"Vaterland", von Robert Harris
#31
Geschrieben 07 März 2012 - 16:16
- • (Buch) gerade am lesen:Gene Wolfe "Sword and Citadel"
#32
Geschrieben 07 März 2012 - 19:37
Das mit dem Namen ist eigentlich deshalb bizarr, weil Harris Unmengen völlig normaler deutscher Namen verwendet, nicht nur bei den historisch verbürgten Nazis, sondern auch beim sonstigen Personal. Außerdem kommen auch viele deutsche Begriffe im Text vor, was den deutschen Leser ziemlich verwirrt, wenn das Wort im Deutschen dekliniert werden müßte. Damit kommt Harris bewundernswert klar. Nur die Hauptperson fällt raus.
Inkohärent ist es, keine Frage. Und falls es tatsächlich Harris' Absicht gewesen sein sollte, dem englischsprachigen Publikum die Aussprache des Namens des Protagonisten zu erleichtern, hätte er das sicherlich anders handhaben können.
Zumal genau das von dir Geforderte ja eintrifft: keine Normalisierung, allgemeiner Terror. Den Leuten ist bewusst, dass unangepasstes Verhalten im Lager enden kann - und sie passen sich an. Das Buch spielt auch Mitte der 60er, also relativ nahe am Krieg.
Dass von der Judenvernichtung keiner gewusst hat, wird gar nicht behauptet. Es hat keiner wissen wollen. Die Leute verdrängen das Problem ganz offenbar, denn Xavier March bekommt nie eine Antwort auf die Frage nach seinen Vormietern. Statt dessen bekommt er eine Akte wegen Querulantentums.
Ich glaube, da meinen wir unterschiedliches (oder ich habe mich zu schwammig ausgedrückt): Die Bespitzelung der Bevölkerung und Repressionen gegen angebliche oder wirkliche Querulanten sind Normalzustand in Diktaturen, wie man sie aus dem 20. Jahrhundert zuhauf kennt. Mein Problem mit Fatherland ist aber, dass der Nationalsozialismus keine in diesem Sinne »normale« Diktatur war, sondern geprägt von dauerndem Massenmord und Vernichtungskrieg. Im Vordergrund stand die Durchsetzung der eliminatorischen Ziele und Eroberungspläne, nicht die gewaltsame Konsolidierung der Diktatur nach innen (das wäre auch gar nicht nötig gewesen, denn die Bevölkerung stand mehrheitlich hinter der Führung). Und es gab keine historischen Anzeichen, dass der Nationalsozialismus sich, hätte er den Krieg gewonnen, in eine »normale« Diktatur verwandelt hätte (wie es in der Sowjetunion nach dem Stalinismus der Fall war). Im Gegenteil, es lagen bereits Pläne vor, mit der industriellen Massenvernichtung von Menschen und größenwahnsinnigen Neuordnungsplänen auch nach dem Krieg fortzufahren. Deshalb meinte ich, dass Dicks Nazideutschland, das nach dem gewonnenen Krieg mit der Trockenlegung des Mittelmeers und der Vernichtung der afrikanischen Bevölkerung fortfährt, in gewisser Hinsicht den Nationalsozialismus besser charakterisiert als Fatherland (so überspitzt Dicks Szenario im einzelnen auch sein mag). Was in Fatherland an Unterdrückung geschildert wird, ist halt mehr oder weniger typisch für jede Diktatur: Wer nicht angepasst genug ist, steigt beruflich nicht auf, wer zu viele Fragen stellt, wird abserviert. Die Jugend verhält sich gemäßigt rebellisch, indem sie verbotene Musik hört, Widerstandsgruppen pinseln Parolen an die Wände und halten sich ansonsten bedeckt. Gegenüber dem Ausland bemüht man sich, einen möglichst harmlosen Eindruck zu machen. Wo ist da der allumfassende, fanatische Vernichtungswahn des realen Nationalsozialismus?
Dass von der Judenvernichtung keiner gewusst hat, wird gar nicht behauptet. Es hat keiner wissen wollen. Die Leute verdrängen das Problem ganz offenbar, denn Xavier March bekommt nie eine Antwort auf die Frage nach seinen Vormietern. Statt dessen bekommt er eine Akte wegen Querulantentums.
Danke, das hatte ich so nicht mehr auf dem Schirm. Ich frage mich, ob Harris sich da, was die Verdrängung angeht, ein bisschen von den Verhältnissen in der Nachkriegsbundesrepublik (sich lammfromm geben und von nichts gewusst haben wollen) hat inspirieren lassen.
#33
Geschrieben 14 März 2012 - 14:12
- • (Buch) gerade am lesen:Gene Wolfe "Sword and Citadel"
#34
Geschrieben 15 März 2012 - 01:14
Bearbeitet von Anubizz, 15 März 2012 - 01:30.
#35 Gast_Dirk_*
Geschrieben 15 März 2012 - 15:59
#36
Geschrieben 15 März 2012 - 23:14
Ich habe das Setting so verstanden, dass ein Großteil der Kräfte gebunden war (durch den Krieg im Osten). Dies, und eine Art tiefes Luftholen, bevor der richtig große Schlag erfolgen soll, erschien mir schon irgendwie realistisch.
Immerhin ist HItler in diesem Buch auch nicht mehr der Jüngste.
Dass mir dieses Setting historisch nicht so plausibel vorkommt, hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass ich stark von Büchern wie Ralph Giordanos Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte und eben The Man in the High Castle beeinflusst bin. Sonst würde ich die Entwicklung, die in Fatherland gezeichnet wird, möglicherweise auch anders sehen – oder habe sie vielleicht auch schon mal anders gesehen, aber um das sagen zu können, ist meine Lektüre von Fatherland einfach schon zu lange her, glaube ich.
#37
Geschrieben 17 März 2012 - 18:01
- • (Buch) gerade am lesen:Gene Wolfe "Sword and Citadel"
#38
Geschrieben 17 März 2012 - 22:31
P.S.: Das beste Buch, das m.E. (wirtschaftliche) Kosten & Kriege nebeneinander analysiert, ist Paul Kennedys Aufstieg & Fall der großen Mächte!
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere WĂĽnsche erfĂĽllen,
dann wĂĽnschen wir einfach mit Willen
die WĂĽnsche-ErfĂĽllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller WĂĽnsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
#39
Geschrieben 28 März 2017 - 20:47
Neuausgabe von Robert Harris†™ Alternativwelt-Klassiker „Fatherland“
...
Zum 25-jährigen Jubiläum bekam der Klassiker und Longseller aus der Ecke der kontrafaktischen Geschichtsschreibung nun eine Neuausgabe mit durchgesehener, überarbeiteter Übersetzung und einem Nachwort von Robert Harris spendiert.
...
Christopher Menauls TV-Verfilmung von „Vaterland“ mit Rutger „Blade Runner“ Hauer und Miranda Richardson aus dem Jahre 1994 kommt am 7. April dagegen erstmals auf DVD heraus.
...
super buch und auch super film
buch hab ich bisher das hier, mal gucken ob ich mir das neue hole, film aber auf jeden fall
#40
Geschrieben 02 April 2017 - 14:30
Film und v.a. Buch sind es wert, konsumiert zu werden! Vielleicht besorge ich mir das Jubiläumsbuch - vielen Dank für den Hinweis!
/KB
Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.
Da ergriff eins der kleinsten das Wort:
"Wenn sich all unsere WĂĽnsche erfĂĽllen,
dann wĂĽnschen wir einfach mit Willen
die WĂĽnsche-ErfĂĽllung fort!"
Sie befolgten den Rat und von Stund an war
wieder spannend das Leben und heiter.
Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr
und vielleicht gar ein wenig gescheiter.
(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller WĂĽnsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)
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