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Klassische Erzählweise vs Postmoderne in der SF


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214 Antworten in diesem Thema

#151 Konrad

Konrad

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 12:20

Wenn ich die hier aufgeführten Beispiele verfolge, lese ich ja viel mehr postmoderne Erzähltechniken als mir bewusst war.

Jetzt stelle ich mir die Frage, ob wir denn damit nicht eigentlich schon dabei sind, festzustellen, dass die SF/F Leser nicht doch weitaus mehr postmoderne Erzähltechniken lesen, auch (weil?) man es bloß als Leser oft nicht weiß bzw. so einordnet. Insofern relativiert sich dann vielleicht die Feststellung, dass SF-Leser postmoderne Erzähltechniken eher ablehnen. Für mich stand das zunächst außer Zweifel, da ich darunter fast ausschließlich die extremeren Beispiele verstanden habe (Döblin liegt, für mich persönlich, an der Grenze, Dahlgren dürfte vielleicht auch zu den extremeren zählen), ich aber schon längst "unklassisch" erzählte Werke gelesen habe, ohne dass es mir negativ aufgefallen wäre.

Naja, ich glaube, das ist eine medienpsychologische Täuschung.
Den wenigen aufgezählten Romanen steht eine große Masse konventioneller Erzählungen gegenüber.
Aber da sieht man den Einfluß von Rezensenten, wenn sie denn eine Auswahl in den Fokus der Aufmerksamkeit heben.

Fforde ist übrigens ein Beispiel dafür, daß Intertextualität keine verkopfte Geheimwissenschaft einer Eliteliteratur sein muß.
Daher halte ich die Behauptung, die Verteilungssituation wäre ein Ergebnis der Wahl der Leser, immer noch für zweifelhaft.
Ich bin so frech, die Behauptung dagegen zu halten, daß viele SF-Autoren die neuen Techniken einfach nicht beherrschen. :thumb:

PS: Oder liegt es an einer Hasenmentalität bei den Verlegern? :)

Bearbeitet von Konrad, 18 Dezember 2010 - 12:38.


#152 Lucardus

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 12:47

Fforde ist übrigens ein Beispiel dafür, daß Intertextualität keine verkopfte Geheimwissenschaft einer Eliteliteratur sein muß.
Daher halte ich die Behauptung, die Verteilungssituation wäre ein Ergebnis der Wahl der Leser, immer noch für zweifelhaft.
Ich bin so frech, die Behauptung dagegen zu halten, daß viele SF-Autoren die neuen Techniken einfach nicht beherrschen. :thumb:

Ich denke mal, das ist nicht auf SF-Autoren beschränkt.

Ich will auch gar nicht abstreiten, dass der überwiegende Anteil der SF eben konventionell erzählt ist, aber das ist bei anderen Genres sicherlich auch so.
Bei Intertextualität fallen mir gerade die Sandman-Comics von Gaiman ein, die sicherlich auch nicht unbedingt alle Leser als verkopft empfinden, die machen einfach Spaß. Man kann sie flott lesen und beim zweiten oder dritten Lesen dann auch mal nachschauen, welche Figuren da eigentlich rumlaufen, welche Werke zitiert werden oder was es sonst noch unter der Haube zu entdecken gibt.

Ähnliches gilt für Comics, an denen Alan Moore beteiligt ist. Allerdings weiß ich nicht, inwieweit Comics von den Literaturwissenschaften in diese Kategorien eingeordnet werden (können), denn die Texte sind ja schon durch das Medium und die meist vorhandene Dominanz der Bilder anders gestaltet als in einem Roman. Ist bei einem Comic ein "Bewustseinsstrom" im Sinne der Literaturwissenschaft eigentlich möglich? Ich könnte mir das als Bilderstrom fast ohne Text vorstellen, insofern fällt er dann wahrscheinlich aus dem Fokus der Literaturwissenschaft heraus.

Bearbeitet von Lucardus, 18 Dezember 2010 - 12:48.

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#153 lapismont

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 12:57

Bei Fforde widerspreche ich aber, das ist durch und durch klassisch erzählt.

Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.

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#154 Konrad

Konrad

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 13:14

Bei Fforde widerspreche ich aber, das ist durch und durch klassisch erzählt.

Naaa, höre ich da das oben genannte Vorurteil knirschen? :thumb:

#155 Lucardus

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 13:56

Bei Fforde widerspreche ich aber, das ist durch und durch klassisch erzählt.

Aber Intertextualität ist bei Fforde definitiv vorhanden und wenn das ein typisches Merkmal der "Postmoderne" ist, dürfte es zumindest nicht ganz abwegig sein ihn dorthin einzuordnen.
Muss ein Text ausschließlich aus Techniken bestehen, die der entsprechenden Gattung zugeordnet werden, um nicht klassisch erzählt zu sein?
Wenn ich die Wikipedia hier als Beispiel anführen darf

Der Name der Rose gilt als einer der bekanntesten Vertreter des postmodernen Romans.

Ich habe dabei eine relativ komplexe, mit viel Hintergrundwissen unterlegte, aber nichtsdestotrotz nach meinem Empfinden klassische Erzählung im Kopf. Es gibt einen Erzähler und die Handlung ist (wenn ich mich recht entsinne) vordergründig die eines Mittelalterkrimis. Trotzdem strotzt er offenbar vor Intertextualität und anderen Kennzeichen der Postmoderne. Könnte man dann nicht auch bei Fforde latente "Postmoderne" diagnostizieren, wenn auch vielleicht auf einer intellektuell niedrigeren Ebene?
Ich ahne aber schon, dass die Literaturwissenschaft hier keine DIN-Normen (SNV für die Schweizer) entwickelt hat, die klare Grenzen oder prozentuale Anteile vorschreibt. :thumb:

Bearbeitet von Lucardus, 18 Dezember 2010 - 13:57.

Goodreads: Ich lese gerade" (sorry, nur für "Mitglieder" sichtbar)
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#156 Konrad

Konrad

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 14:06

Ich höre immer wieder unterschwellig so ein "Rädchen":
Das kann man ja lesen, das kann nicht postmodern sein. :thumb:

"Der Fall Jane Eyre" ist eine postmoderne Pastiche.

http://lisa.revues.org/3530

#157 simifilm

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 14:13

Ich denke mal, das ist nicht auf SF-Autoren beschränkt.

Ich will auch gar nicht abstreiten, dass der überwiegende Anteil der SF eben konventionell erzählt ist, aber das ist bei anderen Genres sicherlich auch so.


Definitiv.

Bei Intertextualität fallen mir gerade die Sandman-Comics von Gaiman ein, die sicherlich auch nicht unbedingt alle Leser als verkopft empfinden, die machen einfach Spaß. Man kann sie flott lesen und beim zweiten oder dritten Lesen dann auch mal nachschauen, welche Figuren da eigentlich rumlaufen, welche Werke zitiert werden oder was es sonst noch unter der Haube zu entdecken gibt.

Ähnliches gilt für Comics, an denen Alan Moore beteiligt ist. Allerdings weiß ich nicht, inwieweit Comics von den Literaturwissenschaften in diese Kategorien eingeordnet werden (können), denn die Texte sind ja schon durch das Medium und die meist vorhandene Dominanz der Bilder anders gestaltet als in einem Roman. Ist bei einem Comic ein "Bewustseinsstrom" im Sinne der Literaturwissenschaft eigentlich möglich? Ich könnte mir das als Bilderstrom fast ohne Text vorstellen, insofern fällt er dann wahrscheinlich aus dem Fokus der Literaturwissenschaft heraus.


Die Literatur hat Konzepte wie "Postmoderne" oder "Intertextualität" keineswegs gepachtet. Postmoderne bezeichnet ja eine ganze Epoche; entsprechend schlägt sie sich in vielen Kunstformen nieder (an der Architektur lassen sich gewisse postmoderne Konzepte beispielsweise besonders schön vorführen). Insofern sehe ich auch kein Problem darin, diese auf den Comic zu übertragen, wobei dann die Merkmale je nach Medium andere sind. Intertextualität beispielsweise ist in jeder erzählerischen Form möglich, bei konkreten Stilmitteln wie zB. dem "Bewustseinsstrom" wird's schwieriger. Da stellt sich generell die Frage, inwiefern Konzepte zur Erzählweise aus der Literatur auf den Comic übertragbar sind, oder ob man da nicht ein eigenes Vokabular entwickeln sollte (die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Ich-Erzähler und Erzählung in der dritten Person, die es in der Literatur gibt, ist beispielsweise im Comic - wie auch im Film - nicht mehr richtig anwendbar).

Ich habe dabei eine relativ komplexe, mit viel Hintergrundwissen unterlegte, aber nichtsdestotrotz nach meinem Empfinden klassische Erzählung im Kopf. Es gibt einen Erzähler und die Handlung ist (wenn ich mich recht entsinne) vordergründig die eines Mittelalterkrimis. Trotzdem strotzt er offenbar vor Intertextualität und anderen Kennzeichen der Postmoderne. Könnte man dann nicht auch bei Fforde latente "Postmoderne" diagnostizieren, wenn auch vielleicht auf einer intellektuell niedrigeren Ebene?
Ich ahne aber schon, dass die Literaturwissenschaft hier keine DIN-Normen (SNV für die Schweizer) entwickelt hat, die klare Grenzen oder prozentuale Anteile vorschreibt.


Wie ich hier im Thread schon geschrieben habe: Bei Eco geht es in Sachen Postmoderne vor allem um Intertextualität und generell das Verweben unterschiedlichster Texte. Das Postmoderne schlägt sich also primär auf der inhaltlichen Ebene nieder. Formal würde ich Dir Recht geben: Zwar werden auch was die Erzählweise betrifft, verschiedene Stile anzitiert, was eben auch typisch postmodern ist, insgesamt ist die Erzählung aber relativ glatt und klassisch.

Und ja: In den Geistes- und Kulturwissenschaften geht es meistens nicht um eindeutige Normen, sondern um Tendenzen und darum, gewisse Werke gewissen Polen zuzuordnen. Klassifizierungen sollten hier ja kein Selbstzweck sein, sondern dazu dienen, Funktions- und Wirkungsweisen zu erklären. Ob xy nun rein postmodern ist oder nicht, ist im Grunde weniger wichtig, als die Feststellung, dass sich xy aufgrund gewisser Eigenschaften von ab unterscheidet.

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#158 Konrad

Konrad

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 15:16

Bei Intertextualität fallen mir gerade die Sandman-Comics von Gaiman ein, die sicherlich auch nicht unbedingt alle Leser als verkopft empfinden, die machen einfach Spaß. Man kann sie flott lesen und beim zweiten oder dritten Lesen dann auch mal nachschauen, welche Figuren da eigentlich rumlaufen, welche Werke zitiert werden oder was es sonst noch unter der Haube zu entdecken gibt.

Ähnliches gilt für Comics, an denen Alan Moore beteiligt ist. Allerdings weiß ich nicht, inwieweit Comics von den Literaturwissenschaften in diese Kategorien eingeordnet werden (können), denn die Texte sind ja schon durch das Medium und die meist vorhandene Dominanz der Bilder anders gestaltet als in einem Roman. Ist bei einem Comic ein "Bewustseinsstrom" im Sinne der Literaturwissenschaft eigentlich möglich? Ich könnte mir das als Bilderstrom fast ohne Text vorstellen, insofern fällt er dann wahrscheinlich aus dem Fokus der Literaturwissenschaft heraus.

Mir scheint, als wäre die englisch sprechende Welt da weiter als wir.
http://www.reading.o...45-6-Anstey.pdf
In der deutschen Version von Wikipedia gibt es noch nicht mal ein Eintrag für "postmodernes Bilderbuch".

#159 lapismont

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 20:04

Naaa, höre ich da das oben genannte Vorurteil knirschen? ;)



Ich höre immer wieder unterschwellig so ein "Rädchen":
Das kann man ja lesen, das kann nicht postmodern sein. :P

"Der Fall Jane Eyre" ist eine postmoderne Pastiche.


Ich habe damit ein Problem, weil es plötzlich Werke zur Postmoderne schlägt, nur weil sie zeitlich hinein passen und schräge Ideen verwenden. Da bedeutet nämlich, ältere Werke unnötig davon auszuschließen.

Ich habe alle übersetzten Fforde-Bände gelesen und es ist eine astreine Parallelweltgeschichte mit großer Liebe zu englischer Literatur. Aber wenn das nun Postmodern ist, dann kommt Pterry gleich mit, und überhaupt ne ganze Menge Literatur mit Realitätsbrüchen.

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#160 Konrad

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 22:00

Ich habe damit ein Problem, weil es plötzlich Werke zur Postmoderne schlägt, nur weil sie zeitlich hinein passen und schräge Ideen verwenden. Da bedeutet nämlich, ältere Werke unnötig davon auszuschließen.

Ich habe alle übersetzten Fforde-Bände gelesen und es ist eine astreine Parallelweltgeschichte mit großer Liebe zu englischer Literatur. Aber wenn das nun Postmodern ist, dann kommt Pterry gleich mit, und überhaupt ne ganze Menge Literatur mit Realitätsbrüchen.

Die Parallelweltgeschichte allein ist nicht der wesentliche Faktor.
Erst mit den Bezügen zur Literatur macht es die Fforde-Romane zur postmodernen Literatur.

#161 lapismont

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 22:34

Die Parallelweltgeschichte allein ist nicht der wesentliche Faktor.
Erst mit den Bezügen zur Literatur macht es die Fforde-Romane zur postmodernen Literatur.


Das klingt nicht nach einem Argument. Bezüge zur Literatur gab es schon immer. Irrt Don Quichote nicht weite Strecken in imaginärer Literatur?

Wenn daran schon die "Postmodernität" eines Werkes festzumachen sein soll, dann ist der Begriff die Aufregung nicht Wert und dient nur zur Unterscheidung von verschiedenen Graden der Kreativität. Dann sind wir wieder bei SF-Leser wollen lieber eine Story einfach erzählt bekommen und nicht mit Salzstein an Kreidefelsen.

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#162 Konrad

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 22:56

Das klingt nicht nach einem Argument.

Dann kann ich dir nicht helfen.
Der oben verlinkte Artikel dröselt die Art der Bezüge auf und was daran "Der Fall Jane Eyre" zur postmodernen Literatur macht.
Für mich ist die Argumentation plausibel und für andere Rezensenten offenbar auch, wenn man ein bißchen googelt.

#163 simifilm

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 22:57

Das klingt nicht nach einem Argument. Bezüge zur Literatur gab es schon immer. Irrt Don Quichote nicht weite Strecken in imaginärer Literatur?

Wenn daran schon die "Postmodernität" eines Werkes festzumachen sein soll, dann ist der Begriff die Aufregung nicht Wert und dient nur zur Unterscheidung von verschiedenen Graden der Kreativität.


Ok, noch einmal ein Versuch. Was bezeichnen Begriffe wie "modern" und "postmodern"? - In erster Linie sind es - wenn es Literatur und generell um Kunst geht - Epochen. Und Epochen sind durch bestimmte Stile geprägt. Das ist nicht anders als beim Barock oder der Renaissance. Geschichtliche Epochen bringen philosophische und künstlerische Strömungen hervor und diese sind durch bestimmte Themen und Ausdrucksformen geprägt. Einige der typischen Ausdrucksformen der Moderne und der Postmoderne wurden hier bereits erwähnt. Den geistesgeschichtlichen Hintergrund von Moderne und Postmoderne habe ich hier ebenfalls zu skizzieren versucht.

Nur weil bestimmte Formen für bestimmte Epochen typisch sind, heisst das aber keineswegs, dass diese Formen nicht auch zu anderen Zeiten auftreten können. Intertextualität etwa ist an sich kein neues Phänomen; dass sich Literatur auf andere Literatur bezieht, ist eine uralte Sache. Doch unterscheidet sich die Art und Weise, wie sich Don Quichote auf andere Literatur bezieht, auf jeden Fall von der Art und Weise, wie dies Eco oder Pynchon tun (wobei auch diese wiederum unterschiedlich verfahren) - und sei dies auch nur der Intensitätsgrad. Oder nehmen wir Metafiktionalität: Das gab's bereits in der Romantik. Ich empfehle diesbezüglich, mal einen Blick in Tiecks Gestiefelten Kater zu werfen, der in Sachen frecher metafiktionaler Brüche einem Postmodernen nur wenig nachsteht. Dennoch haben wir es hier jeweils mit unterschiedlichen Dingen zu tun, die in einem anderen Zusammenhang entstanden sind (in der Romantik spielen zahlreiche andere Dinge eine Rolle, die für die Postmoderne nicht relevant sind), im Detail dann oft doch nicht gleich funktionieren und auch nicht das Gleiche intendieren.

Bearbeitet von simifilm, 18 Dezember 2010 - 22:58.

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#164 Konrad

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Geschrieben 18 Dezember 2010 - 23:34

Oder nehmen wir Metafiktionalität: Das gab's bereits in der Romantik. Ich empfehle diesbezüglich, mal einen Blick in Tiecks Gestiefelten Kater zu werfen, der in Sachen frecher metafiktionaler Brüche einem Postmodernen nur wenig nachsteht.

Oder die Intertextualität bei E.T.A.Hoffmanns "Lebensansichten des Katers Murr".
Im Vorwort bittet der Herausgeber den Leser um Nachsicht, daß hier zwei Werke durcheinandergeraten sind, weil der Kater die Biographie seines Besitzers zerrissen und Blätter als Löschpapier verwendet habe, die dann aus Versehen mit abgedruckt wurden. :lol:
Die Verschränkung und gegenseitige Bespiegelung dieser beiden Texte ist unglaublich modern.

Bearbeitet von Konrad, 19 Dezember 2010 - 00:10.


#165 lapismont

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Geschrieben 19 Dezember 2010 - 16:35

Na dann zieh ich mal als persönliches Fazit, dass Postmoderne ein eher willkürlicher Begriff ist, der alles Verquere nach 45 zusammenschmeißt. "Klassische Erzählweise vs Postmoderne in der SF" ist insofern ein Scheingefecht, da die Frage eher lautet, wie viele Leser mögen unkonventionell erzählte Stories. :rofl1:

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#166 simifilm

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Geschrieben 19 Dezember 2010 - 17:33

Na dann zieh ich mal als persönliches Fazit, dass Postmoderne ein eher willkürlicher Begriff ist, der alles Verquere nach 45 zusammenschmeißt.


Dann ziehe ich das persönliche Fazit, dass ich nicht in der Lage bin, mich verständlich zu machen. :rofl1:

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#167 Konrad

Konrad

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Geschrieben 19 Dezember 2010 - 17:48

Na dann zieh ich mal als persönliches Fazit, dass Postmoderne ein eher willkürlicher Begriff ist, der alles Verquere nach 45 zusammenschmeißt.

Wenn du mit "Verqueres" Erzählungen meinst, die mittels bestimmter Techniken weitere Interpretationsebenen eröffnen, dann könnte man das so sagen. :rofl1:

#168 Beverly

Beverly

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Geschrieben 19 Dezember 2010 - 18:35

"Klassische Erzählweise vs Postmoderne in der SF" ist insofern ein Scheingefecht, da die Frage eher lautet, wie viele Leser mögen unkonventionell erzählte Stories.


SF sollte sich darüber definieren, unkonventionelle Geschichten zu erzählen. Die Frage ist nur, was unkonventionell sein soll - der Inhalt, die Form oder beides?

#169 Gast_Frank Böhmert_*

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Geschrieben 24 Dezember 2010 - 08:21

Trotzdem erhofft sich auch der Lyriker vom Leser verstanden zu werden und ich unterstelle ihm nicht, daß er seine Kunst mit der Absicht betreibt, daß niemand ihn versteht.

Ich auch nicht.

Aber die Falle, in die eher "Der Künstler" zu gehen droht, ist Unverständlichkeit. Das, was du Autismus genannt hast.

Und die Falle, in die eher "Der Erzähler" gern tappt, ist Austauschbarkeit; Konformismus.

Jeder, der schreibt, malt, tanzt, sonst was macht, bewegt sich zwangsläufig in diesen Strömen oder verkörpert beide Typen, zu unterschiedlichen Anteilen.

#170 Konrad

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Geschrieben 24 Dezember 2010 - 09:52

Ich auch nicht.

Aber die Falle, in die eher "Der Künstler" zu gehen droht, ist Unverständlichkeit. Das, was du Autismus genannt hast.

Und die Falle, in die eher "Der Erzähler" gern tappt, ist Austauschbarkeit; Konformismus.

Jeder, der schreibt, malt, tanzt, sonst was macht, bewegt sich zwangsläufig in diesen Strömen oder verkörpert beide Typen, zu unterschiedlichen Anteilen.

Ich verstehe, daß man mit diesen Archetypen versucht, bestimmte Phänomene zu erklären.
Trotzdem halte ich sie für problematisch, da sie automatisch mit Rollen-Idealen verknüpft werden, die es so nicht gibt.
Ich denke, daß die Gefahr, unverständlich oder banal zu sein, für alle Künstler gilt, seinen sie nun Bildhauer, Maler oder Schriftsteller.
Daneben gibt es aber auch die Gefahr, sich nicht treu zu sein, keine Linie für einen eigen Stil zu finden, falsche Proportionen zu gestalten, usw.
Und ich befürchte, für diese Gefahren, die ich mindestens für genauso wichtig halte, gibt es keine Archetypen.
Oder doch? http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/wink.png

#171 Puh

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Geschrieben 25 Dezember 2010 - 18:11


Ist »Tristram Shandy« von Sterne oder der Werther vom Goethe dann Prä-(Post-)Moderne? :P

Da er alle bekannten Erzählechniken seiner Zeit ironisiert ist Sternes "The Life and Opinions of Tristam Shandy, Gentleman" (soviel Zeit muss sein ;) ) allemal (prä?) postmoderne Literatur. Ich kann mich sogar an den Aufsatz eines etwas dümmlichen Germanisten erinnern, den ich vor dreißig Jahren einmal las, in dem dieser etwas irritiert behauptete, dass Shandy zu guter Letzt ja doch nur ein wenig Günther Grass vorweg genommen habe. Der Herr führt seine Schafe wahrlich seltsam eigenwillig. :D
Den Werther lassen wie da lieber außen vor, der ist eher etwas verhunzt. Wielands Arristipp wiederum passte sehr gut in eine solche noch nicht geschriebene Liste der präpostmodernen Literatur, die zu erstellen vielleicht eine dankbare Aufgabe für einen fleißigen Germanisten wäre, der geistig rege genug ist, sich von den absonderlichen Dichotomien zu lösen, zu denen wir in der westlichen Zivilisation immer wieder neigen und die uns immer wieder in die Irre führen: modern versus postmodern, Klassik versus Moderne, Erzähler versus Künstler. TzzTsssSsssS.
Dabei sollte doch klar sein, dass die Einordnung immer nur von der Kontextur abhängig ist und sich selber ad absurdum führt, sobald wir unseren Standort ändern.
Zur Ausgangsfrage morgen dann mehr.
Puh. ;)

#172 Konrad

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Geschrieben 30 Dezember 2010 - 13:19

Da er alle bekannten Erzählechniken seiner Zeit ironisiert ist Sternes "The Life and Opinions of Tristam Shandy, Gentleman" (soviel Zeit muss sein ;) ) allemal (prä?) postmoderne Literatur. Ich kann mich sogar an den Aufsatz eines etwas dümmlichen Germanisten erinnern, den ich vor dreißig Jahren einmal las, in dem dieser etwas irritiert behauptete, dass Shandy zu guter Letzt ja doch nur ein wenig Günther Grass vorweg genommen habe. Der Herr führt seine Schafe wahrlich seltsam eigenwillig. ;)

Jemand, der die Abschweifung zur Kunstform erhebt, kann von Deutschlehrern keine Gnade erwarten, die mit diesem Urteil die Phantasie von Schülern seit Generationen gekeult haben. ;)

PS: Die Übersetzung von Michael Walter kann ich sehr empfehlen; bei ihm kommen die verspielten Anzüglichkeiten auch wieder besser zur Geltung. ;)

Bearbeitet von Konrad, 31 Dezember 2010 - 10:53.


#173 Puh

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Geschrieben 19 Januar 2011 - 06:46

Zur Ausgangsfrage morgen dann mehr.
Puh. :P

Nun ja, erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Als ich das schrieb ging ich wirklich davon aus, am nächsten Tag liefern zu können. Vielleicht hätte ich aber da doch schon dieses Kribbeln im Hals berücksichtigen sollen, das auf eine sich anbahnende Erkältung verwies. Allerdings hätte die mich normalerweise so sehr auch nicht gestört, dumm nur, dass die Erkältung sich als veritabler grippaler Infekt entpuppte. So richtig mit Fieber und was sonst so alles dazu gehört. Zwei Wochen dauert so etwas mit Arzt.
Ich habe solche Erkrankungen ja wirklich eher selten, alle Jubeljahre mal und von daher gar nicht gerne. Für jemanden, der sonst kaum Fieber hat, ist eine Woche mit Fieber ein wirklich eigenartig verstörendes Erlebnis.
Störend allerdings auch, dass eine Idee für einen kleinen Text zu wuchern anfängt, wird sie nicht möglichst schnell abgearbeitet. Keine Ahnung, ob das nun gutartig ist oder nicht - es führt auf jeden Fall zu einer Ausweitung des Textes, der dann noch neben der Arbeit geliefert werden muss.
Absolut nervend, wenn man eine Unterscheidung trifft, um ein Problem auszugrenzen und der abgespaltene Teil, um den man sich ja eigentlich nicht kümmern wollte, wieder auftauchend sein Recht verlangt. So war das wirklich nicht gedacht; andererseits hätte ich das vorher wissen können.
Sei†˜ s drum. Hier jetzt also mit reichlich Verspätung die Begründung, warum so wenige SF-Autoren so wenig - nun ja - experimentelle Literatur schreiben, obwohl doch gerade in diesem Genre, das vielleicht recht passend sein könnte. Ich habe da so meine Zweifel.
Die Begründung ist dabei eigentlich einfach, die Erläuterung der Begründung hingegen schon etwas komplexer. Aber ich habe lange schon kein Essay mehr geschrieben und kann das jetzt in die Sammlung aufnehmen.
Die Begründung:
Es gibt deshalb so wenige SF-Autoren, so wenige Autoren überhaupt, die solche Stilmittel nutzen, weil auf eigentlich allen in Frage kommenden Dimensionen des n-dimensionellen Handlungsraumes Schreiben Publizieren und Lesen Extremwerte erreicht werden müssen, die eher selten sind.
Soweit doch einfach?!?
Die Erläuterung:

Wir schaffen die Welt, die uns schafft -
Binäre Codierung, Dekonstruktivismus and the Art of Writing


Die Konzeption der Form liegt im Verlangen zu unterscheiden.
Dieses Verlangen vorausgesetzt, können wir der Form nicht ent-
rinnen, obwohl wir sie auf jede Weise sehen können, die uns gefällt.
George Spencer Brown

I

In dem ja durchaus eher etwas ambivalenten Film „A Beautiful Mind“ über den Mathematiker John Forbes Nash gibt es eine Szene, die ins Zentrum eines der Probleme führt: Nash schenkt seiner Angebeteten und späteren Frau neue Sternenzeichen, woraufhin die, eigentlich ja selber hochbegabt, ihm natürlich sofort völlig verfallen ist.
Diese Szene sagt zum einen sicherlich etwas darüber aus, welche Klischees in der Filmindustrie über die Verführbarkeit von Frauen vorherrschen, sie sagt zum anderen aber auch etwas darüber aus, was wir Menschen nun einmal auch sind: Muster erkennende und somit eben auch Muster schaffende Wesen. Selbst in einem Sammelsurium von Lichtpunkten, das aus Sonnen und Quasaren gebildet wird, finden wir noch so etwas wie Ordnung. Sternenzeichen. Wolken werden zu Figuren und selbst auf gemusterten Fliesen erkennen wir plötzlich Gesichter. Wir können offenkundig gar nicht anders: wir müssen Muster erkennen. Was dann wohl eher bedeutet: wir müssen Muster schaffen, um diese fürchterlich sinnlose Welt mit irgendeinem Sinn füllen zu können; denn ohne Sinn können wir nicht leben. Und da die Welt sinnlos ist, schaffen wir eben unseren Sinn, der aber nicht der Sinn des anderen sein muss. Eigentlich auch gar nicht sein kann.
Das alles deutet auf Prozesse hin, die tief in den neuronalen Strukturen unseres Gehirns verankert sind, so tief, dass sie sich nicht nur unserer Kontrolle weitgehend entziehen, das gilt für andere Prozesse auch, sondern so tief, dass wir sie nur über ziemliche Umwege überhaupt erst registrieren können - durch gleichzeitig auftretende einander aber wiedersprechende Daten z.B.
„Kippfiguren“ in der Wahrnehmung sind hierfür ein schönes Beispiel aber eben auch die „Ironie“ in der Kommunikation. Beides führt bei vielen Menschen immer wieder zu einer gravierenden Verunsicherung weil die „Ambiguitätstoleranz“, wie die Psychologen das nun einmal nennen, zumeist eher gering ist. Ein altbekanntes Problem, mit oft verheerende Folgen, weil es uns immer wieder dazu verleitet, zu handeln, lange bevor die Situation analysiert ist, einfach nur um die Unsicherheit des Zwischenstadiums zu verkürzen. Besser irgendetwas machen und damit so tun, als wenn man die Kontrolle hätte, als gar nichts zu machen, ist da das Motto.
Dass wir so vorgehen, ist wohl evolutionär bedingt, denn für unsere Vorfahren in der Savanne war es wirklich vorteilhafter, in einer langen Trockenzeit den Schamanen zu opfern (und zu verspeisen) als gar nichts zu tun; und es ist einfach besser, sich mit vielen anderen kleinen Gruppen zusammen zu finden, um den schwerhörigen Regengott gemeinsam anzurufen. Und wenn das nicht hilft, dann kann man gemeinsam eben tiefere Brunnen graben.
Unsicherheit nicht aushalten zu können, nicht aushalten zu wollen, war eben oft vom Vorteil und ist, wie uns sogar die Wissenschaft lehrt, auch heute noch oft von Vorteil. Kurzfristig helfen Schulden. Langfristig gehen wir alle tot. So in etwa ja Keynes. Und genau so funktioniert unser Wirtschaftssystem ja auch. Wir halten die Unsicherheit nicht aus, also wir leben auf Pump, um die Ordnung zu wahren, die wir brauchen. Dumm nur, wenn da irgendwann noch irgendwer lebt, der irgendwem das alles zu zahlen hat. Aber da hilft ja Inflation.
Wer allerdings Ordnung schafft, grenzt immer auch aus. Hier meine Ordnung, die natürlich immer wahr, gut und gerecht ist - dort die Outlands, wo die falschen, bösen und ungerechten Geister herrschen, die meine Ordnung überrennen wollen. Hierbei ist es unwichtig, ob die es wirklich wollen, noch viel unwichtiger, ob es sie überhaupt gibt, alleine die Tatsache, dass sie sich meiner Ordnung entziehen macht sie zu einer Gefahr, die man beachten muss.
Das ist übrigens kein archaischer Gedanke, das ist heute noch ein zentraler gesellschaftlicher Ordnungsfaktor, wie der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann belegen konnte, der für diese ordnenden Unterscheidungen dann den Begriff der binären Codes oder der binären Codierung einführte.
Wenn ich Bank und Großkapital bin und mein Ordnungsfaktor Geld und somit Zahlungsfähigkeit, die natürlich gut ist, die Zugehörigkeit zu meinem Ordnungssystem definiert, dann sind die Qutlander, die sich um die Unterscheidung Macht gruppieren, die Politiker halt, allemal ein Störfaktor, den es klein zu halten gilt, damit er uns bei unseren Geschäften nicht stört.
Soweit dann in etwa die Beschreibung Niklas Luhmanns, der davon ausging, dass die gesellschaftlichen Subsysteme sich einander nicht wirklich beeinflussen können, weil sie sich um jeweils unterschiedliche Codes herum definierten, wie archaische Gruppen sich eben um unterschiedliche Totems gruppieren.
Da wird er dann aber wohl doch ein wenig naiv gewesen sein. Die Subsysteme können einander sehr wohl beeinflussen, indem sie die Interaktionsmedien des jeweils anderen Systems nutzen. Zahlungsfähigkeit ist Macht; und hin und wieder bedarf es Macht, um Zahlungsfähigkeit zu generieren.
In der Wissenschaft, die sich ja um den Code „wahr/falsch“ gruppiert, gibt es in eigentlich allen Bereichen eine Reihe von Subdichotomien: „Gemeinschaft und Gesellschaft“ zum Beispiel oder das „Signifikat und das Signifikant“. Insbesondere diese Unterscheidungen wurde sehr einflussreich - eben auch für deren Dekonstruktivisten.
Solche Dichotomisierungen - und das ist eigentlich altbekannt - können aber nur eine vorläufige Ordnung liefern und führen bei genauerer Betrachtung eigentlich immer wieder nur zur Konfusion: in der Gemeinschaft ist immer auch Gesellschaft enthalten und vice versa. Wo ist jetzt dann aber die Gemeinschaft, wo die Gesellschaft.
Eine Unterteilung zwischen Vorstellung (Signifikat) und Lautbild (Signifkant) hingegen gerät spätestens dann ins Schwimmen, wenn „Vorstellung“ das Signifikat ist, weil jetzt Signifikat und Signifikant gleich sind. Was ist jetzt was? Douglas R. Hofstadter hat für solche Prozesse den Begriff „A Strange Loop“ eingeführt und damit einen durchschlagenden Erfolg gehabt.
Grundlegender da allerdings George Spencer Brown, der in seinen Laws of Form eben auch das „Re entry“ einführte, die Rückkehr des in der Unterscheidung ausgegrenzten Teiles zurück in die Unterscheidung. Die Verdrängungen tauchen als Alptraum wieder auf, die Ausgrenzung des Bankensektors aus der Politik kommt als Riesenbürgschaft zurück und die Ausgrenzung der kontrollierenden politischen Macht aus dem Finanzsektor führt - zum Verlust der Zahlungsfähigkeit, weil die eigenen Kontrollmechanismen nicht reichen. Nicht reichen können, weil Kontrolle ja ausgegrenzt wurde.
Trotz dieser Probleme werden wir unseren Hang in Zweiwertigkeiten zu denken, wohl nicht loswerden. Letztendlich können wir wohl gar nicht anders, als genauso zu denken, wie Gotthard Günther nicht müde wurde zu betonen.
Stellen wir uns also unseren Grenzen - und eine Möglichkeit hierzu ist es nun einmal, diese oft ja auch getarnten Zweiwertigkeiten aufzudecken, um ihren Schwächen begegnen zu können.

II

Innerhalb der Geisteswissenschaften ist es nun der Dekonstruktivismus, der eben auch das Ziel verfolgt, die Dichotomien heraus zu filtern und - wo sinnvoll - auf die poltischen Grundlagen zurück zu führen - und Derrida hat sich da in einem hohen Maße gerade an Desaussure abgearbeitet.
Dabei ist der Dekonstruktivismus keine Methode, sollte er nach Derrida auch nie sein. Er ist letztendlich eine Haltung und eine Art Metatheorie, die dazu dienen soll, eingefahrene Denkweisen zu hinterfragen.
Literaturwissenschaftlich bedeutsam ist, dass es im Sinne des Dekonstruktivismus eigentlich so gut wie nie nur ein Lesemodell eines Textes geben kann, dem sich der geübte Leser dann via Hermeneutik immer stärker nähert. Bei jeder komplexeren Literatur wird immer von mehreren Lesemodellen auszugehen sein und die Hermeneutik, die uns doch führen soll, ist eher obsolet, weil sie uns immer nur eine Richtung zeigen kann.
Für traditionell orientierte Geistes- und Literaturwissenschaftler mit ihrer ja oft geringen Ambiguitätstoleranz, die oft genug von einer durch die Hermeneutik gesicherten absoluten Erkenntnis träumen, ein nur schwer verdaulicher Gedanke; und da Derrida sich nicht gerade leicht liest, gibt es da dann ja auch gleich einen weiteren guten Grund, ihn abzulehnen.
Ich will jetzt gar nicht sagen, dass der Dekonstruktivismus so besonders neue Erkenntnisse liefert, schon gar nicht, dass er verständlicher ist als z.B. die „Second Order Kybernetik“, bei der man ja ähnliche Ansätze finden kann. Innerhalb der Geisteswissenschaft ist er aber eben recht einflussreich - und wir haben hier ein geisteswissenschaftliches Problem. Von daher hier dann ein wenig Dekonstruktivismus, der uns lehren kann, dass auch diese Diskussion von eigenartigen Dichotomien durchzogen ist: modern versus postmodern oder Erzähler versus Künstler, Markt versus Autor, um einmal die wichtigsten zu nennen. Solche Dichotomien führen dazu, dass der ja wesentlich komplexeren Umwelt, mittels eines erlköniglichen definitorischen Gewaltaktes ein Leid angetan wird.
Solche divergierenden binären Codierungen führen aber eben auch dazu, dass die Verständigung erschwert wird; und hier ist dann auf hoch abstrakter Ebene auch der Grund, weshalb ganz bestimmte Diskussionen in den Foren immer wieder aus dem Ruder laufen: wer unterschiedlich unterscheidet, hat nicht mehr allzu viel, was verbindet - da hilft dann auch ein Dolmetscher nicht mehr viel.
Dabei ist das Problem relativ einfach zu lösen, wenn wir uns darauf besinnen, dass jede der Unterscheidungen ja eine gewisse Berechtigung hat. Absolut sollten wir unsere jeweiligen Folterungen der Welt besser aber nicht nehmen. Schließlich hat der benachbarte Foltermeister ja auch nicht nur unrecht.
Wir werden also, wenn wir die Dichotomien, die Zweiwertigkeit unseres Denkens nicht wirklich loswerden können - und wir können es ganz offenkundig nicht -, aus der Not eine Tugend machen müssen und die Zweiwertigkeit erweitern müssen. Machen wir ja auch schon lange: die Unendlichwertigkeit ist in der Statistik wohl etabliert.
Schwieriger fällt es uns allerdings mehrdimensional zu denken und verschiedene Dichotomien gleichzeitig zu nutzen, dabei wird auch das Verfahren durchaus genutzt, in der Persönlichkeitspsychologie z.B. Einschlägige Modelle sind hierbei z.B. das Freiburger Persönlichkeitsinventar, The Big Five oder NEO-FFI, das auch von fünf Dimensionen (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit) ausgeht und derzeit wohl das verbreiteste Modell ist. Jede der Dimensionen geht von einer Dichotomie aus, die aber immer nur eine Facette der Persönlichkeit abdecken kann, die Gesamtheit der Dimensionen hingegen kann zumindest eine halbwegs vernünftige Näherung an die Komplexität der Persönlichkeitsstrukturen liefern. Dass bei solchen Modellen dann aber regelmäßig Primzahlen auftauchen müssen...?!

III

Wenn wir uns nun dem Problem der Analyse der Literatur zuwenden wollen, dann stehen wir vor - natürlich - zwei Problemen: der Rezeption und der Produktion. Warum werden welche Bücher rezipiert, finden ihren Verleger und Leser und andere - handwerklich oft bessere - gehen einfach unter? Was wiederum treibt Menschen dazu, sich hinzusetzen und mehr oder weniger umfangreiche Texte nicht nur zu schreiben sondern auch noch zu veröffentlichen?
Erneut als eine Dichotomie entlang einer Unterscheidung; und es wird nicht besonders sinnvoll sein, sich nur auf eine Seite der Unterscheidung zu konzentrieren, weil die ausgegrenzte Seite im Sinne eines Re entry doch irgendwann, spätestens durch den Hinweis eines Kritiker, wieder in die Unterscheidung eintreten wird.
Beginnen wir mit dem Sozialen. Wir könnten auch mit dem Privaten beginnen und müssten eigentlich mit der Wechselbeziehung beginnen, da das uns aber nicht möglich ist und die soziale Problematik die schwächere ist, sollte sich ihr zuerst gewidmet werden, damit sie nicht untergeht.
Vulgärmarxistisch bestimmt der Überbau den Unterbau. Literatur ist von daher in diesem Modell immer Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen und folgt dem Zeitgeist. Je erfolgreicher sie dieses dann macht, desto erfolgreicher ist sie dann.
In dieser kruden Schlichtheit ist das natürlich einfach nur Unsinn. Welchem Zeitgeist mag z.B. A. A. Milne gefolgt sein.
Trotzdem hat dieses Modell immer noch Erfolg. Erfolg bei etlichen Autoren von Groschenheften z.B., die meinen, dem Zeitgeist hinter her zu hecheln. Erfolg bei konservativen Denkern wie Spengler, Erfolg aber auch bei Soziologen. Bourdieu, Philosoph, der unter die Soziologen fiel und sich da eher unwohl fühlte, ging z.B. davon aus, dass die Kenntnis des Sozialen Feldes reichte, um einen Roman interpretieren zu können; und er hat wirklich versucht, dass am Beispiel Flauberts in seinen Regeln der Kunst zu belegen. Der Schriftsteller wird damit zur Sonde der Gesellschaft, der als Medium von sozialen oder psychologischen Strukturen wirkt. Eine schon alleine aus wissenschaftslogischen Gründen fürchterliche Vorstellung , weil hier die Trennung zwischen Beobachter und Beobachteten aufgeboben wird, die wir bei allen Schwierigkeiten, die mit der Beobachterproblematik verbunden sind, doch lieber behalten sollten, weil wir ohne Unterscheidung keine Ordnung schaffen können.
Amüsant dabei, dass Bourdieu damit auch sein eigenes Vorgehen desavouierte, weil ja konsequent zu Ende gedacht, auch er, der Soziologe, nur eine Sonde wäre. Seine Studie also, auf die er doch so ungeheuer stolz war eben auch nur Ausdruck eines sozialen Feldes, das ihn dann nutzte, um sich selber zu erklären? Eigenartige Vorstellung eigentlich. Solche Unsinnigkeiten haben solche Autoren zumindest in ihren Alterswerken allerdings nie wirklich gestört. Ebenso wenig empirische Probleme, weil die Anforderungen der Empirie für jeden Großtheoretiker irgendwann ja sowieso nur noch störend sind. Bei Bourdieu scheiterte der Versuch auf der empirischen Ebene einfach daran, dass die moderne Gesellschaft immer aus verschiedenen sozialen Feldern besteht, in denen die Autoren leben und die Literatur produziert wird. Es wird von daher nicht reichen, nur ein Feld zu kennen, um ein Kunstwerk analysieren zu können.
Das hätte er eigentlich merken müssen, hätte er seine Theorie auf sein eigenes Werk angewandt.
Wie an der leichten Zerstörbarkeit solcher Gedankengebilde zu erkennen ist, wird es eben nicht hinreichen, zu spekulieren; es wird sich schon der Mühe der Empirie gestellt werden müssen.
Bourdieus Buch liefert uns hierfür eine schöne Grundlage.
Was treibt einen Verlag dazu, ein solches Buch zu veröffentlichen, von dem doch klar sein musste, dass es die Kritiker nicht gerade zu Lobeshymnen hinreißen würde und die Lektoren, wenn sie nicht gerade betrunken waren, werden das auch gewusst haben. Was treibt einen deutschen Verlag dazu, eine Übersetzung eines Buchs auf den Markt zu werfen, dessen französisches Original bei den Kritikern schon nicht besonders gut weg kam?
Die Antwort von Buchhändlern auf diese Frage ist einfach, birg aber ein Universum in einer Nussschale: Vertrauen. Die Buchhändler in den Universitätsstädten zumindest scheinen sich allemal sicher zu sein, die Exemplare dann schon verkaufen zu können. Und das stimmt dann ja auch.
Literaturagenten, wenn sie dann eingeschaltet waren, Verlage, Großhändler werden ähnlich gedacht haben, konnten sie bei dem Ruf des Autors doch darauf vertrauen, dass dieses Buch seine Leser finden und somit mit Gewinn abwerfen werde. Alleine die Vielzahl der Universitäten, die ja mindestens ein Exemplar zu ordern hatten, sicherte die Kostendeckung. Der Restverkauf war und ist dann eben der Gewinn - und ein scheinbar makrosoziologisches Problem verwandelt sich in eine komplexe Vielfalt mikrosozialer Probleme.
Was Bourdieu hatte, Vertrauen in sein Werk, wie berechtigt es auch immer gewesen sein mag, ein neuer Autor muss dieses erst gewinnen; denn es ist ja nicht so, dass Agenten und Verleger händeringend nach Manuskripten suchten. Die werden eher von diesen überhäuft und ziehen es im Regelfall vor, auf vertraute Namen und Gesichter zurück zu greifen.
Wer da als Neuling auffallen will, muss schon wirklich gut sein; und auch wissen, wer seine potenziellen Ansprechpartner sind. Schließlich veröffentlicht nicht jeder Verlag jede Literatur. Ist das Problem gelöst, hier dann also das nötige Vertrauen geschaffen, dann ist der erste Schritt geschafft. Der Rest ergibt sich dann - oder auch nicht.
Das gilt übrigens auch für eher experimentelle Literatur, die ja eigentlich immer ihren Markt hat. Der Ulysses ist ebenso ein Longseller wir Perecs „Das Leben eine Gebrauchsanweisung“, Gaddis verkauft sich so gut, dass AMAZON seine wichtigsten Bücher vorrätig hat, Raymond Federmans Bücher sind auch käuflich zu erwerben (gut, Take It Or Leave It nicht) und im letzten Jahr ist sogar Zettels Traum endlich in einer gesetzten Fassung erschienen, die die Lesbarkeit immens steigert. Der Markt ist also da; und ein Mangel an experimenteller Literatur wird sich nicht mit Marktmechanismen erklären lassen.
Wenn wir also klären wollen, warum es so wenig experimentelle Literatur gibt, in der SF und anderswo, dann werden wir mit der Literaturrezeption nicht wirklich weiterkommen. Wir werden uns, ohne einem Geniekult frönen zu wollen, auf die Autoren konzentrieren müssen, auf diese wunderbaren Falschmünzer, wie Rolf Vollmann sie nannte.

IV

Was nun treibt eigentlich einen Menschen dazu, sich diesen Tort anzutun? Texte verfassen, womöglich noch lange, ganze Bücher gar. Was treibt einen Menschen dazu an, sich dieser elendigen, einsamen Arbeit zu stellen. Geld kann es eigentlich nicht sein; denn das ist ja bekannt, dass sich im Regelfall vom Schreiben nicht leben lässt.
Die Neurologin Alice W. Flaherty ist ausgehend von dem Schreibzwang, dem Schreibrausch und der Schreibblockade dieser Frage nachgegangen und hat dabei ein schönes Exempel dafür geliefert wie Menschen mit Hypergrafie schreiben: aus- und abschweifend, selten auf den Punkt kommend und viel zu viele Wörter für viel zu wenig Inhalt liefernd. Irgendwie fielen mir da dann noch John Irving, Umberto Eco und Peter Sloterdijk ein.
Mrs. Flaherty´s Antwort ist relativ einfach: Die Schläfenlappen sind Schuld und eigentlich können diese Leute gar nichts dafür. Damit wird dann immerhin eine Erklärung dafür geliefert, warum es Autoren gibt, die fleißig Bücher schreiben, obwohl sie doch jenseits jeder Begabung sind. Haben wir Mitleid mit Ihnen.
Warum dann aber normalere Menschen schreiben, das wird so klar dann nicht. Auch hier geht es wohl um die Schläfenlappen, ansonsten aber um das limbische System und um die Motivation.
Nun erklärt der Hinweis auf das limbische System überhaupt nichts, weil wir nicht einmal ansatzweise wissen, wie es funktioniert und die Motivation ist keine Erklärung sondern im Sinne von Gregory Bateson ein Erklärungsprinzip, also eine (hoffentlich zeitlich befristete) Konvention die Erklärungsversuche erst einmal einzustellen, weil man nicht weiter weiß. Letztendlich liefert der Hinweis auf die Motivation also keine Antwort, er wirft hingegen eine Reihe von zu klärenden Fragen auf, zu deren Antwort sich ein wenig mit der Persönlichkeitsstruktur beschäftig werden muss.
Schriftsteller, die man fragt, warum sie dann schrieben, sind mit ihren Antworten eher sparsam. Lieber jammern sie trotz eines hohen Outputs über die Schreibblocken und liefern teilweise recht krude Begründungslisten für ihr tun, die mit ein wenig spiritus reduziert aber doch ein Analyserater ermöglichen. Folgende sieben [sic!] Dimensionen werden vorgeschlagen, um das Problem in ein schönes theoretisches Kästchen zu packen:
†¢ Hang zur Selbstdarstellung: Diese binäre Codierung reicht von dem Extremwert „nicht vorhanden“ bis hin zu „sehr ausgeprägt“. Die Zwischenwerte werden sich, wie in den folgenden Dimensionen auch, problemlos mittels Likert-Skalen darstellen und messen lassen. Die These zu den AutorInnen lautet, dass deren Hang zur Selbstdarstellung eher über dem Durchschnitt liegt. Je höher dann, desto ausgeprägter wohl das Interesse an Experimenten.
†¢ Extraversion ist eine klassische Dimension und reicht von Extravertiertheit bis hin zu Introvertiertheit. Die hier vertretende These lautet, dass die Autoren eher zur Introvertiertheit tendieren, da sie ansonsten ihren Hang zur Selbstdarstellung in anderen Bereichen besser befriedigen könnten.
†¢ Sozialität: Reicht von leidender Nabelschau bis hin zum Leiden an der Gesellschaft. Beides geht übrigens recht gründlich in einander über. Hier lautet dann die These, dass bei Extremwerten die Bereitschaft zu Schreiben größer ist als bei „gesunden“ Mittelwerten. Damit ist dann recht gut erklärt, weshalb so viele Jungautoren ihre Liebesprobleme in Büchern verhackstücken - oder eben ihr Leiden an der Gesellschaft. Mit solchen Büchern, siehe Böll, kann man es dann übrigens durchaus zum Literaturnobelpreis bringen. These: Wer Nabelschau betreibt, wird über den Prediger Salomo kaum hinaus kommen, nicht gerade experimentell; wer an der Welt leidet, könnte das eine oder andere Zerrbild liefern, das als Kunst und experimentelle Literatur durchgehen könnte.
†¢ Realitätsorientierung: Reicht von völliger Ablehnung der Realität (Literatur als Flucht) hin zur Akzeptanz, die zum Leiden und zum Streben führen kann, diese auch abbilden zu wollen. Auch hier werden dann die Extremwerte eher zum schreiben verleiten als ein langweiliges Mittelmaß. Die mit Vorsicht eingebrachte These lautet dann, dass Realitätsakzeptanz und das Streben, diese darzustellen, eher zu experimenteller Literatur (ver-)führt als die Realitätsverweigerung. Leiden mag da förderlich sein, muss es aber nicht.
†¢ Aufklärung: reicht vom „sapere aude“ bis hin zu einem Sloderdijksche (oder Sarazinschen) „alle sind doof, nur ich nicht - und das ist gut so“. Beide Extremwerte verführen bestimmt nicht zur experimentellen Literatur, die wird man, wie Voltaires Candide lehrt, eher bei jemanden findet, der sich mit einer Transjunktion über diese Dichotomie erhebt.
†¢ Künstlerischer Anspruch: Reicht von nicht vorhanden bis zu dem Bestreben DIE Avantgarde zu sein. Wer diesen Punkt erreicht, wird natürlich grundsätzlich experimentieren. Womit dann aber nicht gesagt ist, dass er darin dann auch wirklich gut sein wird. Oft genug unterscheiden sich ja Anspruch und Wirklichkeit.
†¢ Erzählerische Kompetenz: Das ist jetzt etwas schwieriger und eigentlich wird dieses Dimension nur mit Bedenken eingeführt, denn hier geht es nicht um messbare Einschätzungen und Einstellungen, die das Handeln bestimmen. Jeder, der sich hinsetzt und Romane schreibt, geht schließlich davon aus, dass er über erzählerische Kompetenz verfügt. Sonst würde er wohl kaum schreiben. Wir haben hier also mit einer Dimension zu tun, die zwar etwas über den Autor aussagt, die wir aber nicht durch Befragung des Autors messen können. Das spräche eigentlich dafür, auf sie zu verzichten.
Andererseits liefert uns die Einführung dieser Dimension eine schöne Begründung für so manch ein Buch so manch eines Autors, so manch einer Autorin. Elfride Jelineks Werke z.B. lassen sich jetzt damit erklären, dass wir hier jemanden mit hohem Selbstdarstellungsdrang, Leiden an der Welt bei völliger Realitätsverweigung, mittleren Aufklärungsdrang und hohen künstlerischen Anspruch haben - bei einem völligen Mangel an jeder erzählerischen Kompetenz.
Andere Bücher anderer Autoren werden sich auch problemlos in diesem sieben-dimensionalen System verorten lassen - und wir erhalten auch eine Begründung dafür, warum experimentelle Literatur so selten ist: insbesondere in der SF und der Utopischen Literatur.
Ein wenig davon haben wir ja in der deutschen Literatur: die einschlägigen Werke Arno Schmidts, die ja utopische/SF-Schriften (Schwarze Spiegel, Die Gelehrtenrepublik, KAFF auch Mare Crisium, Die Schule der Atheisten) ebenso umfassen wie mit dem wunderreichen „Abend mit Goldrand“ einen Fantastischen Roman. Schaut man sich diesen Autor ein wenig genauer an, stößt man auf eine Reihe von Extremwerten: Romantiker mit einem hohen Selbstdarstellungsdrang bei gleichzeitiger Einsiedelei, starke Realitätsorientierung gepaart mit einem Leiden an der Welt, dass durch eine möglichst realistische Darstellung in kanalisiert werden sollte, angereichert mit hohem künstlerischen Anspruch. Glücklicherweise alles unterlegt von einer hohen erzählerischen Kompetenz.
Vermutlich wirklich keine so beneidenswerte Kombination, die aber erklärt, weshalb ganz bestimmte Literatur so selten ist.

V

Das alles sind natürlich vorläufige Gedanken, die ihrer Dekonstruktion harren.
Puh

#174 Naut

Naut

    Semantomorph

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Geschrieben 19 Januar 2011 - 08:05

Wow. Was für ein gigantischer, tiefsinniger Beitrag. Kann mir kaum vorstellen, dass es darauf noch Beiträge geben kann (insbesondere die 7 Dimensionen gefallen mir und die These, wie daraus experimentelle Literatur entsteht). Bloß schade, dass Du diesen aufgeblasenen, völlig überschätzten Spencer-Brown zitieren musst, denn mit "Form" meint er in dem Zitat ja eigentlich nur sein albernes Kalkül, nicht, was wir hier unter "Form der Literatur" verstehen. :P
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#175 simifilm

simifilm

    Cinematonaut

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Geschrieben 19 Januar 2011 - 09:11

@Puh: Mir ist noch nicht recht klar, ob der Beitrag ernst gemeint ist oder eine Parodie sein soll (für Letzteres wäre er allerdings etwas lang), aber vielleicht denke ich ja zu sehr in Dichotomien. :P Insgesamt erschliesst sich mir ich auch die grundsätzliche Argumentation nicht ganz (wobei mir ohnehin scheint, dass uns unterschiedliche Dinge interessieren. Dein Siebener-Raster zielt ja auf den Schriftsteller ab; mich dagegen interessiert weitaus mehr, was im Text geschieht). Also einfache Dichotimien sind zu simpel, deshalb Dekonstruktion; zugleich sind sie aber fest im Menschen verdrahtet, also doch Dichotomien? Die Lösung liegt also in den sieben Dimensionen, allerdings frage ich mich, ob das Hintereinanderreihen von Unterscheidungspaaren wirklich zu Mehrdimensionalität zu führen. Ein blosses Mehr an Dichotomien kann zwar zu einer differenzierteren Beschreibung führen, aber eine wirklich neue Qualität wird damit eigentlich nicht erreicht.

Bearbeitet von simifilm, 19 Januar 2011 - 09:12.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.

Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.

Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

zfs40cover_klein.jpg ZFS16_Coverkleiner.jpg

  • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
  • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
  • • (Film) gerade gesehen: «Suicide Squad»
  • • (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!

#176 Konrad

Konrad

    Temponaut

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Geschrieben 20 Januar 2011 - 20:34

Habe ich das richtig verstanden? Man nehme zwei unterschiedliche Eigenschaftsprofile in einem 7-dimensionalen Eigenschaftsraum von zwei Schriftstellern, die man zur Klasse der Schriftsteller gefragter Literatur zählt, und postuliere die "Erklärung" damit als erfolgt, warum es so wenig Schriftsteller in dieser Klasse gibt. Eine wirklich gelungene Parodie auf die "schlüssige" Argumentation in manchen geisteswissenschaftlichen Abhandlungen. ;)

#177 Puh

Puh

    Giganaut

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Geschrieben 01 Februar 2011 - 15:17

Wow. Was für ein gigantischer, tiefsinniger Beitrag. Kann mir kaum vorstellen, dass es darauf noch Beiträge geben kann (insbesondere die 7 Dimensionen gefallen mir und die These, wie daraus experimentelle Literatur entsteht). Bloß schade, dass Du diesen aufgeblasenen, völlig überschätzten Spencer-Brown zitieren musst, denn mit "Form" meint er in dem Zitat ja eigentlich nur sein albernes Kalkül, nicht, was wir hier unter "Form der Literatur" verstehen. :lol:

So, jetzt habe ich endlich Zeit. Über das Spencer-Brown kann und sollte man sich streiten. Keine Frage. Dafür liefert er einfacht nicht genug Neues - zumindest nicht auf der logischen Ebene. Wenn man es allerdings als Beschreibung von evolutionär bedingten Denkhaltungen des Menschen liest - meine Position - entwickelt es eine gewisse Schlüssigkeit.
So gelesen funktioniert es übrigens auch in der Literatur; denn der Entschluss für eine Form grenzt immer wieder Formen aus, die dann doch wieder ihr Recht fordern.

#178 Puh

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    Giganaut

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Geschrieben 01 Februar 2011 - 15:56

@Puh: Mir ist noch nicht recht klar, ob der Beitrag ernst gemeint ist oder eine Parodie sein soll (für Letzteres wäre er allerdings etwas lang), aber vielleicht denke ich ja zu sehr in Dichotomien. :lol:

Insgesamt erschliesst sich mir ich auch die grundsätzliche Argumentation nicht ganz (wobei mir ohnehin scheint, dass uns unterschiedliche Dinge interessieren. Dein Siebener-Raster zielt ja auf den Schriftsteller ab; mich dagegen interessiert weitaus mehr, was im Text geschieht). Also einfache Dichotimien sind zu simpel, deshalb Dekonstruktion; zugleich sind sie aber fest im Menschen verdrahtet, also doch Dichotomien? Die Lösung liegt also in den sieben Dimensionen, allerdings frage ich mich, ob das Hintereinanderreihen von Unterscheidungspaaren wirklich zu Mehrdimensionalität zu führen. Ein blosses Mehr an Dichotomien kann zwar zu einer differenzierteren Beschreibung führen, aber eine wirklich neue Qualität wird damit eigentlich nicht erreicht.

Natürlich ernst gemeint; mit Ironie ist bei mir aber immer zu rechnen. Näheres zu deren Folgen dann in meinem Text - sie irritiert und verunsichert. Verunsicherung ist allerdings notwendig, wenn man aus dem System hinaus springen will. Soweit meine These (ich sitze da allerdings auf den Schultern von Riesen).
Dass wir uns da grundsätzlich unterscheiden würde, war mir im Vorhinein klar, weil ich bei allem Interesse an dem, was im Text geschieht - psychologisch gedacht - ja eher an den Autor interessiert bin. Liegt letztendlich daran, weil es ja immer Autoren sind, die ihre Texte - wie bewusst oder unbewusst auch immer - verfassen. Texte schreiben sich ja schließlich nicht selbst, und was in einem Text geschieht, geschieht zunächst und in erster Linie in dem Kopf des Autors. Wie bewusst oder unbewusst auch immer. Natürlich kann man da dann eine Unterscheidung treffen: hier Text, da Autor. Was auch wieder nur eine binäre Codierung wäre, bei der der ausgegrenzte Teil irgendwann wieder in die Analyse einflöße. Es ist, denke ich, relativ einfach zu verstehen, dass es hilfreich ist, bei der Analyse eines Autors dessen Werke zu berücksichtigen; im Gegenzug wiederum erscheint es mir hilfreich, bei der Analyse von Texten den Autor zu berücksichtigen. Was ja übrigens auch nicht meine Idee ist, ich greife da nur ein wenig auf Arno Schmidt zurück, der ja, anders als ich, beides konnte: fulminante Literatur schreiben und sie analysieren.
Nur mal so als Idee: Poes Arthur Gordon Pym als unbewusste Schilderung eine Geburtsvorganges. Dieses Lesemodell erklärte viele Ungereimtheiten in dieser Geschichte. Aber um auf dieses Modell zu kommen, muss man sich vielleicht doch den Autor ansehen.
Dichotomien sind nicht simpel, oft genug sind sie sogar sehr wohl verborgen; und es dann eben Aufgabe einer Dekonstruktion diese überhaupt erst einmal heraus zu arbeiten - und sie dann - wo sinnvoll und möglich - auf ihre verborgenen "politischen" Implikationen hin abzuklopfen. Welche unter Umständen auch dem Autor unbewusste Entscheidung zur Unterscheidung steht hinter dieser binären Codierung? Das ist die zu klärende Frage; denn wenn ich das weiß, gewinne ich zumindest im Ansatz eine Vorstellung davon, welche Alternativen es gegeben hätte. Das wäre dann immerhin schon einmal ein Ansatz, um in Möglichkeiten zu denken. Näheres dazu dann unter Musils "Mann ohne Eigenschaften".
Das wir immer wieder zweiwertig denken, aufmerksam geworden, kann mann das mit ein wenig Selbstbeobachtung immer wieder an sich selbst registrieren.
Wenn wir wirklich aber anders nicht können, dann bleibt uns, soweit ich das sehe, wirklich nur die Möglichkeit, unsere Analysen auf verschiedenen Dimensionen gleichzeitig voran zu treiben, um unsere Realitätserkenntnis zu erweitern.
Inwieweit damit nun eine neue Qualität gegeben ist? Schwer zu sagen. Engels sprach von dem Umschlag quantitativer Veränderungen in Qualitativer und in der Naturwissenschaft gibt es auch den Begriff des Symmetriebruches, der wohl der Chaos-Mathematik entlehnt ist, der aber auch gut zu verwenden ist, um die Unvereinbarkeit von Relativitätstheorie und Heisenbergscher Interpretation der Quanteneffekte zu beschreiben. Wir haben es aufgrund von einer Vielzahl von kleineren Veränderungen plötzlich mit einem anderen Erscheinungsbild zu tun. Die erkenntnistheoretisch interessante Frage wäre dann aber, wie viele Dimensionen müssten es dann sein, um einen solchen Umschlag zu bewerkstelligen. Mehr als sieben wohl, da bin ich mir eigentlich sicher. Sieben wiederum ist ein wohl evolutionär bedingter Grenzwert. Das ich übrigens auf sieben Dimensionen kam, hat mich selber überrascht.

Bearbeitet von Puh, 01 Februar 2011 - 16:10.


#179 Puh

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Geschrieben 01 Februar 2011 - 16:04

Habe ich das richtig verstanden?
Man nehme zwei unterschiedliche Eigenschaftsprofile in einem 7-dimensionalen Eigenschaftsraum von zwei Schriftstellern, die man zur Klasse der Schriftsteller gefragter Literatur zählt, und postuliere die "Erklärung" damit als erfolgt, warum es so wenig Schriftsteller in dieser Klasse gibt.

Eine wirklich gelungene Parodie auf die "schlüssige" Argumentation in manchen geisteswissenschaftlichen Abhandlungen. :lol:

Ja nun, wie willst Du erklären, dass ganz bestimmte Literatur so selten geschrieben wird? An den Texten, die sich ja nicht selber schreiben, wird es kaum liegen. Gar nicht zu reden davon, das experimentelle Literatur ihre Käufer hat. Die Frage ist also, warum gibt es sowenig Autoren, die so etwas produzieren. Mein Vorschlag: schauen wir uns doch einmal die Persönlichkeitsstruktur der Autoren an. Wenn ich das machen will, dann muss ich allerdings zunächst im im Zuge eines erlköniglichen Gewaltaktes eine vorläufige Ordnung schaffen. Eine Ordnung, die sich dann empirisch bestätigen lässt - oder eben nicht. Soweit ist das ein völlig normales Vorgehen innerhalb eines wissenschaftlichen Forschungsprozesses. Das Thema ist allerdings reichlich abseitig. Da wären keine Forschungsgelder für zu kriegen.

#180 Beverly

Beverly

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Geschrieben 01 Februar 2011 - 18:42

Sind jetzt alle Klarheiten beseitigt?


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