt, werden die Charaktere an Hand der "Konsumschätze" festgemacht. Sehr gut gefallen hat mir, wie Rebeccas Leben nebenbei beschrieben wird, ihre Einkäufe, ihre kleine Wohnung etc. Man kann sich genau vorstellen was sie für ein Mensch ist, durch sie wird die Geschichte lebendig.
Soweit so gut, was mir nicht gefallen hat war das Thema. Beißende Kritik an die Yuppies hin oder her, darauf hatte ich nicht so richtig Lust bzw. stellt nichts besonderes für mich dar. Für meinen Geschmack hätte ein gehöriger Schuss mehr Phantastik hineingehört (insbesondere am Schluss).
Da habe ich wohl die falsche SF-Geschichte ausgewählt deswegen gibt es auch keine Wertung von mir. Der Stil ist wirklich sehr gut und ich bin bereits gespannt auf die nächste Geschichte. Das Thema dagegen lag mir überhaupt nicht.
Sullivan
#5
Geschrieben 17 Januar 2006 - 16:51
Ich finde eine Kurzgeschichte darf auch einfach eine Reihe von "suspend distaste"-Szenen sein, wenn sie gut geschrieben sind. (Was sonst ist z.B. Sin City?) In diesem Fall ist sie eh mehr, nämlich auch noch eine märchenhafte politische Allegorie. Aber beides (Szenen/Alllegorie) ist natürlich Geschmackssache.Soweit so gut, was mir nicht gefallen hat war das Thema. Beißende Kritik an die Yuppies hin oder her, darauf hatte ich nicht so richtig Lust bzw. stellt nichts besonderes für mich dar. Für meinen Geschmack hätte ein gehöriger Schuss mehr Phantastik hineingehört (insbesondere am Schluss).
Jakob hatte mir noch privat geantwortet, und ich hoffe ich darf einen Teil seiner Mail hier zitieren:
Hm, ich finde nach wie vor der Alte ist Marx. Dass die "Engels" hier ein Plural sind, ist ja sogar im Dt. vom Klang des Wortes her (für eine Fantasie darüber) nachvollziehbar - diese "Bengels" haben mal eben die Börsenwelt nachträglich geschädigt...Zu deinem "Engels"-Kommentar: was mir auch erst jetzt auffällt, ist, dass der historische Herr Engels ja selbst "Unternehmer" war, also ein Kapitalist im klassischen Sinne. So genau erinnere ich mich nicht mehr an die Story, aber das passt doch eigentlich ganz gut zu dem alten Herren, der so einen "romantischen", eigentlich überholten Kapitalismus verkörpert. Lustig ist das, obwohl ich, wenn ich drüber nachdenke, ja eher dagegen wäre, die "Alten Zeiten" zu romantisieren. Aber sei's drum, die Story funktioniert ...
Es werden m.E. auch nicht die Alten Zeiten romantisiert sondern eher freundlich aufs Korn genommen. Es steht ja nirgendwo in der Story dass Mr. Lancaster ein netter Kapitalist ist, sondern nur dass er an einem Forum dazu teilnimmt. Und wer weiß, evtl. wäre ja Marx in der heutigen Zeit der wesentlich verbesserten Massenkommunikation eine Limousine gefahren? <schnell wegrennender, freundlich-grinsender Smiley>
/KB
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#6
Geschrieben 17 Januar 2006 - 17:00
#7
Geschrieben 19 Januar 2006 - 14:45
Wenn du einen einfachen Weg hast, sie zu kontaktieren, mach du's bitte! Ich sitze gerade in einer "game farm" in Südafrika an einem alle 2 Tage funktionierenden Analogmodemanschluss... Aber nur NACH Ablauf deiner Auslauge...Wir könnten vielleicht Frau Hand direkt fragen, ob sie die beiden im Hinterkopf hatte beim Schreiben der Geschichte (willst du oder soll ich?).
Vielleicht bin ich im Moment etwas ausgelaugt
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 19 Januar 2006 - 14:46.
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#8
Geschrieben 10 Februar 2006 - 14:17
Das klingt doch gut! Liz beantwortet gerne unsere Fragen, die wir an sie haben. Auf deutsch mal der nächste Absatz:... I'm very happy to answer any questions you and your reading group may have, and I'm honored that you have taken an interest in my work! I confess that I did not have Engels in mind when I wrote the story, or Karl Marx, except in the vaguest Marxist sense of the story being a critique of the most bloated kind of consumerist capitalism. I was however thinking of Rilke's angels, as well as the more benign figures in Wim Wenders' "Himmel uber Berlin." I wrote the story in the aftermath of Black Monday, the stock market crash of 1987, when I was working in an office similar to the one in "Angels Unawares." My courtly, wealthy boss inspired the girl's employer in the story. ... All best, Liz Hand
An Wim Wenders erinnere ich mich nur wage und von Rilke kenne ich nur den "Panther". Vielleicht haben jetzt einige Leute Lust bekommen, die Geschichte ebenfalls zu lesen?! Wir haben zwar schon mit der 2. Runde angefangen (eine längere Geschichte, zu der ich mich in Kürze äußern werde), aber ich würde mich freuen, wenn die Beteiligung weiter steigt. SullivanIch gebe zu, dass ich nicht Engels, oder Karl Marx, im Sinn gehabt hatte, als ich die Geschichte schrieb. Man kann sie im weitesten Sinne als marxistisch bezeichnen, weil sie den überaus aufgeblähten Konsum Kapitalismus kritisiert. Gedacht habe ich stattdessen an Rilkes Engel und an die gütigen Figuren in Wim Wenders "Himmel über Berlin". Ich habe die Geschichte unter den Nachwirkungen des "Schwarzen Montags" geschrieben, dem Börsencrash von 1987, als ich in einem Büro ganz ähnlich dem in "Angels Unawares" gearbeitet habe. Mein vornehmer, reicher Chef inspirierte mich zum Arbeitgeber des Mädchens in der Geschichte.
Bearbeitet von Sullivan, 10 Februar 2006 - 20:23.
#9
Geschrieben 10 Februar 2006 - 18:04
Mehr als je
fallen die Dinge dahin, die erlebbaren, denn,
was sie verdrängend ersetzt, ist ein Tun ohne Bild.
Diese Entfremdungserfahrung (bei Rilke) trifft das Verhältnis der Innenwelt der Protagonistin zu ihrer Außenwelt (bei Hand) ganz gut, so weit ich mich an die schon länger zurückliegende Lektüre der Story erinnere. Wobei Rilkes Engel-Metapher in den Duineser Elegien natürlich deutlich vielschichtiger als mein hier kurz angerissenes Beispiel ist †¦
Gruß
Armin
Neu: Armin Rößler - Die Nadir-Variante
Armin Rößler - Entheete (Neuauflage) +++ Armin Rößler - Cantals Tränen +++ Hebben/Skora/Rößler (Hrsg.) - Elvis hat das Gebäude verlassen
Das Argona-Universum
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Mein Blog
#10
Geschrieben 13 Februar 2006 - 13:07
Die Engelsschen Geschwister sind also eher ähnlich Wenders' Engeln? Ob dann die bebärtete gediegenere Figur, mit der Rebecca den Feuersturm durchlebt, so etwas wie Gott sein soll?Ich gebe zu, dass ich nicht Engels, oder Karl Marx, im Sinn gehabt hatte, als ich die Geschichte schrieb.
Tja; wie sagte letztens Frau Osthoff?: Es liegt alles in der Interpretation. (Das ist ein Gerücht! )
Rilke kenne ich auch kaum - liest man wohl eher nur in der Schule/Uni, und da hatte ich ihn nicht. Nicht immer leicht zu verstehen (was bedeutet in Arnims Zitat z.B. "ein Tun ohne Bild"? Planloses Vorgehen?)...
/KB
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"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
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Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#11
Geschrieben 13 Februar 2006 - 15:56
Bearbeitet von Frank, 13 Februar 2006 - 15:58.
#12
Geschrieben 14 Februar 2006 - 09:57
/KB
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#13
Geschrieben 14 Februar 2006 - 10:32
Eben fad. Keine schlechte Story, aber eben nicht der große Wurf.und dann ist alles für die Sau. Schade.
Also, so etwas spricht nun wahrlich nicht gerade von stilistischer Brillianz. Der Stil ist okay, flüssig zu lesen, aber eben auch nichts Außergewöhnliches... Auch die Protagonisten sind Klischees: eine Art "Bridget Jones", Aushilfssekretärin, dann die böse Chefin, der gute alte Mann. Ich konnte mich mit der Frau nicht identifizieren, dafür war sie mir zu überdreht, unnatürlich dargestellt: fällt kurz in Ohnmacht etc. pp. Und: Außerdem hat man das Gefühl, dass die eigentliche Handlung neben der Story abläuft ... die Protagonistin ist nur ein Beobachter; es ist nicht ihre Geschichte, sondern die eines anderen.Der Fahrstuhl war nicht besonders schnell, und deshalb benutzten die Broker, die Analysten und die Wirtschaftsprüfer die Expressaufzüge im Innern, deren Türen sich, kaum dass sie sich im siebenundachzigsten Stockwerk schweigend geschlossen hatten, schon wieder zur grell erleuchteten Lobby hin öffneten.
Oh, das kann man aber schlecht miteinander vergleichen. Dazu müsste das hier auch eine Cyberpunk-Story sein.dieser hier gefällt mir MINDESTENS so gut wie der hauruckigere in deinem Byte the Vampire.
Bearbeitet von Frank, 14 Februar 2006 - 10:33.
#14
Geschrieben 14 Februar 2006 - 10:48
Der Reihe nach:Auch die Protagonisten sind Klischees (I)
 :
Und: Außerdem hat man das Gefühl, dass die eigentliche Handlung neben der Story abläuft ... die Protagonistin ist nur ein Beobachter; es ist nicht ihre Geschichte, sondern die eines anderen. (II)
 :
Oh, das kann man aber schlecht miteinander vergleichen. Dazu müsste das hier auch eine Cyberpunk-Story sein. (III)
[*]I = In meiner Erfahrung ist fast alles in der Literatur ein Klischee; die Frage ist m.E. ob die Synthese bekannter Elemente klappt. Dass die Protagonistin hier an Bridget Jones erinnert, finde ich gerade reizvoll. Vielleicht ist das ganze ja eine Hommage auf einen bestimmten Film? (Aber welchen?)
[*]II = Na und? (Mal was Neues! S. I... )
[*]III = Ich bin kein Cyberpunk-Experte, also DARF ich das auf dem Boden reiner Ignoranz vergleichen (sprach der Neanderthaler und sonnte sich).
[/list]
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 14 Februar 2006 - 12:24.
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