Pabel III (der mystische Autorenplanet)
Nordhalbkugel, Darlton’scher Subkontinent, Castor-Raumhafen
Flüsternd laufen die Pulsationstriebwerke des Gleiters aus, geräuschlos senkt sich die Maschine auf ihrem Prallfeld ab. Die großformatige Panzerplast-Schiebetür der Passagierzelle huscht mit leisem Zischen an der Hülle entlang. Die trotz der frühen Morgenstunde bereits merklich erwärmte Luft stürmt den klimatisierten Innenraum und bringt den Geruch nach Ozon und Metall mit sich.
„Landefeld Sigma 3, Sektor 8“ informiert die Fahrzeugpositronik.
Der einzige Passagier, ein untersetzter junger Mann in sichtlich fabrikneuem Raumanzug, den formstabilen Helm unter den Arm geklemmt, betritt den rauhen, hellgrauen Konkritbelag, der sich in alle Richtungen bis zum Horizont zu erstrecken scheint.
Weit im Hintergrund, im Gegenlicht der noch tief stehenden Sonne Pabel kaum zu erkennen, heben sich im Morgendunst kreisförmige Schatten vor den blaßblauen Bergkämmen am Horizont ab. Das muß der Lakan Tussan-Raumer sein, der gestern hier gelandet ist. Gerüchteweise haben sie den Nukleus einer technikresistent gewordenen Autoren-SI zur Umschulung hierher eskortiert.
Geräusche tragen weit auf der öden, künstlichen Ebene. Einige hundert Meter entfernt marschiert eine Abteilung Autoren-Kadetten in weiß-goldenen Paradeuniformen mit geschulterten Luccot-Karabinern – geradewegs der gnadenlosen, flirrenden Hitze des noch jungen Pragos entgegen.
„Ein Lied!“ brüllt der Ausbildungsoffizier.
„Am Schalenhelm die Funkantenne…!“ antwortet eine einzelne Stimme.
Augenblicke später fällt die die gesamte Abteilung ein. Die unterschiedlich gut getroffenen Tonlagen geben dem altarkonidischen Schlachtgesang eine eigene Note.
Am Schalenhelm die Funkantenne
Blinkt und gleißt im Sonnenlicht!
Unser Schirm aus Hyperfeldern
Beugt sich Strahl und Klingen nicht!
Strahl und Stahl – uns egal
Ruhm und Ehre dem Tai Ark’Tussan!
Der leichte Wind frischt auf und dreht, die weiteren Strophen werden zu undeutlichem Gemurmel verweht. Es geht um Schlachten in der
öden Insel, heute hier und morgen dort, Luccot-Geschütze, flammende Schirme und einsame Gräber auf namenlosen Welten.
Zügig schreitet der Kadett aus und nähert sich seinem eigentlichem Ziel – einer Reihe tonnenförmiger Hangarhallen, aus dem selben hellgrauen Konkrit wie das endlose Landefeld. Halle C1 müßte direkt vor ihm liegen. Eigentlich leicht zu finden – die Bezeichnung steht schließlich in riesigen orangeroten Lettern auf den geschlossen Hälften des bogenförmigen Hangartors.
Offensichtlich wartet dort bereits jemand, unverkennbar ein Arkonide. Die langen, platinweißen Haare strahlen förmlich im Sonnenlicht. Zumindest in den unteren Adelsstufen ist es Sitte, eine UV-aktive Lotion in die Frisur einzuarbeiten, die diesen theatralischen weißer-als-weiß Lichteffekt hervorruft.
Im gebotenen Respektabstand bleibt der Kadett stehen und entbietet seinen Gruß. Den Helm auf dem horizontalen linken Unterarm, 45 Grad nach innen rotiert, rechte Faust links an die Brust… instantan trifft ihn ein strafender Blick aus diesen unangenehm stechenden rotgoldenen Augen. Die ohnehin scharfen Züge in dem bronzegebräunten Gesicht verhärten sich noch eine Nuance. Irgendwas ist schiefgegangen, das war ja klar…
Ach ja – die Meldung!
„Athor - Autorenkadett Rammbüggl meldet sich wie befohlen zum Übungsflug!“
Wenn man diese arkonidische Mimik nur lesen könnte…
„Kadett Rammsknüttel – welche Art von Gruß haben Sie eben entboten?“
Reflexartig errötet der Kadett, der Magen wird klein, der Schweiß kalt. Verdammte Sauerei! Immer derselbe Fehler!
„Athor – den terranischen Gruß, Athor!“
„Aus welchem Grund, wenn ich fragen darf?“
„Athor – aus Gewohnheit – eine Verwechslung, Athor!“
„Dann gewöhnen Sie sich besser den arkonidischen Gruß an – und Verwechslungen ab. Ich warte, Kadett!“
Was heißt nochmal „Arschloch“ auf Satron?
Also von vorn: der linke Arm stimmt, rechte Faust mit dem Daumen in die Mitte der linken Schulter, Handrücken nach oben, Ellbogen gerade nach vorn, Füße stehen schulterbreit, Rücken gerade, Kopf erhoben.
„Dashe Tussan Gosner!“
„Ruhm und Ehre dem Imperium!“ Zackig erwidert der Tharg’athor den Gruß. „Mein Name ist Artho da Sorgith, ich bin Ihr verantwortlicher Ausbildungsoffizier. Sie werden heute ihren ersten Alleinflug absolvieren, sind Sie bereit?“
„Athor – Gos’rah, Athor!“
„Dann darf ich Sie bitten, mir zu folgen…“
Auf eine knappe Geste fährt eine kaum sichtbare Schiebetür zur Seite und gibt den Weg in den riesigen Hangar frei. In der etwa 30 mal 80 Meter großen Halle ist es merklich kühler als draußen, trotzdem wird dem Kadett erstmal schwarz vor Augen. Der Kontrast zwischen der mattgelben Innenbeleuchtung und dem gleißenden Licht der F7 Sonne ist beträchtlich. Es dauert eine Weile, bis sich seine Netzhaut adaptiert.
Der Anblick, der sich dann bietet, wirkt tatsächlich atemberaubend. Wäre das ein Film, müßte jetzt „Sonnenaufgang“ aus Zarathustra erklingen.
Hypnoschulungen und virtuelle Flüge im positronischen Simulator sind eine Sache – dieser Maschine von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen, eine völlig andere. Mattschwarz, gedrungen und doch von animalischer Eleganz steht sie wie ein geducktes, sprungbereites Raubtier auf ihrem Fahrgestell. Tatsächlich ein Fahrgestell, keine Kufen oder Teleskopstützen.
„Das ist der Nachbau eines historischen Jägermodells, aus der Zeit der Zentrumskriege. Zum Vergleich – stellen Sie sich eine Sopwith-Camel neben einer F-35A vor. Dann wäre dies hier ihr Doppeldecker im Verhältnis zu den bekannten Ein-Mann-Jägern. Die Typenbezeichnung wird Ihnen nichts sagen, der inoffizielle Name lautete
Zhym’anca, das heißt soviel wie „Feuerspeer“, oder „Flamelance“, wenn Sie so wollen.“
Gemeinsam umrunden sie die Maschine. Breiter, flacher Rumpf, pfeilspitzenförmig mit messerscharfem Rand, negativ gepfeilte Stummelflächen, deutlich nach unten gekippt, ideal für Kompressionsauftrieb bei hoher Mach-Zahl. Doppelleitwerk, ebenfalls negativ gepfeilt und nach innen gekippt, Canard-Flügel hinter dem Cockpitbereich, sorgfältig modellierte dorsale und ventrale Ansaugöffnungen – offensichtlich für den sekundären Pulsationsantrieb. Rumpfform und Flügelkonfiguration schreien förmlich nach STEALTH – oder
gath, wie die Arkoniden sagen.
Das breite, flache Heck wird vom eindrucksvollen Doppel-Impulstriebwerk beherrscht. Deutlich sind die momentan retrahierten Expulsor-Kränze des Sekundärantriebs zu erkennen. An den Außenflächen des Zwillingsleitwerks ist ein Staffelemblem angebracht, eine leicht durchgeknallt wirkende Wespe, wie eine Comic-Figur gezeichnet, darunter eine Buchstaben- und Zahlenfolge.
„Wir haben die Kennzeichnung eines damals berühmten Raumjagdverbands gewählt. Auf Larsaf würde man vielleicht sagen: „Wacky Wasps Squadron“. Ihr Rufzeichen ist übrigens Wasp 1/1, vergessen Sie das nach Möglichkeit nicht.“
„Wasp 1/1, Gos’rah…“ Leicht irritiert blickt der Kadett in den Hintergrund des Hangars. Dort, fast schon am Ende der Halle, sitzt ein semmelblonder Stoffbär in einem roten T-Shirt mit fettem Grinsen auf einem kleinen, blauen Plastiktraktor – mit Pedalen zum Treten. Seltsam – den muß hier jemand vergessen haben…
„Ventral, beiderseits der Mittellinie, befinden sich zwei Waffenbuchten“, erklärt der Tharg’athor, als sie den knapp 15 Meter langen Jäger einmal umrundet haben. „Für diesen Ausbildungsflug ist nur eine bestückt, mit drei Kurzstrecken-Übungstorpedos, 50 Megatonnen Sprengkraft. Und hier, links hinter dem Cockpit, liegt die Verkleidung der Kanonenmündung. Für Übungszwecke wurde ein leichter Thermostrahler eingebaut, 600 Kilojoule, nanointervall-gepulst über eine zehntel Millisekunde. Kadenz etwa 100 Pulsketten pro Sekunde. Also grob gesagt eine Abstrahlleistung von…?“
„Äh – 60 Megawatt, Athor!“
„Exakt. Nur eine Übungswaffe, aber passen Sie trotzdem auf, wohin Sie schießen. Kernschußweite 2500 Meter. Die Waffe ist zielverfolgend in einer Winkelöffnung von 2,5 Grad.“
Fünfmal der scheinbare Monddurchmesser – wenn man im Kurvenkampf das Ziel auch nur eine Sekunde in diesem Kreis halten kann, ist ein Treffer garantiert. Eine Trefferserie, genaugenommen.
Unmittelbar unterhalb der noch geschlossenen Cockpitkanzel steht etwas in blaßgrauer Farbe auf dem mattschwarzen Rumpf geschrieben:
Gor e Vrahl - Vrahl e Gor - Gor ’Ailrah
Der Tharg’athor ist seinem Blick gefolgt.
„Ein altarkonidischer Sinnspruch. Auf Larsaf würde man vielleicht sagen: fight to fly, fly to fight, fight to win! Ihre nächste Aufgabe wird es sein, den Platz im Cockpit einzunehmen.“
Eine fahrbare Leiter oder ähnliches sucht man in dem weitläufigen Hangar vergeblich. Wenn aber die positronische Simulation in allen Details korrekt war, sind derartige Hilfsmittel auch garnicht nötig. Tatsächlich – da ist sie. Eine schmale, verborgene Klappe an der Rumpfunterseite, auf Höhe der Kanonenmündung, kaum groß genug für vier Finger. Leichter Druck löst die Mechanik aus – eine grazil wirkende Teleskopleiter entfaltet sich und stößt mit ihrem Ende scheppernd auf den Hangarboden.
Triumphierend blickt sich der Kadett nach seinem Ausbilder um. Der scheint wenig beeindruckt. Die Frage: „Worauf warten Sie noch?“ ist in das sonst ausdruckslose Gesicht geschrieben. Eine Turnübung später ist der Rumpf erklommen, die Hilfsleiter teleskopiert in ihren Stauraum, gleichzeitig öffnet sich die goldverspiegelte Cockpithaube aus daumendickem Panzertroplon.
Der Schalensitz aus bernsteinfarbenem Polstermaterial wirkt etwas überdimensioniert in dem engen Cockpit. Der Eindruck täuscht allerdings. In wenigen Sekunden hat er sich Körperform und Größe des Piloten angepaßt. Alles ist in bequemer, ja fast idealer Reichweite, Schubregler, Steuereinheit, Pedale, die Sensorflächen der Cockpitkonsole – wie für ihn maßgefertigt.
Das Anlegen der breiten Troplonitgurte scheint antiquiert – allerdings ist dies auch ein Nachbau eines frühzeitlichen Orbitaljägers. Mit wenigen Berührungen und Gesten werden die Bordsysteme aktiviert, die Maschine erwacht zum Leben.
Scheinwerfer am Fahrgestell flammen auf, Positionslichter blitzen, mit tiefem Summen nehmen die vier Reaktorkammern der Energieversorgung ihre Arbeit auf.
Kaum zwei Millitontas später melden die Cockpitanzeigen den Jäger startklar.
Ein letzter Blick hinunter zum Tharg’athor, das Handzeichen für „alles klar“ wird gegeben. Unvermittelt flutet das harte Licht der Sonne Pabel in den Hangar – das Tor öffnet sich lautlos und zügig.
Ebenso lautlos senkt sich die Cockpithaube. Mit dem Einrasten in die Dichtungsfugen reißt der akustische Kontakt zur Außenwelt ab. In der Kanzel ist kaum ein Geräusch zu vernehmen. Selbst das Flüstern der Klimaanlage ist nur bei einiger Anstrengung zu identifizieren.
Die Pulsationstriebwerke machen sich jetzt durch feines Singen bemerkbar – oder ist es doch ein Tinnitus durch die Anspannung vor dem Erstflug?
Ein letztes Mal rekapituliert der Kadett das übliche Prozedere: Klarmeldung der Maschine abwarten, Anmeldung bei der Inatmo-Kontrolle, Freigabe zum Rollen, Startplatz aufsuchen, Freigabe zum Start - und Abheben!
„Castor Control – Wasp 1/1, request taxi…”
“Wasp 1/1, Castor Control, permission to taxi, launchpad eight left!”
Gefühlvoll schiebt der Kadett den kompakten Schubregler millimeterweise nach vorn. Im Cockpit wird sanftes Brummen hörbar, im Hangar hingegen bricht die Hölle los. Das Dröhnen und Tosen der beschleunigten Luftmassen erinnert an einen Weltuntergang mit Orgelbegleitung. Die beiden Pulsationsaggregate entwickeln einen Standschub von mehr als 30 Kilonewton, ehe sich die fast 50 Tonnen des Jägers zögernd in Bewegung setzen. Die überwiegende Verwendung von molekülverdichtetem Stahl hat eben Vor- und Nachteile – das Belassen der Parkbremse hat hingegen nur Nachteile…
Besonders für den kleinen Stoffbären. Er klebt an einer Blast Door hinten im Hangar. Zum Glück ist der Luftstrom relativ kühl - aber nicht kühl genug für den Plastiktraktor. Bereits merklich verformt, klebt er an der anderen Blast Door.
Die Maschine senkt sich leicht auf das Bugfahrwerk, dann nimmt sie Fahrt auf. Nachdem die Massenträgheit überwunden ist, zieht der Kadett den Schubregler leicht zurück. Am Lärmpegel im Hangar ändert das nur wenig. Im Schrittempo rollt der Jäger aus dem Hangar.
Die virtuelle Leitlinie, die im HUD auf den Boden gezeichnet wird, ist nicht zu übersehen. 100 Meter geradeaus, dann 90 Grad nach links. Ein wenig mehr Schub, etwa 50 km/h sind eine akzeptable Marschgeschwindigkeit für den Weg zur Bereitstellungszone.
Ein Launchpad im arkonidischen Sprachgebrauch stellt keine konkrete Struktur dar. Es handelt sich dabei lediglich um eine kreisförmig begrenzte Fläche auf einem planetaren Landefeld, die für Start oder Landung bestimmter kleinerer Schiffstypen vorgesehen ist. Eine Bereitstellungszone kann man sich als Gruppierung von Lauchpads vorstellen, in einigem Sicherheitsabstand zu Gebäuden und anderen festen Einrichtungen, damit sich die Schock- und Druckwellen eines etwaigen Gewaltstarts auch dann ausreichend abschwächen können, wenn die Abweisfelder nicht arbeiten sollten.
Dieses Launchpad trägt eine ringförmige, meterbreite blauviolette Markierung, nicht zu übersehen. In der Mitte der Fläche tippt der Kadett die Bremsen etwas energischer an, prompt kommt der Jäger nickend zum Stillstand. Heulend laufen die beiden Pulsationsaggregate aus, der äußere Geräuschpegel stabilisiert sich bei einem verhaltenen Grummeln.
„Castor Control – Wasp 1/1, request takeoff…”
“Wasp 1/1, Castor Control, permission to takeoff, vertical cold to angels five!”
Freigabecode
vertical cold – das bedeutet Antigravstart ohne Einsatz der “heißen” Pulsationstriebwerke.
Angels five – bedeutet soviel wie: ab 5000 Meter ist hier Achterbahn!
Kaum wahrnehmbar ändert das feine Singen seine Tonlage, wird eine Spur energischer und lauter. Die Lastwechselanzeigen des Fahrwerks fallen gegen Null, dann zeigen sie Kontaktverlust an. Mit einem knappen Drittel der Schwerebeschleunigung beginnt der Jäger nach oben zu „fallen“. Dieser atemberaubende Effekt muß es wohl gewesen sein, der zu dem irreführenden Begriff „
Antigravtriebwerk“ geführt hat. Nennenswerte Antriebskraft entfalten diese Aggregate nur in Anwesenheit von ausreichend starken Schwerefeldern. Im interstellaren Leerraum sind sie so gut wie wirkungslos.
Die Kontrollanzeigen des Fahrwerks blinken zweimal und erlöschen dann. Eingefahren und verriegelt. Höhe 60 Meter und steigend. Bei konstanter „Fallbeschleunigung“ knapp zehn Millitontas bis zur vorgeschriebenen Höhe – etwa 55 Sekunden.
Mit zunehmender Geschwindigkeit dreht der Jäger die Nase in den Luftstrom. Sein aerodynamisches Verhalten ist extrem instabil, sich selbst überlassen würde er sich in Sekundenbruchteilen überschlagen und das Heck in die Flugrichtung drehen. So aber wird hunderte Male pro Sekunde die Fluglage und das Ausbrechverhalten der Maschine überprüft und durch kaum merkliche Steuerkommandos eine stabile Fluglage erzwungen.
Senkrecht scheint der Jäger in der Luft zu stehen, während die Planetenoberfläche unter ihm ins Bodenlose fällt. Die digitale Höhenangabe im HUD nähert sich immer schneller der 5000 Meter-Marke.
Dann ist es soweit – zügig schiebt der Kadett den Schubregler nach vorn, bis zum Anschlag. Donnernd erwachen die Pulsationsaggregate aus ihrem Bereitschaftsschlummer. Mit einem Satz springt die Maschine in den Himmel – und durch die Schallmauer, an der sie bereits im „Fallaufstieg“ gekratzt hatte. Schnell ist Mach 2 erreicht, die Planetenkrümmung ist bereits deutlich zu erkennen, der Himmel färbt sich über Dunkelblau und Violett zu samtschwarz, kaskadenartig erstrahlen die Sterne über Pabel III.
„Sie fliegen Mach fünf“, meldet sich die Stimme des Tharg’athor, „45 Kilometer und steigend. Das ist hoch genug – schalten Sie um auf Impuls und steigen Sie auf Ihre Orbitalhöhe. Achten sie auf die freigegebene Umlaufbahn…“
Was jetzt folgt, verhält sich wie der Sprint eines Gepards zum Dahinkriechen eines Fadenwurms. Ruckartig teleskopieren die Expulsorkränze in ihre Exatmo-Position, gleichzeitig flammen die Schubdüsen des Zwillingsimpulstriebwerks auf.
Auf dem Heckbildschirm scheint Pabel III mit einem gewaltigen Satz in die Tiefen des Raums zu flüchten, zwischen zwei Wimpernschlägen hat er nur noch die halbe scheinbare Größe.
Nach wenigen Atemzügen ist die Manöverzone im Bereich des oberflächensynchronen Orbits erreicht, in 36.000 km Höhe über dem Äquator des Planeten. Der Jäger kippt wie ein Spielzeug um die Querachse, ein kurzer Schubstoß bremst ihn auf Orbitalgeschwindigkeit ab. Seitlich hängt die strahlend helle Sichel von Pabel III im Raum, fast 19 Grad im scheinbaren Durchmesser. Die Positionsdaten im Holodisplay zeigen, daß der Jäger seine Parkposition auf wenige Kubikmeter genau eingenommen hat.
Jetzt heißt es warten. Die zugewiesene Sicherungszone entspricht einem Orbitsektor von etwa 25 Grad – genauergesagt einer Raumkugel mit einem Durchmesser von knapp 16.000 km.
Wenige Minuten später melden sich die orbitalen Überwachungssysteme, allen voran der Massetaster, nur knapp vor der ebenso unbestechlichen Infrarotortung.
„
There is no stealth in space“ würde ein alter arkonidischer Grundsatz übersetzt lauten. Alles nur eine Frage von Ortungsempfindlichkeit, Entfernung und Geduld.
Millitontas später ist die Gruppe der Übungsziele eindeutig erfaßt. Wie Perlen auf einer Schnur nähern sich die fünf Kontakte auf tangentialem Kurs dem Planeten. Abstände konstant mit knapp drei Kilometer, Geschwindigkeit 13 km/sec, keine IFF-Kennung, unbekannte Aggregatsignatur. Die optische Erfassung enthüllt Interessantes:
Es handelt sich um gedrungen-kegelförmige, metallisch schimmernde Objekte, offenbar von einer flachen, transparenten Kuppel überdeckt, darunter ein rasend schnell rotierender Kranz aus hochglanzpolierten Metallflächen, als Abschluß eine sanft gewölbte Bodenplatte. Basisdurchmesser ungefähr sechs Meter, etwas groß für Zieldrohnen, ziemlich klein für echte Raumschiffe.
Das Rollenspiel kann beginnen. Mit wenigen knappen Gesten, die an magische Beschwörungen erinnern, lenkt der Kadett den Jäger aus dem Orbit auf einen Abfangkurs. Drei kurze Schubstöße aus dem Impulstriebwerk, im freien Fall nähert er sich mit 60 km/sec tangential der Formation der Eindringlinge. In einer Schrägentfernung von 800 km nimmt er eine Position hinter und etwas „unterhalb“ des Pulks ein.
„Schiffe im Anflug auf Planet – drehen Sie ab und identifizieren Sie sich!“
Keine Reaktion.
„Schiffe im Anflug auf Planet – Sie dringen in militärisches Sperrgebiet ein. Drehen Sie ab und identifizieren Sie sich!“
Die fünf Silberkreisel lassen sich dadurch nicht beeindrucken – sie kennen die ihnen zugedachte Rolle.
Zwei Gesten mit Daumen und Zeigefinger über dem Ortungsdisplay vergrößern die Darstellung der Formation. Rote Karos ersetzen die gelben Quadrate – die Kontakte sind zu Zielen geworden. Drei sanfte Berührungen erzeugen kleine, blinkende Markierungen in der Formation, hinter dem Ersten, vor dem Fünften und etwas querab vom Mittleren. Eckige Klammern umfassen wenig später die drei Wegmarken, im Helm des Kadetten ertönt ein in drei Stufen anschwellendes, schnarrendes Summen.
Die linke Waffenbucht öffnet sich. Drei grellblaue Plasmaflammen beleuchten für Augenblicke den nachtschwarzen Rumpf. Rasend schnell nähern sich die Übungstorpedos den vorprogrammierten Zündpunkten. Mit zwei Handgriffen dreht der Kadett den Kontakten die Unterseite des Jägers zu. Der Rumpf ist immer noch der beste Blendschutz. Keinen Augenblick zu früh. Synchron zünden die HHe-Ladungen. Dreimal 50 Megatonnen Vergleichs-TNT treten in den Kernprozeß. Ehe das träge menschliche Auge den Vorgang wahrnehmen kann, ist alles vorbei.
Drei ultrahelle Blitze, sphärische Plasmawolken, die von den weiß aufglühenden Zielen in den Raum geschleudert werden, gefolgt von einem radialen Funkenregen und kurz nachglühenden größeren Brocken.
„Abschuß Zielgruppe – Wirkungstreffer – Totalverlust“ meldet das Feuerleitsystem.
Aus der regelmäßigen Kette von hellen Lichtpunkten ist ein diffuser Schlauch blinkender Partikel geworden, der sich schnell zu einem elliptischen Trümmerfeld ausdehnt.
Automatisch scannt die optische Erfassung die größten Wrackteile – bizarr verformter, ausgeglühter Raumschrott, keinerlei relevante Energiesignaturen mehr. Absoluter Totalverlust in allen fünf Fällen. Mission erfüllt.
„Ausgezeichnet!“ meldet sich die zufrieden klingende Stimme des Tharg’athor, „aber halten Sie künftig mehr Abstand. Wenn man einen Reichweitenvorteil hat, soll man ihn stets ausreizen. Sie erhalten nun die Koordinaten für ein Inatmo-Manövergebiet. Programmieren Sie einen möglichst direkten Abstiegskurs. Achten Sie auf Ihre Endgeschwindigkeit. Nicht mehr als Mach fünf in 40 km Höhe!“
Mit wenigen Handgriffen entsteht ein intuitives Navigationsholo über der Mittelkonsole. Eine elegant geschwungene Kurve verbindet die Position des Jägers mit dem Manövergebiet über den Wolken von Pabel III. Zielflughöhe und Endgeschwindigkeit werden wir vorgeschlagen gewählt, eine simple, analoge Zeitskala wird mit Daumen und Zeigefinger auf ein Minimum gestaucht – und Ausführung!
Zwei kurze Schubstöße bringen den Jäger auf Kurs, ein längerer, dritter läßt ihn mit 1000 km/Sekunde auf den Planeten zurasen, der Kurzvektor zeigt hinter die Krümmung der hell strahlenden Sichel der Tagseite, die sich zusehends vor dem Jäger aufzublähen scheint.
Dann, als die bereits deutlich sichtbare, dünne Schicht der Atmosphäre am Horizont zum Greifen nahe scheint, kippt die Maschine unvermittelt um die Querachse – Gegenschub, einige Millitontas später ist die rasende Fahrt praktisch aufgezehrt, übergangslos beginnt der Wiedereintritt.
Unter dem Jäger spannt sich ein schüsselförmiges Prallfeld auf, sonnenhell flammen die brutal verdrängten Luftmassen, selbst in dieser großen Höhe. Die Geschwindigkeit liegt bei 30 km/s und fällt schnell, trotzdem rast die kleine Maschine mit hohem Anstellwinkel wie ein Meteor auf die Oberfläche zu. Mit zunehmender Luftdichte steigt die Bremswirkung exponentiell an – ebenso die Helligkeit der Leuchterscheinung. In der letzten Phase zünden ventrale Schubdüsen, leichtes Rütteln erfaßt die Maschine, als sie sich in Flugrichtung ausrichtet und unvermittelt wieder dem Ansturm der Luftmassen bei Mach fünf ausgesetzt ist.
Ein flüchtiger Blick auf die Anzeigen im Helmdisplay: 40.000 Meter und fallend, Mach 4,99 und fallend. Punktlandung.
„Sehr gut,“ meldet sich der Ausbildungsoffizier. „Pabel III hat Sie wieder. Scheinbar ist die Maschine noch in einem Stück, Sie überraschen mich. Steigen Sie jetzt weiter ab, unter 20 Kilometer. Sie bekommen zwei inatmo-Übungsziele für den Luftkampf mit Bordkanone. Folgende Regel: wer den anderen innerhalb von zwei Kilometer für eine viertel Millitonta in den Visierkreis bekommt, gewinnt. Alles klar? Dann los – gute Jagd!“
Weitere Übungsziele – fein, aber wo? Die Sensoren des Jägers zeigen im Moment nichts an. Allerdings - Frechheit siegt…
„Castor Control, Wasp 1/1, request vector to target!“
„Wasp 1/1, target bearing zero-four-seven, angels 15, 95 K’s!“
Na bitte, geht doch. Mit derzeit Mach drei bleiben knapp zwei Minuten bis zum genannten Abfangpunkt. Bei 70 Kilometer zeigt die inatmo-Masseortung den ersten Blip an. Dem Kursverlauf nach kann das nur das erwartete Übungsziel sein. Der Kadett zieht den Jäger erst nach rechts, dann wieder nach links. Im HUD erscheint eine blinkende Raute, der Vektorbalken weist etwa 20 Grad nach links, Differenzgeschwindigkeit fast Mach 1,5.
Bei 30 Kilometer schalten sich die optischen Systeme auf. Durch die starke Vergrößerung ist der Gegner leicht zu identifizieren. Tief links unten auf 10:00 Uhr fegt er über das titanweiße Wolkenmeer, eine mattsilbrige Kugel zwischen zwei hexagonalen Flächen, die an präkosmische Solarpanele erinnern.
Etwas Geduld bei der Annäherung – nicht vorzeitig den Höhenvorteil aufgeben. Die Sonne Pabel steht günstig, selbst modernste Optiksysteme scheuen die Lichtflut eines F7 Hauptreihensterns. 10 Kilometer, 8 – 6 – mit einer halben Rolle geht der Jäger in den Sturzflug und kurvt ein, wie ein Raubvogel auf eine fette Taube stürzt er auf sein Opfer zu, schnell, viel zu schnell.
Das Ziel reagiert, zieht im leichten Steigflug heftig nach links. Der Jäger würde überschießen, eine fatale Situation. Reflexartig nimmt der Kadett Schub weg, Knüppel nach hinten und rechts, Luftbremsen raus. Die Maschine steigt auf, Vektorrolle, Sturzflug, Abfangen in Linkskurve. Da erscheint das Ziel von links, fliegt ihm förmlich vor die Nase, wie festgeklebt hängt die kleine, dreieckige Geschützmarkierung im geometrischen Mittelpunkt. Es bricht nach rechts aus, reagiert aber einen Augenblick zu spät – eine Sekunde im Visierkreis reicht. Die Kanone löst aus, zuverlässig filtert die Helmscheibe die blendendhellen Plasmaexplosionen weg – zumindest fast. Immerhin müssen im Ziel Temperaturen über einer Million Kelvin entstanden sein. Eine kleine Bewegung am Steuerknüppel und die glitzernde Trümmerwolke verschwindet unter dem Jäger.
Wo ist das zweite Ziel?
„Wasp 1/1, be advised! Target bearing one-five-eight, angels 10, five K’s!”
Annäherungswarnung – 05:00 Uhr. Natürlich.
Die Thermalfelder der Pulsationstriebwerke glühen auf, als der Kadett Vollschub gibt. Auf dem Heckbildschirm ist der Kontakt klar zu erkennen, noch so eine seltsame Kugel mit Solarzellenflügel.
Mit leichtem Rütteln nähert sich der Jäger schnell wieder Mach drei. Kann der Gegner Schritt halten? Sieht nicht so aus, oder doch? Er taucht nach unten weg – ein alter Trick. Ruckartig nimmt der Kadett Schub weg, zieht die Nase hoch, wie eine gereizte Kobra richtet sich der Jäger auf, wie eine Wand bremst der massive Luftwiderstand, breite Nebelstreifen hängen an den Enden der Stummelflächen. Ein präkosmisches Kampfflugzeug wäre jetzt in seine Bestandteile zerlegt worden. Chancenlos prescht der überraschte Gegner rechts unten vorbei.
Der Jäger steht einen Augenblick senkrecht auf den Schubstrahlen seiner Triebwerke, kippt in Rücklage, dreht schließlich um die Querachse, die Nase kommt wieder hoch. Schnell nimmt die Maschine unter Vollschub Geschwindigkeit auf. Da vorne ist er, bricht nach rechts aus, verzögert stark.
Gefühlvoll nimmt der Kadett den Knüppel zurück und nach links – Faßrolle, hohe G-Belastung, kaum relevant unter der gewählten Absorber-Bandbreite. Rechts unten auf 02:00 Uhr taucht der Gegner wieder auf, dreht immer noch heftig nach rechts, zuckt nach links, oben und unten aus dem Visierkreis – aber jetzt: Plasmablitz, Glitzerwolke – und weg!
Eine weitere Annäherungswarnung, ein dritter Gegner, links vorne, auf 11:00, greift von oben an, direkt aus der Sonne… Das war nicht geplant!
Grüne Blitze zucken rechts unterhalb des Jägers vorbei. Das Übungsziel hat gefeuert, das war auch nicht geplant!
„Du hast doch diese grüne Scheiße nicht grade auf mich geschossen?!“
Hart zieht der Kadett den Jäger nach links, Breakturn mit 15 Gravos, ein normaler Pilot wäre jetzt bewußtlos – oder tot.
Ein Gedanke durchzuckt ihn:
Deflektorfeld!
In der Hitze des Gefechts kann man wirklich auf alles vergessen. Eine Handbewegung, die markante, dunkle Silhouette des Jägers verschwindet fast völlig vor dem hellen Hintergrund. Keine echte Unsichtbarkeit, wie sie moderne Systeme liefern, bei weitem nicht – aber man muß schon sehr genau wissen, wo man zu suchen hat…
Getarnt vollendet der Jäger den Dreiviertelkreis, Vollschub,
speed is life – wo ist der Gegner?
Unter ihm – außerhalb seiner Kurve. Eigentlich sollte der jetzt überschießen, hält aber eisern seine Positon in der engen Kehre, er sucht offenbar sein Ziel. Dann zieht er den Radius zu, will nach links queren.
Hart zerrt der Kadett am Knüppel, zwingt den Jäger hoch in eine halbe Rolle nach links. Da unten ist der Gegner, fast senkrecht unter ihm. Sturzflug, Schub weg, im Abfangen hart nach links, Luftbremsen raus, nur nicht wieder überschießen! Da taucht er auf, von 03:00, zieht von rechts oben quer vor den Jäger. Fast schon gemächlich wandert der Gegner durch den Visierkreis.
Der Schmock hat keine Ahnung, was hier los ist…
Bremsen weg, Schub rein, eine Sekunde reicht – Abschuß. Nach dem flackernden Plasmablitz beibt ein blinkender Trümmerregen, einen Wimpernschlag später ist alles in der Wolkendecke verschwunden.
Heulend vor Begeisterung zwingt der Kadett den Jäger in eine weitere Faßrolle.
„Machen Sie sich nichts vor!“ dämpft der Ausbildungsoffizier seine Laune. „Das waren Übungsziele auf Anfängerniveau! Aber immerhin haben Sie begriffen, daß man kämpft, solange Gegner da sind – und erst hinterher nachzählt. Viele Kadetten vergessen das. Landen Sie jetzt nach Anweisung von Castor Control, wir sehen uns dann zur Nachbesprechung! Dashe Tussan Gosner!“