Andrade - Leseprobe Kapitel 1 (7/7)
VERÖFFENTLICHUNGEN
Die Häuser, die sie jetzt passierte, machten keinen guten Eindruck. Hier lebten schon lange keine Soldaten mehr. Das Militär hatte seine Quartiere inzwischen in unmittelbarer Nachbarschaft des kleinen Raumhafens. Allzeit bereit, dachte Freda. Und das, obwohl niemand ernsthaft mit einem neuerlichen Angriff der Kotmun auf das System rechnete.
Im Gefolge der Riker waren dafür Menschen und Angehörige anderer Völker aus allen Winkeln der Galaxis nach Basis-2 gekommen. Wer das Risiko nicht scheute, hatte sich hier niedergelassen und genoss den Nervenkitzel der Welle des tödlichen Hasses, die fast täglich vom Todesmond losgeschickt wurde.
Freda näherte sich der Mission, einem kleinen, unscheinbaren Gebäude zwischen zwei hohen Häuserblöcken. Die Tür stand offen. Obwohl der Pater nicht mehr lebte, kamen immer noch viele hierher. Weil sie kein Zuhause hatten oder sich hier einfach geborgener fühlten als anderswo. Freda sah Rother, den dreiäugigen Thaji, der vor einem uralten Bildschirm saß und vermutlich wieder im beträchtlichen Fundus der digitalen Bibliothek des Paters stöberte. Einen Raum weiter waren der immer fröhliche Lockenkopf Trewas und Moseyl, der Coparr, in ein Gespräch vertieft. Freda nickte allen freundlich zu, verspürte aber keine Lust, sich mit einem von ihnen zu unterhalten. Ihr Ziel lag ein Stockwerk höher.
„Ich hatte nicht mehr mit dir gerechnet“, sagte Niko. Der junge Riker saß am Fuß des Bettes, in dem Paul seit einem knappen Jahr lag.
„Hast du mich vermisst, Bain?“ Freda konnte den Burschen nicht leiden. Das ließ sie ihn auch spüren. Schön und gut, dass er sich ebenfalls um Paul kümmerte, wenn er die Zeit dafür fand. Aber sein arrogantes Gehabe ging ihr auf die Nerven. Er hielt sich für unschlagbar klug - und war gerade einmal halb so alt wie sie.
„Natürlich“, sagte er.
Sie ignorierte ihn. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Anzeigen der Medo-Einheit, die Paul am Leben hielt. Unverändert.
„Wir müssen reden“, sagte Niko.
„Lass mich in Ruhe, Bain. Verschwinde.“ Sie reagierte heftiger, als sie es beabsichtigt hatte. Der Riker konnte schließlich nichts dafür, dass Freda Basis-2 morgen verlassen würde. Und er trug auch nicht die Schuld, dass Paul unweigerlich sterben würde. Hier in diesem trostlosen Zimmer.
„Haben wir damals falsch gehandelt?“, fragte sie unvermittelt. „Hätten wir †¦“ Sie verstummte.
„Das Hospital?“ Niko Bain wusste, was Freda sagen wollte. Er schüttelte den Kopf. „Niemand weiß es besser als du: Sie hätten ihn nicht aufgenommen. Oder ihm nicht geholfen. Du hast selbst gesagt †¦“
Sie hasste die Wahrheit, aber sie hatte diese Antwort herausgefordert. „Vielleicht †¦“
„Nein, Freda, absolut nein. Erinnerst du dich an unsere Überraschung, als wir herausfanden, dass Paul nicht registriert ist? Dass er in den offiziellen Daten überhaupt nicht existiert? Vielleicht hätte das den Ehrgeiz der Ärzte angestachelt - aber höchstens ihren Forschungseifer. Sie hätten ihn nicht gerettet. Sie hätten keinen Finger für ihn gekrümmt. Versucht, seine Identität zu klären. Mehr aber nicht.“
„Ich †¦“
Der Riker war jetzt aufgestanden und baute sich vor ihr auf. In seiner schwarzen Ledermontur, die er Tag und Nacht trug, wirkte er beinahe so, wie er immer vorgab zu sein. „Das hier war die beste Lösung für ihn. Wenn du nicht den Medo organisiert hättest, wäre Paul längst tot.“
Fredas Augen brannten. Sie fühlte, dass sie jeden Moment anfangen würde zu weinen. Eine Blöße, die sie sich nicht ausgerechnet vor Niko Bain geben wollte. Sie wandte sich ab, starrte in die Ecke. Mit tonloser Stimme sagte sie: „Er stirbt ohnehin. Er stirbt langsam, aber er stirbt.“
Niko setzte sich wieder. „Ja“, sagte er düster. „Du hast recht. Darüber wollte ich mit dir reden.“
Jetzt sah sie zu ihm hin. Sein kantiges Gesicht zeigte keine Regung. Von seiner üblichen Arroganz konnte Freda keine Spur entdecken.
„Was sollen wir tun?“ Diese Frage verriet seine ganze Hilflosigkeit.
„Ich †¦“ Freda wusste, dass sie jetzt mit der Wahrheit herausrücken musste. Auch wenn das die Lage nicht besserte. „Ich werde Basis-2 verlassen. Morgen.“
„Wohin gehst du?“ Niko schien nicht zu verstehen, was sie ihm sagen wollte.
„Nach Present.“
„Present?“ Er begriff. „Das ist dreitausend Lichtjahre weit weg.“
Sie nickte. „Sogar noch ein kleines bisschen weiter“, sagte sie bitter. „Aber ich habe keine Wahl. Ich bin hier, um mich von Paul zu verabschieden. Ich kann nicht bleiben.“
„Du gehst?“
Sie nickte wieder.
„Und Paul?“
Freda schwieg. Auch Niko sagte nichts. Die Stille schien sich endlos auszudehnen.
„Ich †¦“
„Was?“, fragte Niko aggressiv.
„Ich dachte †¦“
Freda schaute hinüber zu der Medo-Einheit. Die Anzeigen hatten sich verändert. Schnell trat sie ans Pauls Bett. In sein Gesicht war das Leben zurückgekehrt.
„Er erwacht“, sagte sie fassungslos. „Paul erwacht.“
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