V.Groß : Molekularmusik
Ein Exo-Biologe findet auf einer seiner Reisen auf einem kleinen Planeten den Eremiten Bärbaum. Dieser ist Musiker und hat sich von der Welt abgewandt, um seine Kunst zu vollenden. Mit wissenschaftlichen Methoden hat Bärbaum es geschafft, den Molekülen mit Musik Bilder zu entlocken. Die pathologische Fixierung des Exo-Biologen auf die Darstellung einer Außerirdischen führt dazu, daß er immer wieder ein und dieselbe Melodie von Bärbaum gespielt haben will. Als dieser sich irgendwann weigert, bringt der Exo-Biologe ihn um. Und kann ab da nie wieder dieses Bild sehen.
Ein hochgradig innovatives Setting mit wahnsinnig kreativen Ideen. Obwohl wissenschaftlich gesehen kompletter Unfug erzählt V. Groß dies in einem Stil, daß man während des Lesens überhaupt nicht über diese Ungereimtheiten stolpert. Wenn auch insgesamt gtesehen nicht hundertprozentig mein Geschmack, habe ich diese Geschichte mit Genuß gelesen. Ein Highlight zweifelsohne, die Anthologie fängt gut an.
Niklas Peinecke : Klick, Klick, Kaleidoskop
Aus Langeweile lässt ein Playboy in sein Gehirn einen Zufallsgenerator einbauen.
Die Siegerstory des „CAPCo 2008“ entfaltet auch beim nochmaligem Lesen wieder ihre Wirkung. Rasant entführt Niklas Peinecke den Leser auf eine Tour de Force des Geistes und der Plots. Dadurch, daß sich der Autor vollständig der Wertung enthält, wird die Ignoranz, die Dummheit des Protagonisten um so deutlicher herausgestellt. Lesens- und weiterempfehlenswert, das nächste Highlight der Anthologie.
Birgit Erwin : Diskriminierung
Ein Blinder wird verurteilt, weil er nicht den politisch korrekten Begriff „sehbehindert“ für sich und seine Behinderung benutzt.
In einer kurzen und knappen Form (die gesamte Geschichte ist nur 4 Seiten lang) stellt die Autorin präzise herausgearbeitet die Unmenschlichkeit des Systems der „Political Correctness“ dar. Lakonisch beschreibt sie, wie leicht sich das Gutmenschentum hin zum Faschismus entwickeln kann. Eine drängende Mahnung, eine flammende Story für die Freiheit. Highlight #3.
Frank Hebben : Machina
Ein Mann verliert sich in einer synthetischen Welt, er überlebt nur noch, weil er von seiner Schwester versorgt wird. Doch diese hat auf dem Heimweg einen Unfall †¦
Ich habe ja dreimal nachgeguckt, ob diese Story tatsächlich von Frank Hebben ist. Denn im Gegensatz zu seinen bisherigen Geschichten schlägt er hier ganz leise Töne an, fast schon unhörbar vereinen sie sich zu einer mächtigen Sinfonie. Geschildert aus der Perspektive der Schwester wird das Leid, das eine Sucht in Familie und Umwelt verursacht, extrem brutal dargestellt, ohne daß die Geschichte auch nur den Bruchteil eines Dezibels lauter wird. Was die Form und den Plot angeht, kann man hier nur das Attribut „klassisch“ anwenden, man fühlt sich an die Hochzeit der amerikanischen SF erinnert. Genial, Highlight #4.
Heidrun Jänchen : Wie ein Fisch im Wasser
Marcella, eine Ärztin, macht eine U-Boot-Tour um ihre Mutter wiederzusehen. Diese arbeitet als Arbeiterin in einer Unterwassermine, hat sich zu einem Fischmensch umbauen lassen. So konnte sie, obwohl damals arbeitslos, Marcellas Studium finanzieren.
Eine eindringliche Geschichte, wie weit Mutterliebe gehen kann. Aber darf sie auch so weit gehen ? Die Autorin lässt uns im Unklaren, stellt nüchtern die objektiven Fakten dar. Neben dem Leid, das eine solche Entscheidung verursacht, auch die positiven Effekte, die diese Entscheidung bei Mutter und Tochter hervorgerufen haben. Möge sich hier jeder selbst seine Meinung bilden, ich halte die Story in jedem Fall für lesenswert !
Uwe Post : Vactor Memesis
Im China der Zukunft werden Filme nur noch von virtuellen Schauspielern in einer virtuellen Realität gemacht. Da werden diese Realitäten von einem amerikanischen Virus, das Meinungsfreiheit proklamiert, infiziert †¦
Wahnsinnig komisch, ich habe mich köstlich amüsiert. Faszinierend, wie Uwe Post mit den Möglichkeiten gehackter virtueller Schauspieler spielt, muß man gelesen haben.
Benedict Marco : Wie man sich ändern kann
Mit elektronischen Mitteln kann die Persönlichkeit eines Menschen komplett über einen Großcomputer umgestellt werden. Ein Versicherungsgutachter glaubt, er wäre so zum Monster gemacht worden - doch seine Elektronik ist ein Placebo.
Der zweite Platz des „CAPCo 2008“, verdient, wie man beim nochmaligem Lesen feststellt. Lakonisch stellt der Autor fest, daß keine maschinelle Manipulation je die Abgründe menschlicher Psyche nachahmen kann. Gelungen auch der bildhafte Stil, der dem Leser die Geschichte plastisch vor Augen führt. Ein Autor, den man sich merken muß.
Ernst-Eberhard Manski : Das Klassentreffen der Weserwinzer
Die Entscheidung, ob Ostwestfalen dem Deutschen Bund und damit auch der Europäischen Union beitritt, wird vom Fusionsausschuß torpediert. So kann Heike in der ostwestfälischen Korbballnationalmannschaft mitspielen und vielleicht sogar zu den Olympischen Spielen fahren.
Eine gelungene Alternate History - Geschichte des Autors, der sich schon mit „Hohenzollernbrücke“ in „SF X.“ in genialer Weise in diesem Genre hervorgetan hat. Auch diese Story ist keinen Deut schlechter, besonders gefallen hat mir der Teil, als einer Schulklasse die Abweichungen von unserem Zeitstrom erklärt wurden. Auch versprüht der ganze Plot einen überwältigenden Charme, schließlich wird diese Alternativwelt durch die Jungmädchenträume der Protagonistin geschildert. Wirklich schön, ein weiteres Highlight dieser Anthologie !
Antje Ippensen : Knapp
In einer Welt, in der die Resourcen aufgebraucht sind, geht Science in einen Supermarkt. Als sie eine alte Dame in der Kassenschlange vorlässt, wird sie gemobbt und aus der Schlange ausgestoßen. Frustriert und deprimiert wartet sie den wiedereingeführten Ladenschluß ab. Doch in der Nacht werden Hunde in den Supermarkt gelassen, die jeden töten, der sich noch darin befindet.
Eine sehr deprimierende Geschichte über das Aufgeben. Und eine deutliche Mahnung, das es nicht soweit kommen darf. Sehr schön geschrieben, aber auch sehr verstörend.
Uwe Hermann : Roboter vergessen nie
Ein übergewichtiger Herinfarktpatient bestellt einen Roboter-Bausatz, da er sich einen zusammengebauten Roboter nicht leisten kann. Die Bauanleitungt dazu ist jedoch in der KI des Roboters, so daß sich der von Kybernetik und Elektronik vollkommen unbedarfte Protagonist und der Roboter im Laufe des Zusammenbauens immer mehr in die Haare kriegen †¦
Gelungene Slapstick-Komödie mit sehr bildhaften Darstellungen und einer angenehmen Schreibe.
Arno Endler : Ebene Terminus
Die Jugendgefängnisse der Zukunft bestehen aus einer KI, die die Kinder ihre Taten nochmals erleben lässt - diesmal allerdings von der anderen Seite aus betrachtet.
Gelungen stellt Arno Endler nach und nach die Vorteile eines solchen Strafvollzugs dar, vergisst dabei aber auch die Nachteile nicht. Und kommt schlußendlich zu dem Fazit, daß es wohl keinen hundertprozentigen Strafvollzug gibt, dies aber das Optimum zu sein scheint. Eine schöne Geschichte mit viel Tiefe, spannend und interessant erzählt.
Kai Riedemann : Lasset die Kinder zu mir kommen
Eine alte Kirche wird von den Reichen gekauft, damit diese die Besitzlosen verjagen können. Aber die Kirche wehrt sich †¦
Bitterböse wendet sich Kai Riedemann gegen diejenigen, die mit Hartz IV auch eine menschliche Minderwertigkeit verbinden. Und stellt klar und deutlich fest, daß Reichtum und Besitz auch eine soziale Verantwortung bedeuten müssen. Ein ganz extrem gelungener Kommentar zum augenblicklichen Diskurs zwischen Arm und Reich, eine wirklich empfehlenswerte Geschichte. Für mich persönlich das 6. Highlight dieser Anthologie.
Karina Cajo : Der Klang der Stille
Aliens haben unblutig die Erde erobert, die Menschen wurden in Reservate verdrängt. Es gibt auch Halbblute, die, ausgestoßen von den Aliens, bei den Menschen leben. Gehasst und verfolgt von den Menschen, ignoriert von den Aliens, beginnen sich die Halbblute zu wehren und starten einen Vernichtungsfeldzug.
Eine sehr schöne Geschichte, angenehm und spannend zu lesen, mit einem intelligentem Plot. Außerordentlich gut herausgearbeitet wurde, daß physische Gewalt nie eine Lösung sein kann, daß andere Methoden einfach effektiver sind. Dies zeigt sich besonders gut an dem Gegensatz der Methoden der Aliens und dem Beginn des Vernichtungsfeldzugs der Halbblute. Ich hätte gerne weitergelesen und bin gespannt, ob es eine Fortsetzung geben wird.
Bernhard Schneider : Schuldfrage
Eine Hirnprothese hat einen Mord verübt und wird verurteilt.
Es wird ein Gerichtsverfahren erzählt, eine klassische Perry-Mason-Situation. Und das mit einem solchem Humor, daß man zwischendurch Tränen lacht. Die skurrilen Einfälle, alle sorgsam integriert und (scheinbar) naturwissenschaftlich korrekt dargestellt, sorgen die gesamte Story über für immer neue Überraschungen beim Leser. Und die Archetypen, die Bernhard Schneider agieren lässt, erzeugen beim Leser sofort die Bilder aus den einschlägigen Fernsehserien. Ich habe mich köstlich amüsiert, ein extrem gelungene Geschichte.
Christian Weis : Eiskalt
Ein militärisches Roboter-Experiment in der Arktis läuft aus dem Ruder, Soldaten und die Wissenschaftler einer nahegelegenen Forschungsstation werden bedroht, teilweise getötet.
Klassische Hardcore-SF ! Genial geschrieben, wahnsinnig spannend erzählt. Ein weiterer Beweis dafür, daß sich die deutsche SF in der Goldenen Ära bewegt, diese Story braucht sich vor ihren Vorgängern von Asimov, Anderson, Heinlein und all den anderen nicht zu verstecken. Dabei handelt es sich aber trotzdem um eine reine Action-Story, straightforward und schnörkellos erzählt. Gerade deshalb halte ich diese Story aber auch für ein Highlight, denn es ist ziemlich selten, daß mir aus diesem Sub-Subgenre der SF so etwas gutes unter die Augen gekommen ist.
Bernd Wichmann : Rückkehr ins Meer
Das Militär arbeitet an einem geistigem Link zwischen Mensch und Delphin, verliert einen ihrer Prototypen. Nach einiger Zeit fangen die Fische an, sich intelligent zu benehmen, der Prototyp hat sich weiterentwickelt und vermehrt †¦
Die Fische im Meer lehnen sich gegen die Menschen auf. Nix Neues, auch bei den geschilderten Szenen hatte ich teilweise das Gefühl, sie schon früher in ähnlicher Art gelesen zu haben. Trotzdem fand ich die Geschichte nicht langweilig, das Lesen hat Spaß gemacht. Was zeigt, daß ein guter Autor auch mit einer ausgelutschten Story unterhalten kann.
Arnold H. Bucher : Den Letzten frisst der Schredder
Zwei alte, überholte Roboter werden nur noch am Band gebraucht, an dem sie ihre Nachfolgemodelle bauen. 423 fängt an, sich zu wehren †¦
Amüsant erzählt Arnold H. Bucher eine nachdenkliche Story über das Altern und das manchmal damit verbundene Abgeschobenwerden. Mit rabenschwarzem Humor schildert er, wie deprimierend diese Ausgrenzung für alte Roboter ist. Und stellt gleichzeitig dar, daß es für alte Menschen ebenso ist. Eine gelungene Geschichte, angenehm erzählt, lesenswert !
Andrea Tillmanns : Der blinde Passagier
Auf einem Raumschiff gibt es Spuren, die nicht von der Besatzung stammen. Ist ein Alien an Bord gekommen ?
Eine nette harmlose Geschichte von Andrea Tillmanns, die ich irgendwie „böser“ in Erinnerung habe. Spannend erzählt schafft es die Autorin trotzdem, den gesamten Kosmos der Story vor dem Leser auszubreiten. Gelungen, gerne wieder. ïŠ
Armin Rößler : Der Fänger
Aliens haben seine Schwester entführt, jahrzehntelang (oder sind es Jahrhunderte ?) ist Vinzent auf der Suche nach ihr.
Der deutsche Alan Dean Forster hat wieder zugeschlagen. Armin Rößler gelingt es einmal mehr, mit kurzen aber prägnanten Skizzen ein Universum voller fremder Welten und unbekannter Völker vor dem Leser zu entfalten. In einem faszinierendem exotischem Setting erzählt der Autor eine klassische Queste, die Suche nach der Jungfrau. Ein krönender Abschluß einer hervorragenden Anthologie.
Fazit : Nach „SF X.“ ein weiteres Feuerwerk an guten Stories, das seinesgleichen sucht. Deutsche SF der Oberklasse hat hier wieder einmal zusammengefunden und unterhält den Leser hervorragend. Bemerkenswert die Bandbreite der Geschichten, von der reinen Action-Story bis hin zur tiefsinnigen Social Fiction ist alles vertreten. Eine ganz ausgezeichnete Anthologie, die den Wegfall der „Visionen“ zumindestens in Teilen auffängt. Man kann Herausgeber und Lektoren nur zu ihrer hervorragenden Arbeit gratulieren, derartig hochwertige Bücher sind selten. Ich freue mich schon auf die nächste Story-Sammlung aus dem Wurdack-Verlag.
Bearbeitet von a3kHH, 07 Mrz 2009 - 07:30.