Tomb Raider
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Geschrieben 12 Mai 2013 - 19:42
Tomb Raider
Wenn man der Film- und Spieleindustrie Glauben schenkt, dann dürfte der Beruf des Archäologen wohl der Zweitspannendste nach Geheimagent sein. Nun können Archäologen bestimmt viele interessante Entdeckungen an exotischen Orten machen, aber dass es bei ihrer Arbeit so actionreich zugeht wie bei Indiana Jones, Nathan Drake oder Lara Croft, wage ich mal zu bezweifeln. Letztere ist jedenfalls wieder auf großer Fahrt, und schickt sich in ihrem neuen und mittlerweile zehnten Abenteuer an, eine geheimnisumwitterte Insel zu erforschen.
Bei dem schlicht Tomb Raider genannten Titel handelt es sich diesmal um ein Prequel, das Laras Werdegang von der jungen Entdeckerin zur toughsten Heldin der Spielegeschichte erzählt. Darüber hinaus soll das Spiel als Reboot (also als Neuausrichtung) der zuletzt doch mit sinkenden Verkaufszahlen kränkelnden Reihe fungieren, und damit eine Marke wiederbeleben, von der allein im Spielesektor mehr als 35 Millionen Exemplare verkauft wurden. Ob der Slogan »A Survivor is born«, mit dem das Spiel zur Veröffentlichung beworben wurde, gerechtfertigt ist, nun, das wird sich zeigen …
Das Abenteuer beginnt ziemlich abrupt mit dem Untergang des Forschungsschiffes Endurance in einem Sturm, in dessen Verlauf Lara über Bord geht und hilflos im Ozean treibt. Wie man etwas später in einer Rückblende erfährt, war sie mit der Crew – bestehend aus ihrem Mentor Conrad Roth, dem selbstgefälligen Forscher Dr. Whitman, ihrer besten Freundin Samantha und einigen anderen Charakteren – auf einer Expedition im südlich von Japan gelegenen Teufelsmeer, auch bekannt als das Drachen-Dreieck. Dieses Region des Pazifiks gilt als das asiatische Pendant des Bermudadreiecks, in dem ebenfalls immer wieder Schiffe und Flugzeuge auf mysteriöse Weise verschwinden sollen.
Lara und ihre Begleiter vermuten hier das antike japanische Königreich Yamatai auf einer noch unerforschten Insel. Dieses Königreich existierte tatsächlich und wurde vor mehr als 1700 Jahren das erste Mal in Aufzeichnungen erwähnt, konnte aber bis zum heutigen Tage nicht lokalisiert werden. Was dieses Grundgerüst angeht, orientiert sich Tomb Raider also wie so oft an realen Gegenständen wissenschaftlicher Forschung (wie hier bei Wikipedia nachzulesen) – allerdings wird die Geschichte sehr schnell zunehmend phantastischer, was uns natürlich nur recht sein kann.
Kaum an den Strand gespült, entdeckt Lara die anderen Überlebenden der Endurance, wird aber gleich darauf von einem Fremden niedergeschlagen und wacht in einer Höhle wieder auf. Sie ist gefesselt und baumelt an einem Haken von der Decke, in einer Art Altarraum voller Kerzen und menschlicher Knochen. Hier darf nun der Spieler das erste Mal die Kontrolle übernehmen, sich befreien, einen Ausweg finden und dabei gleich mit den Grundlagen der Steuerung vertraut machen (wer gern einmal die ersten zehn Minuten sehen möchte, kann das hier tun). Anschließend steht das Aufschließen zu den anderen Überlebenden, zu denen sie per Walkie-Talkie Kontakt hält, auf dem Plan, um gemeinsam von der Insel zu entkommen. Und ganz im Sinne des Action-Adventures, das Tomb Raider nun einmal ist, darf Lara fortan rennen, springen, klettern und recht bald kämpfen, was das Zeug hält.
Gerade das Kämpfen wird sie auch bitter nötig haben, denn stehen anfangs noch die Widrigkeiten des Gestrandetseins im Mittelpunkt (auf die ich gleich noch gesondert eingehe), rückt bald der Kampf ums nackte Überleben in den Vordergrund. Wie sich zu Beginn schon andeutete, sind die Schiffbrüchigen nämlich nicht die Einzigen auf der Insel. Und die Einheimischen, die eigentlich gar keine Einheimischen sind, sondern ebenfalls Gestrandete, verhalten sich äußerst feindselig. Außerdem scheinen sie einem mysteriösen Kult anzugehören und ihrem ominösen und brutalen Anführer blind zu gehorchen (stellenweise fühlte ich mich ein wenig an »Lost« erinnert). So viel sei an dieser Stelle schon mal verraten – nicht alle aus Laras Crew werden den Inselaufenthalt überleben.
Warum dieser Kult allerdings Menschenopfer darbringt, weshalb es kein Entkommen auf herkömmlichen Wege von der Insel gibt und was das alles mit Himiko, der sagenumwobenen Königin von Yamatai, und ihrer Samurai-Sturmwache zu tun hat, darf natürlich jeder selbst herausfinden …
Aber zurück zum Beginn: Auf Laras erste (doch eher untypische) Survival-Lektion in der Höhle folgen bald darauf Klassiker wie die Nahrungsbeschaffung mit einem Bogen, das Sammeln von Bergungsgut aus verstreuten Kisten und das Entzünden eines Lagerfeuers. Diese Anfangsphase des Spiels steckt dabei voller gut inszenierter Momente. Wenn Lara sich zum Beispiel bei ihrem ersten erlegten Hirsch entschuldigt, bevor sie ihm einen Pfeil ins Herz bohrt, sich beim Klettern Mut zuredet oder zitternd am Lagerfeuer ihre Situation rekapituliert, wirkt das sehr glaubhaft, da sie zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht die toughe Abenteuerin ist, zu der sie im weiteren Verlauf noch werden wird.
Einen nicht ganz unerheblichen Anteil daran hat übrigens Nora Tschirner, die in der deutschen Fassung Lara Croft spricht (wie dem ein oder anderen im oben verlinkten Video vielleicht schon aufgefallen ist). Ich gebe zu, dass ich anfangs ein wenig skeptisch war, denn man kennt Nora Tschirner zwar als talentierte Schauspielerin, hat sie aber meines Wissens nach noch nie in einer Actionrolle gesehen. Diese Zweifel waren aber letztlich völlig unbegründet, denn sie macht ihre Arbeit wirklich hervorragend. Ebenfalls loben muss man das Motion-Capture-Acting der Schauspielerin Camilla Luddington (die Lara darüber hinaus im englischen Original ihre Stimme leiht). Alle Emotionen und Empfindungen, die Lara im Verlauf ihres Abenteuers durchlebt – seien es Schmerz, Kälte, Angst, Wut, Einsamkeit oder Verzweiflung –, werden sowohl visuell als auch akkustisch sehr überzeugend rübergebracht.
Zwar sind die oben angesprochenen Tätigkeiten wie das Jagen spieltechnisch nicht in dem Sinne relevant, dass Lara sonst verhungern würde, dennoch erfüllen sie einen Zweck und werden in die Spielmechanik eingebunden. Denn erlegte Tiere, geöffnete Kisten oder besiegte Gegner bringen einem Erfahrungpunkte und Bergungsgut ein, mit denen sich sukzessive Laras Fähigkeiten und ihre Ausrüstung verbessern lassen (womit ein kleiner Rollenspielaspekt hinzukommt). Und die Lager fungieren als Speicherpunkte, an denen ebenjene Verbesserungen vorgenommen und außerdem bereits besuchte Inselabschnitte per Schnellreise wieder aufgesucht werden können.
Letzteres ist ganz sinnvoll, falls man sich auf Schatzsuche begeben will, um Grabmäler mit kleinen Rätseln und Geschicklichkeitsaufgaben (hier mal ein Beispiel) oder Reliquien und Tagebücher zu finden, die überall auf der Insel versteckt sind und beim ersten Vorbeikommen vielleicht übersehen wurden. Dies ist natürlich rein optional, bietet aber Belohnungen wie Waffenverbesserungen oder zusätzliche Infos zur Hintergrundgeschichte.
Apropos Waffen … Sehr prägend für Lara ist der Moment, in dem sie zum ersten Mal einen Menschen aus Notwehr töten muss – eine sehr ausdrucksstarke und bedrückende Szene, die sich gut ins Gesamtbild ihrer Entwicklung einfügt. Leider verliert diese Szene jedoch im Zuge der dutzenden Toten, die darauf noch folgen werden, viel von ihrer emotionalen Wirkung. Wobei die Tatsache, dass Lara sich ihres Lebens erwehrt, noch nicht einmal das Problem ist – schließlich handelt es sich um ein Survival-Abenteuer (wenngleich mit wenigen Schockmomenten).
Aber wenn sie dann im weiteren Verlauf Gegnern Pfeile ins Knie oder die Kletteraxt in den Kopf rammt (die Freigabe »Ab 18 Jahren« ist im Übrigen völlig gerechtfertigt), hinterlässt das doch die Frage, ob ihr nicht vielleicht ein, zwei Sicherungen durchgebrannt sind. In Anbetracht der Situation, die sie durchmacht, wäre das ja nicht einmal verwunderlich. Es ist eben nur schade, dass auf diese Charakterentwicklung nach dem vielversprechenden Beginn erzählerisch nicht weiter eingegangen wird, denn hier wurde durchaus Potenzial verschenkt, um die so oft verteufelte Gewalt in Computerspielen in einem handlungsrelevanten Kontext zu beleuchten.
Was die Kulisse angeht, gibt es hingegen nichts zu meckern. Die insgesamt zwanzig Level sind sehr abwechslungsreich gestaltet und reichen von dunklen Wäldern über Bergpässe und Kavernen bis hin zu einem Strand voller Schiffswracks. Es gibt verfallene Tempelanlagen zu entdecken und die (in solchen Titeln fast schon obligatorischen) geheimen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg zu erforschen. Das Highlight war für mich dann eine Stadt des Inselkults, die komplett aus Trümmern, Wrackteilen und Wellblech bestand, und ein wenig an »Mad Max« oder »Waterworld« im Trockenen erinnerte.
Die Mischung aus Kletter- und Actionpassagen ist ausgewogen (allerdings hätten es ruhig ein paar mehr Rätsel sein dürfen), wobei beides gleichermaßen atemberaubend umgesetzt wurde. Egal ob es ein Höhleneinsturz, ein Großbrand in einem Holztempel, das Erklimmen eines Funkturms, ein Feuergefecht auf einer Seilbahn oder eine wilde Flucht durch Stromschnellen mit anschließendem Paragliding (kein Witz!) ist – Tomb Raider steckt voller bombastischer Augenblicke (wie hier zu bestaunen).
Aber wie sich schon angedeutet hat, ist das Spiel eben auch nicht völlig frei von Makeln. Einerseits wären da Schwächen in der Erzählung. Manche Dinge werden als gegeben hingenommen (bspw. dass es auf der Insel in Lumpen gekleidete Einheimische gibt), ohne dass mal jemand nach dem Warum fragt. Andererseits werden offensichtliche Dinge (da müsste ich jetzt jedoch spoilern...) nicht erkannt, obwohl sie dem Spieler wahrscheinlich schon lange klar sind. Zum Teil ist das ein Problem der überall auf der Insel versteckten optionalen Tagebücher. Findet man diese, weiß der Spieler oft mehr als die Beteiligten selbst, lässt man sie aus, entgehen einem teilweise Zusammenhänge.
Ebenfalls schade ist, dass es nur ganz wenige Momente gibt, in denen Lara auf die anderen Überlebenden trifft, und meist ist sie eine kurze Zwischensequenz später wieder allein unterwegs, um dieses oder jenes zu erledigen. Bis auf zwei Rückblenden zu Beginn, hat man so kaum Gelegenheit ihre Begleiter richtig kennenzulernen und eine emotionale Bindung zu ihnen aufzubauen. Das wiederum raubt den Verlusten unter ihnen doch ein wenig die Dramatik. Zum Teil wird das durch die (schon erwähnte) überzeugende Darstellung Laras ausgeglichen, aber eben nur zum Teil.
Und zu guter Letzt muss man sagen, dass die Möglichkeiten des Erfahrungssystems nicht völlig ausgeschöpft werden. Denn obwohl einige der Fähigkeiten durchaus sinnvoll sind und die Spielweise ein wenig beeinflussen können, sind dagegen andere ziemlich überflüssig und haben spielerisch keinen Mehrwert. Somit ändert sich beim erneuten Spielen also höchstens die Reihenfolge, in der die brauchbaren Fähigkeiten ausgewählt werden, aber aus ihnen ergeben sich keine unterschiedlichen Lösungswege.
Nun ja, wer sich daran nicht stört, kriegt mit Tomb Raider ein gut inszeniertes Abenteuer, dessen solide Story einige Schwächen aufweist, dafür aber mit einer tollen Kulisse und einer überzeugenden Hauptdarstellerin punkten kann. Eines muss man jedoch ganz klar sagen: am Action-Adventure-Thron, den derzeit immer noch Nathan Drake mit seinen Uncharted-Abenteuern hält, kann Lara Croft nicht rütteln. Aber was nicht ist, kann ja noch (bzw. wieder) werden...
"What today's nationalists and neosegregationists fail to understand," Kwame said, "is that the basis of every human culture is, and always has been, synthesis. No civilization is authentic, monolithic, pure; the exact opposite is true. Look at your average Western nation: its numbers Arabic, its alphabet Latin, its religion Levantine, its philosophy Greek†¦ need I continue? And each of these examples can itself be broken down further: the Romans got their alphabet from the Greeks, who created theirs by stealing from the Phoenicians, and so on. Our myths and religions, too, are syncretic - sharing, repeating and adapting a large variety of elements to suit their needs. Even the language of our creation, the DNA itself, is impure, defined by a history of amalgamation: not only between nations, but even between different human species!"
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