Tichy
Ich finde den Roman auch rund. Es gibt zwei Fäden (Erde jetzt und Rakhat zuvor), die sich gut miteinander verknüpfen. Es gibt zwei inhaltliche Hauptthemen, der Erstkontakt und die Gottesfrage (Theorie Tichy 4 und 5). Alle Fäden laufen bei Emilio zusammen, der am Ende des Buches geläutert steht und dabei ist, die Dinge zu verarbeiten.
Es ist kein Action-Roman. Die Entwicklungen werden meist vorweggenommen, daher wissen wir, was kommen wird. Trotzdem bleibt es in sich spannend, weil wir wissen wollen, wie es dazu kam und der Weg dorthin sehr gut beschrieben ist.
Obwohl ich Emilios inneren Konflikt (gibt es Gott, warum lässt er diese Dinge zu) nicht teile, kann ich den „schalen Nachgeschmack“ bei der Lektüre nachvollziehen, der sich meiner Meinung nach daraus ergibt, dass erst alles prima läuft, sogar noch lange nach Ankunft, und dann übel endet. Ist nun „Alles eitel“? oder hat alles etwa einen „höheren Sinn“? Etwa, daß durch die Menschen der Planet Rakhat nachhaltig in seiner Entwicklung zum Guten, also zum Vorteil der Underdogs beeinflusst wird? Ich vermute, daß letzteres die Antwort sein wird, die Russell in ihrem Folgeband gibt. Insofern brauche ich den auch fast nicht mehr zu lesen.
Die Sache mit dem Erstkontakt gefällt. Zunächst mal ist ja heute „Entdecken, Erobern, Missionieren“ halbwegs negativ belegt, da die Eingeborenen immer als Opfer auftreten. Missionare waren doch in erster Linie immer die natürlichen Feinde der Ethnologen, weil sie immer zuerst da sein mussten und damit die originale Kultur schon „verpfuschten“. Auf den zweiten Blick stellt sich heraus, dass nicht alle Missionare doof waren, sondern oftmals in viel höherem Maße die geforderte „teilnehmende Beobachtung“ erfüllten und grundlegende wissenschaftliche Basisarbeit (Wörterbuch, Zensus etc.) für die späteren „guten“ Wissenschaftler lieferten.
Zwar wurde schon lange kein neuer Stamm mehr entdeckt, aber Ethnologen und Missionare gibt es immer noch, wiewohl heutzutage alle viel bewusster „auf Samtpfötchen“ agieren, da sie um die vergangenen Probleme wissen.
So, jetzt befinden wir uns in einer näheren Zukunft, wir wollen auch pfiffigerweise gar nicht mehr missionieren, sondern nur noch kennenlernen und wir wissen inzwischen auch Bescheid, dass durch unser Auftauchen beim Anderen, dieses Andere schon unwiderruflich von uns beeinflußt wird. Daß am Anfang alles so easy scheint, bereitet uns auf die bittere Wahrheit vor: man kann es nicht richtig machen, auch nach so viel Wissen über unsere vergangenen Erstkontaktversuche nicht. Darum war es wichtig, dass dies kein historischer Jesuitenpaterroman ist. Auch wenn alle auf Rakhat Englisch gesprochen hätten, hätte es unweigerlich Probleme gegeben, die man unmöglich hätte vorausahnen können. Andere Kategorien, andere Werte. Was für den einen wie Vergewaltigung aussieht, ist für den anderen Hochgenuß, der künstlerisch verarbeitet werden möchte. Die Wertung bekommen wir gleich mitgeliefert: leicht dekadente, barocke Gesellschaft (aha! deshalb also). Was gäbe es sonst noch für Erklärungsmöglichkeiten? Na jedenfalls nur welche, die unser Hirn denken kann, und deshalb behaupte ich, dass SF ja doch immer nur über unsere Gesellschaft schreiben kann und die Aliens in Büchern immer relativ menschenähnlich sind, zumindest in ihrem Verhalten. Wie sollen wir uns denn auch etwas völlig Unbekanntes vorstellen? Wir müssen mit dem operieren, was wir haben und eventuell interessante Neuverknüpfungen darbieten.
Interessant auch diese Kreation der Räumlich - Nicht-räumlich Kategorien, die ja tatsächlich nur eine von vielen Andersartigkeiten sein wird. Hat dieser Umstand jetzt eigentlich Implikationen für die Geschichte gehabt, außer zu zeigen, dass es woanders eben anders ist? Dann bitte ich darum, mir das mitzuteilen, habe ich nicht so schnell begriffen.
Ja die Charaktere sind ein wenig zu sehr archetypisch und ein bisschen zu wenig alltäglich angelegt. Aber da die SF nicht gerade für ihre Highlight-artigen Charakterisierungen berühmt geworden ist, bin ich mal nicht heiliger als der Papst. Es gibt Anne und George Typen, überall in den USA (noch). Was mir fehlt ist vielleicht, dass sie ein bisschen realer hätten sein sollen. Im echten Leben würden Anne und George nicht den ganzen Tag Witze reißen, obwohl, wenn Besuch da ist, kann es schon mal vorkommen. Neee, eigentlich stört mich nur der Einsatz derselben. Vor allem Anne musste ein paar Male dafür herhalten, die Stimmung im Buch ein wenig aufzupeppen, dass kam zu deliberate/absichtlich rüber.
Mich hat Russell angenehm an Kate Wilhelm erinnert, die schon lange Mysteries schreibt und ganz davon mal abgesehen sowieso absolut hervorragend ist. Aus diesem Grunde musste ich sofort ein Buch von Letzterer lesen. Gut zu wissen, dass, wenn ich alle Kate Wilhelm Bücher durch habe, mich halbwegs mit Russell trösten kann.
P.S.: Ich empfehle den Link auf Seite 1 (Interview mit AC)
P.P.S:
Zitat
Das liegt vielleicht an Deinem fehlenden Y-Chromosom 
Mir
fehlt eigentlich Nichts, vielen Dank
Bearbeitet von Impala, 21 März 2004 - 22:09.