Für das Publikum attraktiver als das Fernseh-Quartett
In der Stadtbücherei trifft sich künftig das „Heidelberger Literatett“"
Von Carmen Bürk
Es gibt wieder ein literarisches Quartett! Nicht in Frankfurt mit dem berühmt-berüchtigten MRR, sondern in Heidelberg mit dem Literaturwissenschaftler Michael Santak, der sich davor hüten sollte, den zum Literaturpapst hochgelobten Marcel Reich-Ranicki nachzuahmen. Zum Glück kommt er beim 1.Heidelberger Literaturquartett in der Stadtbücherei nur einmal, ganz kurz, in Versuchung, während er über die „Die Heimkehr“ von Bernhard Schlink ins Schwärmen gerät. Nachahmung hat der Mann nicht nötig, denn diese künftig „regelmäßige, interaktive Veranstaltung“ ist attraktiver als das Fernsehquartett, weil es das Publikum mit einbezieht. Es ermutigt nicht nur die gut achtzig, überwiegend weiblichen, Zuhörer, an der Diskussion teilzunehmen, sondern auch selbst ein Buch vorzustellen. E-Mail an Michael Santak (über www.dubravka-santak-verlag.de) genügt.
Für jeden ersten Montagabend des Monats ist dieses „Forum für neue Literatur“ geplant; Juli, Oktober und November sind für 2006 bereits fest gebucht. Trotz der Miet- und Hausmeisterkosten in Höhe von jeweils 69 Euro ist der Eintritt frei, Spenden sind erwünscht. Allerdings sollte der Veranstalter das Spendenkästchen künftig in einer kleinen Pause herumreichen, denn der Heidelberger Schriftsteller und Verleger Lothar Seidler hatte durch das Klappern der Münzen kaum eine Chance, seine Texte aus dem Erzählband „Der Zufallskurier in Fahrt“ so vorzutragen, dass man ihre Qualität erkennt. In einem superlangen Satz schildert er die Eindrücke auf der „Spreefähre“, witziger ist die „Zeitfuge“ nach einer Geisterfahrt mit dem Fahrrad und ihren Folgen vom Unfall bis zur Operation. Der Eindruck der Zuhörer reichte von „netten Nichtigkeiten“ bis zu „spitzfindig“.
„Kunst muss auch mal weh tun“, meint die Buchhändlerin und Germanistin Inga Pokara, die neben Seidler, dem Buchhändler Christian Walda und Michael Santak auf dem Podium saß. Sie stellte Dirk Bernemanns Band „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ vor. Eindringlich in der Sprache gehe es um die Frage, „Wie gewaltbereit, wie stumpf ist unsere Gesellschaft?“. Der ebenfalls davon begeisterte Christian Walda bezeichnete es als „obszönes Buch“, das die „Unterschicht“ thematisiere.
Jonathan Safran Foer sind als Verfasser des Romans „Extrem laut und unglaublich nah“ sowieso schon hohe Auflagen garantiert, weil er sich als einer der ersten amerikanischen Schriftsteller den Folgen des Anschlags auf das World Trade Center literarisch nähert. Dabei wählt er die Form des Ich-Erzählers aus der Perspektive eines neunjährigen Jungens, der, von Erinnerungen an seinen Vater angetrieben, durch New York irrt. Auch in seiner experimentellen Gestaltung wie verdichtete Schriftsätze oder Handschriften wird sein Werk laut Walda interessant, im allgemeinen Urteil des Quartetts aber auch etwas „überladen“. Lebhaft wurde die Diskussion endlich bei der Vorstellung von Bernhard Schlinks Roman „Die Heimkehr“, wahrscheinlich, weil so mancher Zuhörer dieses Buch schon kannte. Für die anderen war es schwierig, zu erkennen, warum die bereits auf der RNZ-Kulturseite empfohlene Lektüre so spannend sein soll. Am 11. Mai kommt Bernhard Schlink übrigens selbst in die Musik- und Singschule.
INFO: Das Heidelberger Literaturquartett hat Verstärkung bekommen und nennt sich ab sofort „Heidelberger Literatett“. Jetzt hat sich noch Jan Hartmann von der Buchhandlung Funfiction angeschlossen. Das Heidelberger Literatett präsentiert belletristische Neuerscheinungen, und zwar an (fast) jedem ersten Montag des Monats (außer in den Ferien). Weitere Präsentatoren sind willkommen (info@michael.santak.de). Die nächste Bücherpräsentation mit Diskussion findet am Montag, 3. Juli, von 20 bis 22 Uhr in der Stadtbücherei Heidelberg, Poststraße 15, statt.
Als Gast kommt diesmal die Fantasy-Schriftstellerin Birgit Erwin, die ihren neuen Erzählband „Neun Leben“ vorstellt. Außerdem stehen auf dem Programm: Die Science-Fiction-Anthologie „Golem & Goethe“, herausgegeben von Armin Rößler (Inga Pokora), der Science-Fiction-Klassiker „Blumen für Algernon“ von Daniel Keyes (Jan Hartmann), A. L. Kennedys neuer Roman „Paradies“ (Christian Walda) und Daniel Kehlmanns aktueller Bestseller „Die Vermessung der Welt“ (Michael Santak).
----------------------------------------------------------------------------------
Und das muss ich in der Zeitung lesen ...
Termin ist vorgemerkt!