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1000 Zeichen


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10 Antworten in diesem Thema

#1 misc

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    Infonaut

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Geschrieben 24 Februar 2003 - 22:14

Ronni schrieb:

wie wäre es mir einer SF-Story mit sagen wir mal 1000 Zeichen

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil - bis ich mir das Quoting oben holte, war ich fest überzeugt, da hätte "1000 Worte" gestanden. Somit disqualifiziert sich nachfolgender Text von selbst, aber vielleicht wird ja der eine oder die andere zu weiteren Beiträgen unter Einhaltung der eigentlichen Längenvorgabe angeregt ...

Ad Astra,
misc

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Hundertsiebenundsechzig

Die Übersetzung dauerte ewig. Alex Gulf trommelte nervös mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herum und starrte den Monitor an, als könne er ihn durch pure Willenskraft dazu zwingen, etwas anzuzeigen. Sein erstes Interview mit einem Yakathi - Nein! Das erste Interview mit einem Yakathi! -, und der Sekundenzeiger der antiken Analoguhr, die vor Jahren irgendein Nostalgiker über der Tür aufgehängt hatte, drehte unbarmherzig seine Kreise. Noch zwanzig Minuten bis Redaktionsschluss.
  Ein Fenster flackerte auf, aber es war nicht die erwartete Übersetzung, sondern das Cam-Bild von Verena Blusch, der Chefredakteurin.
  "Hallo Alex! Ich habe gerade noch einen Bericht reingekriegt - der Diplomatenball. Damit hast du noch exakt hundertsiebenundsechzig Worte für deinen Artikel zur Verfügung, der restliche Platz ist komplett verbraten."
  Alex spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. "Hundertsiebenundsechzig? Verena, das ist ein Yakathi-Übersetzungsprogramm! Kein Mensch weiß, wie viele Worte es ausspuckt, und wir haben nur die Veröffentlichungsrechte. Ändern dürfen wir nichts!"
  "Nicht mein Problem. So was höre ich ständig. Entweder ich bekomme deinen Text pünktlich und in der vorgeschriebenen Länge, oder er wird morgen veröffentlicht."
  Alex hätte vor Wut am liebsten in die Tastatur gebissen, begnügte sich aber mit einem Zähneknirschen. Die Prozessing-Anzeige der Übersetzungssoftware blinkte noch immer munter vor sich hin. Noch fünfzehn Minuten.
  "Weißt du, wie viel Stress ich mit dem Yakathi hatte? Stundenlang habe ich in seinem verschissenen Dreckstümpel gehockt - und wenn ich verschissen sage, dann meine ich das auch! Alle paar Viertelstunden hat er den Kopf aus der Brühe gestreckt und mir etwas auf den Rekorder geblubbert. He, und ich wusste nie, wann es so weit war ..." Das war, fand Alex, echt ätzend gewesen. Und als er daran dachte, waren ihm die Erinnerungen an das Interview so plötzlich präsent wie ein Werbepopup für Schmuddelseiten.

Schon die Landung war ein Erlebnis. Alex war noch nie zuvor aus einem Raumschiff mit Schwimmkufen gestiegen, aber erst als er bis zu den Hüften in Schlamm versank fiel ihm ein, dass er vergessen hatte Gummistiefel einzupacken. Dennoch machte er sich unverdrossen auf den Weg zum Obergurgler der Yakathi. Mit der auf dem galaktischen Schwarzmarkt erstandenen Übersetzungssoftware würde er der erste Mensch sein, der ein richtiges Interview mit einem Yakathi führen würde, in dem die Antworten aus mehr als den vier Worten "Kaufe!", "Verkaufe!" und "Sofort zahlen!" bestand. Das würde dafür sorgen, dass sein Konto endlich aus den roten Zahlen kam. Der schlichten Schönheit dieses Gedankens konnte selbst das schmodderige Gefühl zwischen seinen Zehen nichts anhaben.
  Der Obergurgler bewohnte seinen eigenen Tümpel. Alex hatte sich in weiser Voraussicht vor dem Flug die Wegbeschreibung über einen Informanten der Redaktion besorgt. Da es weder Tür noch Klingel gab, kniete er am Rand des Tümpels nieder und plätscherte mit der Hand in der braungrünen Tunke. Gerüche stiegen auf, die den Journalisten an sehr, sehr alte Socken erinnerten.
  Es dauerte nicht lange, bis sich der Obergurgler zeigte: sein riesiges Froschgesicht hob sich aus dem Wasser. "Blubb!" sagte er. "Kaufen? Verkaufen?" Seine kürbisgroßen Augen schimmerten feucht, aber interessiert.
  Alex schüttelte den Kopf. "Ich bin wegen dem Interview hier. Man hat mich angemeldet."
  "Blubb!" machte der Yakathi. "Sofort zahlen!" Und tauchte wieder unter.
  "He!" rief Alex, zückte seinen digitalen Minirekorder und watete in den Tümpel.
  Der Obergurgler tauchte wieder auf, schüttelte den massigen Schädel, dass Tang und Schlick nur so durch die Luft wirbelten, stieß eine ganze Kakophonie blubberiger Töne aus und verschwand wieder. Alex wartete geduldig, und tatsächlich streckte sein Interviewpartner nach einer Weile wieder den Kopf aus dem Wasser, produzierte seine nicht im Entferntesten an Sprache erinnernden Geräusche und war - Platsch! - auch schon wieder weg. Etwas frustriert und sich ein wenig dämlich vorkommend stand Alex, den Digicorder in der vorgestreckten Hand, im Tümpel. Aber er hatte nicht vor, aufzugeben. Grimmig hin und her watend entschied er, so lange zu bleiben, bis die Kapazitätsanzeige des kleinen Aufnahmegerätes rot blinken würde, und bei dieser Entscheidung blieb er, bis es dunkel wurde und die Nachtmücken aufschwärmten.

Ja, er hatte einiges auf sich genommen für dieses Interview! Keine vierundzwanzig Stunden war das her. Und jetzt wollte ihm die Chefredakteurin wegen eines knappen Zeitfensters und einer blöden Längenbegrenzung das Leben schwer machen?
  "Ach komm, Verena!" Alex legte so viel Honig in die Stimme, wie er nur konnte. "Zehn Wörter zu viel - wen stört das? Wir reden über Full Media Net News, eine hypermoderne digitale Informationssendung, die die Präsentation unserer Meldungen ohnehin automatisch aus dem Input generiert und sie dann weltweit ausstrahlt. Diese Wortbegrenzung ist doch völlig sinnlos!"
  "Beschwer dich bei der Gewerkschaft", empfahl Verena. "Ich habe die Regeln nicht gemacht. Du hast noch elf Minuten!" Damit trennte sie die Verbindung, das Fenster mit ihrem Konterfei bröselte auseinander und verschwand im virtuellen Nirwana.
  Zwölf Minuten! Zehn! Alex konnte nichts anderes tun, als wieder mit seiner Trommelei anzufangen. Neun. Acht. Sieben. Plink! Die Übersetzung war abgeschlossen. Fasziniert starrte Alex auf den Text, der endlich auf dem Monitor angezeigt wurde.

Raus!
...
Raus hier, Fremder!
...
Bist du taub? Raus! Du hast hier nichts zu suchen!
...
Hör mal, du sturer Sack - oft sage ich das nicht mehr, auch wenn ich ein sehr geduldiger Yakathi bin. Du kriegst mich noch so weit, dass ich meine gute Kinderstube vergesse!
...
Jetzt reicht es! Raus, raus, raus! Raus aus meinem Laichbecken, du Trampeltier. Meine Brut! Meine Quappen!
...
So, jetzt habe ich endgültig genug. Hör zu, Menschlein: du bist ungefragt und ungeladen in mein Laichbecken gekommen, hast alle Gesetze der Höflichkeit, der Achtung und des gegenseitigen Respekts missachtet, auf denen unsere Handelsbeziehungen gründen, und du hast mein halbes Gelege so tief in den Schlamm gedrückt, dass die armen Kleinen bei ihrer Geburt glauben müssen, sie wären Erdwürmer. Jetzt bin ich sauer. Stinksauer. Ach, jetzt gehst du? Zu spät! Das hilft dir nun auch nicht mehr. Ich erwarte dich hier in genau einem Tag deiner Zeitrechnung zum Rache - und - Blut - Duell. Und wage nicht, nicht zu erscheinen! Meine Kriegsflotte wird notfalls die ganze Menschheit in Sippenhaft nehmen!


Das, dachte Alex, sind aber mal betrübliche Nachrichten. Noch viel betrüblicher jedoch fand er den Wortzahl-Anzeiger am Ende des Textes. Hundertachtundsechzig. Eins zuviel. Mist!

#2 Joe Chip

Joe Chip

    The Saint

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Geschrieben 25 Februar 2003 - 20:39

na das wär ja ein anfang - egal ob zuviel worteeine echt gute kurzgeschichte mit einem sehr tiefsinnigen schlussmir gefälltsjoe chip  :bigcry:
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#3 Dave

Dave

    Hamannaut

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Geschrieben 25 Februar 2003 - 23:27

Ich finde, der Text liest sich angenehm und flüssig, keine Spur von der Unbeholfenheit erster Gehversuche. Eindeutig kein Erstlingswerk.Beeindruckend auch der Schluss, der nicht nur gut gelungen ist, sondern auch zu etwas Nachdenklichkeit auffordert.Als Nichtexperte, und aus dem Bauch heraus, glaube ich schon einiges Druckfertiges gelesen zu haben, das nicht so gelungen war.Etwas ist mir dennoch nicht ganz eingeleuchtet.Warum sind die Zahlungsmodalitäten des Obergurglers zuerst verständlich, anschließend aber übersetzungsbedürftig?Und welche Währung wurde wohl in dem Tümpel verwendet?Ansonsten habe ich immer größte Problem mit Comedy-Elementen in SF-Geschichten, ich frage mich dann: Wer braucht so etwas ?Aber das ist jetzt nur eine rein subjektive Bemerkung am Rande von mir.

#4 misc

misc

    Infonaut

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Geschrieben 26 Februar 2003 - 17:39

@Joe Chip

mir gefällts

Danke! @Dave Ebenfalls danke!

Etwas ist mir dennoch nicht ganz eingeleuchtet. Warum sind die Zahlungsmodalitäten des Obergurglers zuerst verständlich, anschließend aber übersetzungsbedürftig? Und welche Währung wurde wohl in dem Tümpel verwendet?

Gute Frage. Vielleicht haben sich die Froschlinge auf das Erlernen dieser vier Worte beschränkt, weil sie damit alles zum Ausdruck bringen können, was für sie beim Kontakt mit Menschen wichtig ist. Interessant ist Deine Frage nach der Währung (ganz generell): falls die Menschen wirklich einmal Handelsbeziehungen zu einer völlig fremden Spezies knüpfen, wie mag das dann aussehen? Wie lassen sich unterschiedliche (materielle) Wertesysteme miteinander verbinden - falls sie überhaupt "kompatibel" sind? Vielleicht gar nicht, und statt mit Geld wird mit Ressourcen gehandelt. Oder gibt's doch irgendwann einmal den Intergalaktischen Euro? Fragen, Fragen ... :)

Ansonsten habe ich immer größte Problem mit Comedy-Elementen in SF-Geschichten, ich frage mich dann: Wer braucht so etwas ? Aber das ist jetzt nur eine rein subjektive Bemerkung am Rande von mir.

Mit dem Humor (oder dem, was der Einzelne darunter versteht) ist's immer so eine Sache. Die Chance, daß das in die Hose geht, ist sicherlich weit größer als die Verwendung anderer stilistischer Mittel. Aber es gibt auch sehr schöne Beispiele dafür, daß es funktionieren kann - z.B. hätte mir "Per Anhalter durch die Galaxis" ohne Douglas Adams' genialen Sprachwitz sicher nicht mal halb so gut gefallen. Ad Astra, misc

#5 Markus

Markus

    Shiningonaut

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Geschrieben 26 Februar 2003 - 22:16

Kompliment. Gefällt mir sehr gut. Vorallem liebe ich Geschichten mit unerwartetem Ende.
Ad Astra !
SHINING

#6 Jürgen

Jürgen

    CyberPunk

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Geschrieben 27 Februar 2003 - 08:38

@miscDanke für diese köstliche Kurzgeschichte.   :P Hat mir ausserordentlich gut gefallen.Damit bist du für mich zwar kein Schriftsteller... aber du weisst, was eine Story ausmacht.... und damit weisst du mehr, als 90% der Leute, die sich selbst für einen Schriftsteller halten.Ich finde eine 1000 Worte Begrenzung übrigens besser, da man meiner Meinung nach die Spreu vom Weizen trennen kann.... und das es für eine "ernsthafte" KG ausreicht, sehen wir ja an diesem Beispiel.der Count
Aus dem Weg! Ich bin Sys-Admin...

#7 Holger

Holger

    Temponaut

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Geschrieben 27 Februar 2003 - 11:23

Köstlich! "Sofort zahlen!"  :biglaugh:

Damit bist du für mich zwar kein Schriftsteller...

Hm. Für mich schon.

Bitte beehre uns weiterhin mit solchen Ideen.

@all: wir müssen zusehen, dass wir diese 1000 WorteTradition etablieren. Wettbewerb hin oder her. Hat jemand Vorschläge?
"Rezensionen: eine Art von Kinderkrankheit, die die neugeborenen Bücher befällt."
(Georg Christoph Lichtenberg)

#8 misc

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    Infonaut

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Geschrieben 27 Februar 2003 - 13:48

@Shining, CountZero, Holger
Danke für das Lob!

@Countzero

Ich finde eine 1000 Worte Begrenzung übrigens besser, da man meiner Meinung nach die Spreu vom Weizen trennen kann...

Bei einem richtigen Kurzgeschichtenwettbewerb: sicherlich, obwohl mein Beitrag auch dann wegen Überlänge rausgeflogen wäre - eins zuviel. Mist! Aber Ronnis Aufruf habe ich eher als den zu einer "just for fun"-Aktion verstanden, und da dürfte die Beschränkung auf 1000 Zeichen eine kleinere Mitmach-Hürde sein als eine 1000-Wörter-Vorgabe.

@Holger

@all:wir müssen zusehen, dass wir diese 1000 WorteTradition etablieren. Wettbewerb hin oder her. Hat jemand Vorschläge?

Das halte ich für schwierig. Wenn man sich auf Storyboards ein wenig umschaut, zeigt sich schnell, daß solchen Aktionen entweder rasant schnell die Luft ausgeht oder sie - wenn etwas "höher aufgehängt", mit Preisanreiz & Drum und Dran - für die Veranstalter ordentlich in Arbeit ausarten können. Daher sollte hier der Faktor Spaß im Vordergrund stehen (obwohl natürlich auch die Besinnung auf das Wörtchen "Werkstatt" im Titel dieser Rubrik reizvoll sein könnte).
Vielleicht ein 1000-Zeichen-(oder -Worte)-Thema jedes halbe oder dreiviertel Jahr?
Wenn sich dabei herausstellt, daß sich regelmäßig schreibende & lesende Teilnehmer finden, kann man immer noch überlegen, ob und wie man mehr daraus machen kann.

Ad Astra,
misc

#9 Holger

Holger

    Temponaut

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Geschrieben 28 Februar 2003 - 01:09

Daher sollte hier der Faktor Spaß im Vordergrund stehen ...

Das auf jeden Fall. Ich dachte auch weniger daran hier eine bierernste Tradition zu forcieren. Es wäre einfach nur schön, wenn sich ab und zu hier ähnliche Perlen auftreiben ließen. :biglaugh:
"Rezensionen: eine Art von Kinderkrankheit, die die neugeborenen Bücher befällt."
(Georg Christoph Lichtenberg)

#10 misc

misc

    Infonaut

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Geschrieben 02 März 2003 - 09:32

Eine druckfrische Info zum Thema "Story-Wettbewerbe": gerade flatterte mir der Corona-Newsletter in den Mailkorb (Corona ist das EZine von SF-Radio.de), dort startet in Kürze ein Storywettbewerb. Wer Lust hat, sich an so einer Aktion zu beteiligen, findet ab Montag Details auf der Corona-Page. Ad Astra, misc

#11 tichy

tichy

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Geschrieben 04 Dezember 2003 - 10:00

[edit: verschoben in eigenen thread -- tichy]

Bearbeitet von tichy, 15 Dezember 2003 - 09:54.

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