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Chuck Klosterman - Killing Yourself to Live

Geschrieben von Holger , 18 Februar 2007 · 599 Aufrufe

Buch
Chuck Klosterman
Killing Yourself to Live
(dt. Eine zu 85% wahre Geschichte)

Angehängtes Bild: Klosterman.jpg

Chuck Klosterman, "Pop-Kultur Journalist", Kritiker und Essayist, schrieb u.a. für Spin, GQ, Esquire aber auch die Washington Post und die New York Times. Zu seinem Werk zählen mittlerweile vier Bücher, darunter auch "Killing Yourself to Live", das mit "85% of a True Story" untertitelt als "Eine zu 85% wahre Geschichte" ins deutsche übersetzt wurde. Ob der Originaltitel für das deutsche Publikum unzumutbar war kann ich nicht beurteilen, wohl aber, dass der Untertitel falsch oder zumindest sinnverändert übersetzt wurde. Interessanterweise jedoch wird der deutsche Titel des Buches (trotz oder gerade wegen) maximal unkonkreter Aussagekraft dem Inhalt des Buches deutlich gerechter als das Original.

Eine Inhaltsangabe ist schnell gegeben: Klosterman macht sich im Auftrag des Musikmagazins Spin auf eine Reise, die ihn von Ost nach West quer durch die USA zu Stätten führen soll, an denen berühmte Rockmusiker verstarben. Ein Artikel soll beleuchten, ob ein frühzeitiger Tod (sei es durch willentlichen Selbstmord, Drogenmissbrauch oder ein versagendes Verkehrsmittel) sich günstig auf die Karriere eines Rockmusikers auswirkt. Eine ebenso interessante wie makabre Frage. Wer eine Affinität zur Rockmusik bzw. ihrer Historie hat und darüber hinaus das uramerikanische Filmgenre "Roadmovie" schätzt, sollte zumindest einmal einen Blick in "Killing Yourself to Live" wagen.

Kommen wir nun zum Titel bzw. dessen "Eindeutschung" zurück: Bei genauerer Betrachtung, also etwa nach der Lektüre eines guten Viertels, stellt sich nämlich heraus, dass Klostermans Fokus sich nicht auf die mehr oder minder spektakulären Todesarten diverser Rock-Ikonen und deren posthume Karriere richtet. Vielmehr schreibt Klosterman über sich selbst! Über seine CD-Sammlung, seine Gemütsverfassung während der Fahrt in einem gemieteten Ford "Tauntan", seinen Drogenkonsum, seine Erinnerung an Highschool(football), College und diverse Wohngemeinschaften und vor allem und immer wieder über seine (Liebes)beziehungen.

Klar, der Leser erfährt, dass Klosterman Radioheads Album "Kid A" (2001) in Hinblick auf den 11. September als prophetisch einstuft, und welche Bedeutung die Biographie von Kiss tatsächlich hat. Die einzelnen Stationen seiner Reise arbeitet er hingegen scheinbar unmotiviert und unfokusiert ab. Zwischen den Holzkreuzen in den Ruinen einer Bar in West Warwick, Road Island, die an die 100 verbrannten Besucher eines Great White-Konzertes erinnern, fällt ihm beispielsweise nicht mehr ein, als über sein Desinteresse an Kokain zu schreiben. Nur um umgehend zu schildern, wie er sich mit dem Bruder eines Brandopfers in dessen Kleinlaster zukokst.

Ob er über das Hotelzimmer schreibt, in dem Sid Vicious seine Freundin Nancy erstach, den Ort an dem Lynard Skynards Flieger niederging, Marc Bolans letzten Autounfall oder Jeff Buckleys tragischen Badeunfall - letztlich lernen wir doch nur etwas über Klostermans Speiseplan, das (zugegeben interessante Gespräch) mit einer Kellnerin, die Tatsache, dass Cops gerne Audioslave hören und (immer wieder) seine Beziehungen. Wirklich gelungen ist das (letzte) Kapitel über Seattle, in dem Klosterman seine persönlichen Eindrücken und seine Analyse öffentlicher Wahrnehmung und Tatsachenverzerrung am Beispiel von Kurt Cobains Selbstmord gekonnt fusioniert.

„Killing Yourself to Live" ist ein sehr persönliches Tagebuch, das teilweise feinfühlig, witzig und originell geschrieben ist, jedoch häufig einen recht narzisstischen Chuck Klosterman offenbart. Lobenswerterweise diskutiert er diesen Aspekt seiner Ausführungen am Ende des Buches ebenso wie seine Auskunftsfreude über brisante private Details. In künstlerischer Hinsicht hat Klosterman sehr wohl einen lesenswerten Reisebericht geschrieben, in journalistischer Hinsicht muss er sich jedoch in Zusammenhang mit diesem Buch Nachlässigkeit und niedrige Ambitionen vorwerfen lassen: Wie sonst ist zu erklären, dass er nach nur zweieinhalb Reisewochen nicht das Durchhaltevermögen besaß, bis nach Los Angeles (der Musiker-Nekropole schlechthin) durchzufahren?

(Holger Hetschko)





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