Sicher sind die Vorlieben unterschiedlich, aber in meinen Augen ist dieser "Komplettheitswahn" genau das, was Lord of the Rings zwar zu einer eindrücklichen Leistung, aber nicht zu sonderlich interessanter Literatur macht.
Ich kenne einige von der Kritik als interessante Literatur gepriesene Werke (House of Leaves), zu denen ich keine emotionale Bindung aufbauen kann, auch wenn sie streckenweise ganz interessant sind. Das geht mir zu sehr in die Richtung "gewollte Kunst". Der HdR ist aber (auch wenn ich hier schon einige mit den Augen rollen sehe) genau das, was er für viele Fans ist: ein Buch, in das ich mich versenken und wegträumen kann, da kommen Bilder und Gefühle hoch, auch beim wiederholten Lesen. Das ist wie eine Beziehung zu einem geliebten Menschen, die objektiven Schwächen des Anderen nimmt man nicht sonderlich wahr, weil es im Bauch kribbelt und man sich einfach wohl fühlt, wenn dieser Mensch um einen ist. Mir es so was von egal, wie die Kritik den HdR sieht (ob latent schwule Hobbits oder Kriegstrauma von Tolkien), ich kann in diese Welt mit ganzem Herzen eintauchen. Auch wenn die Hobbits die Welt retten. Tun sie nicht wirklich, denn nicht umsonst geht das Zeitalter zu Ende, trotz Saurons Vernichtung ...
Ich sehe hier das Weltrettungsmotiv nicht als die treibende Kraft, die mich beim Lesen hält. Mich interessiert was die "Helden" erleben, wo sie hinkommen, wie es dort aussieht. Dass es ziemlich lange dauert, bis die Welt gerettet wird, und ob dies die effektivste Methode war, ist mir schnurzpiepegal, weil ich dabei sein wollte. Es ist wie bei Potter: Viele Details sind für den großen Plot eher unbedeutend, könnten ohne weiteres ausgewechselt werden, aber sie sind mir als Leser lieb geworden.
Ich kann auch sehr gut in Welten eintauchen, die nur sehr vage beschrieben sind. Wolfes "Book of the new sun" ist so eine Welt, die aus der Sicht des Protagonisten beschrieben wird, vieles bleibt völlig im Unklaren und trotzdem ist diese Welt "lebendig", weil sie durch den sehr ungewöhnlichen Ich-Erzähler lebt und man trotz der eher vagen Umrisse den Eindruck hat, diese Welt ist durchdacht und könnte tatsächlich existieren.
Das sind meiner Ansicht nach Autoren, die zwar auch einen Weltrettungsplot benutzen, aber die Figuren selbst wirken lassen. Die Idee des Plots ist im Prinzip nur Hintergrund. Ich glaube, hier hat der Autor zunächst die Figur in einer Welt entworfen und dann eine Handlung entwickelt.
Dagegen habe ich bei Hamiltons "Armageddon" den Eindruck, er hat eine Idee für einen Weltrettungsplot und dann jede Menge Füllmaterial darum herum gebaut. Ich habe alle Bände komplett gelesen, aber zwischendurch oft Mühe gehabt durchzuhalten. Es gab dann immer wieder Passagen, die mich vorangetrieben haben, aber insgesamt gesehen, habe ich Hamiltons Universum kaum noch im Kopf. Es gibt keine Bilder in meinem Kopf (außer von den lebenden Raumschiffen), ich kann mich nicht einmal an die Namen der Protagonisten erinnern, nur daran, dass ich vom Finale irgendwie enttäuscht war.
Kurz gesagt: Weltrettungsszenarien sind ok, wenn der Autor mich mit jemandem bekannt gemacht hat, der gerettet wurde und den ich bei der Lektüre lieb gewonnen habe, oder hassen gelernt.
Entschuldigung, falls jemand sich von diesem Textschwall erschlagen fühlt.