Hallo Tiff
Ja, es ging wirklich gerade eben so, mit der Lesbarkeit dieser ewig langen Rückblende. Da gebe ich dir vorbehaltlos Recht.
Zudem fehlte da mitten in dem Text eine Passage (
ER, der im Dunkeln auf das warme Rote wartet), die ich zuerst ans Ende gesetzt hatte.
Das hat auch nicht gerade zur Stimmung beigetragen.
Ich habe deswegen den Einstieg umgestaltet, die Rückblende in die "Gegenwart" geholt, und zudem wegen der gewünschten Atmosphäre den Einstieg erweitert.
Das Fünfte Kapitel wird eines der längsten der Novelle werden, da sich hier einige Ergeignisse ... hm ... ballen, die den weiteren Verlauf der Geschichte maßgeblich mitbestimmen.
Die hier eingestellte Passage ist deswegen auch ungewöhnlich lang, obwohl sie wirklich nur den Einstieg in dieses Kapitel darstellt
Aber gerade hier kommt eben die gewünschte "Stimmungskurve", in der sich der humorige Tonfall langsam in einen eher bedrohlichen / paranoiden ändert.
Wichtig vielleicht:
Nach wie vor soll "Gottes letzte Kinder" kein Horrorkracher werden, sondern eher eine Postapokalyptische Abenteuernovelle, mit einem Touch Dark Fantasy.
Ist der Einstieg vor dem Hintergrund dieses Ziels so leichter, und atmosphärisch angenehmer zu lesen?
Vielen lieben Dank für alle Hilfen

So wie ich kann und ihr Hilfe benötigt, revanchiere ich mich natürlich!
Dirk
V. Kapitel
"Der lange Weg"
...Frank legte nach dem Funkgespräch eine nahezu unmenschliche Aktivität an den Tag. Im Licht der Propangaslampe schrieb er auf die Tafel des ehemaligen Klassenzimmers eine Liste mit all den Dingen, die sie dringend benötigten. Zu jeder einzelnen Position ermittelte er das geschätzte Gewicht und den Platzbedarf. Danach teilten sie gemeinsam die Ausrüstungsstücke auf zwei Haufen, um abschätzen zu können, wie groß und stabil ihre improvisierten Rucksäcke sein mussten. Zwei Kopfkissenbezüge reichten tatsächlich aus, um alles auf zwei Personen zu verteilen, und ihnen trotz der Belastung noch ausreichend Bewegungsfreiheit zu gewähren.
Frank und Sandra zogen gerade die Bezüge zweier Kopfkissen ab, als von unten ein dumpfes Pochen durch die Schule hallte. Starr vor Schreck hielten die beiden inne. Lauschten auf den Lärm, warteten darauf, dass die Tür mit einem Knall zufallen, und schlurfende Schritte die Treppen heraufkommen würden. Sandra schoss ein Bild aus ihrer Kindheit durch den Kopf. Nur mit Mühe konnte sie ein Zittern und Tränen zurückhalten.
...Das Monster kommt! Er hat wieder seinen Lohnstreifen versoffen und eine Stinkwut auf alles und jeden. Ob Mama jetzt auch in ihrem Bett liegt und Angst hat?
...Ihre Finger verkrampften sich um das lange Fleischmesser, dass sie als einzige Waffe auf ihrer Flucht von Daheim hatte retten können. Es war wie ein Anker der sie in Realität zurückholte. Nicht das die besonders schön war, aber immerhin würde es nicht ihr Vater sein, der da unten versuchte einzudringen. An diesem Gedanken hielt sie sich fest.
...Das da unten war nicht ihr Vater, konnte es nicht sein, denn er war schon vor Jahren mit einer Leber gestorben, die fester und dichter gewesen war, als ein alter Wackerstein. Hoffentlich unter großen Schmerzen.
...Sandra hasste sich für diesen boshaften Gedanken.
...Das Pochen verstummte nach einer Weile. Sie sah Frank an, dessen Gesicht wie ein bleicher Ballon im schwachen Licht der Propangaslampe über seinem bunten Rennanzug schwebte. Sie warteten noch einen Moment, dann machte sie sich schweigend wieder an die Arbeit. Sandra schnitt mit ihrem Messer ein Laken in lange Streifen, verwob jeweils zwei dieser Streifen zu einem Gurt und führte diese durch zwei Löcher in den Bezügen. Bequem waren die Rucksäcke nicht, aber sie erfüllten ihren Zweck. Vielleicht würden sie auf ihrem Weg ja die Möglichkeit bekommen sie gegen echte auszutauschen.
...Dann setzte sie sich auf eines der Betten, lehnte sich an die Wand am Kopfende, und sah Frank dabei zu, wie er auf der Tafel eine grobe Skizze ihres Weges zeichnete.
...Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
***
...Er wartete in der Dunkelheit.
...Reglos.
...Selbst als von irgendwoher ein dumpfes Geräusch durch das Dunkel hallte, blickte er nur mäßig interessiert in die ungefähre Richtung. Die anderen, die so wie er waren, flüchteten sich in sinnlose Aktivität, huschten durch die Dunkelheit, klopften hier, stöhnten dort †¦ sie nervten ihn.
...Ein interessantes Gefühl.
...Nerven.
...Was war das?
...Er lauschte in sich hinein, und begutachtete die abstrakten Begriffe wie
Auto,
Ballon,
Würstchen und
genervt sein. Das schienen Dinge zu sein, die für ihn vor dem großen Schlaf von einiger Bedeutung gewesen sein mussten. Dabei fielen die drei Begriffe genervt sein, Ballon und Würstchen immer in einen Zusammenhang mit einem Bild von einem kleineren, warmen Roten, das ihn umarmte.
...Während er da stand und wartete, versuchte er dieses Bild irgendwie besser zu verstehen. Immer wenn das kleine, warme Rote in seinem Bewusstsein auftauchte, glaubte er zudem eine Stimme zu hören, was ihn enorm verwirrte.
...Nochmal, Papa. Bittebittebitte nochmal, Papa.
...Das Gefühl genervt zu sein vermischte sich in diesen Momenten mit einem anderen Gefühl, das ihn den bohrenden Hunger in seinem Inneren vergessen ließ.
...Liebe?
...Was war
Liebe?
...Papa?
...War das sein Name?
...Mit diesem verwirrenden Gefühl kam zugleich auch
Stolz in ihm hoch.
Stolz und Trauer vermischten sich miteinander auf verwirrende Weise, und das diffuse Bild
seines Autos schob sich immer wieder vor sein Sehen.
...Seines Autos?
...Hatte er vor dem großen Schlaf auch ein Auto gehabt?
...Wenn er das Bild seines Autos in sein Bewusstsein hervorholte, so wurde das Gefühl der Trauer in ihm so stark, dass er sogar laut aufstöhnte, was ihn aus seinem Nachdenken wieder zurückholte. Sein Blick klärte sich. Einer der anderen war an das Auto gekommen, und klopfte darauf herum. Das dunkle Heiße schoss mit aller Wucht in ihm nach oben. Er ging auf den Anderen zu, packte ihn an den Schultern und schleuderte ihn zur Seite.
...Niemand durfte das Auto anfassen!
...Der Andere blickte ihm mit dumpfer Verständnislosigkeit ins Gesicht, bevor aufstand und seines Weges ging. Zufrieden zog er sich zurück in sein Versteck.
...Die angenehme Dunkelheit hüllte ihn und seine Gedanken wieder ein.
...Und er dachte von sich selber ab jetzt als
Papa.
Irgendwie ein gutes Gefühl, egal wie abstrakt es auch sein mochte.
***
...Sandra erwachte aus einem kurzen und unruhigen Schlaf. Orientierungslos blickte sie sich um. Dann sah sie Frank an einem der Fenster stehen, und in die Morgendämmerung hinausblicken. Die Sonne färbte einen breiten Streifen des Himmels in ein rötliches Glühen. Keine Wolke war zu sehen. Der Prolog des nahenden Tages versprach wunderbares Wetter.
...Helles Wetter.
...Sandra war froh darüber.
...Die da draußen mochten es nicht, wenn es zu hell war.
...Dieser Gedanke rief ihr ins Gedächtnis, was sie heute tun wollten. Ihr Blick fiel auf die improvisierten Rucksäcke und die Wegskizze an der Tafel. Sie hatten alles getan, um ihre kleine Rettungsexpedition so sicher wie möglich zu gestalten. Frank drehte sich um und lächelte sie an.
...»Morgen. Kaffee? Ist aber leider nur löslicher, und warm ist er auch nicht mehr.«
...»Danke, ja. Wie spät ist es?«
...»Kurz vor Acht.«
...»Hast du schon was von den Kindern gehört?«
...»Nein. Und auch sonst herrscht im Äther Funkstille. Wir scheinen wirklich die Letzten zu sein.«
...Sandra sah etwas in Franks Augen. Etwas, dass sie beunruhigte.
...»Was hast du?«
...»Bitte?«
...»Du wirkst plötzlich so †¦ anders. Irgendwie gedämpfter als noch vor ein paar Stunden, wo du beinahe vor Aktivität explodiert bist.«
...Frank wandte sich wieder um. Sein Blick glitt aus dem Fenster, wo sich die schattenhaften Umrisse Kölns scharf gegen den Sonnenaufgang abhoben.
...»Das Ganze ist Wahnsinn. Und das weißt du auch.«
...»Willst du einen Rückzieher machen?«
...»Nein. Das kann ich nicht. Frag mich nicht warum, aber es geht einfach nicht.«
...»Du hast Angst.«
...»Ja. Auch. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, das da noch mehr ist. Es ist, als würde da draußen etwas auf mich warten.«
...»Was meinst du?«
...Frank seufzte. Langsam drehte er sich wieder um. Sandra zuckte erschrocken zusammen, denn in dem dämmerigen Licht sah er wie einer von den Zombies aus. Nur dass aus seinen Augen Intelligenz blitzte.
Intelligenz und †¦ Selbstaufgabe? Sandra schluckte. Frank wirkte in diesem Moment, als sei er einer dieser Selbstmordattentäter, die sich mit einem Gürtel voller Sprengstoff um den Bauch in eine Menschenmenge stürzten. Schweigend zuckte Frank mit den Schultern. Er konnte sein Empfinden offenbar ebenso wenig in Worte fassen, wie Sandra das unbestimmbare Gefühl des Unausweichlichen eindeutig benennen konnte, das sich plötzlich in ihrem Bauch eingenistet hatte.
...»Bist du sicher, dass wir das auch wirklich wagen sollen?«
...»Ja. Mach dich in Ruhe fertig und iss was. Es wird ein langer Weg.«
***
...Sandra sah in den Spiegel des Waschbeckens. Das Wasser lief nicht mehr, weil es keinen Strom mehr für die Pumpen im Keller der Schule gab. Also hatte sie wieder nur eine Katzenwäsche mit einer kleinen Wasserflasche aus dem Trinkwasservorrat der abgezogenen Einsatzkräfte und einer handvoll Seife aus dem Spender absolviert. Über den Flur hallte Franks Stimme, der mit Jonas wie vereinbart über Funk in Kontakt stand. Sie sah furchtbar aus, fand sie, selbst in der halbgaren Beleuchtung der Propangaslampe. Ungeschminkt, die Haare strähnig, und trotz aller Bemühungen roch sie wie ein Auerochse in der Brunft- und Paarungszeit.
...Aber sie lebte.
...Auch ohne all die angenehmen Dinge, die eine rasend schnelle Konsumgesellschaft so dringend benötigt hatte, um sich selber gut und wichtig und funktionierend zu fühlen.
...Keine Handys, keine Kriege, keine Dauerwerbesendungen, keine neuen Diäten, damit frau sich im kommenden Herbst auch weiterhin in das kleine Schwarze quetschen konnte. Lippenstifte, Haarpflegekuren und Deos waren in dieser neuen Welt ebenso unwichtig geworden, wie die aktuellsten Aktienkurse, hohle Politikerfloskeln über wachsende oder sinkende Arbeitslosenzahlen im Angesicht eines wirtschaftlichen Ab- oder Aufschwungs; und die Frage, ob sie sich lieber ein sündhaft teures Paar Schuhe kaufen sollte, wenn es ein anderes Paar zu einem wesentlich günstigeren Preis doch auch tat, hatte sich ebenfalls mit einem Schlag erledigt.
...Erstaunt schüttelte sie den Kopf.
...Das Leben war einfacher und komplizierter zugleich geworden. Die Katastrophe hatte gewisse Dinge des Lebens wieder in die jeweils richtige Perspektive gerückt, die Prioritätenliste einer von sich selbst und ihren Errungenschaften gelangweilten Menschheit einer brutalen Neustrukturierung unterzogen.
...Wie hatte Frank letzte Nacht so launig angemerkt?
...Die Menschheit hatte auf einem dahinrasenden Laufband gestanden und war im Begriff gewesen sich selber zu überholen, als der alte Mann da oben das Band abrupt zum Stehen gebracht hatte.
...Und das spürte man.
...Die Luft über Köln hatte früher immer einer Käseglocke aus Abgasen geglichen. Die Stimmen der Vögel waren unter dem Lärm unzähliger Autos, Busse und Menschen nicht mehr zu hören gewesen, und das Tosen des Kreislaufs der Zivilisation war für sie zu einem alltäglichen Hintergrundrauschen geworden, dass sie zwar gehört, aber nicht mehr bewusst wahrgenommen hatte.
Jetzt, nach †¦ wie lange war es her, dass die Menschheit vor die Hunde gegangen war? Zwei oder drei Monate? Schon nach dieser kurzen Zeit sangen die Vögel wieder ihre morgendlichen Begrüßungen in den Sonnenaufgang, der Himmel war klarer, selbst wenn es regnete und die Stille, die sie anfangs noch teilweise wie ein wildes Tier angesprungen hatte, war zu einem willkommenen Freund geworden, den sie jeden Tag aufs Neue begrüßte.
...Ja, das Leben war für Sandra einfacher geworden.
...Lebenswerter trotz, oder gerade wegen, dem täglichen Kampf ums Überleben, den die meisten ihrer Mitmenschen nicht geschafft hatten. Man begann die kleinen Dinge schätzen zu lernen, die einem den Tag retteten.
...Schritte erklangen im Hausflur. Sandra drehte sich mit einem Lächeln um. Frank stand in der Tür. Sein Blick war wach und konzentriert, aber nicht mehr so schicksalsergeben, wie noch vor knapp einer Stunde.
...»Bist du soweit?«
...»Noch vor ein paar Wochen hätte ich dich entweder aus dem Bad geworfen, oder dir mit unmissverständlichen Worten klar gemacht, dass eine Frau erst dann fertig ist, wen sie eben fertig ist.«
...Frank lächelte, runzelte aber gleichzeitig die Stirn. Es sah lachhaft aus, wie er versuchte klug, und nicht allzu verwirrt auszusehen.
...»Wie meinen?«
...»Du wirst mich so zu unserem Ausflug ausführen müssen, wie ich jetzt hier vor dir stehe.«
...Verstehen dämmerte in Franks Gesicht, und er grinste wie ein kleiner Junge.
...»Sandra, du siehst umwerfend aus. Es erfüllt mich mit Stolz, eine so schöne Frau an meiner Seite wissen zu dürfen.«
...»Schleimer.«
...Frank zwinkerte ihr zu. Dann wurde er ernst. Der ungezwungene Moment ihrer Witzeleien verflog wie ein Sonnenstrahl hinter einer Wolke.
...»Wir sollten uns beeilen. Jonas und die anderen Kinder halten nicht mehr lange aus. Wenn wir es schaffen, sollten wir auch eine Apotheke suchen. Wir brauchen dringend ein paar Aspirin, Antibiotika und Verbandszeug.«
...Sandras Lächeln erstarb auf ihrem Gesicht. Sie spürte, wie die Notwendigkeiten ihres neuen Lebens wie dicke Hagelkörner auf ihre ungeschützten Glücksgefühle einprasselten. Medikamente.
...Ja.
...Ärzte gab es wohl keine mehr. Ein Kratzer konnte schon zu einer Blutvergiftung führen, die wiederum zum Tod †¦ und anschließend zu noch viel Schlimmeren. Sie nickte.
...»Dann lass es uns hinter uns bringen.«
***
Bearbeitet von Dirk, 04 September 2011 - 10:08.