Philip K. Dick - Nach der Bombe (2. Lesezirkel)
#31
Geschrieben 01 Oktober 2012 - 15:24
#32
Geschrieben 01 Oktober 2012 - 18:10
Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.
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#33
Geschrieben 01 Oktober 2012 - 21:40
#34
Geschrieben 01 Oktober 2012 - 21:50
Mittlerweile verstehe ich, warum im Klappentext von Dicks menschlichstem Roman die Rede ist. "Nach der Bombe" ist genau das, was der Titel ankündigt: ein Roman über das Leben nach der Bombe. Nicht mehr und nicht weniger. Im Gegensatz zu "Ubik" oder "Zeit aus den Fugen" gibt es kein besonderes Mysterium, das sich als roter Faden durch die Handlung zieht und das es aufzulösen gilt. Und obwohl manche Charaktere zwar über übernatürliche Fähigkeiten verfügen, wird der Ursprung dieser nicht in dem Sinne hinterfragt, dass mit einer Auflösung am Ende zu rechnen ist. Im Prinzip ist "Nach der Bombe" also 'nur' ein postapokalyptisches Kleinstadtpanorama, das in verschiedenen Szenen über das Leben der Bewohner von Marin County berichtet.
Aber dennoch finde ich den Roman interessant, was zum Großteil an den teils doch sehr absonderlichen und dennoch menschlichen Charakteren liegt. Dick hat schon ein feines Gespür dafür, die Gedankengänge einer Figur so zu vermitteln, dass ihr daraus resultierendes Handeln für den Leser nachvollziehbar erscheint. Selbst wenn es sich dabei um einen wahnhaften Paranoiker wie im Falle von Bluthgeld handelt.
Und nicht zuletzt die typisch dick'schen Situationen machen das Buch für mich lesenswert. Zum Beispiel in Kapitel 13...
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Was Stuart angeht:
Also ich finde zwar auch, dass er noch einer der normalsten Charaktere ist, aber was ihn in meinen Augen unsympathisch macht, ist seine konsequente Benutzung der Wörter "Krüppel" und "Missgeburt" Hoppy gegenüber. Nun ist Hoppy ja beileibe kein Heiliger - wie eigentlich keine der Figuren, was sie für mich auch so menschlich macht - aber trotzdem gefiel mir diese Angewohnheit Stuarts überhaupt nicht.
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Ich hab irgendwo gelesen (ich glaub, es war der Thread zum ersten "Nach der Bombe"-Lesezirkel), dass Bluthgeld selbst im englischen Original Bluthgeld heißt und sein Name nur für den Titel sozusagen eingeenglischt wurde. Deshalb heißt Dangerfield also nicht Gefahrenfeld...Dangerfield (warum wurde eigentlich der Name nicht auch eingedeutscht?)
Bearbeitet von Seti, 01 Oktober 2012 - 21:55.
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
#35
Geschrieben 02 Oktober 2012 - 08:17
Das gefiel mir gerade gut.Was Stuart angeht:
Also ich finde zwar auch, dass er noch einer der normalsten Charaktere ist, aber was ihn in meinen Augen unsympathisch macht, ist seine konsequente Benutzung der Wörter "Krüppel" und "Missgeburt" Hoppy gegenüber. Nun ist Hoppy ja beileibe kein Heiliger - wie eigentlich keine der Figuren, was sie für mich auch so menschlich macht - aber trotzdem gefiel mir diese Angewohnheit Stuarts überhaupt nicht.
Dick setzt sich einfach über unsere bestehenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen hinweg. Für Stuart ist es normal. Für uns ist es eine Art Tabubruch.
Bei genauerem Hinsehen ist es eine zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft übliche Gepflogenheit so etwas zu tun. Man disdriminiert ein Wesen aufgrund eines biologischen Merkmals, das nicht verändert werden.
Mal ganz davon abgesehen ist Hoppy eine Missgeburt - und war in jeder Hinsicht. Er ist ein total gestörter Lügner, er ist gewalttätig und seine Realitätssicht ist stark verzerrt.
#36
Geschrieben 02 Oktober 2012 - 10:57
Ein Tabubruch sollte aber in einer Geschichte einen (moralisch bewertbaren) Sinn ergeben. Und ich sehe in diesem Tabubruch keinen Sinn, außer, dass dadurch eine Person unsympathisch wirkt. Allerding entwickelt Stuart sich und er wirkt auf mich zum Schluß relativ ausgeglichen und normal.Das gefiel mir gerade gut.
Dick setzt sich einfach über unsere bestehenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen hinweg. Für Stuart ist es normal. Für uns ist es eine Art Tabubruch.
Nur weil ein irrationales gesellschaftliches Verhalten existiert, heißt das nicht, dass man dieses Verhalten akzeptieren muß oder sollte. Wenn wir eine humane Gesellchaft wünschen, und wenn wir das Ideal verteten, dass wir Menschen nicht danach beurteilen was sie sie sind, sondern was sie tun, müssen wir dafür Sorge tragen, dass Diskriminierungen verschwinden. Denn schließlich kann jeder irgenwann zu einem Ziel einer Diskriminierung werden. Und das will eigentlich niemand.Bei genauerem Hinsehen ist es eine zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft übliche Gepflogenheit so etwas zu tun. Man disdriminiert ein Wesen aufgrund eines biologischen Merkmals, das nicht verändert werden.
Hoppy ist im Gegenteil ein tragischer Fall. Von Geburt an schwerbehindert, in seiner Kindheit wegen seiner Behinderung, für die er nichts kann, ständig angegangen, sogar vom Priester, musste seine Persönlichkeit schon fast zwangsläufig deformieren. Anfangs sah es noch so aus, als würde er sein Schicksal, gegen alle Widerstände, aus eigener Kraft meistern. Doch je stärker seine besonderen zusätzlichen Fähigkeiten zu Tage traten, bemerkte Hoppy, dass er nicht mehr von seinen Mitmenschen abhängig war, außer von ihrer Bewunderung, und er sie im Gegenteil jetzt beherrschen und manipulieren konnte und ... er erkrankte an Selbstüberschätzung und Größenwahn.Mal ganz davon abgesehen ist Hoppy eine Missgeburt - und war in jeder Hinsicht. Er ist ein total gestörter Lügner, er ist gewalttätig und seine Realitätssicht ist stark verzerrt.
Zum Roman im Allgemeinen ...
Ich bin etwas ratlos was ich von alledem halten soll. Für mich ergibt die Geschichte in der Summe wenig Sinn. Der Roman besitzt keine echte Dramaturgie und beschränkt sich auf die Aneinanderreihung von Szenen aus dem Leben nach einem Atomkrieg. Die sind für sich genommen, durchaus hübsch gelungen, aber es ergibt sich daraus kein kohärentes Ganzes. Dick zeichnet ebenfalls kein wirklich realistisches Bild von der Zeit danach, dazu driftet die Geschichte teils zu sehr in phantastische Regionen ab. Manches ist einfach nur grotesk. Für mich hätte er sich das Mutantengedöns z.B. völlig ersparen können. Es nimmt der Geschichten ihren realistischen Gehalt und lässt den Roman teilweise lächerlich erscheinen. Sicher ist das von Dick so beabsichtigt, aber für eine Satire wiederum, ist mir der Roman nicht exakt genug auf den Punkt bezogen der ihm wichtig erscheint und die Figuren nicht überzogen genug gezeichnet, wenn man im Vergleich dazu an den Film, Dr. Strangelove ... von Stanley Kubrik denkt. Mir ist also nicht klar, was Dick mit dem Roman eigentlich aussagen will. Es wirkt alles ein wenig halbherzig. Will er nun die Atomangst karikieren, oder die kleinbürgerliche Welt des amerikanischen Mittelstandes, die Angst vor radioaktiver Verstrahlung auf Korn nehmen, vor Mutationen, genetischen Defekten und Missbildungen? Ich weiß es nicht.
LG Trurl
Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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#37
Geschrieben 02 Oktober 2012 - 11:20
Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.
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#38
Geschrieben 02 Oktober 2012 - 12:57
Es geht nicht so sehr um Irrationalität, sondern darum, was eine Gesellschaft als normalen Wertmaßstab betrachtet. Ich mache mal einige Beispiele die das Ausmass solcher Bewertungen sichtbar machen. Es gibt sie überall und auf allen Ebenen.Nur weil ein irrationales gesellschaftliches Verhalten existiert, heißt das nicht, dass man dieses Verhalten akzeptieren muß oder sollte. Wenn wir eine humane Gesellchaft wünschen, und wenn wir das Ideal verteten, dass wir Menschen nicht danach beurteilen was sie sie sind, sondern was sie tun, müssen wir dafür Sorge tragen, dass Diskriminierungen verschwinden. Denn schließlich kann jeder irgenwann zu einem Ziel einer Diskriminierung werden. Und das will eigentlich niemand.
In früheren Zeiten: Weil du eine schwarze Hautfarbe hast, darf ich dich als Sklaven halten.
In bestimmten arabischen Ländern: Weil du eine Frau bist, darf ich dich ins Haus sperren und dich zwingen einen Schleier zu tragen und dir das Autofahren verbieten.
In unserer Gesellschaft:
Leichter Fall: Weil Du eine Blondine bist, darf ich dumme Witze über dich reissen.
Schwerer Fall: Weil du ein Kuh oder ein Schwein bist, darf ich dich einsperren, krank züchten, quälen, schlachten und essen.
In Dicks Roman: Weil du behindert bist, darf ich dich als Krüppel und Missgeburt bezeichnen.
#39
Geschrieben 07 Oktober 2012 - 20:14
Stil & Sprache: Gut
Story & Plot: Durchschnittlich
Figuren & Charakterisierung: Gut
Setting & Hintergrund: Gut-
Also es war für mich keines von PKDs besten Büchern, aber insgesamt recht kurzweilig. Außerdem fand ich die vermittelte Botschaft im Vergleich zu den (wenigen) anderen postapokalyptischen Romanen, die ich kenne, sogar verhältnismäßig positiv: Nach der Bombe geht das Leben weiter, wenn auch mit einem "leicht veränderten" gewohnten Gang. Was mir allerdings gefehlt hat, war ein durchgehender roter Faden. Dafür war Dicks Figurenzeichnung - wie eigentlich immer - wirklich gelungen. Um in diesem Punkt Fantastisch zu sein, kamen mir jedoch mMn zwei der interessanteren Figuren (Bluthgeld und Dangerfield) zu kurz. Sprachlich gab es dafür nichts zu meckern. Und auch wenn es der normalste Roman war, den ich bisher von Dick gelesen habe (normal und Dick in einem Satz beißen sich normalerweise ), so hat PKD dennoch selbst hier einige wirklich ausgefallene Ideen.
Insgesamt also Gut mit Abstrichen. Allerdings gefällt mir Dick immer noch am besten, wenn er unser Verständnis der Realität in Frage stellt - wobei ich fairerweise sagen muss, dass dies hier wahrscheinlich deplaziert gewirkt hätte.
Bearbeitet von Seti, 07 Oktober 2012 - 20:47.
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
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