Abschweifung: Es wäre sicher eine eigene Diskussion wert, warum diese Vorgehensweise, die ja in der modernen und postmodernen Literatur zum Standard gehört, in der Sciencefiction (und noch viel mehr in der Fantasy) oft noch immer mit so viel Ablehnung betrachtet wird. Das meine ich nicht als persönlichen Vorwurf an die Schreibenden hier, denen Delany nicht gefallen hat - das ist ja völlig legitim; ich lese nur diese Kritik von SF-Fans über Werke, bei denen die sprachliche Vermittlung im Vordergrund steht, nicht zum ersten Mal, und wundere mich. Mir scheint, dass der Entwurf alternativer Welten sich doch ganz wesentlich mit der Konstruktion unserer Welt(sicht) durch Sprache befassen müsste, mindestens ebenso sehr wie mit technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Insofern wären die postmodernen Formen der SF doch ausgesprochen angemessen. Ende der Abschweifung.
Abschweifung zur Abschweifung und schamlose Werbung in eigener Sache: In meinem Buch zum SF-Film gehe ich unter anderem just auf diese Frage, also auf den Zusammenhang von Erzählstil und SF, ein. Auch wenn es bei mir vorderhand um Film geht, gilt vieles von dem, was ich da schreibe, auch analog für die Literatur (respektive: ich stütze mich da primär auf Autoren, die sich zu SF-Literatur Gedanken machen und übertrage deren Überlegungen auf den Film). Es gibt meines Erachtens jenseits der Erwartungen der Leserschaft auch gewisse "modusinhärente" Gründe, weshalb die SF meist klassisch erzählt wird (geht in die Richtung von dem, was TrashStar schreibt).
Was Du da ansprichst, ist bis zu einem gewissen Grad just die Scheidelinie zwischen dem, was gemeinhin als Genre-SF und "hohe Literatur" bezeichnet wird. Wenn jemand SF-Motive "klassisch" erzählt (mehr oder weniger den Erzähltraditionen des bürgerlichen Realismus folgend), ist es Genre-SF, wenn jemand SF-Motive mit Erzähltechniken der Moderne und der Postmoderne vermischt, fällt es aus dem Genre-Rahmen. Das ist nun natürlich sehr verkürzt, und Erscheinungen wie die New Wave oder zum Teilen auch der Cyberpunk scheinen diese These auch zu widerlegen. Aber letztlich ging es der New Wave ja gerade darum, den Niederungen der Genre-Literatur zu entfliehen (und der Erfolg eines Gibsons weit über die SF hinaus dürfte genau mit der Fähigkeit zusammenhängen, an die Techniken der "hohen Literatur" anzuknüpfen). Siehe zu dem Thema auch: McHale, Brian: Constructing Postmodernism. New York 1992.
Aber eben: Abschweifung, und falls das Thema weiter diskutiert werden soll, würde ich einen eigenen Thread begrüssen.
Bearbeitet von Morn, 13 Dezember 2010 - 17:26.