Alternative Gesellschaften/mögliche Utopien
#1
Geschrieben 26 Juli 2010 - 20:44
[Ich hoffe, ich baue diesen Thread gerade an die richtige Stelle ...
Sonst bitte ich um Verschiebung ...]
Ich frage mich, ob Ihr noch ein paar neue Gesellschaftsideen kennt, die möglicherweise funktionieren könnten.
Ich komme auf die Frage, weil ich vor einiger Zeit THE VENUS PROJECT bzw. THE ZEITGEIST MOVEMENT entdeckt habe, die trotz ihrer radikalen Andersheit (zur jetzigen Gesellschaft) einen, wie ich finde, recht "plausiblen" Eindruck hinterlassen (zumindest, wenn man in die Tiefe geht).
Andererseits, wenn man nur an der Oberfläche kratzt, wirken ein paar Dinge vielleicht ziemlich hirnrissig. Aber ich bin auch kein Experte auf dem Gebiet, ich recherchiere noch.
Was am ZEITGEIST MOVEMENT ein wenig abschreckt ist, dass im Hintergrundwissen (Zeitgeist: The Movie) ein paar falsche oder ungenaue "Fakten" verarbeitet werden und ein wenig in Richtung Verschwörungstheorie geht. Aber nichts desto trotz sind die Schlußfolgerungen nicht "dumm".
Auf Youtube sind Unmengen Videos.
Hier, um die Richtung anzuzeigen:
Kennt jemand ähnlich alternative Utopien (eigentlich falsches Wort, wenn man es in dem Sinne versteht, dass es nicht verwirklichbar ist)?
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#2
Geschrieben 26 Juli 2010 - 20:52
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,
dann wünschen wir einfach mit Willen
die Wünsche-Erfüllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#3
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:09
Jacque Fresco ist schon seit den 70ern mit seinen Ideen unterwegs. Hier ein sehr cooles Interview aus dem Jahr 1974:
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#4
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:14
- Radikaler Bruch mit der bestehenden Ordnung, die als grundlegend untauglich erachtet wird.
- Eine neue soziale und ökonomische Ordnung, die dann auch einen neuen Menschen erschafft (und vice versa)
- Abschaffung des Geldes (gibt es bereits bei Morus)
- Diverse technische Wunderwerke
Besonders interessant finde ich, dass beim Venus Project die Realisierung eines "full lenght feature film" als zentraler Punkt des Aktionsplans vorgesehen ist. Das erinnert mich an einen nicht mehr ganz taufrischen Thread, in dem es unter anderem um die Frage ging, warum es keine utopischen Spielfilme gibt.
Dieses Zeitgeist: The Movie habe ich allerdings nach fünf Minuten abgebrochen. Denn dieser Anfang ging nicht nur "ein wenig in Richtung Verschwörungstheorie", das ist 100% verschwörungstheoretisches Gelaber.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#5
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:22
#6
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:23
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#7
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:27
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#8
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:29
@Simifilm
Ohne etwas verteidigen zu wollen: Der Peter Joseph hat diesen ersten Film gemacht voll jugendlicher Aggression, sozusagen. Man merkt in vielerlei Hinsicht, dass da jemand am Werk war, der sich künstlerisch ausdrücken wollte (er ist ja eigentlich auch Musiker). Im zweiten Film hat er sich sehr viel weiter zurück genommen - und dann auch das VENUS PROJECT kennen gelernt und vorgestellt. Seitdem ist er sehr viel weniger "verschwörungstheoretisch" unterwegs. Zeitgeist ist seitdem ja zu dem sogenannten Aktivistenarm vom VENUS PROJECT geworden. Mich ärgert allerdings auch, dass er den ersten Film nicht entweder "aus dem Verkehr zieht" (was natürlich nicht möglich ist) oder verändert (was er ohnehin einige Male gemacht hat, aber eben die problematischen Stellen sind nach wie vor da ...).
Das mag alles sein. Für mich diskreditiert der Ton, den der Film zu Beginn anschlägt, den "Sprecher" aber weitgehend. Brutal gesagt: Wer so ansetzt, zeigt mir, dass ich mich mit seinen Ideen nicht weiter abgegeben muss.
Was die angebliche Plausibilität betrifft, kann ich mich weitgehend Lomax anschliessen. Auf den ersten Blick sehe ich da wenig an Argumenten, was über ein Appellieren an ein allgemeines Unbehagen an der Moderne hinausgeht.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#9
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:43
Das mag alles sein. Für mich diskreditiert der Ton, den der Film zu Beginn anschlägt, den "Sprecher" aber weitgehend. Brutal gesagt: Wer so ansetzt, zeigt mir, dass ich mich mit seinen Ideen nicht weiter abgegeben muss.
Wie jetzt: Du gestehst den Menschen nicht zu, zu reifen? Einmal etwas falsch gemacht, schon für immer disqualifiziert? Hartes Weltbild ...
Was die angebliche Plausibilität betrifft, kann ich mich weitgehend Lomax anschliessen. Auf den ersten Blick sehe ich da wenig an Argumenten, was über ein Appellieren an ein allgemeines Unbehagen an der Moderne hinausgeht.
Da ich das für mich eher von "hinten" aufgerollte hatte, wirkte es auf mich anders. Als ich den ersten Film anschaute, da war ich eigentlich im Glauben, einen Film über Verschwörungstheorien zu sehen; eine Doku über Illuminaten und was weiß ich. In dieser Hinsicht wurde ich dann enttäuscht und war letzten Endes sehr überrascht, nach dem ganzen "was läuft alles schief in der Welt" eine positive Message zu finden. Und als ich dann den zweiten Film anschaute, eine Alternative zu dem "was schief läuft" präsentiert zu bekommen - deren Inhalt man sich aber zugegebenermaßen schwer erkämpfen muss: da es keine einfachen Lösungen sind, sondern eine etwas komplexere Sache, in der jeder Lösungsansatz neue Fragen aufwirft, die wieder an anderer Stelle beantwortet werden ... Und am Ende erschien es mir zumindest plausibel - und scheinbar ein paar anderen Leuten sogar noch plausibler als mir. Auf der ZM-Website sind zumindest bisher weltweit 420.000 Mitglieder registriert. (Was natürlich nichts über die Qualität der Aussagen sagt ...)
Aber nochmals: Mir geht es hier eigentlich gar nicht darum, diesen Gesellschaftsentwurf zu verteidigen.
Ich suche nach anderen.
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#10
Geschrieben 26 Juli 2010 - 21:59
Wie jetzt: Du gestehst den Menschen nicht zu, zu reifen? Einmal etwas falsch gemacht, schon für immer disqualifiziert? Hartes Weltbild ...
Es kommt sehr darauf an, was wie "falsch gemacht" wird. Ich halte jemanden, der mit einem solchen verschwörungstheoretischen Gestus argumentiert, tatsächlich für grundlegend dumm oder für grundlegend verlogen. Und selbst wenn der Filmemacher mittlerweile "gereift" sein sollte - eine Website, die an prominenter Stelle auf entsprechendes Material verlinkt, hat sich bei mir diskreditiert. Aber wir müssen darüber nicht weiter diskutieren.
Mich würde mehr interessieren, was Dich genau daran genau überzeugt hat. Denn nach erstem kurzen Überfliegen der Website konnte ich ausser der Abkehr von einer geldbasierten Wirtschaft hin zu einer "resource based" Wirtschaft kaum eine konkrete Forderung oder Massnahme erkennen (was durchaus an meiner mangelnden Gründlichkeit liegen kann). Und nicht nur ist diese neue Wirtschaft ist von der Grundidee her alles andere als neu (eben: gab's schon bei Morus), mir ist auch nicht klar, wie die konkret funktionieren soll.
Bearbeitet von simifilm, 26 Juli 2010 - 23:11.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#11
Geschrieben 26 Juli 2010 - 22:08
Zum Thema Zeitgeist: Ich habe neulich die Folge gesehen, die sich mit der Geldwirtschaft beschäftigt. Gleich zu Beginn wurden Grundlagen recht simplifizierend und mMn auch teilweise falsch wiedergegeben. Ich fand manche Zusammenhänge haarstreubend konstruiert. Als dann behauptet wurde, dass der Gebrauch von Geld direkt mit Gewaltausübung zusammenhäne, habe ich aus gemacht (hatte bis dahin etwa 1 Std. geschafft). Ich denke, dass ich Zeitgeist keine Chance mehr geben werde.
Zum Thema Utopien: Ich finde das Thema auch sehr interessant und würde mich über mehr Beispiele freuen.
#12
Geschrieben 26 Juli 2010 - 22:36
Uh, Simifilm, das ist jetzt schwer ...
[Ganz kurz: Ich kann Deine Vorbehalte natürlich verstehen - und ich würde ähnlich denken, wenn ich nicht inzwischen einige Interviews mit Peter Joseph und Vorträge von ihm gehört hätte, die einen ziemlich rationalen, sehr intelligenten Mann zeigen ...]
Als aller erstes ist da soetwas wie Sympathie. Gleichzeitig erklären die Leute aber auch, wie sie gedenken, diese sympathischen Dinge umzusetzen (das werde ich hier aber nicht darlegen, weil mir das nun zu viel Arbeit ist, das kann man alles in vielen Videos etc. hören/lesen).
Also die Sachen, die mir sympathisch sind:
Eine Welt, in der es keinen Hunger gibt.
Eine Welt, in der es keine Energieprobleme gibt.
Eine Welt, in der es kaum Verbrechen gibt.
Eine Welt, in der man nicht (im herkömmlichen Sinne) arbeiten muss.
Eine Welt, in der man nicht in seiner persönlichen Entfaltung gestört/behindert wird.
Eine Welt, in der "trennende" Dinge (Grenzen, Status etc.) keine Rolle spielen.
Für all diese Dinge zeigt das Venus Project Lösungen - und zwar technische Lösungen.
Das sind jetzt alles nur Schlagworte, ich weiß, aber das auseinander zu friemeln, ist mir gerade ein wenig zu anstrengend.
Wenn es Dich wirklich interessiert (dies ist nur EIN Teil ...):
http://www.youtube.c...feature=related
Du hast übrigens Recht, dass das alles nicht neu ist (was ja nicht schlimm ist). Vielleicht auch deshalb trifft es auf meine Sympathie, weil ich irgendwann als ich so um die 16 war, von Bertrand Russell LOB DES MÜSSIGGANGS gelesen und geliebt habe. Wenn ich mich recht erinnere, ging das genau in diese Richtung.
Genau so wie ich Raj Patel ziemlich spannend finde, der aber scheinbar etwas weniger "far out" ist und eher innerhalb einer monetären Gesellschaft die Veränderungen anstrebt, was mir aber ziemlich schwer (bis unmöglich) erscheint.
@Traum3
Geld => Gewalt.
Kann ich mich SO gar nicht dran erinnern. Eher Geld = Sklaverei, bzw. als "Erzeuger" von Gier (was dann zu Verbrechen, Ausbeutung etc. und damit Gewalt führt).
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#13
Geschrieben 27 Juli 2010 - 00:38
Dazu kann ich mich im wesentlichen nur Simi anschließen:Ähm, Fresco behauptet genau, was Du forderst: eine Gesellschaft aufzubauen, die auf Empirie gründet.
und:Wer so ansetzt, zeigt mir, dass ich mich mit seinen Ideen nicht weiter abgegeben muss.
Mag also sein, dass noch was vernünftigeres nachkommt. Aber nach so einer Grundlage doch sehr unwahrscheinlich. Und selbst wenn einzelne Elemente erwägenswert sein mögen, zeigt doch schon allein der Ansatz, dass das System nicht abgerundet und rational ist.Ich halte jemanden, der mit einem solchen verschwörungstheoretischen Gestus argumentiert, tatsächlich für grundlegend dumm oder für grundlegend verlogen.
Wäre ein guter Einwand, wenn der Eindruck nur auf einem veralteten Video basierte. Tut er aber nicht. Auf den aktuellen Zeitgeist-Seiten findet sich derselbe Schmu. Oder, wenn nicht derselbe (kann ich schlecht prüfen, weil, wie gesagt, ich die Videos wegen der Musik nicht lange durchgehalten habe), so doch Aussagen, die mich zu demselben Ergebnis geführt haben wie Simi. (Und wenn Simi und ich zum gleichen Ergebnis kommen, muss es irgendwie um eine triviale und offensichtliche Aussage gehen - ich nehm das jetzt also mal als zusätzliche Bestätigung, auch wenn diese Methodik gewiss anzweifelbar ist )Du gestehst den Menschen nicht zu, zu reifen? Einmal etwas falsch gemacht, schon für immer disqualifiziert? Hartes Weltbild ...
Tatsächlich war mir das "Venus Project" noch deutlich sympathischer als der ideologisierende Rundumschlag bei "Zeitgeist". Jedenfalls die einzelnen vorgestellten Projekte mögen als Einzellösungen ... durchaus interessant sein. Ich mag prinzipiell ja solche Konzepte. Allerdings ging es hier ja im Thread ums "Große Ganze", nicht darum, ob in der Gesamtutopie nicht auch erwägenswerte Detaillösungen versteckt sein könnten. Und da verlinken die beiden Ansätze ja untereinander, ich bin also erst mal davon ausgegangen, dass beides irgendwie zum gleichen Netzwerk gehört - und war dann wieder am obigen Punkt: Warum sollte ich tiefer einsteigen, wenn ich schon am Anfang über einen ganzen Berg von Mängeln am Gesamtkonzept stolpere?Für all diese Dinge zeigt das Venus Project Lösungen - und zwar technische Lösungen.
Denn selbst wenn es mehr gibt, und besseres, wird das Gesamtergebnis dadurch nicht unbedingt besser. Im Gegenteil: Nicht umsonst werden die erfolgreichsten Lügen gerne mit Wahrheiten vermischt.
Ich drösel das also mal nach deiner Darstellung weiter auf: Da ist ein Entwurf, der auf einem Fundament steht, das profund zweifelhaft ist (das habe ich gesehen); hinzu kommen dann sympathische Aussagen und Teilbereiche, die vernünftig klingen und es vielleicht sogar sind (das entnehme ich deinen Beschreibungen). Was mir fehlt, ist jetzt der Grund, nach dem, was ich gesehen habe, noch das anzusehen, was das Modell noch enthält - denn diese Mischung von Wahrheiten, sympathisch klingenden Aussagen, die man gerne hören würde, im Verbund mit einem zweifelhaften Überbau ist genau das, was ich meine, wenn ich oben sage, dass es bei mir den "Sektenalarm" klingeln lässt. Wenn also unter der mit erheblichem Bias und einer Menge zweifelhaften Annahmen behafteten Ausgangsposition, wie sie die Zeitgeist-Seite vorstellt, auch noch möglichst wohlklingende Aussagen und solche, denen man sachlich zustimmen muss, versammelt werden, ist das für mich kein Feature, sondern ein Bug. Der Versuch, die Mängel im Ansatz zu tarnen und ein Gesamtpaket zu liefern, das trotzdem genug Leute schlucken.
Aber Stringenz ist keine Frage des Abwiegens, sondern des Abwägens. Wenn man 32 Wahrheiten und 16 korrekte logische Schlussfolgerungen mit einem fundamentalem Fehlschluss zusammenpackt, dann kann man am Ende nicht sagen, okay, 32 und 16 zu 1 - also weitestgehend richtig. Ein Fehlschluss reicht aus, um das ganze System zu kippen, alle Wahrheiten zu verdrehen und alle korrekten logischen Schlussfolgerungen ins Gegenteil zu verkehren. Wenn man also die Mängel im Ssytem schon auf der ersten Seite findet, muss man eigentlich nicht weiter schauen, ob danach noch richtige Schlussfolgerungen oder korrekte Aussagen kommen - man weiß auch so schon, dass das Gesamtergebnis zweifelhaft ist. Was nutzt selbst ein in sich stimmiges Modell, bei dem die fragwürdigsten und problematischsten Aussagen bereits in den Axiomen zu finden sind?
Das einzige, was man schauen kann, ob von den verarbeiteten Elementen einzelne für sich tragfähig sind ... da lohnt sich dann vielleicht ein Stöbern im Venusprojekt. Aber, wie gesagt - hier ging es ja um den kompletten Gesellschaftsentwurf, nicht darum, ob einzelne Elemente daraus umsetzbar wären.
#14
Geschrieben 27 Juli 2010 - 19:01
Mag also sein, dass noch was vernünftigeres nachkommt. Aber nach so einer Grundlage doch sehr unwahrscheinlich. Und selbst wenn einzelne Elemente erwägenswert sein mögen, zeigt doch schon allein der Ansatz, dass das System nicht abgerundet und rational ist.
Oder es zeigt, dass es funktioniert und rational ist, da es auch für "Verschwötungstheoretiker" funktioniert.
Das eine wie das andere hat aber wenig miteinander zu tun, weil die Verschwörungstheorien (wenn man sie denn so nennen möchte) sich auf DIESE Gesellschaft(en) beziehen - und das, um das es geht, sich auf eine mögliche Alternative bezieht (zudem eine Alternative, an deren Entwicklung Peter Joseph nicht beteiligt war ...).
Also wenn Peter Joseph herumrennen würde und "Jesus liebt Dich!" oder "Die Illuminaten sind an allem schuld!" oder (was eher seiner Aussage nahe kommt): "Die jetzigen Strukturen erlauben nur Ausbesserungen, aber keine wirklichen Veränderungen zum Besseren: Egal, wer in der Regierung sitzt, die Leute können nichts wirklich verändern". Wenn ich mich recht erinnere sagt er auch irgendwo, dass das nicht daran liegt, dass irgendwo eine Verschwöung im Gange ist, sondern dass das an den Mechanismen einer kapitalistischen Gesellschaft liegt.
Oder anders herum: Wenn man sich bestimmte Dinge anschaut wie Hunger oder Energieprobleme.
Theoretisch kann man beides lösen. Aber es ist finanziell nicht interessant, das zu tun.
Probieren wir es mal anders herum. Nehmen wir die legendäre Rede von der damals 12jährigen Severn Suzuki. Emotional mehr als verstädnlich, denke ich:
http://www.youtube.c...feature=related
Und denkt man darüber nach, warum - obwohl das alles bekannt ist - nichts dagegen getan wird.
Weil es unwirtschaftlich ist.
Der fundamentale "Fehlschluss" von dem Du sprichst ist in seiner Aussage mehr oder weniger: Wenn die Menschen so weiter machen, geht alles vollkommen den Bach runter.
Peter Joseph hat das auf seine fragliche (was ich ja auch sage) Weise gezeigt - aber um das zu wissen braucht man Peter Joseph ja auch nicht.
Wichtig ist, ob es Lösungsmöglichkeiten gibt. Und eine zeigt das Venus Project. Und VP zeigt das auch, wenn Peter Joseph ein Clown wäre und den ganzen Tag "ich bin doof" brüllen würde.
Um jetzt einen sehr bösen Vergleich zu ziehen: Benns Gedichte sind klasse, Heideggers Philosophie ist in Ansätzen sehr spannend, obwohl beide Nazis waren.
Obwohl J. S. Bach christliche Musik geschrieben hat, mag ich seine Musik.
Und obwohl Peter Joseph ein paar fragliche Dinge geäußert hat: Das, worum es ihn geht, finde ich sehr interessant.
Das einzige, was man schauen kann, ob von den verarbeiteten Elementen einzelne für sich tragfähig sind ... da lohnt sich dann vielleicht ein Stöbern im Venusprojekt. Aber, wie gesagt - hier ging es ja um den kompletten Gesellschaftsentwurf, nicht darum, ob einzelne Elemente daraus umsetzbar wären.
Zu einer Gesellschaft gehören auch Elemente, die nicht in den Kram passen (die naiv, von sich schrecklich überzeugt, kryptisch oder sonst was sind ...). Und es spricht eigentlich FÜR eine Gesellschaft, wenn in ihr Platz für solche Leute ist.
Noch einmal: All die Sachen, die Peter Joseph über das JETZT ausspricht, sind im DANN völlig unwichtig ...
Ein anderes Problem ist, dass J. Fresco inzwischen 93 oder 94 ist - und Peter Joseph einfach besser reden kann als er ...
ps: Es tut dem Venus Project zudem sicherlich nicht gut, dass ich hier dauernd ansetze, es zu verteidigen. Ich habe nichts mit dem Projekt zu tun, ich finde es nur interessant, so wie ich viele Sachen interessant finde. Also nicht von dem Blödsinn, den ich äußere bitte auf das VP schließen (und umgekehrt auch nicht unbedingt).
Bearbeitet von eRDe7, 27 Juli 2010 - 19:05.
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#15
Geschrieben 27 Juli 2010 - 19:43
Um jetzt einen sehr bösen Vergleich zu ziehen: Benns Gedichte sind klasse, Heideggers Philosophie ist in Ansätzen sehr spannend, obwohl beide Nazis waren.
Obwohl J. S. Bach christliche Musik geschrieben hat, mag ich seine Musik.
Und obwohl Peter Joseph ein paar fragliche Dinge geäußert hat: Das, worum es ihn geht, finde ich sehr interessant.
Die Analogie stimmt nur begrenzt, aber lassen wir das. Was mich interessieren würde, ist, wie diese "Resource-Based Economy" funktionieren soll und da konnte ich ausser sehr allgemeinen Aussagen nichts finden. Und wenn ich so etwas lese, kann ich einfach nur lachen:
After agreement is attained by nations to move toward unification and sharing of the earth†™s resources, a global survey of available resources, technical personnel, production plants, arable land etc. has to be done to provide us with sufficient information in order to ascertain the parameters of social design. During the initial phase the cybernated system being developed will serve as a data bank to tell us what is available. This will enable us to proceed with the design. The major initial task will be to provide food, water, shelter, medical care and clean sources of energy.
During the transition, scarcity regions will be provided with heat concentrators for cooking and sterilizing water. Food for those areas can be dehydrated and compressed to save shipping space. We would supply many food products that consist of high protein, also containing most of the necessary nutrients to sustain those in the underdeveloped regions. The packaging will be biodegradable and may double as non-contaminating fertilizers. Regions without arable land will use hydroponic farms, land-based fish farms, and sea farming.
[†¦]
Who makes the decisions in a resource based economy?
No one does. The process of arriving at decisions in this economy would not be based upon the opinions of politicians, corporate, or national interests but rather all decisions would be arrived at based upon the introduction of newer technologies and Earth†™s carrying capacity. Computers could provide this information with electronic sensors throughout the entire industrial, physical complex to arrive at more appropriate decisions.
Diese Passage ist nun wirklich nichts anderes als schlechte SF. Da werden alle möglichen Wunder versprochen, das Entscheidende - wie das alles von statten gehen soll - wird aber ausgeklammert. Wie kommt es zum "agreement by the nations", was sind denn die "parameters of social design", wie funktioniert dieses "cybernated system", wie lange soll die ganze Geschichte dauern und wie vollzieht sich die Organisation und Wirtschaft denn in dieser Übergangsphase.
Es ist ja kein Zufall, dass die meisten Utopien den utopischen Staat erst im Endzustand beschreiben, den Weg dort hin aber sehr vage lassen. Beim Venus Project scheint es, soweit ich sehe, nicht anders.
Bearbeitet von simifilm, 27 Juli 2010 - 19:46.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#16
Geschrieben 27 Juli 2010 - 19:52
Bearbeitet von eRDe7, 27 Juli 2010 - 19:55.
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#17
Geschrieben 27 Juli 2010 - 20:01
@Simifilm
Tatsächlich sehe auch ich in erster Linie nur die fertige "Welt" (in meinem vorletzten Beitrag habe ich den Link für Dich zu einem Teil eines Vortrags über diese Gesellschaft gepostet, da wird etwas genauer drauf eingegangen). Das Problem ist sicherlich der Übergang.
Das einzige, woran ich mich erinnere diesbezüglich (was nicht bedeutet, dass nicht irgendwo dazu Genaueres gesagt wird, mir ist es bisher nur nicht aufgefallen) war, dass im Grunde der Menschheit kaum eine andere Wahl bleibt ... Wobei ich aber auch das Problem sehe, dass die meisten Menschen das nicht verstehen werden, ich meine, wenn man heute noch sieht, wie kleingeistig Leute an Traditionen und Dingen, die für Abgrenzungen sorgen (Nationen, Sprachen, Kultur, "Rasse", Religion, Vorlieben in der Sexualität etc.) reagieren, anstatt diese unwichtigen Dinge außer Acht zu lassen, wenn es um viel wichtigere Dinge geht ...
Und hier sehe ich eben genau den Unterschied zwischen einer Utopie, die als Ideal oder Gegenbild durchaus ihren Wert hat, und einem politischen oder sozialen Programm, das tatsächlich Relevanz für die Gegenwart hat. Einfach zu sagen, dass die Welt schlecht ist und dass es anders sein müsste, reicht nicht. Das haben schon viele vorher. - Eine Welt, in der es keinen Hunger, keine Energieprobleme, kaum Verbrechen etc. gibt, wäre sicher schön. Und ich würde behaupten, dass die meisten Menschen auch zustimmen würden, dass so eine Welt grundsätzlich erstrebenswert ist. Damit ist aber noch kein einziges Problem gelöst. Und es reicht auch nicht zu sagen, dass sich "bloss die Menschen ändern müssen", dass sie anders erzogen werden, dass die Gesellschaft der Zukunft dann auch den Menschen der Zukunft hervorbringt. Das muss dann schon ein bisschen spezifischer sein. Neue Menschen wurden immer wieder gefordert, das Ergebnis waren so gut wie immer totalitäre Regime und Massenmorde.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#18
Geschrieben 27 Juli 2010 - 20:13
Das Venus Project liefert ganz klare Vorstellungen, wie so eine Welt auszusehen hat - und wie sie funktionieren kann.
Die Frage ist, wie man die Menschen dazu bewegen kann, ihr ungleich schlechteres Leben (nicht unbedingt im Einzelfall, aber global betrachtet) gegen ein besseres Leben "einzutauschen"; das Problem ist: Das was man hat, hat man. Das was in der Zukunft liegt, ist fern. Aus irgendeinem Grund fühlen sich viele Menschen (und mir geht es da nicht anders) sicherer, wenn sie sich an ein Fahrzeug klammern, das gegen eine Wand rast, als den Absprung ins Ungewisse (und möglicherweise Bessere) zu wagen.
Irgendwie fühle ich mich ein wenig wie ein gewisses anderes Forumsmitglied, der, dessen Namen ich nicht zu nennen wage, somit noch ein SCHEINBAR blödsinniger YT-Link:
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#19
Geschrieben 27 Juli 2010 - 20:30
Ich denke in einer Hinsicht reden wir aneinander vorbei:
Das Venus Project liefert ganz klare Vorstellungen, wie so eine Welt auszusehen hat - und wie sie funktionieren kann.
Wo? Ich habe da bislang nichts gesehen, was über sehr allgemeine und wolkige Aussagen hinausgeht.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#20
Geschrieben 27 Juli 2010 - 21:05
Ähm, nein - der fundamentale Fehlschluss, oder vielmehr die problematischen Axiome, die alles, was darauf aufbaut, letztlich entwerten, stecken vielmehr in der Aussage, dass alle Eigenschaften, die derzeit an Menschen beobachtbar sind und die das Konzept zu Fall bringen könnten, keinesfalls originär menschliche Eigenschaften sind, sondern nur vom "bösen jetzigen System anerzogen", so dass sie in der idealen Gesellschaft von selbst verschwinden würden.Der fundamentale "Fehlschluss" von dem Du sprichst ist in seiner Aussage mehr oder weniger: Wenn die Menschen so weiter machen, geht alles vollkommen den Bach runter.
Das ist nicht nur eine sehr gewagte Annahme, sondern die einzelnen Aussagen widersprechen zum Teil auch sehr dezidiert dem aktuellen Forschungsstand relevanter Wissenschaftsdisziplinen.
Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und festhalten, dass das einer der wichtigen Punkte ist, die darüber entscheiden, ob eine Utopie möglich ist: Es muss einen Weg geben, wie man die jetzige Gesellschaft mitsamt der real existierenden Menschen dorthin überführt.Und hier sehe ich eben genau den Unterschied zwischen einer Utopie, die als Ideal oder Gegenbild durchaus ihren Wert hat, und einem politischen oder sozialen Programm, das tatsächlich Relevanz für die Gegenwart hat.
Es reicht nicht, dafür eine Utopie zu kreieren, die in sich stimmig ist. Diese Voraussetzung mögen sogar viele Modelle erfüllen. Ich kann mir vorstellen, wenn auf wundersame Weise alle Voraussetzungen gegeben sind, wenn alle Menschen passend erzogen und sozialisiert wurden, dass dann eine solche Gesellschaft irgendwie funktionieren könnte. Die Geschichte kennt viele Gesellschaften, die im Prinzip dysfunktional waren, die aber aufgrund verschiedener historischer Wechselwirkungen und Sondereinflüsse dann doch entstanden sind und durch hinreichenden Druck trotz inhärenter Instabilität eine Weile Bestand hatten und schlecht und recht vor sich hingewurschtelt haben.
Wenn man also feststellt, dass die vorliegende Utopie diese Bedingung erfüllt - was für einen mehr als theoretischen Wert hat diese Erkenntnis dann, wenn man erstens festhalten muss, dass es keine realistische Möglichkeit gibt, wie man die reale Situation in Richtung der Utopie überführen kann; und dass zweitens, weil die Axiome falsch sind, das tatsächliche menschliche Verhalten und die sozialen Dynamiken selbst bei einem einmal erzwungenen Idealzustand dafür sorgen würden, dass die so entstandene Gesellschaft bestenfalls nur mal kurz für eine Weile schlecht und eirig lebensfähig bleiben kann, ehe sie an ihren eigenen inneren Spannung zerbricht, die diese Gesellschaft nicht abfedern kann, weil es sie laut dem zugrundeliegenden Konzept gar nicht geben dürfte?
Gerade für eine "möglichen" und gar "funktionierende" Utopie würde ich die Messlatte höher setzen. Denn das obige ist eher die Blaupause für eine Gesellschaft, die als geplante Utopie startet und dann ... als etwas ganz anderes wieder landet. Als was auch immer. Beispiele gibt es dafür in der Geschichte genug. Als eine Diktatur, als gescheiterte Gesellschaft, als alles-genau-wie-vorher Gesellschaft, nur mit kaputter Infrastruktur und ausgewechselter Führungsschicht. Oder auch als Mischung von alledem.
#21
Geschrieben 27 Juli 2010 - 21:11
Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und festhalten, dass das einer der wichtigen Punkte ist, die darüber entscheiden, ob eine Utopie möglich ist: Es muss einen Weg geben, wie man die jetzige Gesellschaft mitsamt der real existierenden Menschen dorthin überführt.
Nur kurz: Ich möchte keine epische Diskussion über den Utopiebegriff beginnen, sondern nur kurz erklären, was ich unter 'Utopie' verstehe. Unter 'Utopie' verstehe ich primär eine literarische Gattung in der Tradition von Morus' Utopie. In diesem Sinne entwerfen Utopien zwar einen Idealzustand und/oder ein Gegenbild zur jeweiligen Gesellschaft, in der sie entstanden sind, sie sind aber nicht - zumindest nicht primär - auf Verwirklichung ausgerichtet. Es mögen Idealbilder oder Wunschträume sein, sie sind aber keine politischen Programme, für die die Frage, ob sie möglich sind, wirklich relevant ist. Natürlich gibt es auch Utopien, die durchaus auf ein konkretes Ziel hinarbeiten, aber die Mehrheit ist wohl tatsächlich nicht auf Realisierung ausgerichtet.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#22
Geschrieben 27 Juli 2010 - 22:45
Wo? Ich habe da bislang nichts gesehen, was über sehr allgemeine und wolkige Aussagen hinausgeht.
Hast Du Dir den Vortrag angehört?
Ich meine, natürlich kann man alles als "wolkig" bezeichnen ...
@Lomax:
Das ist nicht nur eine sehr gewagte Annahme, sondern die einzelnen Aussagen widersprechen zum Teil auch sehr dezidiert dem aktuellen Forschungsstand relevanter Wissenschaftsdisziplinen.
Kommt darauf an, mit WEM Du sprichst. Wenn Du mit Leuten wie Jeremy Rifkin sprichst, sicherlich nicht.
[Ja, ich weiß, Simifilm - Du denkst, er hat auch keine Ahnung ...]
Ich weiß auch nicht, was daran so seltsam sein soll: Wenn eine geldlose Gesellschaft, in der jeder alles haben kann und nicht einmal zu arbeiten braucht existiert - wo soll dann der angeblich im Menschen so fest verankerte Machttrieb (oder wie man es auch immer nennen mchte) sich austoben? Es gibt keine Machtpositionen im VP. Du kannst höchstens damit angeben, die schöneren Frauen zu "haben", wenn Du Dich lächerlich machen willst.
Es reicht nicht, dafür eine Utopie zu kreieren, die in sich stimmig ist.
Ich wiedergole mich ein wenig: Das ist schon einmal ein großer Schritt.
Ein ziemlich großer.
Wie man von A nach B kommt, das ist ein anderes Problem. Und ich wette, damit beschäftigen sich momentan die entsprechenden Leute. Müsste man sie fragen. Der erste Schritt scheint zu sein, so viele Menschen wie möglich von dem Endergebnis zu überzeugen.
Was ich wieder erstaunlich finde ist, dass ihr hier verharrt in dem ewigen: DAS geht nicht. DAS stimmt nicht. DAS ist Mist.
Dann kommt doch mal mit eurer Wahnsinnsintelligenz und sagt, WAS geht, WAS man machen kann, WAS etwas bringt.
Dass ausgerechnet ich sowas sage, grenzt schon an Komik, aber: Diese Gesellschaft mit all ihren Problemen und guten Seiten wurde von Menschen gemacht. Also könnte man sie auch abschaffen / ändern usw., wenn man das will. Aber erst einmal muss einem bewusst sein, was man will.
Wenn man also feststellt, dass die vorliegende Utopie diese Bedingung erfüllt - was für einen mehr als theoretischen Wert hat diese Erkenntnis dann, wenn man erstens festhalten muss, dass es keine realistische Möglichkeit gibt, wie man die reale Situation in Richtung der Utopie überführen kann; und dass zweitens, weil die Axiome falsch sind, das tatsächliche menschliche Verhalten und die sozialen Dynamiken selbst bei einem einmal erzwungenen Idealzustand dafür sorgen würden, dass die so entstandene Gesellschaft bestenfalls nur mal kurz für eine Weile schlecht und eirig lebensfähig bleiben kann, ehe sie an ihren eigenen inneren Spannung zerbricht, die diese Gesellschaft nicht abfedern kann, weil es sie laut dem zugrundeliegenden Konzept gar nicht geben dürfte?
Dir ist aber schon klar, dass das Blabla ist?
Wir alle behaupten hier die ganze Zeit verschiedene Dinge (und ich bin wie mehrfach betont zudem völlig unfähig, das VP in Schutz zu nehmen, weil ich mich bisher relativ oberflächlich damit beschäftigt habe); weder kommst Du mit konkreten Beweisen für die Falschheit noch kann ich mit Pro-Argumenten kommen. Kurz es bringt eigentlich gar nichts, was wir hier machen.
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#23
Geschrieben 28 Juli 2010 - 01:27
Nun ja, die Aussage ist eigentlich trivial - man findet zu jeder Aussage zumindest irgendwo auf der Welt eine Person, die sie unterstützt.Kommt darauf an, mit WEM Du sprichst. Wenn Du mit Leuten wie Jeremy Rifkin sprichst, sicherlich nicht.
Ich bezieh mich immer auf einen gewissen konsenfähigen Korridor innerhalb des wissenschaftlichen Mainstreams und bin mir dabei sehr wohl bewusst, dass der nicht in Stein gemeißelt und dass regelmäßig auch verlachte Randtheorien nach ein paar Jahrzehnten gängige Lehrmeinung werden können. Aber insgesamt folgt die Wissenschaft halt doch einer recht kontinuierlichen Entwicklung mit gelegentlichen Ausrutschern, und es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Modell sich bestätigt, dass sich aus jeder Menge Randtheorien zusammensetzt.
Das ist die falsche Frage. Wenn es einen solchen "Machttrieb" gibt, wird er sich einen Raum schaffen wollen, in dem er sich austoben kann, und genau dieses Streben ist es, was die Gesamtstruktur zu Fall bringen wird, wenn sie diesen Raum nicht vorsieht.Ich weiß auch nicht, was daran so seltsam sein soll: Wenn eine geldlose Gesellschaft, in der jeder alles haben kann und nicht einmal zu arbeiten braucht existiert - wo soll dann der angeblich im Menschen so fest verankerte Machttrieb (oder wie man es auch immer nennen mchte) sich austoben?
Ob es einen so fest verankerten Machttrieb gibt ... wer weiß. Man kann vermutlich bei einer Menge menschlicher Eigenschaften darüber streiten, was davon wie stark ausgeprägt ist und was sich in welchem Maße wegerziehen lässt. Es mag also durchaus sein, dass der Mensch sich in dem ein oder anderen Bereich tatsächlich weit genug verändern lässt.
Nur wenn man ein ganzes Bündel von menschlichen Eigenschaften negieren muss, die bislang mehr oder minder in allen Gesellschaften konstant vorhanden waren, und für deren feste Verankerung es sehr starke Evidenzen gibt, dann wird es irgendwann unwahrscheinlich, dass alle anderen Lehrmeinungen bei all diesen Dingen falsch liegen und nur das utopische Menschenbild mit seinen Minderheitenmeinungen immer richtig liegt.
Auch hier ist die Frage nach einer Widerlegung der falsche Ansatz. Es gilt dasselbe wie für "Intelligent Design" und andere sehr revolutionäre Behauptungen: Diejenigen, die sie vortragen, müssen sie beweisen können; denn je weitreichender, abweichender und vor allem durch große Verwickeltheit schlechter widerlegbarer eine Theorie wird, umso besser müssen die Argumente sein, die dafür sprechen, damit sie ernst zu nehmen ist.Dann kommt doch mal mit eurer Wahnsinnsintelligenz und sagt, WAS geht, WAS man machen kann, WAS etwas bringt ... Dir ist aber schon klar, dass das Blabla ist?
...
Wir alle behaupten hier die ganze Zeit verschiedene Dinge ... weder kommst Du mit konkreten Beweisen für die Falschheit ...
Und, wie festgestellt - da werden eine Menge zentrale Aussagen abseits der gängigen Lehrmeinungen erst mal ohne Begründung konstatiert und als Grundlage für das Gesamtsystem herangezogen. Das müsste erst mal erheblich besser belegt werden, bevor man auch nur anfangen kann, nach Gegenbeweisen zu fragen.
Eine Behauptung muss belegt werden. Sie ist nicht so lange richtig, bis jemand das Gegenteil beweist. Nur Verschwörungstheorien arbeiten nach dem Gegenprinzip.
Was dann auch die Antwort auf die Forderung nach anderen Modellen wäre.
Ich könnte jetzt keine bessere, geschlossene Utopie für eine "bessere Zukunft" liefern. Aber davon wird das mangelhafte Luftschloss, dass ich in den vorgestellten Systemen sehe, auch nicht besser. Denn eine Utopie wird nicht allein dadurch richtig, dass niemand eine bessere weiß. Denn erst mal müsste bewiesen werden, dass es überhaupt ein tragfähiges Gesamtkonzept für eine "bessere Gesellschaft" gibt.
Solange niemand eine "alternative Gesellschaft" vorstellt, die einer kritischen Betrachtung standhält, wäre die wahrscheinlichste Alternative, dass es kein solches umfassendes Patentrezept gibt - was dann auch bis zum Beweis des Gegenteils meine Gegenthese wäre, was "geht", was etwas "bringt": Kein "großer Wurf", sondern ein dynamisches, sich wandelndes System, das auf aktuelle Herausforderungen reagiert und sich dadurch ohne ideologisch vorgegebene Gesamtarchitektur entwickelt. Es gibt kein von Menschenhand geschaffenes Paradies, es gibt nur Gesellschaften im historischen Wandel.
Ich sehe keinen Grund, warum es ein komplettes Gesamtkonzept für eine bessere Welt geben muss.
... und will mich auch in dieser Hinsicht Simi anschließen, dass ich den Zweck von Utopien in erster Linie im Bereich der Literatur sehe, als Gedankenspiele, aus denen man womöglich Inspiration und Motivation ziehen kann, aus denen man einzelne Anregungen entnehmen kann - aber besser keine Baupläne zur 1:1 Komplettumsetzung. Bis, natürlich, bis zum Beweis eines Gegenteils, bis jemand einen Entwurf präsentiert, der wirklich in der Realität verankert ist und nicht nur ein Luftschloss zur geistigen Erbauung und zum Aufblicken.
Bitte nicht ein Konzept, das im Ansatz schon naiver und von mehr Wunschdenken und weniger Bodenhaftung getragen klingt als das uralte "Utopia" von Wells, dem ich meine derzeitige Signatur verdanke (womit ich dezent darauf hinweisen möchte, dass ich durchaus nicht völlig ignorant bin Utopien gegenüber, dass ich trotzdem keine wüsste, die ich für tragfähig genug halte, dass ich sie hier im Thread nennen möchte - dass ich aber auch keine anderen Utopien unkommentiert stehen lassen will, die ich für noch lückenhafter halte als manche derjenigen, die ich auf diese Weise verworfen habe )
#24
Geschrieben 28 Juli 2010 - 05:16
Hast Du Dir den Vortrag angehört?
Ich meine, natürlich kann man alles als "wolkig" bezeichnen ...
Ich habe mir bei weitem nicht den ganzen Vortrag angesehen, aber das, was ich gesehen, würde ich in der Tat als sehr unspezifisch und unkonkret bezeichnen, weil die entscheidende Frage nach dem "wie" eigentlich immer ausgeklammert wird. Alles, was ich gesehen habe, war bislang, dass sich mit genug fortgeschrittener Technologie und einem holistischen Ansatz, der "natural law" folgt, alles lösen lässt. Ja schön. Nehmen wir das Energieproblem: Es steht wohl ausser Frage, dass fossile Brennstoffe dereinst abgelöst werden. Es ist aber keine brauchbare Basis, wenn man einfach behauptet, dass das Problem schon gelöst ist, dann ist einfach falsch. Solaranergie kann im Prinzip mehr als genug Energie liefern, trotz intensiver Forschung sind wir aber noch nicht soweit. Geothermie wäre im Prinzip eine wunderbare Sache, als man in Basel entsprechende Versuche im grösseren Stil gemacht hat, wurden aber Erdbeben ausgelöst. Und so weiter. - Dass man hier weiter forschen muss, ist klar, es ist aber nicht damit getan, wenn man einfach so tut, dass die Probleme schon gelöst sind.
Wenn ich das recht verstehe, ist das Hauptargument des Venus Project, dass die meisten Probleme eigentlich schon gelöst sind, und dass es nur gesellschaftliche Missstände, falsche Mentalität und so weiter sind, die verhindern, dass wir tun, was eigentlich nötig wäre, nämlich die Probleme ganzheitlich und vernünftig lösen. An dem mag sicher teilweise was dran sein, es ist aber in hohem Masse unseriös zu behaupten, dass alle Probleme eigentlich gelöst sind, wenn es in so ziemlich jedem Bereich intensive wissenschaftliche Diskussionen darüber gibt, wie die Probleme gelöst werden sollen. Und das ist das, was ich als wolkig bezeichne
Kommt darauf an, mit WEM Du sprichst. Wenn Du mit Leuten wie Jeremy Rifkin sprichst, sicherlich nicht.
[Ja, ich weiß, Simifilm - Du denkst, er hat auch keine Ahnung ...]
Ich würde nicht behaupten, dass er keine Ahnung hat, sondern, dass vieles, was er in seinem neuen Buch schreibt, nachweisbar nicht korrekt ist und dass es in seiner Argumentation grundlegende logische und faktische Fehler hat.
Ich weiß auch nicht, was daran so seltsam sein soll: Wenn eine geldlose Gesellschaft, in der jeder alles haben kann und nicht einmal zu arbeiten braucht existiert - wo soll dann der angeblich im Menschen so fest verankerte Machttrieb (oder wie man es auch immer nennen mchte) sich austoben? Es gibt keine Machtpositionen im VP. Du kannst höchstens damit angeben, die schöneren Frauen zu "haben", wenn Du Dich lächerlich machen willst.
Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass jemand etwas gegen eine Gesellschaft hat, in der alle alles haben - bloss: wie kommt man dort hin?
Wie man von A nach B kommt, das ist ein anderes Problem. Und ich wette, damit beschäftigen sich momentan die entsprechenden Leute. Müsste man sie fragen. Der erste Schritt scheint zu sein, so viele Menschen wie möglich von dem Endergebnis zu überzeugen.
Da scheinen wir uns wohl grundsätzlich zu unterscheiden. Denn in meinen Augen ist es nicht nur eine Frage der Einstellung, sondern eine Frage von konkreten Massnahmen. In dieser Beziehung bin ich wohl ein Marxist: Das Sein bestimmt das
Bewusstsein. - Es reicht nicht zu sagen, wir müssen es anders machen. Wir müssen auch wissen, wie das konkret gehen soll.
Was ich wieder erstaunlich finde ist, dass ihr hier verharrt in dem ewigen: DAS geht nicht. DAS stimmt nicht. DAS ist Mist.
Dann kommt doch mal mit eurer Wahnsinnsintelligenz und sagt, WAS geht, WAS man machen kann, WAS etwas bringt.
Wenn ich eine Lösung hätte, würde ich die Zeit nicht damit verbringen, hier zu schreiben. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass es die Lösung gar nicht gibt. Dass wir nicht auf den neuen Plan warten müssen, sondern dass es eine Frage vieler ganz schwieriger Einzelprobleme ist, für die es nicht eine einzige grosse Antwort gibt.
(Und hier sind wir wieder bei der Verschwörungstheorie: bei der grundlegenden Behauptung, dass die Wahrheit, die Lösung eigentlich da ist und dass es nur an diversen dunklen Mächten liegt, dass wir nicht entsprechend handeln. Die Realität ist leider einiges komplexer)
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#25
Geschrieben 28 Juli 2010 - 09:12
Ich habe mir bei weitem nicht den ganzen Vortrag angesehen, aber das, was ich gesehen, würde ich in der Tat als sehr unspezifisch und unkonkret bezeichnen, weil die entscheidende Frage nach dem "wie" eigentlich immer ausgeklammert wird. Alles, was ich gesehen habe, war bislang, dass sich mit genug fortgeschrittener Technologie und einem holistischen Ansatz, der "natural law" folgt, alles lösen lässt. Ja schön. Nehmen wir das Energieproblem: Es steht wohl ausser Frage, dass fossile Brennstoffe dereinst abgelöst werden. Es ist aber keine brauchbare Basis, wenn man einfach behauptet, dass das Problem schon gelöst ist, dann ist einfach falsch. Solaranergie kann im Prinzip mehr als genug Energie liefern, trotz intensiver Forschung sind wir aber noch nicht soweit. Geothermie wäre im Prinzip eine wunderbare Sache, als man in Basel entsprechende Versuche im grösseren Stil gemacht hat, wurden aber Erdbeben ausgelöst. Und so weiter. - Dass man hier weiter forschen muss, ist klar, es ist aber nicht damit getan, wenn man einfach so tut, dass die Probleme schon gelöst sind.
Es ist eine Frage, wie sehr man seine Kraft in die Lösung dieser Probleme investieren "möchte". Die Umsetzung und die Lösung dieser Probleme hängt davon ab, wie interessant sie für die Wirtschaft sind. Und scheinbar sind sie nicht interessant genug, denn wer sollte denn noch Geld verdienen mit Energie, wenn sie im Überfluss vorhanden ist?
(Na, klingt das nach Verschwörungstheorie? )
Da scheinen wir uns wohl grundsätzlich zu unterscheiden. Denn in meinen Augen ist es nicht nur eine Frage der Einstellung, sondern eine Frage von konkreten Massnahmen. In dieser Beziehung bin ich wohl ein Marxist: Das Sein bestimmt das
Bewusstsein. - Es reicht nicht zu sagen, wir müssen es anders machen. Wir müssen auch wissen, wie das konkret gehen soll.
Wenn kein Druck da ist, etwas anders machen zu müssen, weil das Bewusstsein dafür fehlt, passiert auch nichts. Deshalb muss erst das Bewusstsein entstehen und man das Gefühl bekommen, dass irgendetwas grundlegend falsch läuft.
Wenn ich eine Lösung hätte, würde ich die Zeit nicht damit verbringen, hier zu schreiben. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass es die Lösung gar nicht gibt. Dass wir nicht auf den neuen Plan warten müssen, sondern dass es eine Frage vieler ganz schwieriger Einzelprobleme ist, für die es nicht eine einzige grosse Antwort gibt.
Vielleicht sollte man darauf hinweisen, dass wir momentan dauernd von dem VP all DIE LÖSUNG sprechen, es sich dabei natürlich um einen Prozess handelt. Es ist nichts statisch.
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#26
Geschrieben 28 Juli 2010 - 09:35
Es ist eine Frage, wie sehr man seine Kraft in die Lösung dieser Probleme investieren "möchte". Die Umsetzung und die Lösung dieser Probleme hängt davon ab, wie interessant sie für die Wirtschaft sind. Und scheinbar sind sie nicht interessant genug, denn wer sollte denn noch Geld verdienen mit Energie, wenn sie im Überfluss vorhanden ist?
(Na, klingt das nach Verschwörungstheorie? )
Nehmen wir Solarenergie: Hier wird seit langem geforscht, hier gibt es eine Industrie, die Geld verdient. Ich möchte keineswegs behaupten, dass der Markt alles regelt, aber Solarenergie ist definitiv ein zumindest potenziell kommerziell hoch interessantes Feld. Wer da früh genug mit der richtigen Technologie kommt, wird viel Geld machen (und es wird ja auch schon einiges Geld gemach). Da gibt es durchaus Motivation und auch einiges an Anstrengungen. Nun könnte man sicher mehr machen, aber es ist naiv zu glauben, dass es da auf einen Schlag ein neues Verfahren geben wird, dass das Problem löst. Das wird sich allmählich entwickeln.
Natürlich kann die Politik und die Gesellschaft Einfluss nehmen - durch Förderung von Solaranlagen, durch Verteuerung anderer Energieformen, durch Geld für Forschung etc. Aber damit sind wir eben wieder bei den konkreten Massnahmen - dem, was ich beim Venus Project so schmerzlich vermisse. Die lösen alle Probleme nur im Prinzip. Aber im Prinzip kann ich Dir das schon jetzt lösen.
Wenn kein Druck da ist, etwas anders machen zu müssen, weil das Bewusstsein dafür fehlt, passiert auch nichts. Deshalb muss erst das Bewusstsein entstehen und man das Gefühl bekommen, dass irgendetwas grundlegend falsch läuft.
Ein bisschen Analyse, was genau falsch läuft, wäre vielleicht auch nicht schlecht. - Wahrscheinlich ist das ein anderer Punkt, in dem ich hier sehr skeptisch bin: Das Problem, das das VP lösen will, wird eigentlich nie konkret benannt resp. ist so umfassend, dass sich jeder das darunter vorstellen kann, was ihn gerade stört. Denn das Problem ist gemäss VP eigentlich: die Welt ist schlecht. Und zwar so abgrundtief schlecht, dass wir alles grundsätzlich ändern müssen. Nicht nur bin ich grundsätzlich skeptisch, wenn jemand alles von Grund auf ändern will, ich bin auch nicht sicher, ob die Welt tatsächlich so abgrundtief schlecht ist, dass wir alles über Bord werfen müssen.
Um da die Diskussion aus einem anderen Thread aufzugreifen: Ist die Welt tatsächlich so schlecht? Ich möchte auf ein Interview mit Matt Ridley verweisen. Ich bin nun keineswegs mit allem einverstanden, was Ridley sagt (vor allem seinen Glauben in den Markt finde ich eher naiv), aber seine Grundbotschaft finde ich angesichts des allgemeinen Trübsaalblasesns zumindest bedenkenswert: Geht es der Welt tatsächlich so schlecht? - Oder vielleicht auch anders gefragt: Was sind die Parameter, an der wir den Zustand der Welt messen?
Vielleicht sollte man darauf hinweisen, dass wir momentan dauernd von dem VP all DIE LÖSUNG sprechen, es sich dabei natürlich um einen Prozess handelt. Es ist nichts statisch.
Vielleicht bin ich ja doof oder habe die entsprechenden Informationen auf der Website eigentlich nicht gefunden, aber ich weiss nach wie vor nicht, was das VP konkret will. - Eine Welt ohne Mangel? Schön, finde ich gut. Eine Welt ohne Vebrechen und Krieg? Ja, finde ich auch gut. Eine Welt ohne Geld? Da mache ich ebenfalls mit. - Soweit kein Problem, bloss: wie wollen die da hin? Das ist mir schleierhaft. Die grundlegendste Änderung, die das VP vorschlägt, scheint eine resource based economy ohne Geld zu sein. Allerdings ist mir nicht einmal im Ansatz klar, was darunter zu verstehen ist.
Eigentlich kann ich gar nicht sagen, ob ich die Ideen des VP gut oder schlecht finde, denn ich weiss gar nicht, was deren Ideen tatsächlich sind.
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#27
Geschrieben 28 Juli 2010 - 09:49
#28
Geschrieben 28 Juli 2010 - 09:56
die Welt ist schlecht. Und zwar so abgrundtief schlecht, dass wir alles grundsätzlich ändern müssen.
Also nun rein persönlich gesehen, ich weiß nicht, wie Fresco etc. das sehen:
Nicht DIE WELT ist schlecht, sondern ein System, das den Menschen in seiner Entwicklung einschränkt, ist schlecht.
Sicher, nicht alle werden eingeschränkt. Das lässt mich gerade an Pessoas EIN ANARCHISTISCHER BANKIER denken, in dem der Anarchist erklärt, warum er scheinbar die Fronten gewechselt hat und inzwischen Bankier geworden ist: Weil er jetzt, wo er das Geld hat, alle seine anarchistischen Ziele verfolgen kann: Er kann so leben, wie er möchte.
Oh, und ich sehe gerade, dass ich mich beeilen muss, denn ich MUSS gleich zur Arbeit (und meine Zeit dort 8 Stunden verschwenden).
Heute Abend mehr.
Eigentlich kann ich gar nicht sagen, ob ich die Ideen des VP gut oder schlecht finde, denn ich weiss gar nicht, was deren Ideen tatsächlich sind.
Deshalb meinte ich weit am Anfang, man müsse sich das ziemlich erkämpfen (und die Vorträge gehen nun einmal mehrere Stunden etc. Der Link, in dem Du reingeschaut hast, war ja nur ein Teil des Vortrags und ging schon über eine Stunde ...).
Vielleicht schaue ich mich auch mal um, ob ich jemanden finden kann, der konkretere Aussagen macht, über die man dann wirklich diskutieren kann.
Ab zur Arbeit, seufz ...
ps: Schließe mich Lomax an und suche natürlich auch weiterhin nach anderen "Ideen".
R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)
R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)
#29
Geschrieben 28 Juli 2010 - 10:03
Also nun rein persönlich gesehen, ich weiß nicht, wie Fresco etc. das sehen:
Nicht DIE WELT ist schlecht, sondern ein System, das den Menschen in seiner Entwicklung einschränkt, ist schlecht.
Was hier aufs gleiche raus kommt. Übrigens noch eine kurze Nebenfrage: Was genau ist das System? Das Material auf der Website ist ja, soweit ich sehe, sehr US-lastig. Nun gibt und gab es auf der Welt aber ja schon einige andere Staats- und Gesellschaftsformen. Waren die auch alle Teil des Systems?
Deshalb meinte ich weit am Anfang, man müsse sich das ziemlich erkämpfen (und die Vorträge gehen nun einmal mehrere Stunden etc. Der Link, in dem Du reingeschaut hast, war ja nur ein Teil des Vortrags und ging schon über eine Stunde ...).
Ich habe in dem Video an verschiedenen Stellen reingeschaut und auch das FAQ durchgekämmt - konkret wurde es eigentlich nie. Aber wenn Du Dich schon durchgekämpft hast: Weiss Du, wie die resource based economy aufgebaut sein soll?
Signatures sagen nie die Wahrheit.
Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.
Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.
Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
- • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
- • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
-
• (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
-
• (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!
#30
Geschrieben 28 Juli 2010 - 10:15
Dazu ein kleiner Hinweis: Grundlage für Verschwörungstheorien rings um die "böse Wirtschaft" sind ja oft Gerüchte, das bedeutsame Entdeckungen zurückgehalten werden, um Gewinne nicht zu gefährden, und dass "die Industrie" tatsächlich schon viel weiter ist als die Produkte, die konkret am Markt angeboten werden.Nun könnte man sicher mehr machen, aber es ist naiv zu glauben, dass es da auf einen Schlag ein neues Verfahren geben wird, dass das Problem löst. Das wird sich allmählich entwickeln.
Lässt man mal ein paar konkrete Einzelfälle außer acht, wo tatsächlich erfolgversprechende Konzepte aus den unterschiedlichsten Gründen nicht weiterverfolgt wurden (aus jeweils individuellen Umständen heraus, und ohne dass ein "böser Masterplan" dahinterstecken muss) und man im Zweifel auch mal spekulieren kann, dass die Welt viel besser wäre, wäre dieser Plan nicht in der Schublade verschwunden ... gibt es auch einen ganz konkreten Mechanismus im Wirtschaftssystem, der tatsächlich regelmäßig Effekte in der oben angedeuteten Richtung produziert und als Grundlage für entsprechende Verschwörungstheorien angesehen werden kann.
Tatsächlich werden immer wieder Entwicklungen zurückgehalten, verlangsamt und wird die Markteinführung von Neuentwicklungen verzögert. Unser Wirtschaftssystem läuft bei der Forschung in der Tat, wann immer es sich das irgendwie erlauben kann, nicht auf voller Kraft - aber der Grund dafür ist nicht ein "böser Plan zur Profitsicherung", sondern schlicht und ergreifend der Sachzwang zur Refinanzierung. Entwicklungskosten müssen wieder eingespielt werden. Wenn ich beispielsweise einen neuen Chip auf den Markt bringe, ist es kein hässliches Profitstreben, wenn ich nicht gleich die nächste Chipgeneration nachschiebe - es wäre ganz im Gegenteil wirtschaftlicher Selbstmord, die nächste Chipgeneration auf den Markt zu bringen, bevor der Verkauf der vorangegangenen Generation die Entwicklungskosten dieser Generation eingespielt hat. Und dasselbe gilt für viele Produkte, für Motoren, bessere Bautechniken, bessere Schiffe und Flugzeuge ... Wenn sämtliche Mittel nur in die Forschung laufen lasse und die Neuentwicklungen gar keine Gelegenheiten mehr haben, einen entsprechenden Ertrag zu erwirtschaften, verbrenne ich das zur Verfügung stehende Kapital, der gesteigerten Entwicklung steht eine Ausdünnung der Produktion entgegen (denn warum sollte man etwas produzieren, wenn das nächste Produkt immer schon in Sicht ist und man weiß, dass die Investitionen in die Produktion sich niemals lohnen werden?).
Und das ist kein Problem unseres Wirtschaftssystems, jede utopische Gesellschaft hätte genauso damit zu kämpfen. Es ist physikalisch unmöglich, dass ein System dauerhaft mehr Mittel in die Entwicklung steckt, als das System auf der Ertragsseite produziert - wie auch immer die Umverteilung und das dahinterstehende "wirtschaften" organisiert ist. Für den grundsätzlichen Mechanismus, der dafür verantwortlich ist, sehe ich also keine Lösung, und dass unsere gegenwärtige Wirtschaftsform eine ungünstigere Entwicklungs-/Ertrag-Ratio produziert als alternative Modelle, müsste auch erst mal bewiesen werden. Klar setzt unsere Wirtschaftsform Anreize, die Ertragsseite zu stärken und Gewinne "rauszuziehen". Sie übt aber auch Druck auf die Marktteilnehmer aus, die Entwicklung nicht zu vernachlässigen, und diese Selbstregulation durch Konkurrenzdruck müssten alternative Steuerungssysteme erst mal übetreffen. Die Tatsache, dass die Entwicklung sich gerade unter dem modernen Wirtschaftssystem schneller verläuft als in allen früheren Gesellschaften, nehme ich als Beleg dafür, dass es gar nicht mal so einfach sein dürfte, etwas noch besseres zu finden.
Da scheinen mir gezielte Einzelmaßnahmen am bestehenden System, um dem Problem von "Scheininnovation" oder einem gewissen in jüngerer Zeit zu beobachtendem Hang zu reinen "Designinnovationen" zu begegnen, zunächst mal erfolgversprechender. Aber der entscheidende Punkt ist eben, dass hinter manch schleppender "Lösungsentwicklung" keine böse Absicht steckt, sondern durchaus ein ökonomischer Sachzwang, den ein anderes System nicht auf Knopfdruck abstellen kann - sondern für den es selbst eine echte Lösung und einen Steuerungsmechanismus zu Verfügung stellen muss.
Besucher die dieses Thema lesen: 2
Mitglieder: 0, Gäste: 2, unsichtbare Mitglieder: 0