Deus Ex: Human Revolution
Ein heruntergekommenes Viertel in einer asiatischen Metropole. Kleine Geschäfte und Garküchen reihen sich aneinander, auf den Straßen regieren Gangs und private Sicherheitsunternehmen, es wimmelt von Dealern, Prostituierten und gescheiterten Existenzen. Hämmernde Bässe dröhnen aus einem Club, im Innern feiern Menschen auf Drogen und hinter dem Tresen schenkt ein Barkeeper mit seiner Armprothese Getränke aus...
Was sich wie eine Beschreibung des Settings von Chiba City in William Gibsons Neuromancer liest, ist in Wahrheit eine Episode aus dem Spiel Deus Ex: Human Revolution, genauer gesagt ein Abstecher in die chinesische Metropole Hengsha. Aber die Parallelen sind offensichtlich und als ich besagten Club – The Hive – in DE3 betreten habe, hatte ich das Gefühl, dass dieselbe Musik auch aus Gibsons Chatsubo dröhnen könnte.
Wer besagten Song selbst einmal hören möchte, kann das nebenbei bemerkt hier tun.
Doch fangen wir am besten ganz von vorn an...
DE3 gehörte wahrscheinlich zu einem der meisterwarteten Fortsetzungen der Spielegeschichte. Nach dem grandiosen ersten Teil, der neue Maßstäbe im Bereich des SF-Gamings setzte, folgte ein schwacher zweiter Teil und elf Jahre nach dem Erstling dann Ende August 2011 der Nachfolger, der eigentlich ein Prequel ist. Angesiedelt im Jahr 2027 (und damit 25 Jahre vor dem Original) erzählt DE3 die Geschichte von Adam Jensen, einem Ex-SWAT, der seine Brötchen mittlerweile als Sicherheitschef eines aufstrebenden Technologiekonzerns verdient. Sein Arbeitgeber Sarif Industries befindet sich auf dem besten Wege ein Global Player im Bereich der Humanaugmentierung zu werden, d.h. dem Ersetzen sowohl versehrter Gliedmaßen und Organe durch mechanische Prothesen, als auch völlig gesunder Körperteile nur um die Leistungsfähigkeit zu steigern.
Sollte jetzt jemand darüber nachdenken, sich selbst augmentieren zu lassen, so findet er hier einen fiktiven Werbespot von Sarif Industries, der zur viralen Marketingkampagne des Publishers gehörte (im übrigen das erste Mal, dass mich diese Form der Werbung wirklich neugierig gemacht hat).
Zu Beginn des Spiels begleitet Adam Jensen seine ehemalige Geliebte Megan Reed, die ihm den Security-Job beschafft hat, durch die Labore des Konzerns, als plötzlich eine Terrorgruppe namens Purity First angreift, Adam schwer verwundet und Megan tötet. Adam wird gerettet, seine Gliedmaßen und Sinnesorgane müssen aufgrund der Schwere der Verletzungen jedoch größtenteils durch Augmentierungen ersetzt werden. Um die Mörder Megans und deren Drahtzieher zu stellen, begibt er sich nach seiner Genesung auf eine Reise, die ihn um den halben Erdball von Detroit über Hengsha, Melbourne und Singapur bis in die Arktis führt. Doch natürlich ist nicht alles so, wie es scheint – mit der Zeit entfaltet sich eine gigantische Verschwörung und je weiter man in der Handlung voranschreitet, desto mehr fragt man sich, wer denn nun eigentlich die Guten sind...
Wie schon in der Einleitung ersichtlich, werden viele Klassiker des Cyberpunk zitiert und verschiedene Science-Fiction-Themen aufgegriffen. Ganz besonders hervorzuheben sind hierbei nochmals die Hommagen an William Gibson: z.B. gibt es eine Wohnanlage aus übereinander gestapelten Schlafkabinen, Adam Jensen trifft im Verlauf des Spiels auf eine Idoru und seine Augen werden permanent von einer verspiegelten Sonnenbrille mit eingebautem Display verdeckt.
Darüber hinaus ist DE3s Zukunftvision ein Musterbeispiel für eine Dystopie, in der sich der multinationale Pharmakonzern Tai Yong Medical eine goldene Nase verdient, weil er stark suchterzeugende Medikamente gegen die Abstoßungsreaktionen der Augmentierungen produziert.
Die mechanische Verbesserung des Menschen spiegelt das Konzept des Transhumanismus wieder und die daraus resultierende Zwei-Klassen-Gesellschaft wird im chinesischen Hengsha auf die buchstäbliche Spitze getrieben, da man dort einfach eine zweite Stadt auf Stützpfeilern über der ersten errichtet hat, in welcher die Oberschicht in Saus und Braus lebt.
Auf den oben erwähnten Spot des Augmentierungskonzerns kam übrigens prompt eine ebenfalls fiktive Antwort einer Widerstandsgruppe, die es hier zu sehen gibt – als Trailer für einen SF-Film würde dieses Video zweifellos auch funktionieren.
Deus Ex: Human Revolution lässt sich am ehesten als ein Action-Adventure in der Ego-Perspektive mit Rollenspiel-, Shooter- und Schleich-Elementen bezeichnen. Man sieht die Welt durch Adam Jensens (augmentierte) Augen – diese Ansicht wechselt jedoch in die dritte Person, wenn man sich hinter einem Gegenstand in Deckung befindet.
Die Story hält an manchen der Schauplätze einige Nebenmissionen bereit und bietet die Möglichkeit verschiedener Lösungswege und unterschiedlicher Enden. Allerdings läuft sie geradlinig auf das große Finale zu und erlaubt beispielsweise nicht das Abklappern der Handlungsorte oder Lösen der Hauptmissionen in unterschiedlicher Reihenfolge.
Bei der Erfüllung der Missionsziele kann man entweder mit brutaler Gewalt vorgehen oder still und heimlich agieren – positv hierbei fand ich, dass sich das gesamte Spiel bewältigen lässt, ohne einen einzigen Menschen (von vier Boss-Gegner abgesehen) töten zu müssen. Wer es brachial mag, kann auf ein umfangreiches Waffenarsenal zurückgreifen, die Auswahl an nicht-tödlichen Waffen steht dem aber in nichts nach. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass das Inventar nur über eine äußerst begrenzte Kapazität verfügt und Adam Jensen somit nicht alles einpacken kann, was er findet.
Während des Spiels sammelt man Erfahrungspunkte für das Lösen von Aufgaben, Finden von Verstecken, Ausschalten von Gegnern (egal ob tödlich oder nicht-tödlich), Schleichen etc. Diese können dann in neue Augmentierungen investiert werden, welche Adam Jensen z.B. höher springen, schneller rennen oder durch Wände sehen lassen, ihn widerstandsfähiger machen oder seine Hacking-Fähigkeiten verbessern.
Das Hacken von Computern, Sicherheitskameras oder automatischen Geschützen verläuft dabei übrigens in Form eines Minispiels, bei dem es gilt, bestimmte Knotenpunkte in einem Netzwerk zu übernehmen, ohne dabei von der Sicherheitsroutine entdeckt zu werden – sollte dies doch passieren, läuft ein Coutdown herunter, an dessen Ende man mit einem Stromschlag aus dem System geschmissen und eventuell ein Alarm ausgelöst wird.
Wer jetzt darüber nachdenkt, sich das Spiel zu kaufen, sollte natürlich auch über die Kritikpunkte informiert werden. Die Ladezeiten beim Betreten eines neuen Gebiets oder Aufrufen eines Savegames sind unerfreulich lang, die Grafik ist ganz sicher kein Meilenstein und die KI der Gegner hat deutliche Schwächen (so wird beispielsweise das lautlose Ausschalten eines Gegners von seinem Kollegen manchmal nicht bemerkt, obwohl er nur drei Meter entfernt steht und es eigentlich im Augenwinkel sehen müsste).
Ein bekanntes Sorgenkind jeglicher Verschwörungsgeschichte ist die Schlüssigkeit des Endes. Es gibt zwar einige tolle Storytwists, doch ob die Auflösung der Konspiration letztendlich völlig logisch ist, wage ich mal zu bezweifeln.
Der mit Sicherheit größte Kritikpunkt ist die deutsche Synchronisation – wobei die Sprecher selbst gute bis ausgezeichnete Arbeit abliefern. Aber anscheinend ist die Tonabmischung zwei Stunden vor Verkaufsbeginn erfolgt, anders kann ich mir nicht erklären, warum die Lippensynchronität manchmal eine absolute Katastrophe ist. In den gerenderten Zwischensequenzen ist dies nur ein Ausnahmefall, aber bei den In-Game-Zwischensequenzen (also denen in Spielgrafik) wird die Gleichzeitigkeit von Lippenbewegung und Sprecherstimme zu einem Glücksspiel. Deutlicher Minuspunkt.
Wer über diese negativen Aspekte hinwegsehen kann, bekommt allerdings eine spielbare Cyberpunk-Geschichte, die einige tolle Reminiszenzen an die Klassiker des Genres liefert und für mindestens zwanzig Stunden sehr gut unterhält.
Abschließend hier noch ein Trailer.
Bearbeitet von Seti, 08 September 2012 - 14:39.