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Charles Stross: The Fuller Memorandum


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3 Antworten in diesem Thema

#1 Michael Böhnhardt

Michael Böhnhardt

    Giganaut

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Geschrieben 18 Februar 2013 - 18:44

Da ich mich selbst schon dem blutigen Baron Ungern-Sternberg gewidmet habe, interessiert mich, was andere Autoren aus der Figur gemacht haben Dabei bin ich auch auf ein etwas neueres Werk gestoßen:

Charles Stross:
The Fuller Memorandum

Dabei handelt es sich um Band 3 der Laundry-Serie. Die Wäscherei ist eine geheime Regierungsbehörde Ihrer Majestät, die sich mit okkulten Phänomenen herumschlagen muss. Auf Deutsch gibt es bisher m.W. nur Band 1 (The Atrocity Files) als "Dämonentor. Die unheimlichen Fälle des Bob Howard".

Auf die Idee, höhere Mathematik und Computerwissenschaft mit okkulten Ritualen gleichzusetzen, muss man erst mal kommen. (Dann jedoch scheint es fast naheliegend ...) Jedes Mal, wenn ein Mathematiker ein zu abgehobenes Theorem entdeckt, oder ein Hacker einen zu komplexen Algorithmus schreibt (was beides Tore in Parallelwelten aufstoßen könnte, die man besser verschlossen lässt), wird der Betreffende umgehend für die Wäscherei rekrutiert. Der Reiz der Laundry-Geschichten liegt zum einen darin, wie nerdige Computerwissenschaft als mächtige Waffe im Kampf gegen Dämonen eingesetzt wird, und zum anderen darin, dass Bob Howard sich nicht nur mit Bedrohungen aus anderen Welten herumschlagen muss, sondern auch mit den Tücken moderner Organisationsstrukturen. Lovecraft trifft also im Prinzip auf die Dilbert-Comics und die Big Bang Theory.

So wirkte jedenfalls Band 1 auf mich. Das "Fuller Memorandum" kommt allerdings deutlich düsterer daher. Mehr als einmal wird auf Menschenopfer hingewiesen, auch von Kindern und Neugeborenen. Über allen schwebt das unausweichlich scheinende Ende der Welt durch die Wiederkehr der Großen Alten, und manche eingeweihte Paare entscheiden sich deshalb gegen Kinder, weil sie nicht in ein paar Jahren gezwungen sein wollen, ihnen die Kehle durchzuschneiden, weil die Alternative noch schrecklicher ist. Nun ja ... Zudem ist Bob kein Pizza-mampfender Netzwerkadministrator mehr, der eher zufällig in einer Behörde arbeitet, die halt Dämonen bekämpft, sondern wirkt tatsächlich wie ein echter Agent (d.h. wie man sich in Büchern und Filmen einen Agenten vorstellt).

Die wahren Hintergründe um Ungern-Sternberg in der Mongolei von 1920 werden anhand von alten Akten dargestellt, auf die Bob bei seinen Recherchen stößt. Die Grausamkeit und die Massaker des Barons und seine Begeisterung für einen sehr verqueren Buddhismus werden hier zu okkulter Obsession umgedeutet. Auch der Bogdo Khan und sein Kuriositäten-Sammelsurium passen auf diese Weise gut ins Bild. Die Verbindung zur Handlung in der Gegenwart wird durch eine gewisse Teekanne hergestellt. Dabei handelt es sich um einen historisch verbürgten Helfershelfer des Barons, einen Vollstrecker, der dessen Mordaufträge ausführte (besonders gern durch Strangulieren). Der harmlos klingende Spitzname Teekanne weist auf den Körperbau des Mannes hin.

Bei Stross erhält dieser Killer eine übernatürliche Komponente, die dazu führt, dass im heutigen England die Wäscherei, die Nachfolgeorganisation des KGB und eine okkulte Sekte seinetwegen aneinander geraten. Das Ganze ist flott und spannend geschrieben. Die Protagonisten Bob und Mo wachsen einem ans Herz, das gilt ebenfalls für den geheimnisvollen und kaltschnäuzigen Angleton ("Verluste an unbeteiligten Zivilisten ... Worüber werden sie sich morgen Sorgen machen?"). Das Finale auf dem Friedhof mit Anleihen bei Apocalypse Now ist einfach Klasse. Und dann war da noch der professionelle Killer, der auch von seinen Opfern erwartet, dass sie sich professionell verhalten, und es deshalb unfair findet, wenn diese nicht tot bleiben ...

Also mir hat das Buch gefallen.

#2 derbenutzer

derbenutzer

    Phagonaut

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Geschrieben 18 Februar 2013 - 20:33

Ich gratuliere, gut zusammengefasst: volle Zustimmung!
Der Roman ist spannend, originell und in weiten Teilen mit wunderbar ironischem Humor versehen. Allein schon das Nebeneinander der Schilderungen von banalen Alltäglichkeiten kombiniert mit im wahrsten Sinne des Wortes dämonischen Ereignissen hat eine eigene erzählerische Qualität, die Stross mit Lockerheit durchzieht. Das erste mal laut gelacht habe ich übrigens, als Bob Howard sich ein sauteures Handy kauft und in diesem Zusammenhang von einem Kult rund um einen gewissen Mr. Jobs die Rede ist ...
"...About the only smartphone that does'nt stink like goose shit is the JesusPhone."

LG

Jakob

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#3 Oliver

Oliver

    Temponaut

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Geschrieben 18 Februar 2013 - 21:30

In einigem kann ich auch zustimmen, nicht aber bei der Beschreibung des Finales. Vermutlich habe ich einfach als Jugendlicher zu viele schlechte Grusel-Heftromane gelesen. Bei mir ist bei Opferzeremonien und Opfersteinen immer schnell Schicht, da muss ich an abgeschmackte John Sinclair-Possen denken und habe keine Lust mehr. Ich habe die Laundry-Serie damals (ich las das Buch vor gut zweieinhalb Jahren) nach diesem Band 3 erstmal verlassen. Dabei habe ich den Roman gar nicht ungerne gelesen, für mich schlich sich aber stilistisch und inhaltlich zu schnell zu viel Routine ein.

Bearbeitet von Oliver, 18 Februar 2013 - 21:34.

  • (Buch) gerade am lesen:"Tales of the Shadowmen 1", J.-M. Lofficier (ed.)
  • (Buch) als nächstes geplant:"Tales of the Shadowmen 2", J.-M. Lofficier (ed.)
  • • (Buch) Neuerwerbung: Sherlock Holmes - Aus den Geheimakten des Weltdetektivs (Sammelband, 1973, mit 15 Heftromanen (1907/1908))
  • • (Film) gerade gesehen: "Das Testament des Dr. Mabuse" (Fritz Lang)
  • • (Film) als nächstes geplant: "Jurassic World: Dominion" (Dinos!!!!!)
  • • (Film) Neuerwerbung: "Judex" (Louis Feuillade)

#4 Michael Böhnhardt

Michael Böhnhardt

    Giganaut

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Geschrieben 19 Februar 2013 - 08:49

Das erste mal laut gelacht habe ich übrigens, als Bob Howard sich ein sauteures Handy kauft und in diesem Zusammenhang von einem Kult rund um einen gewissen Mr. Jobs die Rede ist ...
"...About the only smartphone that does'nt stink like goose shit is the JesusPhone."


Also ich habe eine Weile gebraucht, bevor ich verstanden habe, wovon Bob da überhaupt redet.


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