„Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig.“ Zumindest im Interview hat Paulo Wanchope, den sie die „Kobra“ nennen, seinen Biss noch nicht verloren. Sportlich hat der Mittelstürmer Costa Ricas eine Durststrecke hinter sich: Erfolgreich war er als Legionär in England, wenig glücklich beim FC Malaga in Spanien. Einem Ausflug in die Wüste nach Katar folgte die Rückkehr in die Heimat, aber auch dort kam der Star der „Ticos“ nicht wieder so richtig in Tritt. Doch nach dem ersten öffentlichen Training seines Teams im Walldorfer Waldstadion sprühte Wanchope, der nach 2002 seine zweite Weltmeisterschaft spielen wird, vor Tatendrang: „Wir wollen uns für die zweite Runde qualifizieren.“
Dabei will die „Kobra“ eine Überraschung im Eröffnungsspiel am kommenden Freitag nicht ausschließen: „Der Druck liegt auf Deutschland, jeder erwartet, dass sie gewinnen.“ Das 3:0 der deutschen Mannschaft gegen Kolumbien hat er am Fernseher beobachtet: „Sie sind sehr stark“, urteilte Wanchope. Trotzdem wolle Costa Rica das Spiel gewinnen. Wie das gehen soll? „Wir müssen gut in der Defensive stehen und vorne ein Tor schießen, am besten in den ersten zehn, 15 Minuten.“ So einfach ist das.
„Wir müssen ruhig sein“, meinte Gilberto Martinez, Costa Ricas bester Abwehrspieler, bei Brescia Calcio in der italienischen Serie B aktiv. „Wir haben nichts zu verlieren.“ Das sieht auch Abwehrkollege Gabriel Badilla so, der von „der Mission“ sprach, „das nächste Spiel zu gewinnen“. Die missratene Vorbereitung mit zum Teil peinlichen Niederlagen gegen eine katalanische Auswahl (0:2), die Ukraine (0:4), Tschechien (0:1) und die Rhein-Neckar-Auswahl (2:3) lässt Badilla nicht gelten. „Wichtig ist, was im ersten Spiel passiert.“
Und was ist im letzten Spiel passiert? „Wir hatten nicht die richtige Einstellung“, sagte der defensive Mittelfeldspieler Mauricio Solis über die Niederlage der Reserve-„Ticos“ bei der Partie in Sandhausen. Man sei überrascht worden, „das wird uns eine große Lehre sein“. Immerhin, so Solis, lässt sich aus der Pleite auch ein positiver Schluss ableiten: nämlich der, dass David an einem guten Tag durchaus zu Goliath werden kann. Der einzige Costa Ricaner mit Deutschland-Erfahrung, Douglas Sequeira, einst beim KSC, heute bei Real Salt Lake in den USA, freut sich schon auf das Wiedersehen mit seinem ehemaligen Karlsruher Trainer Jogi Löw am Freitag, an den er sich noch ebenso gut wie an den damaligen Torhüter Simon Jentzsch, heute in Wolfsburg, erinnert. „In Karlsruhe zu spielen, war gut für mich. Ich mag dieses Land und die Menschen hier“, sagte Sequeira, der sich eine Rückkehr nach Deutschland gut vorstellen könnte. Er bedauert nur, dass ihm während der WM wohl keine Zeit für einen Abstecher nach Karlsruhe bleiben wird.
Auf Reisen ist dafür Trainer Alexandre Guimaraes gegangen. Zwischen seinen Besuchen beim Spiel der deutschen Mannschaft in Mönchengladbach gegen Kolumbien und der Samstagspartie zwischen Polen und Kroatien in Wolfsburg blieb keine Zeit für das öffentliche Training in Walldorf. Das ließ er seinen Assistenten Erick Lonis leiten - vor der eher mageren Kulisse von nur rund 300 Neugierigen. Die Daheimgebliebenen versäumten nicht allzu viel: Nach einer netten Geste an die Besucher - die Spieler warfen als Dankeschön Kaffeepäckchen ins Publikum - stand zunächst eine halbstündige Besprechung auf dem Programm. Zuvor hatten sich die Spieler noch fleißig mit Sonnencreme eingeschmiert. Erst nach ausgedehntem Fangen-Spielen, Seilhüpfen und Wettrennen wurden die Bälle verteilt.
Ein lockeres Trainingsspielchen auf dem halben Feld und ohne Tore schloss sich an, während die Torhüter in der anderen Hälfte im Strafraum Flanken herunterfischten. Einzige Schrecksekunde: Defensivmann Michael Rodriguez krümmte sich kurz am Boden, dann ging†™s aber schnell wieder weiter.
Zeit genug für Gustavo Jiménez von der costaricanischen Zeitung La Nacion, den deutschen Kollegen die voraussichtliche Aufstellung der „Ticos“ im Eröffnungsspiel zu verraten: José Porras im Tor, eine Dreierkette mit Douglas Sequeira zentral, Kapitän Luis Marin links und Michael Umana rechts, davor ein weiterer Defensiv-Riegel mit den etatmäßigen Außenverteidigern Gilberto Martinez und Leonardo Gonzalez sowie dem Doppel-„Sechser“ Mauricio Solis und Danny Fonseca, die beiden offensiver ausgerichteten Mittelfeldspieler Ronald Gomez und Walter Centeno, der kreative Kopf, und schließlich Paulo Wanchope als einsame Spitze. „Die 1-9-1-Taktik“, schmunzelte Jiménez. Costa Rica rührt gegen Deutschland also Beton an. Trainer Guimaraes, der am Sonntag das Training wieder selbst leitete, ist sich mit seinem Star Wanchope aber einig: Deutschland sei zwar Favorit in der Gruppe, trotzdem stünden die Chancen im Eröffnungsspiel „fünfzig zu fünfzig“.