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12 Antworten in diesem Thema

#1 Dave

Dave

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Geschrieben 01 September 2002 - 12:54

Der eine Autor erzeugt im Kopf des Lesers eine bunte Bilderflut, der andere hinterlässt nur einen grauen Schleier.Ich bin nicht sicher, ob ich damit richtig liege, der Gedanke könnte sich einem allerdings aufdrängen.Womöglich ist es eine Frage der Aufmerksamkeit, der Tagesform und nicht nur der Geschichte an sich.Ganz sicher gibt es aber verschiedene Typen von Lesern, von oberflächlich bis sehr sensitiv. Bin ich kühl und rational oder lasse ich mich emotional verführen? Betrachte ich den Charakter analytisch distanziert oder empfinde ich mit ihm?Visualisiere ich Personen, höre ihre Stimmen und spüre ihre Eigenwilligkeiten oder bleiben sie nur Figuren auf einem Schachbrett?Diese Fragen hängen meiner Meinung nach nicht nur mit der Qualität des Autors zusammen. Wieviel Vorstellungsvermögen besitze ich als Leser?Bin ich vielleicht der Meinung, eine Person nicht wirklich Gestalt annehmen zu lassen, weil mir der Autor nicht genügend Informationen an die Hand gibt?Ich selbst würde mich als etwas oberflächlich einschätzen, wenn ich über die Möglichkeiten nachdenke, mit denen ich ein Buch angehen könnte.

#2 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 01 September 2002 - 13:42

Abgesehen davon, das dieses Posting eigentlich zwei bis drei Themen rechtfertigen würde - meiner Meinung nach schwankt der Leser zwischen zwei Extremen.Zwischen dem "Geschichtenfresser" und dem "Analytiker"Der Geschichtenfresser versucht die Geschichte hinter sich zu bekommen, in der Hoffnung an einen so guten Autor gekommen zu sein, dass trotz seiner Eile etwas von der Geschichte hängen bleibt.Der Analytiker setzt sich mit Lexikon, Lebensgeschichte, Erscheinungsliste und was weiß ich noch alles zum Buch und zerlegt den Roman von der ersten Zeile an in winzige Stücke , analysiert, versucht Andeutungen zu lokalisieren, Strömungen zu erkennen, Stilekritik zu übern und, und, und ....Ich persönlich brauche meist zwei Lesungen. In der ersten liege ich meist näher dem Geschichtenfresser. Ich versuche die Stimmung des Romans zu erfassen, mich tragen zu lassen (Wenn möglich). Gelingt dies nicht bin ich leicht in Versuchung den Roman zur Seite zu legen. Möglicherweise gelingt es ein anderes Mal, wenn meine persönliche Stimmung anders ist.Bei der zweiten Lesung  versuche ich näher dem Analytiker zu sein, dem Autor in seiner Argumentation zu folgen, versuche zu erkennen ob es für mich einen Weg durch die Geschichte gibt, der am Schluss in einer Aussage seinen Endpunkt findet.Allerdings gibt und gab es Romane die in keiner wie immer gearteten Art für mich zu lesen waren. Ob der Autor desswegen schlecht ist/war?Ich denke nicht unbedingt, wir beide haben es nur nicht geschafft, eine gleiche Wellenlänge zu finden oder unser beider Wissen war zu unterschiedlich.

Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria

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#3 MartinHoyer

MartinHoyer

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Geschrieben 01 September 2002 - 22:14

Der Inhalt spricht den Analytiker in mir an, eine gelungene Form der Präsentation macht zum Geschichtenfresser. Wenn die Form mich nicht anspricht, habe ich viel freie Kapazitäten, auch den Inhalt zu zerlegen. Ist der Inhalt so komplex, daß er mich fasziniert, dann stört es mich auch nicht zwingend wenn ich den Eindruck gewinne, daß die Form dem Inhalt nicht genügt. Erscheint mir Beides unzulänglich, ist das Buch eien Enttäuschung. Empfinde ich beides als stimmig, bekommt es seinen Ehrenplatz in meinem Regal.
Though my soul may set in darkness, it will rise in perfect light;
I have loved the stars too fondly to be fearful of the night.
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#4 Dave

Dave

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Geschrieben 02 September 2002 - 18:07

Interessant, dass ihr anscheinend beide die Fähigkeit besitzt, ein Buch auch (bewusst) analytisch zu lesen. Ich glaube, ich bin da etwas kindlich naiv, und ich schlage ein Buch schon einmal trotzig und geräuschvoll zu. Manchmal setzt man sich auch unbewusst mit Fragen auseinander, so kommt es vor, dass mir eine mögliche Erklärung beim erneuten Aufschlagen eines Buches in den Sinn kommt, über die ich eigentlich gar nicht nachgedacht habe.Ich glaube, ein Buch kann auch eine Inspiration sein. Für die Phantasie, die Aufmerksamkeit und den Blickwinkel für andere Dinge im Leben.

#5 Holger

Holger

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Geschrieben 02 September 2002 - 18:58

Dave, Du wirfst interessante Fragen auf. Da muss man richtig in sich blicken  ;) Ich würde sagen, ob Bücherfresser oder Analytiker hängt bei mir stark von der Tages-, Monats- oder [ja!] Quartalsverfassung ab. Wenn ich viel Zeit habe, meinen Lesedrang ausführlich zu befriedigen, leiste ich mir den Luxus aufmerksamer und präziser zu lesen. Dann interessiert mich auch schon mal der reale Backround eines Romans. Wenn ich hingegen schwer vom Studium gebeutelt gerade so zur Nachtlektüre lesen kann, dann rattere ich so schnell wie möglich durch die Story ... Trotzdem, wenn's gut war besinnen ich mich nochmals zurück, um Euch dann mit einer Rezension zu quälen!:biglaugh: Bei genauer Betrachtung fällt mich auf, dass es auch stark vom Titel selbst abhängig ist. Nehmen wir mal RIPTIDE (Preston/Child): ein echter Thriller mit ein bisschen Grusel, Wissenschaft und einem Quentchen Abenteuer. Nach spätestens 80 Seiten wird klar: toller Titel, macht Spass, ist aber mehr oder weniger FAST FOOD. Und das heisst ja auf deutsch: schnell essen.  :aliensmile: Kommt dann der neue Greg Bear, oder Gregory Benford wird's schon brenzliger und man muss ein bisschen genauer hinlesen, um alles mitzunehmen, was der Autor zu schreiben hatte.
"Rezensionen: eine Art von Kinderkrankheit, die die neugeborenen Bücher befällt."
(Georg Christoph Lichtenberg)

#6 Thomas Sebesta

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Geschrieben 02 September 2002 - 20:08

Interessant, dass ihr anscheinend beide die Fähigkeit besitzt, ein Buch auch (bewusst) analytisch zu lesen. Ich glaube, ich bin da etwas kindlich naiv, und ich schlage ein Buch schon einmal trotzig und geräuschvoll zu.

Stimmt, aber gerade dann (wenn ich daran bin aufzugeben) packt mich meistens ein gewisser Trotz. Nämlich festzustellen, ob ich dem Autor wirklich nicht gewachsen bin. Es ist sowas wie ein intellektuelles Messen - bin ich zu blöd dafür oder hat der Autor wirklich nicht geschafft? Ich bin eigentlich Autoren gegenüber zu nachsichtig. Ich suche den Fehler (Unverständnis) immer in meiner Beschränktheit. Ich tue mir wahnsinnig schwer einen Autor als "schlecht" zu bezeichnen. Auch wenn er es wahrscheinlich wirklich ist. @Holger Du hast schon recht, Fastfood erkennt man schnell und intuitiv, da ist mit "tieflesen" auch nicht weit her, da wird zur Abwechslung auch schon mal Gehirn ausgeschaltet und emotional genossen.

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#7 Dave

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Geschrieben 02 September 2002 - 20:59

Also, Holger, mich kannst Du stundenlang mit Deinen Rezensionen quälen, sie sind wirklich HUGE!!!Ich habe gerade die von SLANT (oder hast Du die geklaut?) gelesen, weil ich es mir noch mal vorgenommen habe und auf den letzten Seiten bin. Ich würde in hundert Jahren keine so famose Erläuterung zu einem Buch hinbekommen. Für eine kleine Inhaltsangabe und einen dezenten Hinweis reicht es dann womöglich noch gerade.Bei mir muss das Ambiente beim Lesen stimmen, was bedeutet: Ruhe.Ich habe auch grundsätzlich keine Musik laufen im Hintergrund. Mag eine Marotte sein.Ich habe es nie wirklich geschafft, z.B. in der Bahn zu lesen, außer in einer Tageszeitung. Irgendwie ist das ein Sakrileg.Preston/Child halte ich eigentlich nicht für Fast food, vielleicht inhaltlich (mit Abstrichen), aber sicher nicht in der Umsetzung.Nekropole, ich stelle mir die Frage eigentlich nicht, ob ich dem Autor gewachsen bin. Zufrieden bin ich sogar erst, wenn ich etwas nicht wirklich verstehe. Wenn ich gar nichts verstehe, ist es natürlich schlecht, wenn ich über den Dinge stehe, ist es aber noch schlechter.Wenn ich in einem Roman die Unterhaltung von einem Molekularbiologen mit einem Physiker gänzlich verstehe, bin ich beleidigt. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich es nicht verstehe. Meist gibt es dann aber eine Erläuterung wie: „Du meinst damit also...“ Wenn ich dann wieder auf der Höhe des Geschehens bin, bin ich zufrieden. Deshalb kann ich auch einen Greg Egan sehr schätzen und fühle mich nicht gleich „gedemütigt“.

#8 Holger

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Geschrieben 03 September 2002 - 19:32

Hallo Dave! Vielen Dank für die Blumen, freut mich dass Dir meine [jawoll, ist nicht geklaut] Rezis zusagen  :jumpgrin: Ich habe das übrigens nicht abfällig gemeint, mit Preston/Child. Ich weiss ihre Art der Unterhaltung sehr zu schätzen, und werde demnächst mit RELIC durchstarten.Greg Egan ist übrigens einer von der Sorte, die mich erschüttern und vor Ehrfurcht im Boden versinken lassen. Nehmen wir DIASPORA: ich habe nicht den Schimmer, was da hypothetische, phantastische oder verwirklichbare Ansätze sind und wo seine Ausführung auf akzeptierten Theorien aufbauen. Unglaublich der Mann. Aber jeden Tag könnte ich Egan auch nicht lesen. Sehr anstrengend  ;)
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#9 Dave

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Geschrieben 03 September 2002 - 20:25

RELIC habe ich dreimal gelesen, es ist wirklich famos. Ich habe mich richtig heimisch gefühlt im New York Museum of Natural History.Dann die nicht alltägliche „Knochenbar“ und wirklich interessante Charaktere.Es gibt auch eine wirklich sehenswerte Verfilmung.DIASPORA ist die absolute Härteprüfung.CYBERCITY ist etwas angenehmer zu lesen, aber nicht minder anspruchsvoll. Schon auf der ersten Seite schafft er dort die Atmosphäre, die bei William Gibson einfach nicht aufkommen will (Count, bitte weghören).Im Gegensatz zu QUARANTÄNE ist CYBERCITY noch lieferbar.Mit TERANESIA habe ich aber so meine Probleme. Zweimal gestartet und keinmal ins Ziel gekommen, aber ich taste mich heran...

#10 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 03 September 2002 - 20:34

Mit TERANESIA habe ich aber so meine Probleme. Zweimal gestartet und keinmal ins Ziel gekommen, aber ich taste mich heran...

Als ich das erste Mal damit fertig war, hab' ich den Kopf geschüttelt den Buchdeckel begafft und mich gefragt: "Hab ich jetzt schon begonnen oder nicht? WAs habe ich jetzt gelesen?". Ich hab's ins Regal gestellt und seit dem (rd. 1/2 Jahr) weigert sich meine Hand es nochmals herauszuziehen - obwohl das Verlangen jetzt wieder immer größer wird. Ich hoffe es auch noch in meinen Kopf zu bekommen. Irgendwie auch faszinierend.

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#11 Holger

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Geschrieben 03 September 2002 - 21:39

Der Titel ziert übrigens auch mein Regal. Ich bin eben Jäger und Sammler. Aber ran wollte ich auch noch nicht. Für einen neuen Egan muss ich zunächst noch Kraft sammeln  :biglaugh:  :biglaugh:  :biglaugh:
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#12 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 04 September 2002 - 15:21

Wahre Worte

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#13 Lt Lisa Marineris

Lt Lisa Marineris

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Geschrieben 08 September 2002 - 08:56

So, jetzt melde ich mich auch mal zu Wort. Ich hatte keine Zeit, mußte Bücher lesen :jumpgrin: Der Drang die Handlung zu analysieren befällt mich eigentlich nur bei Kurzgeschichten - da schlägt wohl der Deutsch-Leistungskurs durch, obwohl das schon eeeewig her ist."Normale" SF-Taschenbücher verschlinge ich in einem Rutsch und lasse mich von der Handlung überraschen. Und ich bin enttäuscht, wenn die Handlung vorhersehbar ist.Deswegen liebe ich ja auch Kurzgeschichten - da ist meistens nix vorhersehbar."Künstlerisch wertvolle" bzw. schwer zu lesende Literatur lese ich zweimal hintereinander: des erste Mal verschlinge ich es wie üblich und beim zweiten Mal gehe ich analytisch und mit Genuß ran.Bleibt noch zu erwähnen, daß ich SF-Romane vor allem zur Entspannung lese - ich hasse es, wenn ich aufgrund eines Buches depressiv werde!


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