yiyippeeyippeeyay schrieb am 24.02.2010, 14:18:
Ich frag mich, ob, wenn diese Tempel->Stadt-Erkenntnis schon 10 Jahre alt ist, wie der Text hinter lapismonts Link andeutet (s. Bibliographie dort), diese seitdem etwas ggü. der Öffentlichkeit unterdrückt wurde, weil es vielen Leuten unangenehm sein dürfte, dass der Religion in der Frühzeit der menschlichen Zivilisation soviel (mehr) Bedeutung zukommt?
Der populärwissenschaftliche Erkenntnisstand hinkt mindestens 10 Jahre, meist sogar über 20 hinter dem aktuellen Stand der Fachwissenschaften her. Das ist - zumindest in den Kulturwissenschaften - absolut üblich. Ich habe es während meines Studiums in Geschichte und in Pädagogik/Psychologie so erlebt. Selbst das, was ich im Studium noch prüfungsrelevant gelernt habe, erwies sich, wenn man denn wirklich mal in die akutellen Veröffentlichungen geschaut hat, oft als Wissensstand der letzten Generation. Da braucht man keine Verschwörungstheorien - so lange dauert es halt, bis jemand die neuen Erkenntnisse mal aufgreift bzw. bis sich neue Forschungsergebnisse auch unter den Fachwissenschaftlern rumgesprochen haben, die nicht unmittelbar envolviert sind.
Lustigerweise bin ich auf die Bedeutung von Religionen für den Gesellschaftsaufbau gar nicht zum ersten Mal während meines Geschichtsstudiums gestoßen, sondern vorher schon um 1990 während meiner EDV-Ausbildung. Dort stieß ich nämlich auf Modelle in der Agententheorie der Informatik, in denen sich "religiöse Ressourcen" (also solche Ressourcen, die von den Agenten nicht aktiv genutzt werden durften, sondern nur für Versammlung und Informationsaustausch aufgesucht wurden) ganz von selbst als Kristallisationspunkte für die Gemeinschaftsorganisation herausgebildet haben und auf diese Weise Agentengemeinschaften mit solchen "religiösen Ressourcen" einen organisatorischen Entwicklungsvorsprung vor Agentengruppen ohne solche Punkte verschafft haben.
Ich habe den Gedanken also bei meinem Blick in die Geschichte nie für sonderlich revolutionär oder neu gehalten, sondern eher für eine Banalität, die schon bei den simpelsten Entwicklungsmodellen nachweisbar ist
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)