Hey, das ist tatsächlich eine gute Frage! Wo ist das politische Lied, das meinen Frust ausdrückt, es irgendwie auf dem Punkt bringt?
Fehlt euch sowas auch? Habt ihr sogar solche Songs in petto?
Persönlicher Zusatz.
In dem sehr westlich gehaltenen Leitartikel der spex zum Thema gab es etliche Songs und Verweise auf Musik, die für mich teilweise neu, aber in erster Linie zu weit weg war. Bob Dylan? Gähn, das klang nach Oktoberclub und FDJ-Mief!
Es gab 88/89 für mich als Jugendlicher einige DDR-Songs, die genau meine Wellenlänge traf, politisch. Mein Gedächtnis hat einiges aufbewahrt. Wohlgemerkt, ich war 17, bitte kommt jetzt nicht und werft mir den damaligen Musikgeschmack oder Unkenntnis der „einzig wahren“ Revolutionshits vor.
Der Mega-Hit schlechthin:
Pankow - langeweile
das selbe land zu lange geseh'n
die selbe sprache zu lange gehört
zu lange gewartet
zu lange gehofft
zu lange die alten männer verehrt
ich bin rumgerannt
zu viel rumgerannt
zu viel rumgerannt
ist doch nichts passiert
Der Text stand eines Morgens bei uns im Gymnasium (EOS) am schwarzen Brett, umkommentiert und löste gewaltiges Aufsehen aus. Viele hörten keinen Osten und lasen zum ersten Mal einen Text einer Ost-Band. Die große Frage lautete: Dürfen die das so offen singen? Und wenn es veröffentlich wurde, darf es ja wohl auch zitieren, nicht?
Silly galt als regierungstreue Band. Vielleicht eine absichtliche Diffamierung, vielleicht auch dem geschuldet, dass sie ständig offizielle Preise gewannen und in den Medien omnipräsent waren. Als Jugendlicher steht man ja nicht so auf das was alle gut finden. Silly war also in erster Linie peinlich. Mit der Platte »Februar« aber wurden sie cool. Mir hat »Die verloren Kinder« aus dem Herzen gesprochen, klar als Berliner Kind.
In die warmen Länder
würden sie so gerne
fliehn
Die verlornen Kinder in den
Straßen von Berlin
Zu den alten Linden die nur in
der Ferne blühn
Die sie nicht mehr finden in
den Straßen von Berlin
Passender war natürlich der Song »Alles wird besser, aber nichts wird gut«.
Eine andere uncoole, weil etablierte Band war City. Aber mit Pfefferminzhimmel gaben sie der Sehnsucht nach der Welt erneut Ausdruck, wie schon in den siebzigern mit ihrem unsterblichen »Am Fenster«
Wo die Palmen sich verneigen, wo die Purpursonne weint,
will sie in die Gondel steigen und sie will woanders sein.
Der überraschendste Song jener Jahre war Flugzeug von Keimzeit. Für mich der einzig wahre Wende-Song. Keimzeit waren unangepasst, ihre erste Platte konnte erst nach dem Ende erscheinen.
Die haben den Schritt in die Realität verpaßt,
Beim Rettungsring dicht daneben gefaßt.
Akkord ohne Grundton, Flugzeug ohne Räder.
Der Untergrund hatte viele geile Bands, darunter Feeling B mit ihrer Punkhymne »Artig«:
Wir woll'n immer artig sein, denn nur so hat man uns gerne.
Jeder lebt sein Leben ganz allein und abends fallen die Sterne.
Als der Boss in der DDR spielte, war ich im ZV-Lager und musste mit der Holzimitation einer Kalaschnikow durch den Wald robben. Es gab wohl kaum einen Jungen unter uns, der die GST, die NVA und den ganzen Rest dafür verdammte. Ok, es gab da einige rote Socken, aber das waren eh die unbeliebten.
Kurze Zeit später kam dann die DDR-Antwort auf das Konzert. Von einer Indi-Band. Und es war ultra. Das war Glasnost pur. Wie Kai-Uwe Kohlschmidt »Katharina« schrie, hatte schon revolutionäre Züge. Da spielte der Hass mit auf die verordnete Huldigung der DDR-Sportler, die letzte Bastion, wo die DDR in der Welt noch was zählte. Alles zerbrach, aber Kathi holte Gold. Und ihr kurzer Rock brachte Honecker zum jubeln. Das war zum Kotzen. Sandow waren die Vorwegnahme von Tocotronic.
Jetzt, jetzt lebe ich und jetzt, jetzt lebe ich
und jetzt, jetzt trinke ich und jetzt, jetzt stinke ich
und jetzt, jetzt brauche ich und jetzt, jetzt brauch ich Dich.
Wir bauen auf und tapezier'n nicht mit.
Wir sind sehr stolz auf Katharina Witt.
Katharina
I was born in the G.D.R.
Born in the G.D.R.
Wir können bis an unsre Grenzen gehn,
hast Du schon mal drüber hinweg geseh'n ?
Ich hab 160.000 Menschen gesehn die sangen so schön.
Die sangen so schön.
Die sangen so schön.
I was born in the G.D.R.
Aber auch die Liedermacherszene rührte sich und trat immer offener auf. Ganz vorne Gerhard Schöne. »Mit dem Gesicht zum Volke« - das war die Forderung. Er fällt mir heute immer noch ein, wenn ich die Merkel reden höre.
Mit dem Gesicht zum Volke.
Nicht mit den Füßen in 'ner Wolke, nein.
Ach, es gab soviel in diesen Jahren, als man plötzlich von Rias2 auf Dt64 umschaltete und da liefen all diese Lieder. Rainer Kirchmanns »Manche Eltern« oder auch Monokel. Von denen stammt mein Schlusswort:
Du bist Amboss nicht der Hammer, man schmiedet doch anders rum!