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"Logik" vs. Emotion


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16 Antworten in diesem Thema

#1 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 08 März 2012 - 18:02

Als ich in einem Artikel aus der letzten NEWSWEEK zu neuen Erkenntnissen zum Entstehen - und insbes. der Dauer - von Emotionen las, dass vor nicht allzu vielen Jahren galt, dass Kognition und Emotion in neuropsychologischen Modellen des menschlichen Gehirns als getrennte Bereiche angesehen wurden, schien mir klar, warum es bei Star Trek bis in die 90er hinein - und bis "heuer" in Form der Vulkanier - diese Trennung zwischen "Logik" und Emotionen gab, wobei natürlich Erstere immer als überlegener galt. Eingefügtes Bild Auch galt in der Forschung damals, dass die Balance zwischen beiden schon im Kindesalter festgelegt wird.

Wie der (engl.! Eingefügtes Bild) Artikel andeutet - eigentlich ist er auch ein wenig Werbung für das dort erwähnte Sachbuch Emotional Life of your Brain - ist das heute nicht mehr Stand der Dinge. Der kognitive Teil kann das eigene Gehirn auch noch im erwachsenen Alter trainieren, den "emotionalen Stil" so zu ändern, dass er schneller über traumatische Erlebnisse hinweg kommt, oder in die andere Richtung: Dass Emotionen einen stärkeren Teil einnehmen im Leben eines modernen, virtuell lebenden Nerds... Eingefügtes Bild

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Yay! KI-generiertes SF-Zitat Ende November...
"In the sprawling city forums of the galaxy, where chaos reigns and time flows differently, true power is found not in dominance, but in moderation. The wise use their influence to temper ambition with reason, and chaos with order."

(auf Bing.de generierter Monolog von der Copilot-S/W - die ich hiermit NICHT bewerbe! - nach Aufforderung nach einem "s.f. quote" mit einem bestimmten Wort darin; ich ersetzte nur das 4. Wort mit "city forums")


#2 Naut

Naut

    Semantomorph

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Geschrieben 08 März 2012 - 19:49

Ähm, zwei Gedanken:

1. In Star Trek wird die kalte, logische Seite selten als die überlegene dargestellt. Im Gegenteil gibt es eine Reihe von Episoden, in denen die Gefahr, der Spock relativ machtlos gegenübersteht nur durch den heißspornigen, emotionalen Kirk besiegt werden kann. Genau dieser Konflikt wird in den Nachfolgeserien oft aufgegriffen, indem Datas, Sevens oder Odos Unvollständigkeit gegenüber z.B. Deanna Troy (als fühlendem Wesen) oder Picard (als stark integrativer Persönlichkeit) demonstriert wird.

2. Es sollte klar sein, dass eine rein rationale Lebensweise tatsächlich Vorteile hätte, wenn wir nicht stark in einen emotionalen Kontext eingebunden wären. Es sollte aber ebenso klar sein, dass die meisten von uns eben doch Emotionen haben und von ihnen gelenkt werden, selbst, wenn sich diese Personen selbst als rational oder gefühlskalt empfinden(sic!). Der seltene Fall tatsächlich fehlender Emotion ist eine Pathologie, etwa bei bestimmten Formen von Autismus oder echten Soziopathen. Mir fällt dazu die erste Staffel von "Dexter" ein, oder auch Lansdales "Gauklersommer", es gibt aber sicher in der Kriminalliteratur unzählige Bücher, die mit dem Gedanken eines nicht-fühlenden Menschen spielen und diesen letztlich als Monster demonstrieren. Andere Beispiele: Die TV-Serie "House".

Die Erkenntnis, dass ein Leben unter Ausklammern emotionaler Aspekte letztlich nicht besonders erfolgreich oder lebenswert ist, ist gar nicht so überraschend und tiefliegend, sondern eher eine Trivialität, die sich aus unserer biologischen und gesellschaftlichen Ausstattung ergibt. Gerade bei den "Online-Nerds", denn was suchen denn die Leute in sozialen Netzwerken (und Foren)? Kontakt zu anderen sozialen Wesen, Stellvertreter- und Ersatzinteraktionen für unausgefüllte emotionale (und sexuelle) Bedürfnisse.

Aber schön, dass uns wieder einmal (englische ;) ) Wissenschaftler erzählen, was wir eh schon wissen. Nein, sorry, ganz ohne Häme, ich finde es gut, dass manche Überrationalisierer von Zeit zu Zeit auf den Boden geholt werden, sonst werden wir morgen alle von SAP beherrscht.
Liest gerade: Zafón - Der dunkle Wächter

#3 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 08 März 2012 - 23:07

In ST werden in späteren Serien die Vulkanier m.E. durchaus als wesentlich "weiser" dargestellt als Menschen. Über den ersten Kinofilm hinaus ist diese Entwicklung auch bei Spock zu sehen. In STVOY, das ich gerade nochmal durchziehe, wird sogar eine richtiggehende Philosophie daraus gemacht - die Emotionen sind da, aber es tut gut, sie besser im Griff zu haben. (Übrigens genau der Punkt des Artikels. Dass er auf englisch ist tut mir sehr Leid, aber ich lese nun mal in punkto Zeitungen/Magazinen zur Hälfte Englisches. Zum Glück gibt's ja im SFN keine Vorgaben, dass man auf nicht-dt.-sprachige Texte nicht verweisen darf. Sonst wäre ich wohl schon lange nicht mehr dabei.)

P.S.: Menschsein ohne Emotionen empfände ich als furchtbar. Wieviel Positives erleben wir dadurch - wieviel weiter wird dadurch das erlebte Leben. Rationalität bedeutet ja immer Reduktion, und scheint mir beim modernen (dt. Eingefügtes Bild) Menschen oft die Folge übertriebener Vorsicht. Andererseits erlaubt es möglicherweise bessere Steuerung der lebenslangen Fahrt durch das "Weite" jenseits des Computerterminals (s. Artikel Eingefügtes Bild).

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#4 Heidrun

Heidrun

    Giganaut

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Geschrieben 09 März 2012 - 07:44

Ich glaube, ihr interpretiert beide "Emotion" ein wenig zu eingeschränkt als - hm, nicht einfach auszudrücken - Beziehungskram. Aber den Psychologen ist schon sehr lange klar, dass starke Emotionen positiv auf das Lernvermögen wirken. Nichts merken wir uns besser als etwas, das uns schwer verblüfft hat. Die Verblüffung ist eine Emotion, aber eine auf einer sehr abstrakten Ebene. Ich kann etwa dadurch verblüfft sein, dass Pi unendlich viele Stellen hat. In der gleichen Weise wirken ein Schreck oder Angst. Es ist eigentlich völlig logisch, dass der Mensch so funktioniert, denn derartige Erlebnisse waren für das Überleben extrem wichtig. Es war wichtig, sich zu merken, wie man in den Schlamassel gekommen ist und wie wieder raus. Gute Pädagogen nutzen das seit Langem. Wahrscheinlich rührt die Trennung dieser beider Welten nur daher, dass man dieses Bild von der "Krone der Schöpfung" vor sich her trägt. Dabei wissen wir etwa, dass bei körperlicher Anstrengung Glückshormone ausgeschüttet werden, damit wir nicht gleich alles hinschmeißen. Evolutionär sehr hilfreich, aber für Leute, die sich ungern als Teil der Tierwelt sehen, auch irgendwie peinlich. Statt Gefühle in die Schmuddelecke zu stellen (das stört mich bloß beim Vorwärtskommen), sollte man versuchen, sie zu verstehen - und vielleicht ein wenig auszunutzen.
  • (Buch) gerade am lesen:Gene Wolfe "Sword and Citadel"

#5 Naut

Naut

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Geschrieben 09 März 2012 - 09:19

Ich glaube, ihr interpretiert beide "Emotion" ein wenig zu eingeschränkt als - hm, nicht einfach auszudrücken - Beziehungskram. [...]

Nein, tu ich nicht. Im Gegenteil, ich stimme Dir genau zu und hatte mich bemüht, genau so zu argumentieren:

Die Erkenntnis, dass ein Leben unter Ausklammern emotionaler Aspekte letztlich nicht besonders erfolgreich oder lebenswert ist, ist gar nicht so überraschend und tiefliegend, sondern eher eine Trivialität, die sich aus unserer biologischen und gesellschaftlichen Ausstattung ergibt.

Emotionen sind das biologische Äquivalent von Warnmeldungen in technischen Systemen. Angst und Schmerz sind evolutionär so angelegt, dass wir sie nicht ignorieren können. Wer es dennoch versucht, macht oft etwas in seinem System "Mensch" kaputt. Das ist so, als würde man bei seinem Auto ständig mit leuchtenden Warnlampen fahren, wird schon nicht so schlimm sein.

Ad Star Trek: Ich sehe nicht, dass Tuvok in VOY irgendwie als überlegen gezeichnet wird. Im Gegenteil wird doch bei vielen Gelegenheiten demonstriert, dass die Föderation nur funktioniert, weil sie eben so unterschiedliche Völker integriert, eben neben den Vulkaniern auch Menschen oder ganz andere. Janeway entscheidet viel "aus dem Bauch" und liegt oft richtig damit.
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#6 Trurl

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    Phanto-Lemchen

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Geschrieben 09 März 2012 - 13:19

Nichts merken wir uns besser als etwas, das uns schwer verblüfft hat. Die Verblüffung ist eine Emotion, aber eine auf einer sehr abstrakten Ebene. Ich kann etwa dadurch verblüfft sein, dass Pi unendlich viele Stellen hat. In der gleichen Weise wirken ein Schreck oder Angst. Es ist eigentlich völlig logisch, dass der Mensch so funktioniert, denn derartige Erlebnisse waren für das Überleben extrem wichtig. Es war wichtig, sich zu merken, wie man in den Schlamassel gekommen ist und wie wieder raus. Gute Pädagogen nutzen das seit Langem.

Du magst damit schon Recht haben. Allerdings musste ich kurz Überlegen als du sagtest, dass Verblüffung eine Emotion ist. Aber es stimmt. Obwohl Verblüffung oft erst die Reaktion eines rein rationalen Denkvorgangs ist. Unsere Emotionen sind mit unserem Denken so sehr verzahnt, dass rationale und emotionale Anteile gar nicht so einfach zu trennen sind, weil Emotionen offenbar notwendig sind unsere Denkvorgänge positiv zu verstärken.


Emotionen sind das biologische Äquivalent von Warnmeldungen in technischen Systemen. Angst und Schmerz sind evolutionär so angelegt, dass wir sie nicht ignorieren können. Wer es dennoch versucht, macht oft etwas in seinem System "Mensch" kaputt. Das ist so, als würde man bei seinem Auto ständig mit leuchtenden Warnlampen fahren, wird schon nicht so schlimm sein.

Ja. Ich glaube aber, dass Emotionen noch mehr sind als nur "Warnmeldungen". Sonst wäre es nicht notwendig, dass wir sie als bewusste Empfindungen so intensiv spüren. Schmerzen zum Beispiel: eigentlich würde es doch ausreichen, dass wir wissen, wenn wir verletzt sind. Intensiv gefühlter Schmerz macht uns dagegen in vielen Fällen fast handlungsunfähig. Insofern muss man sich fragen, wie starke Schmerzempfindungen dem Überleben dienen soll. Tiere dagegen, haben glaube ich, was Schmerzen angeht, kein so intensives Empfinden, wenn ich daran denke, dass sich Wölfe aus Wolfsfallen dadurch befreit haben, indem sie sich das Bein abgebissen haben. Wenn uns unsere Gefühle auch lahm legen können, zum Beispiel bei Trauer oder Angst, wo liegt dann der Sinn darin?


Ad Star Trek: Ich sehe nicht, dass Tuvok in VOY irgendwie als überlegen gezeichnet wird. Im Gegenteil wird doch bei vielen Gelegenheiten demonstriert, dass die Föderation nur funktioniert, weil sie eben so unterschiedliche Völker integriert, eben neben den Vulkaniern auch Menschen oder ganz andere. Janeway entscheidet viel "aus dem Bauch" und liegt oft richtig damit.

Nun könnte man natürlich dagegen einwenden, der Erfolg von Janeway’s Bauchentscheidungen liege am Drehbuch Eingefügtes Bild. Aber Menschen sind in der Tat emotionale Wesen und der rationale Anteil am Denken, auf den wir uns so viel einbilden, macht in unseren täglichen Entscheidungen nur einen Bruchteil aus. Ein Abteilungsleiter sucht einen neuen Mitarbeiter zwar auch erst auf dem Papier aus, wo objektive Tatsachen eine Rolle spielen, aber wenn es darum geht den oder diejenige(n) einzustellen, spielen bei gleicher Qualifikation emotionale Gesichtspunkte eine viel stärkere Rolle. Sympathie zum Beispiel. Passt die Person ins Team usw. Bauchentscheidungen sind unsere inneren Würfel, die wir werfen, wenn wir uns unsicher sind.

Generell würde ich sagen, je komplexer eine Situation ist und umso weniger wir die Folgen von Entscheidungen rational durchdringen können und das sind in unserer komplexen Welt sehr viele, umso mehr verlassen wir uns auf unser Gefühl, unsere Intuition und entscheiden aus dem Bauch heraus. Manchmal haben wir damit Glück, aber oft scheitern wir damit. Daher auch die vielen gescheiterten Firmenfusionen, weil sie schlecht durchdacht und vorbereitet wurden, oder die Finanzkrise, die sicher auch dadurch mit verursacht wurde, dass sich viele auf ihren Bauch verlassen haben. Es wird ja schon gut gehen.

LG Trurl
»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#7 Heidrun

Heidrun

    Giganaut

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Geschrieben 09 März 2012 - 13:36

Fein, wenn wir uns einig sind und nur aneinander vorbeigeredet haben. Wobei wir noch die positiven Emotionen ventilieren könnten, für die mir derzeit kein technisches Äquivalent einfallen will. Ich hab noch nicht erlebt, dass mein Auto sich freut, wenn die Straße gut und das Wetter schön ist. Aber gerade die positiven Emotionen sind es, die die biologischen Apparate und die Evolution am laufen halten. Wir futtern, weil es sich so gut anfühlt, und wir rennen dem anderen Geschlecht nach, weil sich das ebenfalls gut anfühlt. Mein Auto fährt nie von selbst tanken, und es hat auch noch kein Bobby-Car zustande gebracht. Vielleicht ist das unser großer Vorteil? Nach reiner Logik müsste man sich fragen, ob es den ganzen Stress überhaupt wert ist, sich hinlegen und sterben. Bei Star Trek kommt Spock schon ein wenig als der Übermensch rüber, zumal die Vulkanier die ältere Zivilisation sind, die technisch weit voraus ist. Auf der anderen Seite beschäftigt sich eine absolut logische Lebensform, nämlich Data, bevorzugt mit der Erforschung der menschlichen Gefühle und fühlt sich selbst defizitär. Über die Jahrzehnte scheint die Bilanz ziemlich ausgeglichen, finde ich.
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#8 Trurl

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Geschrieben 09 März 2012 - 14:25

(…) Ich hab noch nicht erlebt, dass mein Auto sich freut, wenn die Straße gut und das Wetter schön ist. (…) Mein Auto fährt nie von selbst tanken, und es hat auch noch kein Bobby-Car zustande gebracht.

Deshalb sollten wir auch darauf achten, dass unsere Maschinen keinen eigenen Willen entwickeln, sonst könnten sie noch auf den Gedanken kommen uns nicht mehr zu gehorchen … Eingefügtes Bild

Bei Star Trek kommt Spock schon ein wenig als der Übermensch rüber, zumal die Vulkanier die ältere Zivilisation sind, die technisch weit voraus ist. Auf der anderen Seite beschäftigt sich eine absolut logische Lebensform, nämlich Data, bevorzugt mit der Erforschung der menschlichen Gefühle und fühlt sich selbst defizitär. Über die Jahrzehnte scheint die Bilanz ziemlich ausgeglichen, finde ich.

Dass Spock uns so fasziniert, liegt daran, dass unsere Philosophen die Rationalität als höchste Form des menschlichen Denkens idealisiert haben. Und Spock verkörpert diesen Typ als Mensch perfekt. Den Homo rationalis, das absolut rational entscheidende Superhirn. Allerdings ist er uns in seiner Unnahbarkeit auch unheimlich, weil wir genau wissen, dass uns Menschen etwas fehlen würde, wären wir genauso so. Außerdem ist Spock im Grunde kein rein rationales Wesen. Er wird, wie seine ganze übrige Spezies von starken Gefühlen geprägt, die die Vulkanier nur durch strikte geistige Kontrolle in Schach halten, sonst würden ihre Emotionen ihre Kultur zu Grunde richten.

Interessant finde ich, dass du sagst Data würde sich aufgrund fehlender Emotionen defizitär "fühlen". So wird es tatsächlich in der Serie dargestellt. Aber das ist ein Widerspruch finde ich. Denn wenn er ein rationales Wesen ist, warum sollte er den Mangel an Emotion "fühlen" oder sich als minderwertig "empfinden". Emotion ist doch eine Eigenschaft, die er nicht kennt und er kann doch überhaupt nicht wissen, ob ihn diese Eigenschaft bereichert. Wir wissen doch gar nicht, wie es wäre ohne Emotionen zu leben. Wir unterstellen immer, dass dieser Zustand eine Verkrüppelung ist. Und aus unserer menschlichen Sicht ist das wohl auch so. Aber in Gewisserweise ist Emotionslosigkeit auch ein Vorteil. Data hat zum Beispiel keine Angst. Empfindet keinen Stress, ist in Krisensituation voll handlungsfähig.

Fühlen wir uns als minderwertig, weil wir keinen Ultraschall wahrnehmen können oder mehrdimensional denken können? Das sind Eigenschaften, die wir nicht haben und nicht benötigen. Wir haben uns mit unserer körperlichen Ausstattung abgefunden, sie in unser kulturelles Leben integriert, bzw. unsere Kultur ist Abbild unserer natürlichen Ausstattung. Wir sind wie wir sind und das ist gut so. Wir müssen uns als das akzeptieren was wir sind. Und das haben wir auch. Eine andere Haltung wäre sinnlos nach meinem Empfinden. Und bei Data ist es ähnlich. Er ist auch was er ist und es ist gut so. Anders eben. Aber nicht besser oder schlechter als wir.

LG Trurl
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#9 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 09 März 2012 - 15:25

Bei Data ist es m.E. eh anders als bei Spock: Da ist interessant, wie genau die Motivation funktioniert, die robot antreibt, so zu sein wie die Alpha-Spezies, d. ihn umgeben. Damit robot nicht auffällt, vielleicht, und daher eher von den "Emotionalen" akzeptiert wird. Was wiederum andeuten würde, dass Data Einsamkeit als unangenehm "empfinden" kann.

Rationalität war nicht nur ein philosophisches Ideal, sondern auch ein modisches, oft festgehalten in der Kunst: Z.B. sieht man deutlich an Plastiken und Bildnissen im Bode-Museum in Berlin, dass "gute" Menschen vor ~150 Jahren und davor immer emotionslos aussehen - die Gesichter maskenhaft "gerade". Nur die "bösen", oder irgendwie auf anderem Niveau existierenden, Leute durften Emotion zeigen (m.E. eher hässlich wirkend). Emotion galt als "tierisch", Emotionslosigkeit als erhaben.

Letztendlich geht es beim ST-Umgang mit Emotion fast immer um Kontrolle. Im verlinkten Artikel letztendlich auch... Eingefügtes Bild Hm.

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#10 Ming der Grausame

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Geschrieben 09 März 2012 - 18:45

Unsere Emotionen sind mit unserem Denken so sehr verzahnt, dass rationale und emotionale Anteile gar nicht so einfach zu trennen sind, weil Emotionen offenbar notwendig sind unsere Denkvorgänge positiv zu verstärken.

Das versuche ich doch schon die ganze Zeit dir hier nahezubringen. Emotionen sind nicht nur mit unserem Denken so sehr verzahnt, dass rationale und emotionale Anteile gar nicht so einfach zu trennen sind, nein, Emotionen waren sogar vor der Fähigkeit rational zu denken da.

Schmerzen zum Beispiel: eigentlich würde es doch ausreichen, dass wir wissen, wenn wir verletzt sind. Intensiv gefühlter Schmerz macht uns dagegen in vielen Fällen fast handlungsunfähig. Insofern muss man sich fragen, wie starke Schmerzempfindungen dem Überleben dienen soll. Tiere dagegen, haben glaube ich, was Schmerzen angeht, kein so intensives Empfinden, wenn ich daran denke, dass sich Wölfe aus Wolfsfallen dadurch befreit haben, indem sie sich das Bein abgebissen haben.

Wenn Schmerzen uns lahmlegen, dann nur deswegen, weil jede weitere Belastung den Schaden nur maximieren würde, was durchaus dem Überleben dienlich ist. Ab und an sind jedoch auch die Verletzungen so groß, dass nur intensivmedizinische Sofortmaßnahmen weiterhelfen, aber auch da sind besagte Schmerzen sinnvoll. Ansonsten ist deine Behauptung, dass Tiere über kein so intensives Empfinden haben schlicht eine unbewiesene Tatsachenbehauptung. Auch Menschen sind in der Lage sich ein Glied zu amputieren, um sich aus einer gefährlichen Situation zu befreien. Ich verweise da schlicht auf Aron Ralston, der sich in der Wüste von Utah selbst den Arm amputiert hat, um sich aus einer Felsspalte zu befreien. Wenn man keine andere Wahl hat, sind alle Lebewesen durchaus dazu fähig.

Wenn uns unsere Gefühle auch lahm legen können, zum Beispiel bei Trauer oder Angst, wo liegt dann der Sinn darin?

Wer sagt denn, dass Emotionen überhaupt einen rationalen Sinn haben? Vieles im Leben ist höchst irrational und auch Emotionen sind irrational, aber deswegen sind sie doch nicht sinnlos.

Ein Abteilungsleiter sucht einen neuen Mitarbeiter zwar auch erst auf dem Papier aus, wo objektive Tatsachen eine Rolle spielen, aber wenn es darum geht den oder diejenige(n) einzustellen, spielen bei gleicher Qualifikation emotionale Gesichtspunkte eine viel stärkere Rolle. Sympathie zum Beispiel. Passt die Person ins Team usw. Bauchentscheidungen sind unsere inneren Würfel, die wir werfen, wenn wir uns unsicher sind.

Das ist aber so schlicht falsch. Ich verweise da schlicht auf dem Libet-Experiment, wo unzweifelhaft nachgewiesen wurde, dass unsere bewussten Handlungsentscheidungen nachrangig sind, gegenüber der unbewussten. Unser Gehirn belügt uns diesbezüglich. Unbewussten Handlungsentscheidungen finden faktisch um eine halbe Sekunde davor statt. Erst danach erzeugt unser Gehirn uns die Illusion, dass unsere bewusste Handlungsentscheidungen davor lag, was man übrigens unter Mind Time: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert von US-amerikanischen Physiologen Benjamin Libet ab Seite 176 nachlesen kann.

Generell würde ich sagen, je komplexer eine Situation ist und umso weniger wir die Folgen von Entscheidungen rational durchdringen können und das sind in unserer komplexen Welt sehr viele, umso mehr verlassen wir uns auf unser Gefühl, unsere Intuition und entscheiden aus dem Bauch heraus.

Ich will dir ja nicht deine Illusionen nehmen, aber in Wirklichkeit ist es exakt andersrum. Wir entscheiden primär emotional, die rationale Begründung reichen wir in der Regel erst nachträglich.
„Weisen Sie Mittelmäßigkeit wie eine Seuche zurück, verbannen Sie sie aus ihrem Leben.“

Buck Rogers

#The World from the nefarious Ming the Merciless
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#11 Naut

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Geschrieben 09 März 2012 - 19:34

Hey, Ming kann ja mal richtig viel beitragen! Das finde ich gut. Ich hoffe, das mein Lob Ming jetzt eine gute Emotion verschafft und so sein Verhalten positiv verstärkt. Das ist nämlich auch eine Funktion von Emotionen: Nützliche Verhaltensweisen - im Sinne einer Fitness-Funktion - wiederholbar zu machen. Wenn es mir nach dem Essen gut ging, werde ich wieder (dasselbe) essen. Maschinen haben auch ein Äquivalent zu positiven Emotionen. Eine Fuzzy-Motorsteuerung, von denen es eine ganze Menge gibt, bewertet Parameter wie Zündzeitpunkte ständig und verstärkt positive Ergebnisse. Dieselbe Funktion erfüllen bestimmte Emotionen bei Tieren und Menschen. Der grundlegende Unterschied dürfte die bewusste Reflexion beim Menschen sein, ihm kann bewusst werden, dass er Emotionen hat, und von welcher Qualität diese sind. (Evtl. können manche Tiere das auch.) Wie hoch man diesen Unterschied bewerten will, hängt davon ab, ob man das Bewusstsein für einen wesentlichen Teil des Seins hält - Ming hat ein paar Argumente geliefert, die in die Richtung weisen, dass Bewusstsein nur eine nachträgliche Rechtfertigung von quasi automatischen Prozessen sein könnte. Aber das führt vom Thema ab in die Bewusstseinsphilosophie.
Liest gerade: Zafón - Der dunkle Wächter

#12 Ming der Grausame

Ming der Grausame

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Geschrieben 09 März 2012 - 20:26

Ich bin nicht zwangsläufig der Ansicht, dass es sich hierbei um quasi automatische Prozesse handelt, sie sind jedoch zwingend ein Ausdruck von unbewussten Prozessen, die nicht stichhaltig durch kausale Faktoren bestimmt werden.
„Weisen Sie Mittelmäßigkeit wie eine Seuche zurück, verbannen Sie sie aus ihrem Leben.“

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#13 Heidrun

Heidrun

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Geschrieben 09 März 2012 - 22:26

@Trurl:
Ich glaube, Datas Suche nach Emotionen liegt vor allem in seiner Neugier begründet. Neugier ist zwar eigentlich auch eine Emotion, aber bei ihm gehört die offenbar zum Grundprogramm, das lauten könnte: Sammle so viele Informationen wie möglich. Er weiß, dass die Menschen etwas haben, das er einfach nicht nachvollziehen kann, und das stört ihn. Und ganz ehrlich: Mich hat es schon als Kind geärgert, dass die Bienen UV sehen können, ich aber nicht. Ich würde gern im Dunklen sehen können. Beim Hören wäre ich schon mit dem normalen menschlichen Frequenzspektrum hochzufrieden. Und tatsächlich finden wir uns nicht ab, sondern haben z.B. Lampen und Nachtsichtgeräte. Ähnlich sehe ich das bei Data mit den Emotionen. (Und ich finde ihn um einiges sympathischer als Spock, so rein bauchmäßig).
Dass Angst uns lähmt, hat einen evolutionären Vorteil. Viele Tiere stellen sich tot, wenn sie in Gefahr sind, und tatsächlich übersehen manche Räuber die potentielle Beute, weil sie auf Bewegung reagieren. Die Angst verhindert, dass wir uns unsinnig in Gefahr bringen. Trauer ist wahrscheinlich ein Nebeneffekt der Empathie, und die hilft uns, im Team zu arbeiten - was tatsächlich die genialste Erfindung des Menschen ist. Davon abgesehen reagieren Menschen in Angstsituationen höchst unterschiedlich. Es gibt auch einen Effekt, der das Gehirn quasi in den Turbomodus schaltet. Dabei werden viele Wahrnehmungen einfach abgeschaltet, man konzentriert sich auf das Wesentliche (Tunnelblick) und hat das Gefühl, die Welt bewege sich viel langsamer als normal. Ich wollte, das könnte man irgendwie bewusst steuern, aber anscheinend ist ein starker emotionaler Stimulus nötig.
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#14 Trurl

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Geschrieben 10 März 2012 - 00:40

Das versuche ich doch schon die ganze Zeit dir hier nahezubringen. Emotionen sind nicht nur mit unserem Denken so sehr verzahnt, dass rationale und emotionale Anteile gar nicht so einfach zu trennen sind, nein, Emotionen waren sogar vor der Fähigkeit rational zu denken da.

Das habe ich eigentlich nie bezweifelt und ist wohl auch nur ein Missverständnis. Ich denke auch, dass das begriffliche rationale Denken eine späte Errungenschaft ist, die lange nach der Entstehung von Bewusstsein und Emotionen aufgetreten ist, wohl erst mit der Entstehung der Sprache, die wiederum parallel an die menschliche Sozial- und Kulturentwicklung gekoppelt ist. Das antizipierende Denken war sicher in unserem evolutionären "Überlebenskampf" ein entscheidender Fitness-Vorteil.


Wenn Schmerzen uns lahmlegen, dann nur deswegen, weil jede weitere Belastung den Schaden nur maximieren würde, was durchaus dem Überleben dienlich ist. Ab und an sind jedoch auch die Verletzungen so groß, dass nur intensivmedizinische Sofortmaßnahmen weiterhelfen, aber auch da sind besagte Schmerzen sinnvoll. Ansonsten ist deine Behauptung, dass Tiere über kein so intensives Empfinden haben schlicht eine unbewiesene Tatsachenbehauptung. Auch Menschen sind in der Lage sich ein Glied zu amputieren, um sich aus einer gefährlichen Situation zu befreien. Ich verweise da schlicht auf Aron Ralston, der sich in der Wüste von Utah selbst den Arm amputiert hat, um sich aus einer Felsspalte zu befreien. Wenn man keine andere Wahl hat, sind alle Lebewesen durchaus dazu fähig.

Beeindruckendes Beispiel und du hast sicher recht, was den biologischen Nutzen von Schmerz angeht. Dennoch würde ich mir doch wünschen, wenn mein Körper (oder mein Gehirn) mich nicht so sehr mit Schmerzen quälen würde. Das hätte sicher auch unserem Freund in der Wüste geholfen.


Wer sagt denn, dass Emotionen überhaupt einen rationalen Sinn haben? Vieles im Leben ist höchst irrational und auch Emotionen sind irrational, aber deswegen sind sie doch nicht sinnlos.

Nun ja, du hast ja selbst Argumente angeführt, inwiefern Emotionen biologisch oder evolutionär sinnvoll sind und somit nicht irrational. Ich finde nur die Formen von Emotionen als irrational, die zu extremen Verhaltensweisen motivieren. Um ein wirklich extremes Beispiel zu nennen: wenn Menschen gefallen oder gar Genuss dabei empfinden, andere Menschen zu quälen.


Das ist aber so schlicht falsch. Ich verweise da schlicht auf dem Libet-Experiment, wo unzweifelhaft nachgewiesen wurde, dass unsere bewussten Handlungsentscheidungen nachrangig sind, gegenüber der unbewussten. Unser Gehirn belügt uns diesbezüglich. Unbewussten Handlungsentscheidungen finden faktisch um eine halbe Sekunde davor statt. Erst danach erzeugt unser Gehirn uns die Illusion, dass unsere bewusste Handlungsentscheidungen davor lag, was man übrigens unter Mind Time: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert von US-amerikanischen Physiologen Benjamin Libet ab Seite 176 nachlesen kann.

Ich habe davon gehört. Typischerweise werden die Libet-Experimente als Argumente gegen die Willensfreiheit ins Feld geführt. Was aber durchaus umstritten ist. Auch ist der Experimentaufbau nicht unumstritten und lässt Spielraum für andere Interpretationen, wie hier nachzulesen ist.


Ich will dir ja nicht deine Illusionen nehmen, aber in Wirklichkeit ist es exakt andersrum. Wir entscheiden primär emotional, die rationale Begründung reichen wir in der Regel erst nachträglich.

Ja. Ich glaube, ich mache mir über die Irrationalität der Menschen keine Illusionen. Ich denke auch, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Tier ist, mit Schwerpunkt auf Tier. Eingefügtes Bild




@Heidrun:
Neugier. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Neugier eine Emotion ist oder eine Grundeigenschaft eines jeden denkenden Wesens, sei es rational oder nicht. Neugier scheint mir auch für ein rationales Wesen Motivation genug, sich mit so "seltsamen" Dingen, wie Emotionen abzugeben.

Die technisch-wissenschaftliche Entwicklung im biomedizinischen Bereich weicht ja langsam aber sicher auch die Unabänderlichkeit unserer natürlichen Ausstattung auf. Je mehr unsere Fähigkeiten auch unseren Körper umzugestalten wächst, umso weniger müssen wir uns mit seinen Naturgegebenheiten abfinden. Das ist aber ein ganz eigenes Thema und würde hier zu weit führen.

LG Trurl

Bearbeitet von Trurl, 10 März 2012 - 00:43.

»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

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#15 Ming der Grausame

Ming der Grausame

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Geschrieben 10 März 2012 - 17:43

Es gibt auch einen Effekt, der das Gehirn quasi in den Turbomodus schaltet. Dabei werden viele Wahrnehmungen einfach abgeschaltet, man konzentriert sich auf das Wesentliche (Tunnelblick) und hat das Gefühl, die Welt bewege sich viel langsamer als normal. Ich wollte, das könnte man irgendwie bewusst steuern, aber anscheinend ist ein starker emotionaler Stimulus nötig.

Das ist die schnöde Folge einer massiven Adrenalinausschüttung und das macht dein Körper nur, wenn es sich in höchste Gefahr wähnt. Die medizinischen Auswirkungen kannst du hier nachlesen. Die Nebenwirkungen sind auch nicht ohne: Herzinsuffizienz, Angina-Pectoris-Anfälle, Herzinfarkt, tachykarde Herzrhythmusstörungen, bis hin zum Kammerflimmern und Herzstillstand. Adrenalin ist also ein zweischneidiges und sehr scharfes Schwert und dein Körper ist gut beraten, wenn es nicht allzu oft darauf zurückgreifen muss. Es verkürzt nämlich auch deine Lebenserwartung, aber in Notfällen ist eine kürzere Lebenserwartung gar keiner Lebenserwartung vorzuziehen.

Beeindruckendes Beispiel und du hast sicher recht, was den biologischen Nutzen von Schmerz angeht. Dennoch würde ich mir doch wünschen, wenn mein Körper (oder mein Gehirn) mich nicht so sehr mit Schmerzen quälen würde. Das hätte sicher auch unserem Freund in der Wüste geholfen.

Zweifellos, immerhin musste er die Amputation mit einem Schweizer Offiziersmesser vornehmen, der auch nicht mehr der schärfste war. Ansonsten liegt der Hauptgrund für die Schmerzzunahme im Alter wohl schlicht darin begründet, dass die Herstellergarantie für unseren Körper nur 30 Jahre beträgt. Es liegt also primär an uns, weil wir die Ware länger als gemäß Haltbarkeitsgarantie benutzen. Ich meine, wer über 40 ist und morgens ohne Schmerzen aufwacht, ist einfach tot. Eingefügtes Bild

Wer sagt denn, dass Emotionen überhaupt einen rationalen Sinn haben? Vieles im Leben ist höchst irrational und auch Emotionen sind irrational, aber deswegen sind sie doch nicht sinnlos.

Nun ja, du hast ja selbst Argumente angeführt, inwiefern Emotionen biologisch oder evolutionär sinnvoll sind und somit nicht irrational.

Ja schon, aber in uns sind eine Vielzahl an Funktionen, die irgendwann mal einen rationalen Zweck verfolgt haben, zwischenzeitlich aber einfach nur mitgeschleppt werden, obwohl die ursprüngliche Zweckdienlichkeit längst nicht mehr besteht. Ich verweise da einfach mal auf unseren Blinddarm. Als unsere Urahnen noch reine Pflanzenfresser waren, war der Blinddarm höchst zweckdienlich, heute ist er zwar nicht gänzlich ohne Funktion, wir können aber auch ganz gut ohne leben. Vergleichbares existiert bei unseren emotionalen oder unbewussten Programmierungen. Es existieren eine Vielzahl an Prozesse, wo kein Mensch weiß, wozu sie überhaupt gut sind bzw. waren, aber die Evolution wirft höchst ungern etwas weg, es könnte ja irgendwann noch ganz nützlich sein. Geht mir z.B. bei viele meiner alten Scripten ähnlich. Ich automatisiere immer wiederkehrende Abläufe schon seit Atari-Zeiten so. Da sind aber oft Unterfunktionen noch drin, wo ich schlicht keine Ahnung mehr habe, wozu sie je da waren und was sie überhaupt machen. Aber da besagte Scripte immer noch anstandslos funktionieren, sehe ich nicht ein sie neu zu schreiben. Was läuft, das läuft – never touch a running system. Eingefügtes Bild

Typischerweise werden die Libet-Experimente als Argumente gegen die Willensfreiheit ins Feld geführt.

Ja, aber das ist Blödsinn. Nur weil etwas unbewusst stattfindet, ist das nicht gleichbedeutend mit unfrei. Der Mensch ist durchaus in der Lage unbewusste Abläufe zu internalisieren. Ich verweise da nur auf antrainierte Reflexe, die ja auch absolut unbewusst vonstattengehen, jedoch sehr wohl ein Ausdruck einer freien Willensentscheidung sind. Natürlich haben solche internalisierte Abläufe den Nachteil, dass, einmal in Gang gesetzt, sie schwer unter Kontrolle zu bringen sind, d.h. abzubrechen, was dir jeder bestätigen wird, der Kampfsport betreibt oder betrieben hat, aber dafür kennt der Gesetzgeber die Affekthandlung bzw. das Affektdelikt. Wenn sich hinterher herausstellt, dass bereits der erste Schlag ausreichend gewesen wäre und die zwei nachfolgenden somit absolut überflüssig waren, dann ist das eben Pech.

Bearbeitet von Ming der Grausame, 10 März 2012 - 17:45.

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#16 Heidrun

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Geschrieben 10 März 2012 - 19:51

@ Ming: Mir ist schon klar, dass der Turbo-Modus mit Adrenalin zusammenhängt. Aber es bleibt der Fakt, dass manche Menschen angesichts einer Messerklinge mit Adrenalin und Aggressivität reagieren, während andere starr vor Schreck dastehen und zittern. Die gleiche Emotion, nämlich Angst, hat zwei gegensätzliche Folgen. In meinem Fall infolge einer rationalen Entscheidung, Kampfsport zu trainieren. Vielleicht. Das erklärt eigentlich nur, warum das Notprogramm einigermaßen koordiniert abläuft, aber nicht, woher das Adrenalin kommt. Ich zweifle vorsichtig, dass Adrenalin schädlicher ist als Alkohol. Zumindest habe ich es ohne Kater oder sonstige Nebenwirkungen überstanden. Auf den Stimulus hätte ich sehr gern verzichtet, aber der Effekt, plötzlich viel schneller zu sein als der Rest der Welt, war absolut faszinierend. Insofern könnte man das einmal im Jahr riskieren, und den Rest des Jahres auf das Bier verzichten. Was die Bewusstheit von Entscheidungen angeht, würde ich gern die nächsten zehn Jahre Hirnforschung abwarten. Die blöden Elementarteilchen sind ja doch nicht schneller als das Licht, sondern ein Messfehler. Wir beginnen gerade erst, im Hirn herumzustochern. Für mein Gefühl ist das sehr viel Interpretation und viel zu wenig Fakten. Wenn es um Denkprozesse geht, hat man immer die Schrödingersche Katze in der Ecke sitzen: Die Beobachtung verändert das Objekt der Beobachtung. Wir können gar nicht anders. Wenn wir uns beobachtet fühlen, verhalten wir uns anders, weil wir jede Menge Emotionen haben.
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#17 Ming der Grausame

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Geschrieben 11 März 2012 - 18:21

Aber dir scheint nicht klar zu sein, dass beides eine direkte Folge einer massiven Adrenalinausschüttung ist. Wer über Handlungsalternativen verfügt, hat in Stresssituationen infolge der Stresshormonausschüttung bessere Überlebenschancen, weil sein Köper alle Energiereserven zur Verfügung stellt, die es überhaupt zur Verfügung stellen kann. Dadurch kann ein trainierter Kämpfer Dinge vollbringen, die er sonst nicht vollbringen könnte. Wer jedoch über keinerlei Handlungsalternativen verfügt, ist durch die massive Stresshormonausschüttung absolut überfordert und gerät dadurch in besagte Schockstarre. Die Evolution ist eben der Meinung, dass es in solchen Situationen besser sei, nichts zu machen als das Falsche. Ich selbst sehe es natürlich anders. Ich bin nämlich felsenfest der Ansicht, dass selbst eine falsche Entscheidung besser ist, als gar keine. Aber ich habe ja auch früher Shōtōkan und später Wadō-RyÅ« 2-mal die Woche trainiert und könnte somit selbst aus einer falschen Entscheidung noch Vorteile für mich schinden. Ferner weiß ich, dass ein bewegliches Ziel schwerer zu treffen ist als ein gänzlich unbewegliches. Ich würde immer zur aggressiven und möglichst überraschenden Vorwärtsverteidigung übergehen – sowohl im Kampf als auch sonst im Leben. Meine zwei Schwestern reagierten ganz früher auch mit einer Schockstarre, aber seit ich sie zum Shōtōkan-Training mitgeschleppt habe, machen sie es nicht mehr. Auch sie gehen heute unmittelbar und ansatzlos zum Angriff über, die eine wie eine Furie direkt zum Kopf, die andere hat dagegen eine Vorliebe für Kniegelenke und Schläge in die Nierengegend. Ich denke, ich habe diesbezüglich meinen Job als großen Bruder ganz gut gemacht. Ich musste mich nie für sie prügeln, sondern bestenfalls schlichtend einschreitend, weil der andere schon genug hatte. Und übrigens: Man ist nicht wirklich schneller, es kommt einen nur so vor, weil deine Wahrnehmung viel umfassender ist. Da werden einfach die vielen Filtermechanismen, die sonst unsere Wahrnehmung vorsortieren, schlicht abgeschaltet. Aber so könnten wir im Alltag gar nicht überleben. Unsere Wahrnehmungsvorfilter haben schon einen Sinn. Unser Gehirn wäre schlicht damit überfordert. Er ist es in solchen Situationen nur deswegen nicht, weil es sich da um viele andere Dinge nicht mehr kümmert, um die er sich sonst außerhalb unserer Wahrnehmung auch kümmert. Aber darum kümmern muss er sich früher oder später auf jeden Fall. Unser Gehirn kann nur kurzfristig nicht ganz so lebenswichtige Prozesse ausklammern.
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