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Der Untergang des Abendlands

Geschrieben von †  a3kHH , 16 Oktober 2010 · 1.172 Aufrufe

SF allgemein
In der letzten Zeit wurden hier im SF-Netzwerk zwei Themen heiß diskutiert. Verkürzt gesagt ging es um folgende Thesen :
  • Schlechte und triviale SF-Romane schaden dem Genre "SF"
  • Der heutige Buchmarkt wird zu einem nicht geringem Umfang von Exploitation-SF dominiert, d.h. SF-Themen in der Zweit- und Dritt-Verwertung. Nicht nur sind dies schlechte SF-Romane, sie verdrängen auch ambitionierte SF vom Markt.
Beide Thesen sind falsch.

Für die "schlechte und triviale SF" möchte ich mich gar nicht auf Markus Heitz "Collector" reduzieren, sondern sozusagen noch eine Stufe "tiefer" gehen auf den Heftroman-Sektor. Betrachten wir hier einmal die Serie "Perry Rhodan". Unzweifelhaft ist der durchschnittliche PR-Roman trivialer als "Collector", das ergibt sich teilweise zwangsläufig aus der Platzbeschränkung auf 64 Seiten. Und wenn man, so wie ich, die Romane das erste Mal 30 Jahre nach ihrem Erscheinen liest (Bandnummern 1000ff.), fällt diese Trivialität um so mehr auf. Hat also PR der SF geschadet ?
Definitiv nicht. In vielen Fällen ist PR eine der ersten Berührungen mit SF, die viele von uns zur literarischeren SF hingeführt haben und auch jetzt noch hinführen. Die (zugegebenermaßen triviale) Ethik innerhalb dieser Heftserie ist eines der positiven SF-Merkmale, die den zufälligen Leser immer tiefer in das Genre hineinführen. Highlights, Spinoffs und insbesondere andere Romane der PR-Autoren binden den zunächst reinen PR-Leser dann immer mehr an das Genre, bis er zu einem SF-Fan wird. Und sich dabei nur in den wenigsten Fällen auf Trivialromane reduziert, die meisten PR-Leser kennen die großen SF-Romane ebenso gut wie ihre Serie.
Am Beispiel "Perry Rhodan" sieht man deutlich, daß die erste der obigen Thesen unhaltbar ist. Wie gezeigt schadet "schlechte und triviale SF" dem Genre nicht nur nicht, es kann ihm sogar nutzen.

Als Beispiel für Exploitation-SF-Schriftsteller werden Simmel, Crichton und Eschbach genannt. Nun könnte man zu jedem dieser Schriftsteller diverses sagen [insbesondere zu Simmel fallen mir einige Gegenbeispiele ein, Eschbach in diesem Kontext zu nennen finde ich ... interessant], aber ich finde ein anderes Beispiel wesentlich einprägsamer. Nämlich die Military SF-Zyklen, die ich in den letzten Monaten gelesen habe. Wie ich in meinem Kommentar zu "Honor Harrington" gesagt habe, war das für mich nichts Neues, dieses Subgenre habe ich ohne Etikett bereits Jahrzehnte früher von K.H. Scheer, Elizabeth Moon und Anne McCaffrey gelesen. Sind also David Weber, Mike Resnick und Jack Campbell billige Exploitation-Autoren, deren Ergüsse man sich schenken kann ?

Meine Meinungen zu den einzelnen Zyklen habe ich mehrfach hier im Blog zum Besten gegeben (Jack Campbell, Robert Asprin, Mike Resnick, David Weber). Keine einzige dieser Serien ist originell oder originär, jedes der behandelten Themen habe ich schon Jahrzehnte früher anderswo gelesen. Wir haben es hier also definitiv mit "Exploitation-SF" zu tun. Die nicht nur gut ist, sich erfolgreich vermarktet und so dem Genre "SF" nutzt, sondern auch, wie ich in meinen Besprechungen im Detail gezeigt habe, über die bekannten Themen Inhalte transportiert, die sehr wohl "große SF" sind. Am deutlichsten wird das bei Jack Campbell, der den ausgelutschten Buck Rogers- / Farscape-Plot benutzt, um ziemlich deutliche Militärkritik loszuwerden. Da Campbell selbst ehemaliger US-Militär ist, wiegt diese Kritik um so schwerer. Er hat einen bekannten Plot genutzt, um sich auf das Wesentliche (nämlich den Inhalt, die Botschaft, die er an den Mann (und die Frau) bringen wollte) konzentrieren zu können.

An diesen Beispielen wird deutlich, daß "Exploitation-SF" ein Begriff ohne Inhalt ist. Mit der gleichen Berechtigung könnte man Remarque als Exploitation-Autor bezeichnen, schließlich ist sind viele Topoi seiner großen Romane bereits früher erschienen. Etwa in Thomas Manns "Zauberberg", der ebenso wie ein Teil von "Drei Kameraden" in einem Lungensanatorium spielt. Hier also von Verdrängung großer Literatur zu sprechen, ist einfach lächerlich.

Wenn sich diese Thesen so einfach ad absurdum führen lassen, warum werden sie dann aufgestellt ? Nun, das ist der übliche Ruf nach dem Untergang des Abendlands durch die Schundliteratur. Den ich bereits aus meiner Kindheit kenne und damals genauso daneben wie heute empfinde. Früher waren es Heftromane, über die man sich echauffiert hat, dann Simmel-Schmöker, jetzt Heitz. Irrelevant war es allemal. Andererseits : Ist Markus Heitz da nicht in guter Gesellschaft ?



Ich denke, dem ist im Wesentlichen nichts hinzuzufügen. Sehr schön und sehr treffend. Wobei die Untergangsrufer schon aus eigenem Interesse natürlich nicht zustimmen können und werden. Rufen lassen und weghören ...
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Wenn ich Michael Iwoleit richtig verstanden habe, dann versteht er unter Exploitation-SF noch was anderes als das Kopieren bereits behandelter SF-Topoi und -Ideen, da gehts wohl auch darum, "externe Anstöße" aufzugreifen und umzusetzen. Nun, was daran eigentlich verwerflich sein soll, erschließt sich mir auch nicht so sehr, außer der Umstand, dass dies auf recht unterschiedliche Weise geschieht.
Was aber, wenn nicht "äußere Anstöße" sind es, die Autoren überhaupt dazu bewegen zu schreiben? Dabei gibt es sicher Themen, die sehr wohl zeitbezogen sind und die in 5 Jahren vielleicht keinen mehr interessieren, auch nicht die Literatur, die dazu erschienen ist. Aber dass sich ein Schriftsteller auf ein Thema stürzt, was gerade in aller Munde und Köpfe ist, kann man ihm nun wirklich nicht vorwerfen.
Deinen Bemerkungen zur Trivial-Literatur kann ich nur zustimmen - mittlerweile, muss ich zugeben. Es gab auch mal eine Zeit, da dachte ich, Trivialliteratur habe keine Daseinsberechtigung, wobei ich beflissentlich übersah, dass ich selber damit groß geworden bin - zwar kein Perry Rhodan, aber in der DDR gabs auch unterhaltsame Abenteuer-SF, die vor allem Jugendliche ansprach. Und jetzt kann ich mich auch an Sachen wie VAMPIRE EARTH oder VIGRA ergötzen (letzteres jetzt aktuell bei Band 2 allerdings nicht mehr so gut) und fühle mich gut dabei.
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Ich weiß nicht. Ich finde, dass Du beide Thesen hier unzulässig verkürzt. Mit einer solchen Verkürzung und Vereinfachung fällt damit natürlich auch ihre Widerlegung nicht schwer. Meines Erachtens enthält Michael Iwoleits Einwurf nämlich durchaus nicht nur den Vorwurf, dass die Themen "alt" seien, darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass die Autoren angeblich nicht aus eigener, innerer Motivation an ein Thema gehen, sondern sich nur "von außen" triggern lassen, um dann - weiterer Kritikpunkt - in einem rein mechanischen Akt eine Art Prosa-version der entsprechenden Wikipedia-Artikel abzuliefern. Das ist eine Kritik, die ich sehr gut verstehe und die tatsächlich meinem Leseeindruck beim "Schwarm" entspricht (weniger bei Eschbach). Aber ich will hier gar keinen Nebenschauplatz aufmachen, wer sich für das Thema interessiert, kann ja dort im Thread nachlesen.

Zu Deiner ersten These - auch die ist vereinfacht, dann es geht ja nicht um "die SF" - was soll das denn auch überhaupt sein? SF existiert in D bestenfalls als Marketingkonzept und als nebulöses Dingens in den Hirnen einiger Fans. Wie kann man einer solchen Mem-Wolke "schaden"? Schwerlich. Obwohl ...
Wohl allenfalls, indem man Autoren dazu bringt, ihre Ideen als Lohnsklaven in das Korsett alberner Endlosplots zu zwängen. Ich will mir gar nicht vorstellen, was für grandiose Romane William Voltz geschrieben hätte, wenn er nicht seine Zeit bei Perry Rhodan vertrödelt hätte. Denn ja, es gibt eine SF-Sozialisation außerhalb der Heftromane. Die Trivial-SF "schadet" vielleicht nicht unbedingt, aber nützt sie "der SF"? Kann ich mir nicht so recht vorstellen.
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Ich finde diese Argumentationslinie eigentlich ganz witzig. Und deshalb gleich noch einen drauf:

Als Autor sollte man über jeden froh sein, der überhaupt liest. Und wenn er Markus Heitz liest und toll findet, vielleicht stolpert er dann auch irgendwann über die Leute, die erfahrene Fans gut finden.
In einem muß ich Thomas aber widersprechen: unterhaltsame Abenteuer-SF muß nicht trivial sein (auch wenn der sozialistische Realismus ausreichend Seltsamkeiten hervorgebracht hat). Ich finde, gute SF sollte auf jeden Fall unterhaltsam sein, und Spannung hat auch noch keinem Buch geschadet. Nichts ist schlimmer als hohe Kunst mit unglaublich hochentwickelten Zukunftskonzepten, bei der man nach drei Seiten eingeschlafen ist.

Ob man zum Überleben lieber Perry Rhodan schreibt wie Voltz oder Prüfberichte wie ich, muß jeder für sich entscheiden. Ich frage mich auch manchmal, was für tolle Romane ich vielleicht schreiben könnte, wenn ich nicht alle Tage auf Arbeit gehen müßte. Und andererseits sage ich mir, daß sie dann vielleicht nicht so toll wären, weil mir ein Termin im Nacken säße, ich mein Geld mit Zeitungsartikeln über Kleingartenfeste aufstocken müßte und mir überhaupt der tägliche Ärger fehlen würde.

Kann man nach "Romeo und Julia" eigentlich noch Liebesgeschichten schreiben? Nee, oder?


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ZITAT(Heidrun @ 18.10.2010, 13:09)
Als Autor sollte man über jeden froh sein, der überhaupt liest. Und wenn er Markus Heitz liest und toll findet, vielleicht stolpert er dann auch irgendwann über die Leute, die erfahrene Fans gut finden.


Genau so sehe ich es auch, darum habe ich in meiner Kolume auch geschrieben:

Denn elitär erzwingen kann man das Interesse an SF nicht. Und kein junger Leser steigt mit literarischen Schwergewichten in die SF ein. Man möchte eben anfangs etwas einfach gestricktes, vielleicht auch Triviales haben. Ob und wie Frau Sehrviele oder Herr Fastjeder dann weitermachen †¦ das weiß keiner. (...) Nur wenn sie nie anfangen, werden sie garantiert nie weitermachen.


Man muss doch einfach unterscheiden, wann ist welche SF in welcher Form für welches Zielpublikum geschrieben. Ein Roman wie "Collector" ist ganz sicher nicht für SF-Fans geschrieben (auch wenn er solchen gefallen kann), die sich schon einen Großteil ihres Lebens mit SF beschäftigen. Wie Alfred an anderer Stelle auch sagt (sinngemäß): Mit irgendetwas muss man zur SF gekommen sein. Bei vielen (wie etwa auch bei mir) war es PR. Bei anderen (jungen Fantasy-Lesern zum Beispiel) ist es "Collector". Was ist daran schlimm?
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Ja und nein.
Bei mir hieß die Einstiegsdroge "Strugazki", und so richtig leichtverdaulich waren die selbst früher nicht. Ich habe aber auch mit 13 Jahren Poe gelesen. Vermutlich ist das nicht ganz normal. Und vielleicht liest man manches im Abstand von einigen Jahren und Erfahrungen auch anders.
Aber ich denke, trivial und spannend müssen keine Synonyme sein. Für mich ist es der Idealzustand, wenn ein Buch so spannend ist, daß der Leser nicht mitkriegt, wie anspruchsvoll es eigentlich ist. Hat zwar nichts mit SF zu tun, aber das ist einer der Gründe, warum ich Terry Pratchett für pädagogisch wertvoller halte als diverse unverdauliche Nobelpreisträger. Er verführt die Leute zum Lesen und schiebt ihnen die moralischen Fragen irgendwie unter.
Ich habe immer das Gefühl, es ist gleich schwierig, gute Schmöker zu schreiben oder hochanspruchsvolle Kunst. Natürlich gibt es auch Leute, bei denen hinter der Spannung einfach nichts ist - schade drum!
Schlimmer finde ich Verlage, die als Teil des Verkaufskonzepts einen einfachen Stil, simple Plots und anspruchslose Themen geradezu verlangen. Weil sie vermuten, der Leser sei dämlich. Komischerweise gab es derlei in der DDR nicht (wohl aber andere Entartungen, ja), und die Leute haben trotzdem mehr gelesen. Kann es sein, daß das Marketing einen Fehler hat?
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