Als Selten-bis-nie-Hype-Anschauer habe ich es inzwischen auch geschafft, den Film zu sehen. Bei 8 Stunden Flug tut man die seltsamsten Dinge.
Seither frage ich mich, ob man Jugendlichen zwar explizite Meuchelszenen, aber keine komplexeren Probleme zumuten darf. Da und dort taucht im Film ja die Frage auf, wozu das ganze Theater überhaupt gut sein soll. Katniss' Freund meint sogar, wenn keiner es ansähe, wäre die makabre Show schnell am Ende. Allerdings fragt keiner: Was, wenn wir einander nicht an die Gurgel gehen? Das kommt erst im Showdown, wo die Spielleitung auf filmtechnisch nahliegende, aber psychologisch denkbar blöde Art die eigene Regel umschubst. Nein, die sinnvollen Fragen gehen im Wer-Wen unter.
Noch mehr am Ende scheint dann das einzige Problem der - ja, gut gespielten - Heldin zu sein, dass sie plötzlich zwei beste Freunde hat. Beste Freunde, denn Sex beschränkt sich im Gegensatz zur sehr ausführlichen Gewalt auf ein paar Küsse und Händchenhalten - deshalb isses wohl P12 ...
Wie ich hier gelernt habe, soll es eine Triologie werden. Vielleicht passiert also noch etwas Weltbewegendes.
Ansonsten finde ich es eher ärgerlich, weil die meisten Entwicklungen absolut vorhersehbar sind. Man ahnt, wer wann wie umkommen wird, man ahnt, dass die Heldin den Helden raushauen wird. Die Lust an der zur Schau gestellten und durchinszenierten Brutalität, die der Film scheinbar kritisiert, bedient er selbst. Er verführt den Zuschauer dazu, mit der Heldin mitzufiebern und zu wünschen, dass es ihr gelingen möge, die anderen auf moralisch einwandfreie Weise plattzumachen. Das ärgert mich, weil es funktioniert, obwohl man merkt, dass man gerade über den Tisch gezogen wird.
Die Gesellschaft wird systematisch in Grau und Bunt geteilt. Ist euch schon mal aufgefallen, dass die HartzIV-Kinder alle in verwaschenen, fast unbunten Klamotten rumrennen? Nein? Tun sie auch nicht. Aber im Film schon, damit man die Guten schon von Weitem erkennt. Und wenn ich eine Prognose wagen darf: am Ende des dritten Teiles geht die Hauptstadt in Flammen auf, während die geretteten Kinder auf eine Blumenwiese hinauslaufen.
Um noch etwas Positives zu sagen: Die Kameraführung fand ich eigentlich recht gut. Ich hab's dann lieber etwas undeutlich, besonders in Szenen, die auch für die Beteiligten undurchsichtig sind, als zu explizit. Der Film macht wenigstens nicht den Fehler, dass Leute einander x-mal mitten ins Gesicht schlagen und ohne jede Desorientierung einfach immer weiter machen. Dadurch wirkt er deutlich überzeugender. Soderbergh schlägt das Drehbuch um Längen.
Hallo Heidrun, deine Kritik ist bei mir angekommen, ich sehe den Film allerdings nicht ganz so negativ. Obwohl ich auch ein paar kritische Einwände hätte, habe mich doch mehr von seiner Emotionalität blenden lassen.
Ein Problem, welches der Film hat, ist, dass er Teil einer Trilogie ist und einige wichtige Hintergrundinformationen zur politischen Situation fehlen, die wahrscheinlich erst in den späteren Teilen folgen werden. Ich vermute und hoffe das, denn ich kenne die Bücher auch nicht.
Sind die Ereignisse vorhersehbar? Natürlich. Genauso wie niemand erwartet, dass unsere Heldin am Ende nicht als Siegerin vom Platz geht. Die Grundlage des Films ist schließlich ein Jugendbuch und Mehrteiler. Ich finde allerdings, dass der Film als Plädoyer für Mitmenschlichkeit und Anklage gegen einen, mit Sadismus gepaarten auf die Spitze getriebenen Voyeurismus ganz gut funktioniert. Teilweise bedient der Film tatsächlich jenen Gewalt-Voyeurismus, den er eigentlich kritisieren möchte und wollte man konsequent sein in der Ablehnung dessen, müsste man diesen Teil des Films und wohl des Buches ausblenden. Das wäre dann ein anderer Film. Andererseits widersetzt sich Katniss gerade dem brutalen Überlebenskampf, der ihr aufgezwungen wird, nimmt Partei für die schwächeren Teilnehmer und wenn sie tötet, dann eigentlich eher aus Versehen, oder in höchster Not, um sich zu verteidigen. Insofern kann man eigentlich nicht von moralisch einwandfreiem Plattmachen des Gegners reden. Die Gewaltszenen sind für mein Empfinden teilweise fast noch zu sauber inszeniert um den pervers-brutalen Charakter dieser Gladiatoren-Spiele zu demonstrieren, wo man Jugendliche, die teilweise noch Kinder sind, aufeinanderhetzt.
Bei längerem Nachdenken stellt man sich dann vielleicht doch die Frage, warum diese Jugendlichen, plötzlich aufeinander losgehen sollen und sich so brutal abschlachten. Teilweise sind mir die Jugendlichen mit ein wenig zu viel Enthusiasmus bei der Arbeit, wenn ich an die wilde Metzelei am Anfang des "Spiels" denke, wo doch ihre bisherigen Leben (von Ausnahmen abgesehen) eher friedlich verlaufen sind. Warum weigern sich die Jugendlichen nicht einfach? Wo bleibt die natürliche Tötungshemmung? Es ist ja nicht gerade so, dass diese Jugendlichen als Kindersoldaten aufgewachsen und ausgebildete Killer sind.
Auch ist der Ursprung dieser Diktatur noch sehr unklar und lückenhaft, da erwarte ich tatsächlich noch mehr Aufklärung um dieses Herrschaftssystem einigermaßen zu verstehen. Warum ist es auf Gewalt, totale Unterdrückung und Ausbeutung aufgebaut und warum ist keine kooperative Lösung zwischen Zentraldistrikt und Außendistrikten denkbar? Angelegt ist die Herrschaft des Zentraldistrikts als offensichtliche Analogie zum römischen Imperium, mit der Zentralmetropole als modernem Rom und den Außendistrikten als römische Provinzen. Wie im antiken Rom, entrichten die unterworfenen Gebiete als Zeichen der Unterwerfung und Demütigung Tribute als Geiseln, die zur Unterhaltung der Massen Gladiatoren-Kämpfe veranstalten müssen. Dieses nach antikem Vorbild aufgebautes Herrschaftssystem wirkt finde ich konstruiert und es erscheint wenig wahrscheinlich, dass sich solche Herrschaftsstrukturen ohne historisch zwingende Gründe wieder ausbilden.
Vieles in dem Film wirkt zwar übertrieben und plakativ und ist offensichtlich darauf angelegt Abscheu zu erzeugen. Dennoch habe ich mich von der Dramatik und Emotionalität der Geschichte bannen lassen, was schon mal für den Film spricht. In der Summe hat mir der Film sehr gut gefallen, weniger vom Intellektuellen, sondern vor allem weil es ihm gelungen ist, mit den Protagonisten mitzuleiden, was vielleicht keine große Kunst ist, wenn gezeigt wird wie Kinder und Jugendliche als Schauobjekte grotesker Macht- und Unterhaltungsspiele zur Schlachtbank geführt werden.
LG Trurl
Bearbeitet von Trurl, 24 August 2012 - 15:01.