

Auswandern in die Vergangenheit
#1
Geschrieben 22 September 2006 - 21:12

#2 Gast_Jorge_*
Geschrieben 24 September 2006 - 22:04
DAS VIELFARBENE LAND von Julian May
DER LETZTE TAG DER SCHÖPFUNG von Wolfgang Jeschke
Auswandern in die Zeit scheint in der SF nicht so häufig zu sein wie Auswandern in den (Welt-)Raum.
Zwischen Jeschke und May scheinen ja auch einige Spannungen zu herrschen

"So interessant der Ansatz ist, er gerät zum kitschigen Disneyland und wird zunehmend wirrer und unübersichtlicher, mündet schließlich in schiere Fantasy. Julian May liebt, wie sie gesteht, ganz besonders die Kostümshows bei den alljährlichen World-Conventions. Sie haben ihre Phantasie offenbar so nachhaltig angeregt, daß ein Schaden nicht vermeidlich war.(Lexikon der SF-Literatur)
"1987 dann, auf dem Science Fiction Worldcon in Brighton kam die Autorin Julian May auf mich zu und bezichtigte mich des Plagiats. Ich hätte ihre Saga vom Pliozän-Exil geplündert.
...
Es schmerzte mich allerdings, auch nur in die Nähe dieses kruden Fantasy-Patchworkes gerückt zu sein."(Nachwort zu der aktuellen Neuausgabe Der letzte Tag der Schöpfung)

Robert Silverberg beschreibt in seinem Roman "Verbannte der Ewigkeit"(Hawksbill Station) über die Verbannung politischer Gefangener durch eine amerikanische Diktatur in die Frühgeschichte der Erde, die dort gezwungenermaßen eine Kolonie "gründen".
Stanislaw Lem erzählt in der "Zwanzigsten Reise" in "Sterntagebücher" von Ijon Tichy, den man ins 27. Jahrhundert holt, auf das er mit einem Team im Rahmen der Ausbesserung des Sonnensystems die Vergangenheit positiv verändert. Nachdem aber deren Versuche kläglich gescheitert sind(Mond, Mars und Venus wurden verwüstet, auf der Erde sind Eiszeiten u.ä. aus "Versehen" entstanden) jagt man Tichy wieder in seine Zeit zurück und verbannt die übrigen Pfuscher(deren Namen Nardeau de Vinci, H. Ohmer, Harry S. Totteles, Bosch usw. lauten)...
Auch der bereits angesprochene Clifford D. Simak hat die Idee vom Auswandern bereits ausformuliert, zum einen in der Kurzgeschichte "Projekt Mastodon"(Project Mastodon; enthalten in "Der Einsame Roboter"(All the Traps of Earth)), zum anderen im Roman "Mastodonia"(Mastodonia). In der Kurzgeschichte gelangen Menschen per Zeitmaschine in die Vergangenheit und proklamieren einen eigenen Staat, im Roman macht ein Farmer die Bekanntschaft eines seit langer Zeit auf der Erde gestrandeten Wesens und gelangt mit dessen Zeitkorridoren in die Vergangenheit, wo er zusammen mit seinen Partnern nicht nur seinen Wohnsitz begründet, sondern auch gutbetuchten Jägern besondere Jagdbeute anbietet.
Sowohl in Kurzgeschichte wie Roman wird auch das Problem der Rohstoffausbeutung bzw Kolonisierung der Vergangenheit(Staat und Konzerne zeigen reges Interesse) angeschnitten, was ja bei Jeschke dann zentrales Thema ist:
"An der ganzen Sache stört uns vor allem eines. Wir interessieren uns natürlich für das Problem, weil wir einen ganzen Planeten zum Abbau der Naturschätze zur Verfügung hätten, wenn es das wirklich gäbe. Aber der Gedanke läßt sich nicht abweisen, daß jeder Planet nur eine gewisse Gesamtmenge an Naturschätzen besitzt. Wenn wir in die Vergangenheit zurückgehen und die Rohstoffe ausbeuten, wie wirkt sich das dann auf den Rest der Naturschätze in der Gegenwart aus? Würden wir uns nicht unser eigenes Erbteil stehlen?"(Kurzgeschichte)
"Es gibt ja eine Menge unberührter Naturvorkommen in der Vergangenheit."
"Auch ich habe daran gedacht", meinte Rila. "Es macht mir ernsthafte Kopfzerbrechen. Was ich nicht verstehe, ist folgendes: Die Naturschätze liegen in der Tat unberührt und es gibt nichts, was uns daran hindern könnte sie abzubauen. Aber, wenn wir das tun, was ist dann mit dem 19. und 20. Jahrhundert? Sind die wesentlichen Rohstoffvorkommen dann immer noch vorhanden? Die Antwort müßte eigentlich ein klares Ja sein, da wir sie doch in der Tat schon abgebaut haben. Falls sich einer über Paradoxien den Kopf zerbrechen will, so hat er hier die beste Gelegenheit dazu."(Roman)
Howard Waldrop schickt in seinem Roman "Ihre Gebeine"(Them Bones) eine Abteilung Soldaten des 21. Jahrhunderts los, die in der näheren Vergangenheit die Geschichte zugunsten der bedrohten USA verändern sollen. Es geht jedoch etwas schief, und der gesamte Trupp strandet ohne Verbindung/Hoffnung auf Rückkehr im präkolumbialen Amerika(und dazu noch in unterschiedlichen Realitäten), was Archäologen beim Freilegen indianischer Erdpyramiden anno 1929 einige äußerst merkwürdige Funde machen lässt...
Das Auswandern in die Vergangenheit der Erde kann aber äußerst gefährlich sein, da man die wahren Verhältnisse nur ungenau kennt(trotz der Empfehlung: "Zögern Sie nicht zu lange, Ihren Kunden den Abschuß zu gestatten. Wenn irgendein Tier auf Sie zukommt und Sie nicht sicher sind, was es ist, drücken Sie ab!" kommt es in "Mastodonia" schnell zu Todesfällen, da archäologische Funde z.b der Dinosaurierzeit lückenhaft sind und daher keiner wissen konnte, das Allosaurier in Rudeln aufzutreten pflegen; Pech für eine Gruppe von Jägern...).
Sicherer könnte es daher sein, in Zeiten zu flüchten, die schon zivilisiert sind, z.b. von der Zukunft in unsere Gegenwart:
Sowohl in "Gefahr aus der Zukunft"(Our Children`s Children) von Clifford D. Simak als auch in der Kurzgeschichte "Strahlentore"(Radiant Doors) von Michael Swanwick(enthalten in "Asimovs Science Fiction Nr. 53") tauchen auf der Erde der Gegenwart Millionen von Zukunftsflüchtlingen auf und stellen die Welt vor gewaltige Probleme bezüglich deren Versorgung und Unterbringung. Probleme, die noch größer werden, als die Verursacher der Flucht ebenfalls erscheinen: Bei Simak fremdartige, mordlüsterne Aliens, deren einziger Daseinszweck der Kampf ist; bei Swanwick Angehörige einer unmenschlichen Diktatur, die es nicht gerne sieht, das man vor ihr flieht bzw mit dieser Flucht deren Existenz gefährdet...
Robert Silverberg
Zeitspringer (Hopper) Romanfassung Flucht aus der Zukunft / Die Zeitspringer (The Time Hoppers)
http://www.majipoor....ork.php?id=1174
Aber auch eine Flucht aus der Vergangenheit in die Zukunft gibt es in der SF, auch hier sind die Auswanderer ähnlich "willkommen":
"Sie sind eine wandelnde Todesfalle. Wahrscheinlich tragen Sie genug Erreger mit sich herum, um die halbe Welt umzubringen. Selbst eine Erkältung, ein ganz gewöhnlicher Katarrh, würde jetzt Millionen dahinraffen. Der Widerstand des Körpers gegen Krankheiten ist in den vergangenen zweihundert Jahren verschwunden, man braucht ihn nicht mehr, weil alle Krankheiten besiegt sind. Aber ihr Zeitreisende kommt daher, vollbeladen mit Möglichkeiten für alle Krankheiten, die es früher auf der Welt gegeben hat. Und wir können es nicht riskieren, daß ihr damit hierbleibt."
Mit diesen Worten empfängt man Auswanderer einer dystopischen Vergangenheit in einer utopischen Zukunftswelt...und deportiert sie sofort lebenslang auf eine öde Quarantänestation auf dem Mond(aus: "Absolut unerbittlich"(Absolutely Inflexible) in "Die Schatten dunkler Flügel"(The Cube Root of Uncertainty) von Robert Silverberg ).
Bearbeitet von Jorge, 30 September 2013 - 18:08.
#3
Geschrieben 27 September 2006 - 15:07
Ideen werden in der SF immer wieder unabhängig voneinander entwickelt. Nur weil zwei Autoren ihre Helden in das Pliozän reisen lassen, liegt noch kein Plagiat vor. Das damals ausgetrocknete Mittelmeerbecken ist halt ein interessanter Schauplatz und darüber hinaus hatten beide ihre besonderen Gründe für diesen Ort: Julian May wollte meines Erachtens sozusagen "europäischen" Lokalkolorit reinbringen (Europa als das "vielfarbene Land") und Jeschke musste schon wegen dem Abpumpen der Ölvorräte seine Geschichte im Mittelmeerraum ansiedeln.Zwischen Jeschke und May scheinen ja auch einige Spannungen zu herrschen
:
"So interessant der Ansatz ist, er gerät zum kitschigen Disneyland und wird zunehmend wirrer und unübersichtlicher, mündet schließlich in schiere Fantasy. Julian May liebt, wie sie gesteht, ganz besonders die Kostümshows bei den alljährlichen World-Conventions. Sie haben ihre Phantasie offenbar so nachhaltig angeregt, daß ein Schaden nicht vermeidlich war.(Lexikon der SF-Literatur)
"1987 dann, auf dem Science Fiction Worldcon in Brighton kam die Autorin Julian May auf mich zu und bezichtigte mich des Plagiats. Ich hätte ihre Saga vom Pliozän-Exil geplündert.
...
Es schmerzte mich allerdings, auch nur in die Nähe dieses kruden Fantasy-Patchworkes gerückt zu sein."(Nachwort zu der aktuellen Neuausgabe Der letzte Tag der Schöpfung)
#4
Geschrieben 28 Februar 2012 - 07:55
#5 Gast_Jorge_*
Geschrieben 30 September 2013 - 17:49

Sicherer könnte es daher sein, in Zeiten zu flüchten, die schon zivilisiert sind, z.b. von der Zukunft in unsere Gegenwart:
Sowohl in "Gefahr aus der Zukunft"(Our Children`s Children) von Clifford D. Simak als auch in der Kurzgeschichte "Strahlentore"(Radiant Doors) von Michael Swanwick(enthalten in "Asimovs Science Fiction Nr. 53") tauchen auf der Erde der Gegenwart Millionen von Zukunftsflüchtlingen auf und stellen die Welt vor gewaltige Probleme
Immigranten aus der Zukunft (Goobacks)

http://en.wikipedia.org/wiki/Goobacks
#6 Gast_Jorge_*
Geschrieben 18 August 2015 - 01:48
Auf der Erde der Gegenwart tauchen Millionen von Zukunftsflüchtlingen auf und stellen die Welt vor gewaltige Probleme bezüglich deren Versorgung und Unterbringung.
#7
Geschrieben 27 November 2015 - 22:36
Fringe, Staffel 5. Da die "Beobachter" (Observer) die Erde des Jahres 2609 ruiniert haben, reisen sie zurück in das 21. Jahrhundert und gestalten dieses nach ihren Bedürfnissen um.
#8
Geschrieben 28 November 2015 - 00:45
In der TV-Serie "Terra Nova" wird aus dem Jahr 2147 in die ferne Vergangenheit (Kreidezeit) ausgewandert.
Mein Blog: http://translateordie.wordpress.com/ Meine Buchbesprechungen: http://lesenswelt.de/
#9
Geschrieben 28 November 2015 - 11:00
In der TV-Serie "Terra Nova" wird aus dem Jahr 2147 in die ferne Vergangenheit (Kreidezeit) ausgewandert.
Da fand ich es schade, dass die Serie nach nur 1 Staffel eingestellt wurde, ohne dass die ganzen aufgeworfenen Fragen auch nur ansatzweise beantwortet wurden.
#10
Geschrieben 28 November 2015 - 11:22
Da fand ich es schade, dass die Serie nach nur 1 Staffel eingestellt wurde, ohne dass die ganzen aufgeworfenen Fragen auch nur ansatzweise beantwortet wurden.
Ich fand sie durchwachsen. War mir zu sehr Spielberg-Familienserie. Ich hätte viel liebe mehr über das Jahr 2147 erfahren, das man leider nur in den ersten 20 Minuten des Piloten sieht und dann den Dinos geopfert hat.
Mein Blog: http://translateordie.wordpress.com/ Meine Buchbesprechungen: http://lesenswelt.de/
#11
Geschrieben 28 November 2015 - 13:03
In der Serie wurden für mich aber durchaus alle Fragen im Großen und Ganzen beantwortet.
Allerdings wurde in der letzten Folge eine neue Entdeckung gemacht die wohl für die zweite Staffel bedeutend gewesen wäre.
Aber sonst wurde doch alles geklärt.
"Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Weg."
Psalm 119, 105
#12
Geschrieben 28 November 2015 - 21:59
Aber sonst wurde doch alles geklärt.
Finde ich nicht. Z.B. wurde nicht geklärt, wieso alle Maßnahmen in der fernen Vergangenheit offenbar keinerlei Auswirkungen auf die bekannte Zukunft haben. Diese Frage wurde in der Serie sogar ausdrücklich geäußert. Wahrscheinlich war in der Hinsicht auch noch eine Überraschung geplant.
#13
Geschrieben 28 November 2015 - 23:05
Welche Auswirkungen könnten das denn sein?
Ich denke mal das der wichtigste Fragenkomplex der um die Widerstandsgruppe gewesen ist. Warum es die gab
und wie der Kontakt mit der Zukunft zustande kam, da man ja nicht über den "üblichen Weg" mit dieser verbunden
war. Und der Handlungsbogen wurde m.M.n. aufgelöst.
Die Frage warum es keine Wechselwirkungen mit der Zukunft gab war doch eher nebensächlich.
"Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und ein Licht auf meinem Weg."
Psalm 119, 105
Besucher die dieses Thema lesen: 0
Mitglieder: 0, Gäste: 0, unsichtbare Mitglieder: 0