Eben nicht. Dazu müsstest du, wie oben schon gesagt, den Hyperraum - in diesem Fall also das dreidimensionale Universum - in irgendeiner Form "vermessen" haben. Haben wir aber - in unserem Fall - nicht (und bei den Wanzen ist das auch fraglich).
Insofern ist diese Annahme irrelevant; mehr noch: sie führt eine Variable ein, die wir weder vermessen können, noch benötigen.
Für uns ist nur - bei korrekter Vektorierung mittels der Normaltriebwerke - eine Abhängigkeit relevant:
Zielgenauigkeit = f(Feldstärke)
Naja – um durch einen Fluß auf die andere Seite zu schwimmen, muß ich nicht wissen, wie lang er ist. Wenn ich gut schwimmen kann, muß ich auch nicht wissen, wie tief er ist bzw. muß mir wegen stärkerer Strömung und seitlicher Abweichung keinen Kopf machen.
Wie auch immer…
Wir sind uns mit den Normaltriebwerken (oder kleinen Positionstriebwerken) ja durchaus einig – die brauchen wir zur Ausrichtung auf das Ziel entlang der Normalraumachse. Das entspräche der Seitenrichtung eines Mörsers (aus einem Beispiel weiter oben). Wenn die weitere Zielgenauigkeit (kurz oder weit) von der Feldstärke (also der Treibladung) abhängen soll, dann haben wir es mit einem fixen (hyper)Elevationswinkel zu tun. Wie groß der ist, müssen wir eigentlich nicht wissen, solange wir ihn nicht ändern können. Wenn wir wollen, können wir ihn auch aus unseren Überlegungen ausblenden. Übrigens haben wir es dann mit einer Konstante zu tun, nicht länger mit einer Variablen. Uns reicht im Grunde genommen der (Erfahrungs?)Wert der Aufladung, den der Strukturkompensator für die jeweilige Entfernung braucht.
Wenn man allerdings (so wie ich) im Hintergrund einer Story gern mal alles durchrechnet, kann die eine oder andere Formel sehr hilfreich sein. Man bewegt sich dann nicht völlig im Himmelblauen (oder im Hyperraumrot).
Für mich war interessant zu sehen, daß es selbst bei ausgesprochenen Kurzstreckensprüngen (also etwa zur Wega) zwangsläufig zu erheblichen Abweichungen kommt, selbst bei Berechnungen und Justierungen, die auf Bruchteile eines Promills genau sind.
Das hat die Hornschrecken auf die Idee gebracht, Transitionen aus Sicherheitsgründen im sogenannten Grob-Fein-Modus auszuführen. Man springt zuerst in die Nähe des Ziels, wobei man mit dem unvermeidlichen Reichweitenfehler auf der sicheren Seite bleibt – also zu kurz. Erst mit der zweiten Transition springt man die geringe Restdistanz ins System – und hat hier natürlich auch einen proportional kleineren Reichweitenfehler. Z. B. nur noch vier bis fünf Lichtminuten bei einer Sprungweite von einem Lichtmonat. Aus dieser Distanz sollte es möglich sein, mithilfe der Masseortung ein sicheres Zielgebiet ausfindig zu machen.
Was das Problem mit den fahrtlosen Not-Transitionen betrifft: entweder ich
brauche einen (realtivistischen) Fahrtvektor in Sprungrichtung, oder ich brauche ihn
nicht. Wenn ich ihn nicht brauche, dann ist es eigentlich überflüssig, Zeit und Deuterium in eine lange Beschleunigungs- und Bremsphase zu investieren.
Was diese grundsätzliche Entscheidung betrifft, hält sich der Kanon leider bedeckt. Daher meine Idee, daß man diesen Vektor grundsätzlich braucht, weil man sonst das Triebwerk zerstört, aber für Notfälle ein oder zwei Hilfsaggregate, sogenannte „Wegwerftriebwerke“ mitführt, die das Schiff nach Blitzaufladung über eine fixe Distanz in eine zufällige Richtung oder vielleicht sogar zu vorher festgelegten Koordinaten transitieren (Fluchtzone alpha) – mit allen Konsequenzen, die das haben kann. Vergleichbar mit der Notaufstiegsfunktion der Tarierweste eines Tauchers, die kann man (pro Tauchgang) auch nur einmal auslösen.
Es schien mir eine sinnvolle Ergänzung.
Da ist noch ein Problem aufgetaucht, auf das die Hornschrecken hinweisen wollen: das der im Kanon oft beschriebenen Massentransition eines Flottenverbands.
Problem 1: der Schiffsverband zerstreut sich durch individuelle Reichweiten- und Peilfehler wie eine Schrotgarbe.
Problem 2: beim Absprung „frißt“ jedes Schiff die Schockwelle seiner Nachbarn aus kürzester Distanz.
Mögliche Lösung für 1: die Transitionstriebwerke „vernetzen sich“ irgendwie und der Schiffsverband transitiert als einheitliche Struktur – daher gibt es auch nur einen Reichweitenfehler und nur eine Querabweichung. Die relativen Positionen der Schiffe zueinander werden nicht verändert.
Problem: steht so nicht im Kanon
Mögliche Lösung für 2: absolut synchrone, auf die Planck-Zeit (5,4 x 10
-44 sec) genaue Transition aller Schiffe. Dann sollten zumindest die Absprung-Schockwellen ins Leere laufen. Das würde aber erheblichen Rechenaufwand bedingen, hüstel...
Außerdem kämen wir damit zu Problem 3: die Schiffe sind bei der Rematerialisation zwangsläufig den Schockwellen ihrer Formationsnachbarn (bzw. der gesamten Formation) ausgesetzt, auch und vor allem bei absolut synchroner Transition.
Zum Abschluß ein kleines praktisches Beispiel der Folgen einer Fehltransition…
INNERER KERNBEREICH DER GALAXIS
Die quälenden Schmerzen in Kopf und Genick verebbten nur langsam. Sein Schädel dröhnte wie eine angeschlagene Glocke, Schreie und Stöhnen drangen durch das Rauschen in seinen Ohren. Shibatec brauchte nicht durch die großen Panzerplastfenster der Kanzel zu blicken, um zu wissen, daß etwas Schreckliches geschehen war. Er tat es doch, sobald er halbwegs klar sehen konnte. Allerdings bereute er den Entschluß sofort.
Trotz der Polarisationsfilter blendete ihn ein Meer von Helligkeit, als würde das Schiff vor einer Mauer aus gleißendem Licht stehen. Wohin er auch blickte, überall Sterne. Der Massetaster zeigte das wahre Ausmaß des Grauens. Allein im Umkreis von drei Lichtzyklen standen tausende Sonnen aller Größenklassen. Erst kam der Schock, er füllte seinen Körper mit Eiswasser und verknotete seine Eingeweide. Dann kam die Angst, einfache, kreatürliche Angst. Er fühlte sich wie ein Tunnelnager, der von einem Zahnspringer aus seinem Bau gerissen wurde und nun im tödlichen Rachen zappelte. Ziellos tappte er durch die Kommandokanzel. Heftige Stöße erschütterten das Schiff, Warnsirenen heulten, die Beleuchtung flackerte, in einigen Kontrollständen der passiven Ortung prasselten Kurzschlüsse.
In die Schreie mischten sich Flüche, Verwünschungen und irres Gelächter. Irgendwo im Hintergrund des großen Kommandoraums klirrte Metall, dann fauchten Schocker. Nur allmählich wurde es still – zu still. Etwas legte sich schwer auf seine Schulter. Erst da fühlte er, daß sein Körper wie eine Vibrationsfräse zitterte. Ein Gesicht schob sich nah an das seine, bleich und vom Schreck entstellt.
„Nimm dich gefälligst zusammen, Navigator!“ zischte eine heisere Stimme. „Finde deine Nerven, oder ich werfe dich aus der nächsten Schleuse!“
In Shibatecs Angst mischte sich Scham, als er die warme Nässe spürte, die sich zu seinen Stiefeln vorarbeitete. Der Kommandant stieß ihn zurück an die Navigationskontrollen und drückte ihn in den Kontursitz. Tcholteks grüne Augen tränten vor Erregung. Als neben ihnen irres Lachen aufklang, wandte er sich halb um und feuerte seine Waffe ab. Zuckend und gurgelnd rutschte einer der Ortungstechniker aus seinem Kontursitz und krümmte sich zu einem wimmernden Bündel spastischer Muskeln.
„Sieh mich an!“ forderte er dann. „Ich will sehen, ob du mich verstanden hast!“ Er faßte kraftvoll in Shibatecs Bart und riß seinen Kopf herum. „Wir fliegen auf eine Sonne zu“, erklärte er dann unnatürlich ruhig. „Es ist mir egal, was du gemacht hast und wie es passiert ist. Sieh auf deine Ortung! Hinter uns sind die Sonnen weniger dicht! Du bringst uns hier raus – und dann springen wir, mindestens hundert Lichtzyklen!“
Shibatecs Stimme versagte. Er wollte seinen Kopf schütteln, aber brachte nur ein hilfloses Zittern zustande, Tcholteks Griff war unnachgiebig. „Hun... hundert..! Nie... niemals...“ stammelte er dann. Die Mündung des Strahlers preßte sich schmerzhaft in seinen Mundboden. Ein Schalter klickte, das Schnappen klang überlaut in seinen Ohren, der Abstrahlkopf wurde merklich wärmer.
„Gegenkurs“, befahl Tcholtek gleichmütig, während eine neue Erschütterung das Schiff traf. Der Rumpf ächzte, als könnte er jeden Moment bersten. „Fahrtumkehr auf 70 Prozent Licht. Dann springen wir. In eine Lücke zwischen den Sonnen, wir springen genau 100 Lichtzyklen.“
Der Navigator ergab sich in sein Schicksal. Er konnte jetzt gleich sterben, das sah er in Tcholteks Augen, oder später, wenn der FEIND sie holte. Schließlich entschied er sich für die ungewisse Gnadenfrist. Unsicher tastete er nach seinen Kontrollen. Tcholtek ließ von ihm ab. Die ARGA I gehorchte, wie sie immer gehorcht hatte. Das vertraute Dröhnen der Impulstriebwerke gab ihm etwas von seiner Routine zurück, seine Finger zitterten weniger, solange er sie auf den Schalttafeln ließ.
Der schlanke Walzenraumer schüttelte sich. Kräfte jenseits aller Erfahrungswerte griffen nach der Hülle, der flackernde Hyperschirm stemmte sich ihnen nur mit Mühe entgegen. Erschütterungen kamen durch, die von den Andruckabsorbern nur unzureichend ausgeglichen wurden. Zwischen den Sonnen schienen Blitze zu zucken, glutende Risse im All, aus denen Ausläufer gierig nach dem Schiff fingerten.
Tcholtek riß sich von dem apokalyptischen Anblick los. Auf dem kahlen Schädel des Kommandanten standen glitzernde Schweißtropfen. Er ordnete seine edelsteinbesetzte, mit barockem Prunk überladene Kleidung, an der sich zuvor ein vor Verzweiflung irrsinnig gewordener Ingenieur festgeklammert hatte, behielt aber den Strahler in der Hand. Eine schwere Erschütterung warf ihn fast von den Beinen. Die Schiffszelle schwang wie eine angeschlagene Glocke. „Jeder bleibt auf seinem Platz!“ rief er über den Donner der mit Vollschub angelaufenen Triebwerke. „Wer nicht gehorcht, soll brennen! Wir werden hier nicht sterben. Das Schiff ist intakt, alle Systeme arbeiten. Wir können orten und navigieren, also werden wir einen Weg aus dieser Sternenhölle finden!“
Bearbeitet von Lüy Piötlerc, 19 Dezember 2012 - 21:11.