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7 Kreuzer schieferblau - Aus dem Leben eines Arbeitslosen

Kurzgeschichten Humor Satire Arbeitslosigkeit Alkohol Seifert

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Eine Antwort in diesem Thema

#1 Guido Seifert

Guido Seifert

    Biblionaut

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Geschrieben 12 Dezember 2013 - 14:44

Ab heute ist ein Kurzgeschichten-Bändchen von mir bei Amazon erhältlich (CreateSpace Independent Publishing Platform; das Kindle-eBook wird in den nächsten Tagen folgen). Da der Inhalt kaum etwas mit Phantastik und schon gar nichts mit Science Fiction zu tun hat, weise ich hier in der Rubrik Off-Topic darauf hin (es mag ja durchaus den ein oder anderen Leser meiner SF-Kurzgeschichten und -Heftromane geben, der sich auch für Anderes aus meiner Feder interessiert ...)

Eingefügtes Bild

Eins der schwierigsten Dinge bei der Herstellung von "7 Kreuzer schieferblau" war es für mich, einen Klappentext zu schreiben. Da ich mich nicht selber loben mag, bat ich Freunde und Bekannte um Entwürfe. Am Ende der Bastelarbeit steht nun dies:

"Das Schweben zwischen den Polen,
Das lehrte mich der Alkohol;
Will mir einmal der Teufel wohl,
Soll er mich alkoholen.

Diese Verse Otto Julius Bierbaums mögen dem Ich-Erzähler durch den Kopf gehen, wenn er mit seinem gleichfalls arbeitslosen Freund Sachsen-Steffen unterwegs ist. In sieben tragikomischen Kurzgeschichten führt Guido Seifert den Leser an die unterschiedlichsten Orte, zum Beispiel in die Räumlichkeiten einer privaten Arbeitsagentur, in ein Briefmarkenfachgeschäft oder schlicht in eine Kneipe. An die Stelle von Hartz-IV-Tristesse setzt der Autor hintergründig-humorvolle Texte, die zwischen satirischer Überzeichnung und scharf beobachteter Alltagswirklichkeit pendeln."

(Von verschiedener Seite wurde mir dringlich abgeraten, das Wort "Alkohol" in den Beschreibungstext zu packen. Aber in diesem Punkt blieb ich stur - see the mocking devil shine up for a moment in my eyes ...)

Das Büchlein kostet 5 € und gibt's hier.


Kostprobe ("Zu Besuch bei ErgoConcept", Auszug):

Der Raum hatte sich erst halb gefüllt, und somit blieb den Neuankömmlingen immer noch die Wahl zwischen etlichen unbesetzten Tischen. Die sukzessive Eintretenden waren nicht weniger prächtig als die bereits Anwesenden. Selten hatte ich Gesichter gesehen, die so bereitwillig Auskunft über die gewundenen Wege ihrer Besitzer gaben. Die fazial eingeschriebene Nonlinearität ihrer Karrieren war ganz unverkennbar. Frauenantlitze, die ich als zusammengefaltet bezeichnen möchte. Müde Männerphysiognomien mit dem vergrauten Silber aufgeschobener Rasuren. Eben zögerte der reingeschlüpfte Alg-Zweier, augenscheinlich überfordert von der sich darbietenden Freiheit bei der Wahl des Sitzplatzes. Der Bursche sah nach links, sah nach rechts, und ich wurde mit einem kurzen Seitenblick gewahr, dass Sachsen-Steffen den Alimentierten ebenfalls bemerkt hatte, ja, ihn sogar schamlos anglotzte. Der neue Gast zögerte immer noch, schob aber bereits seine Schuhe vorwärts, wollte wohl nicht noch stärker auffallen. Doch Steffen hatte ihn fest im Blick und würde ihn nicht so ohne weiteres loslassen. Möglicherweise spürte das der Gezeichnete, denn sein Kopf zuckte schon schneller und nervöser über dem mageren Hals. Es dauerte aber noch zehn bange Sekunden, bis er sich endlich für einen der quadratischen und ringsum mit Stühlen umstellten Tische entschieden hatte. Steffens Blick verharrte noch eine kleine Weile auf diesem Bezieher von »Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II«. Dann wandte mir der Sachse den Kopf zu, sah mich ein bisschen von unten an und sagte im Flüsterbariton:

»Dieser Mann wird niemals einen Job bekommen, solange er lebt.«
Ich nickte schwer und sorgenvoll (empfand aber zugleich auch die kitzlige Ironie dieser unsolidarischen Prognose, denn nach meiner Einschätzung würde Sachsen-Steffen ebenfalls nie mehr einen Job bekommen).

Die Zeiten des ambitionierten Langzeitarbeitslosen waren vorbei. Einmal im Halbjahr das Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf besuchen, »Halloo« sagen, Stempel einsacken und Unterhalt kassieren? Vorbei, vorbei. Jetzt wurde der langzeitarbeitslose Akademiker zugewiesen, zu sogenannten Beauftragten Dritten, privaten Arbeitsagenturen, die jene Wiedereingliederung bewerkstelligen sollten, welche die Torfnasen vom Amt nicht hinbekommen hatten. Und man würde zukünftig nun Monat für Monat dort aufkreuzen müssen, um seine kleine Staatsrente nicht unnötig zu gefährden. Man hatte keine Wahl. Die Drohung des Jobcenters war deutlich und sogar beziffert gewesen. Absenkung der sogenannten Regelleistung um dreißig Prozent. Es sei denn, man widerspräche der Zuweisung »aus wichtigem Grund«. Diesen wichtigen Grund hätte ich wohl gehabt, aber die Wirklichkeit hatte mir immer wieder bewiesen, dass sie meine wichtigen Gründe nicht als solche anerkannte. Sie leugnete praktisch regelmäßig meine wichtigen Gründe (so wie mich die ihren allerdings auch nur in den seltensten Fällen überzeugten).

Also – keine Wahl. Auftakt der neuen Regelung war eine sogenannte Info-Veranstaltung, zu der die Firma ErgoConcept mich eingeladen hatte (und ich war nicht schlecht erstaunt gewesen, als mir Sachsen-Steffen im Charlottenstübchen einen identischen Einladungswisch präsentierte – irgendein äonenvergessenes Betriebswirtschaftsstudium hatte ihn doch tatsächlich zum Dipl.-Kfm. befördert). Und jetzt hockte unser Haufen Hochschulabsolventen in einem Hinterhof-Pavillon auf der Schlüterstraße, direkt neben der Hochtrasse der S-Bahn. Alle fünf Minuten bretterte ein Zug mehr oder minder über unsere Köpfe hinweg, von Spandau nach Lichtenberg oder vice versa, und ließ die Fensterscheiben schwingen.

Der Raum füllte sich langsam, und die freien Plätze wurden weniger. Steffen hatte mich an einen der hintersten Tische dirigiert; vermutlich war es die unbewusst empfundene Klassenzimmer-Atmosphäre gewesen, die ihn instinktiv Deckung an der Rückwand hatte suchen lassen. Immerhin verschaffte uns die gewählte Fluchtposition einen guten Überblick. Die Leute unterhielten sich leise, waren halt Akademiker. Nur ein beleibter Mensch orientalischen Aussehens beplapperte mit auffälliger Lautstärke seine Tischgäste. Alle Übrigen im Raum murmelten in der Sprache der Geschlagenen, doch dieser Eine dort wollte sich nicht fügen. Fortwährend machte er wohl so etwas wie Scherze, denn die Gäste seines Tisches respondierten mit kleinem Gekicher. Sonderbar, dass es unter den Geschlagenen doch immer einen gab, der mit großen Gesten so tat, als ob sich die Zukunft nach ihm verzehrte. Der sich mit weiten Gebärden und brabbelnden Lippen gegen die Zukunftsgewissheit stellte. Wie ein Kind im Grunde, dem die Zukunft eine so weite Strecke war, dass das Ende dem Blick entzogen bleiben musste. Wären die Ohren des Orientalen trainierter gewesen, so würde er im höflich applaudierenden Kichern seiner Zuhörer eine leichte Reserviertheit vernommen haben, die denjenigen, der seine eigene Geschlagenheit zu erkennen wusste, zur Mäßigung gebracht hätte. Ja, wenn man sehr genau hinhörte, war das Kichern der Geschlagenen eigentlich nichts anderes als ein verhalten blubbernder Überdruck, der sich dem schon verzweifelt zu nennenden Bemühen verdankte, dem bürgerlichen Benimm keinesfalls verlustig zu gehen, komme da, was wolle.

Um kurz vor elf Uhr war der Raum voll, und sie warteten alle auf den Show-Beginn. Punkt elf Uhr trat er ein, der Show-Master von ErgoConcept. Der lange, bebrillte Mensch stellte sich als Herr Bartuschat vor und wusste sowohl mit einer blendenden Stirnglatze als auch eigentümlich schlenkernden Gliedmaßen zu gefallen (sein lockerer Habitus geriet bei mir sogleich ein wenig in Verdacht, als distanzierende Anspielung auf die arthrotischen Verhärtungen seiner beamteten Kollegen gemeint zu sein). Nach einer kurzen Begrüßung begann er mit einer Einführung zu dem, was er wirklich und wahrhaftig »Fallmanagement zur ganzheitlichen arbeitsmarktlichen Integration« nannte. Ja, das hatte er gerade tatsächlich gesagt: Fallmanagement zur ganzheitlichen arbeitsmarktlichen Integration. Ich bekenne, allergisch auf solche Keckheiten zu reagieren, und war mir sehr sicher, dass meine Integration so nicht einfacher wurde. Das war das Schlimme mit Herrn Bartuschats Sentenzen, die nun Schlag auf Schlag kamen: Sie waren durchdrungen und durchsetzt von unzähligen abgeschmackten Placebo-Wörtern, Lautfolgen, die überhaupt keine Bedeutung hatten. Man war zwar in der Hauptsache hierher gekommen, weil man keine Wahl hatte, aber man war doch nicht geradezu verstockt und wäre bereit gewesen, den einen oder anderen gutgemeinten Tipp mit einem jovialen Kopfnicken zu quittieren. Aber was tat Bartuschat? Er steckte mich kurzerhand in eine »Zielgruppe mit besonderen Problemen«, beschwor meine »Chance auf soziale Teilhabe« und schlug mir das Zauberwort von den »neuen Impulsen« um die Ohren. Wie leicht kann aber gerade dann die Integrationswilligkeit eines nicht geradewegs Verstockten verspielt werden, wenn der Vortrag, der diese doch eigentlich zu befördern gedacht sein sollte, in eben der genannten Weise als sprachzerrüttet bezeichnet werden muss? Ich riskierte einen Seitenblick zu meinem Tischnachbarn, um in dessen Zügen abzulesen, ob er denn vielleicht ebenfalls peinlich berührt war. Nichts davon. Steffen zeigte ein Gesicht, das ich als abgeschaltet bezeichnen möchte. Die Unterlippe hing leicht, die Augen starrten in ein Nichts, welches man tatsächlich in diesem Raum vermuten konnte.

Sogar als Bartuschat die Hände der Anwesenden forderte, wachte der in Apathie versunkene Trinker nicht wieder auf. Der Mann von ErgoConcept wollte wissen, wer denn schon einmal eine »Beratung zum beruflichen Wiedereinstieg« empfangen durfte. Wie in der Schule meldete man sich; ich selbst konnte hier allerdings nicht mithalten. Steffens Hand blieb ebenfalls unten, zum einen durchaus wahrheitstreu, wie ich vermutete, zum anderen war die Frage aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht bis ins Zentrum des sächsischen Kastenschädels vorgedrungen.

Nun wollte Herr Bartuschat auch gerne erfahren, wer denn »positive Erfahrungen« mit einer solchen Beratung gemacht habe. Die Anzahl der sich neuerlich hebenden Hände war definitiv kleiner. Bartuschats Aufforderung zum freimütigen Bericht erwies sich sehr rasch als Auftakt einer weiteren Zumutung. Der Orientale ergriff – wie konnte es anders sein? – die Gelegenheit beim Schopfe, war als Erster zur Stelle und setzte sein leises Plappern zwanglos in einem lauten fort. Es erstaunte mich, wie oft man mit nur jeweils leicht variierten Worten etwas umrunden konnte, das bereits beim ersten geschlossenen Zirkel verstanden worden war. Ich verspürte den mächtigen Drang, einfach nach Hause zu gehen. Ich musste hierbleiben. Ich hatte keine Wahl.

»He, Steffen«, flüsterte ich.
»Hä?« Er hatte tatsächlich die Lider halb geschlossen gehabt, sah mich jetzt ein wenig dümmlich an und schmatzte zweimal weitmaulig.
»Positive Erfahrungen?«, fragte ich gewitzt.
»Womit?« Er räusperte sich leise.
»Womit du willst.«
»Hä?«
»Der da hat sie gemacht«, verriet ich und wies etwas verschämt auf den beleibten Redner.
Steffen rieb sich den buschigen Mongolenschnäuzer und linste hinüber. »Mit Weibern oder was?«, fragte er todernst.
»Möglich«, erwog ich.

#2 Guido Seifert

Guido Seifert

    Biblionaut

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Geschrieben 20 Dezember 2013 - 15:08

[...] das Kindle-eBook wird in den nächsten Tagen folgen [...]

Ist jetzt zum Preis von € 3,00 erhältlich.



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