@ Lüy
Wie wäre es mal wieder mit einer kleinen Kurzgeschichte? Wie damals das Autoren-Bootcamp?
Gut gut, ihr wollt eine Geschichte - Onkel Lüy erzählt euch eine Geschichte. Aber die NEOphilen Fans - oder die vielen NEO Fans (der war auch nicht schlecht, was?) müssen gut aufpassen. Es geht zurück ins Jahr 1975, ins richtige Wega-System, wo wir damals noch richtig was ausgerichtet haben - im Gegensatz zum Jahr 2036, wo wir uns nur bis aufs Kochenmark blamiert haben.
Es ging damals ziemlich rauh zu, also hoffentlich fürchten sich die NEOs nicht zu sehr.
MONDPATROUILLE
WEGA-SYSTEM, MONDE DES VIERZIGSTEN PLANETEN, AUGUST 1975
Zwei Wespen aus Arkon-Stahl huschten durch das All, die tödlichen Stachel in ihren kegelförmigen Nasen blitzten schwach im Licht der fernen Sonne, wenn die schlanken Rümpfe der pfeilförmigen Maschinen in festgelegtem Rhythmus aus der Flugrichtung schwenkten. Unablässig suchten unsichtbare hyperenergetische Pulse nach gekrümmter Raumzeit, dem unfehlbaren Anzeichen für das Vorhandensein von Masse – kompakter dichter Masse, wie sie ein Meteorit darstellte, oder die Zelle eines Raumschiffs.
Der vierzigste Planet, ein Gasriese von der doppelten Masse des solaren Jupiter, hing als trübe rötliche Sichel schräg vor den beiden Jägern. Trotz der Entfernung von fast 2,4 Lichtminuten erschien er bereits halb so groß wie der irdische Mond.
Bezogen auf die Bahnebene seines sechsten, äußersten Mondes strebten die Maschinen schräg von „oben“ auf einen Punkt zu, an dem sie den merkurgroßen Himmelskörper in knapp einer Lichtminute passieren würden. Der zwölfstündige Flug war bisher einschläfernd ereignislos verlaufen. Jetzt aber drangen sie in einen Raumsektor vor, in dem potentielle Beute wartete.
*
Sergeant Rous warf dem kleinen Holoschirm des Hyperorters einen kritischen Blick zu. Allmählich zeichnete sich darauf mehr als die übliche Statik des Wega-Systems ab. Im sogenannten LB oder Gravo-Band bildete sich seit Minuten eine verwaschene, aber konstante Signatur aus, deren Peilungsfächer halbwegs mit der Position des sechsten Mondes zusammen fiel. Die Emissionen zeigten das typische Spektrum hochtechnischer Anlagen, eine natürliche Quelle der Hyperstrahlung war bereits jetzt mit Sicherheit auszuschließen.
Er blickte schräg nach oben aus der engen Kanzel des Ein-Mann-Jägers. Auf etwa 10 Uhr glitzerte ein winziger metallischer Funken, dort hing der Jäger von Sergeant Calverman auf exakt parallelem Kurs im All. Der nächste Navigationspunkt lag noch etwa 100 Lichtsekunden entfernt, bei der derzeitigen Geschwindigkeit von 10.000 km/sec würden sie ihn in etwa 50 Minuten erreichen.
„Die Echsen sind da drüben bei Nummer sechs ganz schön am Werken. Bislang nur niederfrequenter Hyperlärm, hört sich an wie eine Büffelherde, die langsam näher kommt. Könnten so an die vierzig Schiffe bei Orbitalmanövern sein – oder ein paar dicke Dinger auf der Oberfläche.“
Er ließ die Aufnahmetaste der abhörsicheren Richtfunkverbindung aus der Arretierung im Schubregler schnappen. Gleichzeitig wurde die kurze Nachricht kodiert, zerhackt und als wenige Mikrosekunden langer Normalfunkpuls zielgenau abgestrahlt. Kurze Zeit später erhielt er Antwort.
Im anderen Jäger klappte Sergeant Calverman seinen Kontursitz aus der bequemen Liegeposition nach vorne und tippte in die Kontrollen der Ortungskonsole.
„Aber eben nur bei Nummer sechs, sonst ist alles still, das gefällt mir nicht. Ich riskiere einen Blick mit der Masseferntastung, Ergebnis folgt.“
Während Rous seine Maschine im Modus der Weitwinkeltastung beließ, stach aus Calvermans Jäger ein scharf gebündelter Kegel kaum nachweisbarer Hyperstrahlung für eine knappe Sekunde durch den Raumsektor des sechsten Mondes. Die Strahlung reflektierte an der Raumzeitkrümmung von Massenkonzentrationen und zeichnete ein dreidimensionales Bild, das von der Darstellung des Mondes als halbtransparente Kugel beherrscht wurde. Einige bleistiftförmige Schemen mit dem charakteristischen verdickten Mittelstück wurden stark vergrößert hervorgehoben. Ein weiterer Rafferpuls übermittelte wenig später die Ortungsdaten an den Flügelmann.
„Kreuzer, 300 Meter Klasse“, murmelte Rous in seiner Kanzel, als er das Tastergebnis betrachete. „Hör mal, das gefällt mir nicht!“ sprach er in das Helmmikro, nachdem er die Raffertaste gedrückt hatte. „Da sind nur vierzehn dieser Kästen im Orbit, offenbar Kaiman-Klasse. Wir haben gestern etwa 50 Transitionen angemessen, und heute noch mal zwölf vor dem Abflug. Ich glaube nicht, daß die anderen alle einen Mondspaziergang machen. Schätze, da hängen ein paar kalt im Raum herum, wie ich die Echsen kenne.“
Ein zirpendes Warnsignal lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Schirm der PSM-Darstellung. Schauer überlichtschneller, hyperenergetisch verpackter Teilchen erreichten die beiden Jäger. Die überall auf dem Rumpf des Jägers verteilten Sensoren der sogenannten
positronic support measures fingen die Tasterpartikel auf, zerstörten ihre Verpackung und analysierten Signalstärke, Richtung und Charakteristika. Anschließend wurden im Sekundentakt Peilung, Intensität und Typisierung aktualisiert und grafisch dargestellt.
Im Bereich des sechsten Mondes strahlten Mittelstrecken-Hypertaster topsidischer Fertigung mit hoher Leistung ihre Partikelschauer ins All. Im Diagramm der Ortungswahrscheinlichkeit blieben die Farbbalken jedoch beruhigend tief im grünen Bereich. Die Topsider konnten sich durch den Einsatz aktiver Ortung nichts vergeben, ihr Arsenal an laufenden Hyperaggregaten war über wesentlich weitere Strecken anzumessen als die Partikelströme ihrer Hypertaster.
Objekte von der Größe der beiden Raumjäger konnten mit dieser Partikeldichte und Pulsfrequenz jedoch unmöglich geortet werden. Selbst bei aktivierten hyperenergetischen Schirmfeldern hätten die Topsider erst ab einer Distanz von 500.000 km ein verwertbares Echo empfangen. Die derzeit von den Jägern zur Meteoritenabwehr aufgebauten NE-Schirme waren für die Hyperpartikel praktisch unsichtbar, die Rümpfe aus Arkonit kaum mehr als flüchtige Schemen. Wenn es bei Kontakt mit normaler Materie überhaupt zu einer Interaktion kam, deflagrierten die Hyperpartikel eher und setzten ihren Inhalt als Photonen oder Elektronen frei, anstatt ein Ortungsecho zu erzeugen. Die hyperenergetischen Wandler- und Effektorfelder innerhalb der diversen Aggregate reflektierten die Tasterpartikel hingegen wie Licht an poliertem Silber. Allerdings war deren effektiver Querschnitt so gering, daß die Topsider die Jäger eher normaloptisch ausmachen könnten, als ein Tasterecho der einzelnen Hyperaggregate aufzufangen.
„Wir bleiben vorerst auf Kurs“, entschied Calverman. „In etwa einer halben Stunde müßten wir die ersten MB-Signaturen von Nummer sechs auffangen, dann sehen wir weiter.“
*
Bereits zehn Minuten später kündigte sich eine markante Veränderung der taktischen Situation an. Die Nahbereichs-Massetaster der beiden Jäger, die mit einer Winkelöffnung von 60 Grad den Raum vor den Maschinen absuchten, hatten in knapp einer Lichtminute auf etwa 11 Uhr ihres Kursvektors zwei Krümmungsfelder geortet, die kleineren Körpern mittlerer Dichte entsprachen. Die rein passiven Hyperorter zeigten aus dieser Richtung allerdings keinerlei verdächtige Aktivität an.
„Zwei Massekonzentrationen, scharfe Oberfläche, deutlich kleiner als 100 Meter, würde ich sagen“, sprach Rous in sein Rafferkom. „Masse mindestens 70.000 Tonnen. Wenn das nicht die Mittelwülste von Topsidkreuzern sind, fliege ich den nächsten Einsatz auf einem Staubsauger! Die sind völlig kalt – hängen hier als
silent pickets im Raum, wußte ich es doch!“
„Gewonnen – Schwein gehabt!“ kam kurz darauf die Antwort seines Rottenführers, gemeinsam mit dem Ergebnis der Ferntastung.
Calverman behielt es sich bei ihren gemeinsamen Einsätzen stets vor, den Masseferntaster einzusetzen. Er behauptete, eine besonders effiziente Abtastroutine programmiert zu haben, die das ohnehin geringe Risiko, angemessen zu werden, weiter reduzierte. Topsidische Passiv- und Aktivorter waren nach bisherigem Kenntnisstand arkonidischen Systemen weit unterlegen. Unentdeckt die Schiffe der Echsenabkömmlinge zu verfolgen war etwa so aufregend wie die Beobachtung eines Blinden auf einem leeren Raumhafen im prallen Sonnenlicht. Ein direkter Angriff aus nächster Nähe war allerdings längst nicht so risikolos. Der blinde Mann trug eine automatische Schrotflinte und schoß notfalls auch nach Gehör.
Im Holo der hochauflösenden Masseferntastung zeichneten sich die charakteristischen Stab-Kugelrümpfe der beiden Kreuzer einwandfrei ab. Sie hingen auf inertem Kurs im Raum und trieben mit 200 km/sec relativ zum sechsten Mond in flachem Winkel aus der planetaren Ekliptik.
„Um die kümmern wir uns später. Ich will erst sehen, wer hier sonst noch so rumhängt. Wir machen einen rundum-Check, ich links, du rechts!“
*
Noch vor der von Sergeant Calverman berechneten Ortungsschwelle der aggregattypischen, höherfrequenten MB-Signatur, die deutlich weniger weit trug als die unspezifische LB-Signatur, fielen die ersten verwertbaren Impulse vom sechsten Mond ein. Es schien, als würden dort zahlreiche Antigravaggrate, Traktorstrahler, Schwerkrafterzeuger und starke Fusionsreaktoren auf hoher Leistung laufen. Gelegentlich zeigten sich markante Energiespitzen, die laut positronischer Auswertung nur von leistungsstarken Desintegratoren stammen konnten.
„Wenn du mich fragst – die richten sich auf Nummer sechs häuslich ein!“ behauptete Rous. „Ich könnte wetten, daß sich die Topsies dort eine nette Basis bauen und auf Verstärkung warten. Die geben das Wega-System noch lange nicht verloren. Wenn wir Pech haben, schleppen die noch einen Arkonraumer an. Dann möchte ich das Gesicht vom Chef sehen!“
„Verstärkung wird sicherlich kommen“, meinte Calverman, „sonst wären die Brüder nicht mehr hier. Aber wenn die noch einen Arkoniden hätten, wäre das Ding längst hinter uns her. Die beiden Pickets sind offenbar die einzigen Schiffe weit und breit, aber das glaub ich noch nicht so ganz. Wir machen eine Fernabtastung der restlichen Monde, du übernimmst Nummer eins und zwei, nicht länger als zwei Sekunden, das reicht! Spiraltastung mit einer halben Lichtsekunde Zielöffnung!“
„Ich fühle mich geehrt“, knurrte Rous, ohne die Raffertaste zu betätigen. „Ich werde in das Geheimnis der Ferntastung eingeweiht. Dreiundfünfzig Einsätze mußte ich fliegen, um das zu erleben!“
*
Fünf Minuten später hatten die beiden Jäger eine beachtliche Menge an Ortungsdaten gesammelt, inklusive einiger codierter Funksprüche, die man später an Bord der S-7 auswerten würde. Die Topsider waren tatsächlich dabei, das Mondsystem des vierzigsten Planeten in eine Raumfestung zu verwandeln. Auf Nummer sechs zeigten die Infrarotorter starke thermische Aktivität, scheinbar wurde dort der Mondboden großflächig mit Thermostrahlern und Desintegratoren bearbeitet. Die Ferntastung fand jetzt auch Massesignaturen von Schiffen eines bislang unbekannten Typs, die aber eindeutig topsidischen Ursprungs waren. In exakt eingehaltenen Abständen strebten sie auf das Krümmungsfeld des Mondes zu. Offensichtlich landeten dort Transporter oder andere Spezialschiffe.
Weitere Informationen konnte man nur durch hochauflösende Hypertaster erhalten. Der Einsatz dieser leistungsstarken Aggregate würde jedoch die Anwesenheit der beiden Jäger im Handumdrehen verraten. Mit mindestens zwei Topsidkreuzern in der näheren Umgebung war ein derartiges Vorgehen nicht ratsam.
„Folgender Plan“, verkündete Calverman, „wir nehmen Kurs auf die beiden Pickets, sacken sie ein, schießen dann unsere Tasterbilder und verabschieden uns für diesmal.“
„Feiner Plan“, stimmte Rous zu. „Sollte mich nicht wundern, wenn hier bald eine Menge schlafender Topsider aufwachen. Das werden die sich abgewöhnen, als stiller Horchposten durchs All zu treiben. Wie legen wir es an?“
„Hintergründig. Mal sehen, wie Erich Eidechse bei der Annäherung reagiert. Torpedos aus kurzer Distanz, Kanonen bei minimaler Annäherung. Die beiden Kreuzer sind etwa 80 Kilometer getrennt. Ich würde sagen: tangentialer Anflug, Torps bei 100.000 km, Schußdistanz 20.000, das müsste reichen.“
Das Manöver
Kanonen bei minimaler Annäherung, reflektierte Rous kritisch, beinhaltete stets ein relativ hohes Risiko. Sich einem Topsid-Kreuzer auf 20.000 Kilometer zu nähern war hingegen geradezu todesmutig. Er machte sich eine geistige Notiz für die Nachbesprechung an Bord der S†‘7. Derartige Mannbarkeitsriten mochten in abgelegenen Dörfern Zentralafrikas vielleicht noch üblich sein, im modernen Raumgefecht waren sie kaum angebracht. Calverman pflegte jedem im Pilotenkorps, ob man es hören wollte oder nicht, die Geschichte von dem Löwen zu erzählen, den er nur mit dem traditionellen Speer der Massai gejagt und getötet hatte. Rous wußte es inzwischen besser. Das alterschwache Tier hatte vor der prallen Mittagssonne unter einem Busch Zuflucht gefunden und dort den Schlaf des Gerechten gehalten, ehe es hinterrücks in die ewigen Jagdgründe befördert worden war.
Mit geringer Leistung zündeten die Impulstriebwerke und ließen die Maschinen auf den neuen Kurs schwenken. Die schwache Signatur der Aggregate würde den wartenden Horchposten mit hoher Wahrscheinlichkeit entgehen, auch die
tscherenkowblauen Lichteffekte der Impulswellenbündel konnten auf diese Distanz nur bei einem absurden Zufall Verdacht erregen. Zielstrebig näherten sich die Jäger ihrer ahnungslosen Beute, die in den Kurzstrecken-Massetastern zunehmend deutlicher zeichnete. In den Feldoptiken erschienen die Topsid-Kreuzer bereits als winzige, normallicht- und infrarothelle Punkte, die sich im Moment nur durch ihre Relativbewegung vor dem Hintergrund der Sterne verrieten.
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Zwei Minuten später fingen die Hyperorter der Jäger erste Emissionen der Topsidkreuzer auf, die mit gedrosselten Maschinen im All hingen. Noch war es unspezifischer Hyperlärm im niedrigen Spektralbereich, der von einer homogenen Quelle auszugehen schien. Minimale, aber rhythmische Fluktuationen deuteten darauf hin, daß auch die Topsider Weitwinkel-Massetaster in Betrieb hatten. Auf eine Entfernung von 14 Lichtsekunden konnten diese Aggregate die kleinen Ein-Mann-Jäger jedoch keinesfalls ausmachen. Eine theoretische Chance bestand erst unterhalb von 50.000 km, also direkt unter der nicht vorhandenen Nase der Echsen.
Jede der beiden Maschinen trug zwei Kurzstrecken-Raumtorpedos unter den Tragflächen. Die knapp drei Meter langen Flugkörper erreichten fast den doppelten Beschleunigungswert der Jäger und verfügten über DHe-Ladungen im Kaliber von 1,2 Gigatonnen Vergleichs-TNT. Orter, Massetaster, Hypertaster, Hyperschirm, Funkfernsteuerung und optische Systeme vervollständigten die Ausstattung der etwa 230 kg schweren Kamikaze-Roboter. So große und träge Ziele, wie sie die Topsid-Kreuzer darstellten, waren leichte Beute für die agilen Lenkwaffen.
„Zielanflug, Torp-Start in fünf Minuten“, meldete sich Calverman. „Funkstille ab jetzt, deine Feuerleitpositronik ist synchronisiert, gute Jagd!“
„A votre ordre, mon sergeant“, murmelte Rous und merkte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. „Vive la terre!“
*
Chrg-Khad, Kommandant des Schiffes Seiner Exzellenz UR-TOP 2371, sah sich prüfend in der kreisrunden Zentrale des Kreuzers um. Seit mehr als zwei Topsid-Tagen versah sein Schiff gemeinsam mit UR-TOP 2805 Dienst als vorgeschobener Horchposten. Der Rückzug aus dem inneren System der weißen Sonne war immer noch voll im Gang, während auf den Monden des vierzigsten Planeten eine provisorische Basis entstehen sollte.
Verstärkung von Topsid wurde angekündigt, aber bislang war nur eine Transporterstaffel eingetroffen. Die Operation, von der man sich einen weiteren Raumer der degenerierten Arkoniden versprochen hatte, war bislang absolut desaströs verlaufen. Von einem arkonidischen Schiff hatte man keine Spur entdecken können, dafür war man bei den hier ansässigen Primitiven auf einen erstaunlich zähen Gegner gestoßen, der trotz seiner Rückständigkeit unerwartet hohe Verluste verursacht hatte.
Kaum hatte sich die Flotte an die unorthodoxe und zutiefst unlogische Kampfweise angepaßt, war es zum Eingreifen einer mysteriösen dritten Partei gekommen, die offiziell als Hilfsvolk der Arkoniden galt. Nicht nur, daß diese Fremden zugunsten der Primitiven eingegriffen hatten, es war ihnen auch noch gelungen, das Rückgrat der topsidischen Flotte zu kapern. Die arkonidische Riesenkugel, ein Raumgigant mit mehr Feuerkraft als die gesamte restliche Flotte Seiner Exzellenz, sorgte mittlerweile dafür, daß die Position der Topsider in diesem System zunehmend unhaltbar wurde.
Entsprechend sinnlos erschien es Chrg-Khad, sich auf diesen kleinen Monden einzubunkern. Das Arkon-Schlachtschiff konnte aus großer Distanz die improvisierten Festungsanlagen in Trümmer schießen und trotz der massiven Konzentration an Kampfschiffen gab es nichts, was man dagegen hätte tun können. Aber Kritik am obersten Kommandorat stand ihm nicht zu. Er hatte seine Aufgabe und würde sie erfüllen, bis man ihm eine neue zuteilte.
„Ortungsmeldung, Kommandant!“ riß ihn die Stimme des Ersten Offiziers aus seinen Überlegungen. „Schwache Hyperspur, niedriger Bereich. Peilung wandert schnell aus, wahrscheinlich naher Kontakt!“
„Schirm an!“ befahl Chrg-Khad schnell, „Gefechtsalarm für Gruppe, Hypertaster auf Peilungssektor, volle Leistung!“
„UR-TOP 2805 bestätigt“, meldete jemand vom Funk „Nachricht an...?“
„Wir werden angemessen!“ rief die Ortung dazwischen, „Massenkontakt...“
Grellweißes Licht flutete aus den Panoramamonitoren in die Zentrale. Der gerade aufgebaute Hyperschirm wurde durch zwei Strahltreffer soweit ausgelastet, daß die Strukturlückenschaltung für Tasterstrahlen, Funk und Waffen versagte.
Chrg-Khad hechtete aus seinem Sitz, rempelte seinen Ersten zur Seite und schlug mit der flachen Hand zweimal auf die Aktivierungstaste der Schirmgeneratoren. Innerhalb weniger Sekundenbruchteile kollabierte der Schirm, die erst unvollständig abgeleitete Energie deflagrierte als Hyperschockwelle, dann baute sich das Schirmfeld noch in der gleichen Sekunde wieder auf – mit halbierter Spannungsstärke und protestierend blinkenden Warnleuchten. Trotzdem war es ein Wunder, daß es überhaupt noch reagierte. Die Lichtflut auf den Panoramaschirmen erlosch – und die Bildschirme gleich mit.
*
In geisterhafter Lautlosigkeit lösten sich die vier Torpedos von den Jägern und strebten ihren Zielen entgegen. Sie beschleunigten lediglich mit halber Leistung, die geringe Querentfernung der Topsider und die Eigengeschwindigkeit der Flugkörper machte einen relativ unauffälligen Anflug möglich. Je später der Gegner reagieren konnte, desto näher lag die Trefferwahrscheinlichkeit bei 100 Prozent.
Als ihre Orter die Ziele eindeutig erfaßten, hüllten sich die Flugkörper in Hyperschirmfelder. Die schwachen Schirme dienten lediglich dazu, dem Gegner die Abwehr durch weit aufgefächerte Strahlschüsse oder ausgestoßene Raumminen unmöglich zu machen. Nur ein direkter Treffer mit halbwegs eng gebündelten Waffenstrahlen oder eine Fusionsexplosion in allernächster Nähe konnte die abgeschirmten Torpedos zerstören. Ihre eigene aktive Ortung war dadurch kaum behindert.
Einer der Topsidkreuzer wurde von beiden Jagdmaschinen mit energiereichen Störsignalen eingedeckt, die seiner Ortung dutzende Phantomechos, fluktuierende Schattenzonen und eine völlig falsche Bedrohungsrichtung suggerierten. Damit wurde es für die Feuerleitsysteme nahezu unmöglich, die mit erratischen Ausweichmanövern anfliegenden Torpedos exakt anzupeilen.
Auf ihrem Kurs näherten sich die Jäger dem zweiten Topsider bis auf 20.000 km, in diesem Moment entluden sich ihre Strahlkanonen. Beide Impulsschüsse trafen präzise ins Ziel, das auf diese Distanz unmöglich zu verfehlen war. Der Hyperschirm hielt erwartungsgemäß stand, allerdings machte das hochbelastete Schirmfeld dem Topsider für die nächsten Sekunden Ortung und Abwehrfeuer unmöglich. Lediglich Massetaster arbeiteten unabhängig von jedweden Schirmfeldern, die ankommenden Flugkörper waren jedoch zu leicht und langgestreckt, um auf topsidischen Systemen verwertbare Echos zu erzeugen.
Die ersten beiden Torpedos rasten auf das nächstliegende Ziel zu, ihre kleinen Positronengehirne hatten längst den optimalen Zündpunkt bestimmt, die Zeit lief unbarmherzig gegen Null, kleine Kurskorrekturen hielten die Abfanglösung stabil, dann...
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Ein massiver Ausbruch multifrequenter Hyperenergie flutete durch die Systeme der Torpedos, legten Ortung und Antrieb lahm, störten die Funktion der Positroniken und ließen den bislang optimal verlaufenden Angriff im Chaos enden. Beide Waffen verloren sowohl ihr Ortungsbild als auch die relative Position zum Ziel. Notschaltungen reagierten in Nanosekunden und führten zur Selbstvernichtung.
Zwei Gammablitze, gefolgt von ultrahell strahlenden Plasmawolken entstanden erst vor, dann hinter UR-TOP 2371, dessen Schirmfeld sich gerade flackernd stabilisierte. Trotzdem hielt es den Pulsschalen der Fusionsexplosionen leicht stand, die Torpedos hatten ihr Ziel um mehrere Kilometer verfehlt. Die Reste der Flugkörper verloren sich als schnell expandierende Gaswolken im All.
UR-TOP 2805 hatte weniger Glück. Die von den Jägern abgestrahlten Störimpulse behinderten im entscheidenden Moment die Zielerfassung seiner Geschütze, die die letzte Verteidigungslinie darstellten. Die anfliegenden Torpedos ignorierten die hastig ausgestoßenen Ködersonden, ihr Ziel war der eine gigantische Ortungsreflex, der sich durch keine Störung oder Ablenkung aus den Zielerfassungen der Flugkörper verdrängen ließ.
Sekundenbruchteile vor dem Einschlag des ersten Torpedos feuerten elf Geschütze in autonomer Feuerleitung auf den heranrasenden Ortungsreflex. Ein Desintegratorschuß traf, durchschlug den schwachen Hyperschirm und verwandelte das Torpedo in einen ruckartig expandierenden Plasmaball – weniger als eine Zehntelsekunde und rund 1000 km vor dem Einschlag.
Das zweite Torpedo erreichte zwei Zehntelsekunden später unangefochten den Schirm, exakt fünf Meter vor Kontakt entfaltete die Fusionsladung ihre verheerende Wirkung. Die Deuteriumladung zündete unter Implosionsanregung, während sich ein Hyperfeld um die entstehende Kunstsonne legte. Es sog die Energien der beschleunigt ablaufenden Kernfusion begierig in sich auf, überlud sich und schuf eine instabile Zapfverbindung zum Hyperraum. Aus dem energetisch überwertigen Kontinuum strömte innerhalb von wenigen Nanosekunden eine Energiemenge, die 1,2 Gigatonnen herkömmlichen Sprengstoffs entsprach. Das Material der kleinen Fusionsladung und die primäre Energie ihrer Explosion blieb ein Bestandteil des Hyperraums, was angesichts der entfesselten Gewalten irrelevant war.
Die auf etwa neun Meter Wandstärke komprimierte Pulsschale hyperenergetisch angereicherter Gammastrahlung überwand den Hyperschirm, wie eine Lawine einen Gartenzaun überrollt, seine Speicherzone wurde in wenigen Nanosekunden geflutet, ohne die auftreffenden Gewalten merklich beeinflussen zu können. Die harte Strahlung verwandelte etliche Tonnen Topsid-Stahl in hochgespanntes Plasma, das mit verheerender Wucht expandierte und den restlichen Schiffskörper wie eine Getränkedose zerfetzte. Unter dem charakteristischen Stakkato sekundärer Deuteriumexplosionen blähte sich ein mehrere Kilometer durchmessender, grell strahlender Plasmaball auf, der schnell zu einem pastellfarbenen Wolkengebilde expandierte.
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Die Kugelaugen des Kommandanten schienen noch mehr als sonst aus dem flachen Schädel zu quellen, als er auf die Leuchtfelder der Systemkontrollen starrte. Sechzig Prozent aller Schiffsbereiche, darunter lebenswichtige Anlagen wie Andruckabsorber, Überlichtantrieb, Ortung und Funk waren ausgefallen, teilweise signalisierten die tiefroten Felder irreparable Schäden. Heftiges Rumoren und Rumpeln zeigte, gemeinsam mit merklichen Vibrationen, daß gerade einige Deuteriumtanks ins All entleert wurden. Die Eindämmungsfelder drohten zusammenzubrechen, eine explosive Entfaltung der hochverdichteten Materie wäre fatal gewesen.
Sein analytischer Verstand sagte Chrg-Khad, daß er die Situation vermutlich richtig eingeschätzt hatte. Die Strahltreffer im Schirm hatten sicherlich den Zweck verfolgt, anfliegende Torpedos zu decken. Die Tatsache, daß er noch ein Schiff hatte, gab ihm recht. Wenn ihm die Gottheit des Glücks gnädig war, hatten sie den Angriff vorerst überstanden.
Eine schwere Erschütterung warf ihn von den Beinen und belehrte ihn eines besseren. Die Schiffszelle schwang wie eine angeschlagene Glocke, dann erfolgte ein zweiter Schlag, Kurzschlüsse prasselten in den Schaltkonsolen der Zentrale. Die Notbeleuchtung flackerte und drohte zu erlöschen, überall in der Kommandokugel schlugen die Druckschotte zu. Das materialzermürbende Rütteln, wie es für Impulstreffer typisch war, klang ab. Unbewußt wartete Chrg-Khad auf den nächsten, sicherlich letzten Treffer.
„Schadensmeldung!“ krähte er und rappelte sich auf.
Unter dröhnendem Krachen fuhr eine Schockwelle durch den Boden der Zentrale, die Welt rund um ihn versank in schwereloser Dunkelheit, ehe sein gepanzerter Kopf harten Kontakt mit einem äußerst massiven Gegenstand herstellte.
*
„
Abschuß Ziel eins, Wirkungstreffer – Totalverlust“, meldete die Feuerleitpositronik lakonisch. Rous registrierte die Erfolgsmeldung nur am Rande. Viel interessanter war, warum beide von Calverman abgefeuerten Torpedos ihr Ziel weit verfehlt hatten. Die optische Erfassung zeigte, daß sich der überlebende Kreuzer bei aktiviertem Hyperschirm langsam um eine Querachse drehte, aus dem Heck hervorbrechende Gasfahnen waren offenbar die Ursache dafür. Das Schiff war inzwischen 50.000 Kilometer entfernt, mit jeder Sekunde vergrößerte sich der Abstand um weitere 10.000 Kilometer.
Eben flammte auf der Kommandokugel ein heller Plasmaball auf. Ein Strahlschuß von Calverman hatte den offensichtlich geschwächten Schirm glatt durchschlagen und einen Wirkungstreffer erzielt. Instinktiv drückte auch Rous auf den Kanonenabzug. Blauviolettes Flammen zuckte vor der Mündung der schlanken Impulskanone. Kaum einen Wimpernschlag später erfolgte der Treffer. Sein Strahlschuß schlug ebenfalls mühelos durch das Schirmfeld und traf den Stabrumpf dicht hinter der Kommandokugel. Übergangslos erlosch das Hyperfeld, ein Plasmaball, aus dem glühende Trümmer strebten, blühte am Trefferpunkt auf, eine Entladung aus explodierenden Aggregaten riß die weißglühende Einschlagstelle weiter auseinander, der Stabrumpf trennte sich von der Kugel, in der kurz darauf eine heftige sekundäre Explosion erfolgte.
„Der ist Schrott!“ meldete sich Calverman. „Los jetzt, Hypertaster mit voller Leistung, ich knöpf mir die Monde vor, du nimmst jeden Kontakt, der auf den Ortern zeichnet!“
Im Bereich des vierzigsten Planeten flammten zahlreiche Hyperenergiequellen auf. Acht weitere Picket-Verbände enttarnten sich im Raumsektor des sechsten Mondes durch anlaufende Kraftwerke und aktivierte Schirmfelder. Viele andere erschienen überall zwischen den Mondbahnen. Die Farbbalken der PSM-Darstellung flackerten unruhig, blieben aber weit unterhalb der vermutlichen Ortungsschwelle.
„So, das war’s“, entschied Calverman schließlich, „wir hauen ab. Morgen kommen wir wieder. Wir müssen einfach näher an diese Monde ran, wenn wir mehr wollen, als nur eine Schiffszählung. Jede Wette, Deringhouse wird sich so einen Einsatz nicht entgehen lassen!“
Mit hoher Beschleunigung drehten die Jäger ab und nahmen Kurs auf die Bahnebene des 38. Planeten. Dort wartete die S-7, ein sicherer Hangar, ein bequemes Quartier, eine warme Mahlzeit – und vor allem eine heiße Dusche. Zurück blieb ein Planetensystem, in dem die hektische Aktivität eines aufgestörten Wespennests ausgebrochen war.
Bearbeitet von Lüy Piötlerc, 14 Juli 2012 - 13:39.