Lest diesen Roman, Alfred, Jaktusch und Uwe und all die anderen. Er ist es wert, trotz alledem.
Hier meine total subjektive Buchbeschreibung, zunächst in aller Kürze.
Es handelt sich um das (Erstlings-?)Werk eine jungen deutschen Autoren (30 Jahre), der seinen in einer Endzeit in Deutschland angesiedelten Roman mit viel Esprit, einer modernen Sprache und unterhaltsamen, intelligenten Alltagsbeobachtungen versehen hat. Die Hauptperson, und später einige wenige, andere Personen, überleben in einer Welt, in der von heute auf morgen nichts mehr geht, jedenfalls nichts Magnetisches oder Elektrisches. Der Roman handelt vom Überleben, aber auch - besonders im Plot - von der eher zufällig gewonnenen Erkenntnis der Ursache der Katastrophe. So wie ich den Roman gelesen habe, glaube ich, dass er ohne Lektor auskommen musste. Daher tauchen an einigen Stellen inhaltliche Ungereimheiten auf. Mich hat das nicht weiter gestört, deshalb empfehle ich den Roman uneingeschränkt. Wer sich für 12,90 € auf etwas nicht wirklich Neues, aber jugendlich frisch Daherkommendes einlassen möchte, macht sicherlich keinen Fehler. Ich wurde bestens unterhalten und habe den Roman an zwei Abenden ausgelesen.
Ab jetzt gehe ich ins Detail, also nicht lesen, wenn ihr euch vom Buch selbst überraschen lassen wollt (was ich empfehle) ... :
Heinz bedient sich eines
Ich-Erzählers. Bei diesem handelt es sich um einen jungen Mann, der im Büro arbeitet und seit einigen Jahren in einer Kleinstadt wohnt. Er scheint zumindest einigermaßen gut verdient zu haben, so fuhr er einen Wagen mit immerhin 134 PS, das wird aber lediglich angedeutet. Nach einem schlimmen Kater, verursacht durch die Trennung von seiner Freundin Saskia, wacht er in einer Welt auf, in der alle Dinge ihre elektrischen Funktionen verloren haben. Auch der Magnetismus funktioniert nicht mehr. Außer dieser ehemaligen Freundin und seiner 80 km entfernt wohnenden Mutter tauchen keine Personen mehr auf, die der anscheinend vorher sehr zurückgezogen lebende Protagonist kennt; er lernt aber neue Personen kennen. Mehr erfährt man von der Hauptfigur im ganzen Roman eigentlich nicht - selbst sein Name wird nirgendwo erwähnt.
Die Funktion dieser Namenlosigkeit scheint klar zu sein, als Leser identifiziert man sich mit dem Protagonisten in dem Sinne, dass man die Leerstelle selbst besetzt - der Klappentext deutet es schon an, aber beim Lesen wird schon deutlich, dass in dieser Situation statt dem unpersönlichen Ich-Erzähler jeder von uns stecken könnte - bzw. würde! Ihre Popularität (Z.B. Mc Carthy: "Die Straße") diskreditiert die Idee des Namenlosen Erzählers natürlich keineswegs, nein, sie passt wunderbar zur Geschichte. Ich empfand es allerdings als unplausibel, dass der Protagonist keinen einzigen Menschen, noch nicht mal seine direkten Nachbarn, mit denen er seit 2 Jahren Tür an Tür wohnt, kennt. Er lernt diese im Buch kennen, aber in seiner Stadt kennt er keinen einzigen Menschen! Das mag zwar das Ausgeliefertsein des Protagonisten an die Situation unterstreichen, das geht aber auf Kosten der Plausibilität.
Der
Erzählstil passt zur Geschichte und zum Protagonisten: Hektisch, schnell, teils abgehackte Sätze oder gar Einwortsätze. Das ist beim Ich-Erzähler und seinem Kumpel Chris auch in sich stimmig, vor allem aber authentisch, auch weil an anderen Stellen Protagonisten wie der Akademiker Alfred ganz anders erzählt werden. Genial fand ich, dass trotz dieser sprachlichen Hektik, der Abgehacktheit, immer wieder brillante Sprachspiele oder faszinierend pointierte Beobachtungen der Alltagskultur seitens des Protagonisten statt fanden, die mich an "Herrn Lehmann" erinnerten.
Soweit, was die Narration, und dabei die Authentizität und die Stringenz betrifft, wusste der Roman mich durchaus angenehm zu überraschen.
Die
Geschichte nimmt also langsam Fahrt auf, der Protagonist stellt verblüfft fest dass nichts mehr funktioniert und dass es allen seinen Mitmenschen genauso geht. In dieser Phase findet der Protagonist einen Kumpel namens Chris und erlebt mit ihm gemeinsam (und später noch mit Valerie, einer ebensolchen Zufallsbekanntschaft) den allmählichen Zusammenbruch der Zivilisation. Es werden zunächst der kollektive Unglauben, dann die Wut, später Plünderungen, Raube, Brandschatzungen und schließlich Morde beschrieben. Hier baut Heinz zunehmend Spannung auf, führt die Eskalation der Lebensverhältnisse und der Umstände mit einer Ausnahme konsequent und in sich schlüssig durch. Diese Ausnahme empfand ich allerdings als relativ ärgerlich, und zwar versagt die Staatsmacht nicht, geht auch nicht stückweise unter oder zieht sich zurück bzw. eskaliert nicht zur faschistoiden, willkürlichen Besatzungsmacht, nein, sie findet konsequent nicht statt. Das Polizeirevier, vor dem sich Menschen am ersten Tag des Vorfalls versammeln, hat geschlossen, und auch in den folgenden Wochen des schließlich völligen Zerfalls der städtischen Zivilisation taucht an keiner Stelle die Staatsmacht auf. Der narrative Sinn scheint mir darin zu liegen, dass das Ausgeliefertsein und Alleinsein der Protagonisten dadurch noch unterstrichen wird; allerdings ging mir persönlich das trotzdem zu stark zu Ungunsten der Plausibilität.
Im
Mittelteil ziehen sich die drei Protagonisten in den Wald zurück, um dort fern der bandenmäßigen Gewalt leben zu können. Wunderlicherweise tauchen höchstselten bis gar nicht andere Menschen auf, was zwar wiederrum das Ausgeliefertsein unterstreichen mag, aber mir wieder zu unplausibel erscheint. Fürderhin unplausibel ist, dass ein im Auftakt bereits als physikalisch versierter, älterer Herr in einer Situation als Retter (er erschießt einen angreifenden Hund) auftaucht und sich der Gruppe anschließt. Hier muss Heinz auf den Deus ex Machina zurückgreifen, da wären andere Erzählstränge, die zum Wiedersehen / Auftauchen dieses älteren Herrn namens Alfred führen, sicher besser gewesen. Auch wird hier, im Mittelteil und im Schluss, nicht mehr so genau beschrieben, woher - immerhin über Wochen - das Essen kommt, ob/wie gejagt wird etc., das hätte ich mir ausführlicher gewünscht. In Dörfern, die auftauchen, ist jedes dritte Haus abgebrannt, aber es gibt quasi keine anderen Menschen, die im Wald leben, das war mir etwas unschlüssig.
Das
Ende, oder der Plot, besteht darin, dass Alfred sich als Mitarbeiter des Cern erweist. Dieses hatte in Wirklichkeit die Aufgabe, die Gravitation für Objekte einzeln an- bzw. ausschalten zu können. Leider versagte das Experiment. Strings, die sich von Parallelwelt zu Parallelwelt ziehen, hätten Magnetismus und Elektrizität ausgeschaltet. Nachdem der Protagonist
im großen Finale den sich als Mitverursacher der Katastrophe erklärten Alfred tötet, versucht er sich selbst umzubringen. Er stirbt aber nicht, sondern wird von Valerie festgehalten. Ob die These Alfreds - jedes Leben hätte ein vorbestimmtes Ziel, und wer vorher stürbe, erschiene in einer Parallelwelt, um sein Ziel zu erreichen - stimmt oder nicht, bleibt spekulativ.
Das Buch hat gewisse Mängel, die sich vor allem auf inhaltliche Mängel beziehen, wie beschrieben. Ich vermute, dass ein Lektorat gefehlt hat. Durchweg sind zwar nur minimale Rechtschreibfehler zu bemerken, auch wenn Raufaser mal Raufaser und dann Rauhfaser geschrieben wird
Aber nur auf Rechtschreibfehler korrigieren reicht nicht. Auch der Plot, vor allem die Darstellung von Alfreds Thesen, wirkt einfach ein wenig zu dick aufgetragen, zu wenig durchdacht und zu ambitioniert.
Totzdem hat das Buch sprachliche Ansätze, die ich als wahnsinnig toll empfunden habe (und hoffentlich hier auch so beschreiben konnte). Ich wünsche Dominik Heinz - und mir -, dass sein nächstes Buch bei einem richtigen Verlag erscheinen kann, mit den ganzen Voraussetzungen (Lektor etc.). Er ist ein junger SF-Autor, und da ist es einfach die falsche Erwartungshaltung, dass sein Roman literarischen Ansprüchen wie z.B. McCarthys "Die Straße" genügen könnte. McCarthy wurde 1933 geboren, Heinz 1981.
Ich fasse zusammen, ein lesenswertes Buch, ich freue mich schon auf das nächste von Dominik Heinz, dem ich den Tipp mitgeben möchte, es das nächste Mal vielleicht ein wenig weniger ambitioniert anzugehen. Du bist jung, und ich hoffe, die schriftstellerische Zukunft steht dir offen. Übrigens kenne ich den Autor persönlich überhaupt nicht und schreibe das hier ausschließlich aus eigenem Antrieb (weil mir Buch und Thema so gut gefallen).
Bearbeitet von leibowitz, 03 Januar 2011 - 14:11.
Realität ist das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört, daran zu glauben. (P.K.Dick)