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Evolutionsbiologie und ihre politischen Einsichten / Umsetzungsmöglichkeiten


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34 Antworten in diesem Thema

#31 Seti

Seti

    Zeitreisebegleiter durch die Windener Höhlen

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Geschrieben 19 Dezember 2011 - 17:57

Hallo zusammen,

um eines gleich vorweg zu nehmen: ich bin nicht überzeugt davon, dass in diesem Forum jemand versucht hat, rechtes Gedankengut zu verbreiten (ich fände es unhöflich, hier einen Namen zu nennen).

Ich glaube eher, dass das Problem ganz woanders liegt - nämlich, dass in unserer Gesellschaft die Meinung auf dem Vormarsch ist, dass sich die Welt und die Menschen, die auf ihr leben, sowieso nicht ändern lassen. Ich denke, deshalb wurde an anderer Stelle von jemandem die These vertreten, man solle Konflikte sich selbst überlassen. Da dabei an einer gefährlichen Grenze entlangspaziert wurde, habe ich versucht, möglichst sachlich Argumente gegen diese Meinung vorzubringen.
Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, dabei möglichst objektiv zu bleiben - aber ich habe mir wirklich Mühe gegeben, dass zu sein.

Ich glaube, das Problem ist, dass sich heutzutage viele Menschen nicht mehr um ihre Mitmenschen scheren. Um mal eine gewagte These in den Raum zu werfen: Ich finde, dass seit dem Ende des Kalten Krieges die Weltgemeinschaft nahezu keinen Schritt nach vorn gemacht hat (höchstens in den Cyberspace). Dieselben Konflikte und Probleme, die schon vor zwanzig Jahren geherrscht haben, herrschen heute immer noch. Manchmal verändern sie sich minimal, manchmal wechseln sie auch nur den Schauplatz. In so einer Welt bin ich seit 1984 aufgewachsen und ich habe in meinem Leben genug Leute kennengelernt, die deshalb der Meinung sind, dass jeder sich selbst überlassen sein sollte.
Man brauch doch nur die Kommentare unter Katastrophen-, Anschlags- und Unfallmeldungen bei GMX oder Web.de lesen, damit einem vor Gefühlskälte schlecht wird. Die meisten dort können ihre Meinung nicht einmal begründen, sie sind da schlicht rein gewachsen. In einem anderen Thread wurde wenigstens noch der Versuch unternommen, das mit der Evolution zu erklären.

Ich weiß, das klingt jetzt wie eine Plattitüde: Aber die Welt, in der wir leben, ist das, was wir daraus machen. Und dabei spielt es nicht den Hauch einer Rolle, was Darwin, Mendel oder Freud irgendwann einmal über unsere Ursprünge, Gene oder unser Verhaltens postuliert haben. Außerdem fällt die Alternative, auf den Mars, nach Europa (dem Mond) oder zu Kepler 22b auszuwandern, vorerst flach.

Um es mal ganz non-evolutionär auf die Population in unserem Habitat zu beziehen: Wenn man an der Bushaltestelle einen besoffenen Löwen sieht, der sich an eine grazile Antilope heranpirscht, dann sollte man den Kopf nicht in den Sand stecken. Und wenn man in der U-Bahn ein Rudel bekiffter Hyänen sieht, die über ein altes Zebra herfallen, dann sollte man verdammt nochmal eine grüngekleidete Elefantenstampede herbeirufen.

Meine Meinung,

Seti

Edit: Nachdem ich nochmal eine Nacht darüber geschlafen habe, habe ich den Namen des anderen Threads entfernt und den zweiten Absatz etwas umformuliert, da der Querverweis mMn nichts fruchtbares zur Diskussion beitragen würde. Und ich habe das nicht im ersten Satz unterstrichen.

Bearbeitet von Seti, 20 Dezember 2011 - 13:27.

"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"

- The Talos Principle


#32 simifilm

simifilm

    Cinematonaut

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Geschrieben 19 Dezember 2011 - 18:19

Ich glaube, das Problem ist, dass sich heutzutage viele Menschen nicht mehr um ihre Mitmenschen scheren. Um mal eine gewagte These in den Raum zu werfen: Ich finde, dass seit dem Ende des Kalten Krieges die Weltgemeinschaft nahezu keinen Schritt nach vorn gemacht hat (höchstens in den Cyberspace). Dieselben Konflikte und Probleme, die schon vor zwanzig Jahren geherrscht haben, herrschen heute immer noch. Manchmal verändern sie sich minimal, manchmal wechseln sie auch nur den Schauplatz. In so einer Welt bin ich seit 1984 aufgewachsen und ich habe in meinem Leben genug Leute kennengelernt, die deshalb der Meinung sind, dass jeder sich selbst überlassen sein sollte.


Diese Einschätzung hängt sehr davon ab, anhand von was Du Fortschritte misst. Zahlreiche Kennzahlen haben sich in den vergangenen Jahren konstant verbessert. Wenn Du Werte wie Lebenserwartung, Durchschnittseinkommen, medizinische Versorgung etc. anschaust, ging es noch nie so vielen Menschen so gut wie heute. Wahrscheinlich — falls jemand konkrete Zahlen hat, kann er mich gerne widerlegen — sind auch schon lange nicht mehr nie so wenig Menschen durch bewaffnete Konflikte umgekommen wie in den letzten 20 Jahren.

Ich möchte nun keineswegs als naiv-optimistischer Verfechter des Status quo dastehen, aber der erste Absatz meines Posts weist meiner Meinung nach auf zwei grundlegendere Probleme hin (die mit dem eigentlichen Thema das Threads nur wenig zu tun haben): An was machen wir den Fortschritt der Menschheit konkret fest. Und: deckt sich unsere subjektive Wahrnehmung des Zustands der Welt tatsächlich mit objektiven Fakten.

Ein Beispiel: Ich hatte an einem Fest kürzlich ein Gespräch mit meinem Tischnachbar, in dem es um die Kriminalität in Zürich ging. Er — ein muskulöser Kerl, der alle möglichen Kampfsportarten betreibt — vertrat die Ansicht, dass man in gewissen Quartieren abends nicht (mehr) sicher sei. Ich hielt diese Einschätzung für Unsinn; ich habe in über zehn Jahren hier noch nie Gewalt erlebt oder Kriminalität, die über einen Fahrraddiebstahl hinausgegangen wäre. Wir wohnen beide in der gleichen Stadt, kommen aber zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen. Wir argumentierten aber beide nicht auf der Basis von Verbrechensstatistiken, die tatsächlich belegen könnten, ob es in manchen Quartieren heute gefährlicher ist als beispielsweise vor 15 Jahren (dass auch diese Statistiken richtig gelesen werden müssen, sei hier nur am Rande erwähnt). Auf was ich hinaus will: Wir beide gingen jeweils von unseren subjektiven Einschätzungen aus und kamen zu Ergebnissen, von deren Richtigkeit wir felsenfest überzeugt sind. Ob jemand von uns objektiv Recht hat, haben wir freilich nicht überprüft. Und ich würde behaupten, dass viele Menschen in sehr vielen Dingen, die über ihren persönliche Umkreis hinausgehen, so funktionieren.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

Filmkritiken und anderes gibt es auf simifilm.ch.

Gedanken rund um Utopie und Film gibt's auf utopia2016.ch.

Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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  • (Buch) gerade am lesen:Samuel Butler: «Erewhon»
  • (Buch) als nächstes geplant:Samuel Butler: «Erewhon Revisited»
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  • • (Film) Neuerwerbung: Filme schaut man im Kino!

#33 Gast_Dirk_*

Gast_Dirk_*
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Geschrieben 19 Dezember 2011 - 19:01

Hi Simi Eingefügtes Bild

Ich möchte nun keineswegs als naiv-optimistischer Verfechter des Status quo dastehen, aber der erste Absatz meines Posts weist meiner Meinung nach auf zwei grundlegendere Probleme hin (die mit dem eigentlichen Thema das Threads nur wenig zu tun haben): An was machen wir den Fortschritt der Menschheit konkret fest. Und: deckt sich unsere subjektive Wahrnehmung des Zustands der Welt tatsächlich mit objektiven Fakten.


Ich denke, dass dein Ansatz zu den grundlegenderen Problemen, doch sehr viel mit diesem Thread zu tun hat.
Das, was ich als Threadstart ansprach / anschnitt, sind eher Symptome, keine Ursachen.

Auf die Schnelle sehe ich die von mir im Zitat hervorgehobene Fragestellung so beantwortet:

Ursache:
Fortschritt, derzeit in erster Linie rein technisch messbar. Höhere Lebenserwartung, mehr Konsummöglichkeiten etc.

Symptom:
Die Kehrseite ist der subjektive Eindruck (nur in den Industrienationen):
Mehr Druck zu funktionieren, um am technischen Fortschritt (auch höhere Lebenserwartung) teilhaben zu können, weniger Freiheit im Sinne von Freizeit und Selbstverwirklichung, mehr Spezialisierung und Theoretisierung im Berufsleben das sehr tief mit der Möglichkeit Freiheit und Selbstverwiriklichung auch tatsächlich zu genießen einschränkt und die zusammen eine Chancenungleichheit herbeiführen.
In den Entwicklungsländern führt der technische Fortschritt immer stärker zu Verhältnissen, die wir seit Abschaffung der Sklaverei und der Kolonisierung "wilder Länder" eigentlich abgelegt haben sollten.

Das Ergebnis / die "Krankheit" (hier bei uns):
Mehr Frust beim Einzelnen, der sich daraufhin anderen Gefrusteten anschließt, die Suche nach Sündenböcken wird forciert, radikales Gedankengut (links und rechts) findet immer mehr Anhänger, während eine gemäßigte Mitte immer weiter verschwindet.
In den Entwicklungsländern:
Verstärkter Zulauf zu radikalen Glaubensgruppen, Hass auf den reichen Rest der Welt und auch hier die Suche nach Sündenböcken.

So sehe ich das, in knappe Worte gefasst.

Klasse Beiträge, Seti und Simi Eingefügtes Bild

Bearbeitet von Dirk, 19 Dezember 2011 - 19:03.


#34 Seti

Seti

    Zeitreisebegleiter durch die Windener Höhlen

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Geschrieben 19 Dezember 2011 - 20:16

Diese Einschätzung hängt sehr davon ab, anhand von was Du Fortschritte misst.
[...]
An was machen wir den Fortschritt der Menschheit konkret fest. Und: deckt sich unsere subjektive Wahrnehmung des Zustands der Welt tatsächlich mit objektiven Fakten.

Da gebe ich dir Recht. Meine These ist eine rein subjektive Einschätzung, die ich hauptsächlich auf Beobachtungen zurückführe. Zum Beispiel die Berichterstattung über Kriege, Hungersnöte und Ökokatastrophen und die Reaktion meiner Mitmenschen darauf. Vielleicht liege ich da auch völlig falsch, ich habe sie in den Raum geworfen ohne genaue Zahlen zu kennen. Natürlich sollte ich eine These auch mit Fakten untermauern, deshalb habe ich mir erstmal den World Mortality Report der UN heruntergeladen. Hier der Link:
http://www.un.org/es...LITY REPORT.PDF
(423 Seiten stark, allerdings aus dem Jahr 2007 - der aktuellere von 2009 besteht nur aus einem 2seitigen Wallchart)

Ich werd ihn bei Gelegenheit querlesen, damit ich sagen kann, ob du mit der folgenden Aussage Recht hattest...

Zahlreiche Kennzahlen haben sich in den vergangenen Jahren konstant verbessert. Wenn Du Werte wie Lebenserwartung, Durchschnittseinkommen, medizinische Versorgung etc. anschaust, ging es noch nie so vielen Menschen so gut wie heute. Wahrscheinlich — falls jemand konkrete Zahlen hat, kann er mich gerne widerlegen — sind auch schon lange nicht mehr nie so wenig Menschen durch bewaffnete Konflikte umgekommen wie in den letzten 20 Jahren.

Was ich zumindest jetzt schon bei einem kurzen Blick erkannt habe, ist, dass in den letzten zwanzig Jahren in bestimmten Teilen der Erde die Lebenserwartung sogar gesunken ist. Im südlichen Teil Afrikas sank sie sogar um fast zehn Jahre (Grafik S. 39, oben), in Osteuropa immerhin um circa zwei Jahre (Grafik S. 40).

Bis jetzt habe ich noch nichts über Kriegstote gefunden, mal schauen...

Wenn ich etwas finde, dass für die Diskussion nützlich ist, poste ich es.

"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"

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#35 Heidrun

Heidrun

    Giganaut

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Geschrieben 22 Dezember 2011 - 10:58

Seti, du bist mir sympathisch - endlich mal jemand, der mit Zahlen argumentiert. Eingefügtes Bild
Ohne jetzt selbst Zahlen zur Hand zu haben: der letzte Einkommensverteilungsbericht der Bundesrepublik Deutschland stellte fest, dass die Schere zwischen Reichen und Armen immer weiter auseinander geht. Das halte ich auch für einen Rückschritt. Es gibt immer mehr Leute, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können (aktuell etwa eine halbe Million Vollzeitbeschäftigte). Und das mit den Kriegen hatten wir uns hier auch schon mal abgewöhnt (Ja, bei mir steht "Weltfrieden" ganz oben auf der Wunschliste. Die Generationen meiner Eltern und Großeltern hatten vom Krieg die Nase sowas von voll ...). Die Lebenserwartung für das ärmste deutsche Zehntel ist tatsächlich auch gesunken - um 2 Jahre.
Sozialdarwinismus ist, wenn man es für naturgegeben hält, dass die oben oben sind und die unten kaum eine Chance haben, aus dem Dreck zu kommen (siehe der alljährliche Bildungsbericht, der Deutschland eine miserable soziale Durchlässigkeit bescheinigt).

Der echte Darwinismus hat in Bezug auf den Menschen abgefrühstückt. Zum einen ist nicht klar, was ein optimal angepasster Mensch ist, Der kann krumm und lahm sein - wenn er Geld hat, ist er erfolgreich. Zum anderen hängt die Zahl der Nachkommen nicht von dieser Angepasstheit ab. In Deutschland ist es angepasst, keine Nachkommen zu haben ...
  • (Buch) gerade am lesen:Gene Wolfe "Sword and Citadel"


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