Geschrieben 27 April 2010 - 10:33
Eine komplexe Frage, deren Antwort in der Zukunft liegt. Bis dahin gibt's nur Spekulatius.
Genannter Artikel zitiert nur zwei bis drei Sätze von Hawking, und die sind für SF-Leser in aller Welt schon längst alte Hüte. Aber Hawking ist weltberühmt, also erzeugt ein eigentlich nichts neues berichtender Artikel viel Aufmerksamkeit. Die Journalisten sind dankbar, dass sie ihre Seiten füllen können, ohne groß zu recherchieren oder nachzudenken.
Ich hole etwas aus, denn sowohl das Thread-Thema als auch der referenzierte Artikel sind ziemlich ungenau.
Wir haben nur sehr wenige Hinweise. Achim sagt, er würde uns die Vogonen schicken. Eine "humanistische" Moralvorstellung würde dergleichen nicht zulassen. Moral ist aber von Menschen gemacht - Außerirdische können ganz andere Regelsysteme anwenden... oder ignorieren, so wie wir Menschen es auch öfter mal tun. Lassen wir also Moral außen vor, weil wir keine Ahnung davon haben.
Nicht einmal Ratio kann sicher vorausgesetzt werden. Wenn wir Menschen ohne Unterlass irrational handeln, warum sollten es Außerirdische nicht auch?
Fragen wie "Warum verlässt jemand seinen Heimatplaneten, um andere zu besuchen?", "Was hätten eventuelle Besucher davon, wenn sie uns vernichten würden?" sind nicht ohne weiteres zu beantworten. Der immense Aufwand, das eine oder das andere zu bewerkstelligen, muss gerechtfertigt sein - aber möglicherweise aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen können. Warum hat der Mensch waghalsige Forschungsreisen unternommen oder andere Völker vernichtet? Nun, aus Neugier, Gewinnsucht, aus missionarischem Eifer, aus Nationalstolz, aus Versehen, aus männlicher Angeberei... Gründe, die anders denkende Dritte möglicherweise schlecht nachvollziehen können, so wie wir die Beweggründe der Aliens.
Was die Vernichtung angeht - das wäre eine kaum zu rechtfertigende Energieverschwendung. Wenn man es auf die natürlichen Ressourcen der Erde abgesehen hat (ein paar wenige sind ja noch verfügbar), und eine effiziente Möglichkeit hat, sie an ihren Bestimmungsort zu transportieren, nutzt man die vorhandene Arbeitskraft. Versklavung oder Ausbeutung sind einfach zu bewerkstelligen, wenn man technisch überlegen ist, und überaus nützlich - sonst muss man die Drecksarbeit selbst machen (oder man braucht komplexe Roboter, die Unmengen Strom verbrauchen - deren Netzstecker aber garantiert nicht in unsere Dosen passen).
Haben die raumfahrenden Aliens ein Geld-Analogon erfunden, also eine Art in Einheiten unterteiltes Machtguthaben? Nicht unbedingt - man könnte auch mit Zeit, Ehre oder verwertbaren Körperprodukten bezahlen - aber wahrscheinlich, da hilfreich zum Aufbau eines sozialen Gefüges. Denn Weltraumfahrt ist aufgrund der physikalischen Gegebenheiten ein aufwändiges Unterfangen. Gravitation, Entropie und spezielle Relativitätstheorie sind die natürlichen Feinde eines jeden, der den Kosmos erobern will. Technisch unterlegen sind wir gar nicht: Wir Erdlinge könnten ohne weiteres Raumfahrt durchführen und sogar fremde Zivilisationen auslöschen, es wäre bloß kein allzu gutes Geschäft. Einen Planeten zu besuchen, zu erobern oder gar zu vernichten, ist ein nicht aus der Portokasse bezahlbares Unterfangen. Es kann nur eine Investition sein, die noch dazu mit erheblichem Risiko behaftet ist. Für so etwas erwartet der Geldgeber ein angemessenes Return-of-Invest. Ob sich Menschenhirn als Delikatesse in seiner Nobelrestaurantkette vermarkten lässt, kann er aber vorher schlecht wissen, vielleicht ist der biologische Container unserer schmutzigen Gedanken giftig für andere Organismen, wundern würde es mich nicht. Vielversprechend sind eher virtuelle Güter, deren Transport zum Heimatplaneten preisgünstig zu bewerkstelligen ist (z.B. alle Gutenberg-eBooks rüber funken) oder deren Wert-pro-Masse-Verhältnis hinreichend hoch ist (weil die Transportkosten proportional zur Masse wachsen), wie bei seltenen Erden oder vielleicht Plutonium, je nachdem ob man Verwendung dafür hat.
Was bleibt, ist... Tourismus. Der wiederum erfordert allerdings überlichtschnellen Personentransport, nach unseren momentanen physikalischen Kenntnissen leider unmöglich. Oder man betreibt Tourismus als einzigen, weil zeitraubenden, Lebensinhalt: Nomadentum.
Genau das postuliert auch Hawking (und er ist beleibe nicht der erste). Nach rationalen Maßstäben ist das Szenario wahrscheinlich: Eine Zivilisation, die ihren Planeten weitgehend ausgebeutet hat, und hinreichend technisch fortgeschritten ist, kommt zwangsläufig früher oder später auf die Idee, ein Generationsraumschiff zu bauen. Das spart im Vergleich zu "hin-und-her-Raumfahrerei" die Hälfte an Energie - einfach weil der Rückweg entfällt. Natürlich blebt der größte Teil der Bevölkerung in der Heimat zurück.
Die Energie, die erforderlich ist, ein hinreichend großes Raumschiff nach und nach an einem Lagrangepunkt zusammenzubauen, und mit Swing-by am Heimatstern aus dem System zu katapultieren, ist vergleichsweise überschaubar. Unterwegs kann man insterstellare Materie einsammeln (Staub, Gas, Meteoriten) und verwerten. Niemandem wird langweilig, denn die digitale Bordbilbiothek enthält die gesamte Produktion der heimischen Unterhaltungsindustrie. Es ist genug Zeit, Generationsraumschiff-Soap-Operas zu produzieren, außerdem benötigt eine soziale Gruppe, die die Reisenden nun einmal darstellen, Verwaltung, Polizei, Politik und Sex.
Erreicht das Generationsraumschiff ein anderes Planetensystem, wird es dort aus energetischen Gründen nicht stoppen, sondern Tochterraumschiffe aussenden, um Informationen und Material auszutauschen: Je nach Beschaffenheit eines Planeten werden Siedler abgesetzt oder Material eingesammelt - aufgrund der begrenzten Zeit, während der das Raumschiff das System durchfliegt, spielt hier wieder die spezifische Wert- und Informationsdichte eine Rolle. Gut gebrauchen können die Nomaden kleine Dinge von großem Informations- und Materialwert - sie klauen uns also unsere Handys und iPads und downloaden die interessantere Hälfte unserer Cloud (also NICHT die Pornos, die sind redundant). Zwangsläufig vergrößern sich dabei Masse (durch dauerhaft andockende Trittbrettfahrer), Informationsgehalt und manchmal auch der Genpool der Nomaden (ihre Zahl muss stets zur Größe ihres Transportmittels passen) - und auf irgendeine Weise wird auch der besuchte Planet beeinflusst. Alles hat gute und schlechte Seiten: Selbst wenn solche Nomaden uns besuchen und NICHT vernichten würden, entstünden im Nachgang extremistische UFO-Sekten und Finanzwelt-Kapriolen, aber auch neue Impulse für Wissenschaft und Unterhaltungsindustrie.
Unter dem Strich ist das Generationsraumschiff eine wachsende Informations-Singularität - und gleichzeitig ein Konglomerat aus allen wertvollen Inhalten, die es unterwegs aufgesammelt hat.
Wie gesagt: für SF-Kenner ein alter Hai... äh, Hut.
Und als plausibles Szenario auch wieder Thema meines übernächsten Romans.