Im Frühling 2012 startete beim amerikanischen Verlag Image Comics mit »Saga« eine neue monatliche Comicreihe, die für einige Furore sorgte, bisher mit einem Hugo- und drei Eisner-Awards ausgezeichnet wurde und es mittlerweile auf achtzehn Hefte gebracht hat. Brian K. Vaughan (»Y: The Last Man« & »Ex Machina«) liefert hierbei die Texte, Fiona Staples (»North 40« & »Mystery Society«) das Artwork. »Saga« lässt sich formal am ehesten als eine Genre-Mix aus Space Opera und Fantasy bezeichnen, inhaltlich wiederum kommen im Netz immer wieder Vergleiche zu einer Mischung aus Star Wars, Game of Thrones und Romeo & Julia auf, was es eigentlich ganz gut auf den Punkt bringt. Ich kam nun endlich einmal dazu, den ersten Sammelband, der die Hefte #1 bis #6 enthält, zu lesen, und möchte euch hier gern meine Eindrücke schildern (@ Yippee: ich hab deine Anfrage also nicht vergessen ).
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Alana und Marko, beides Soldaten in einem seit Jahrhunderten währenden Krieg, der innerhalb eines Sonnensystems begann und sich inzwischen auf die ganze Galaxie ausgebreitet hat. Bevor sie sich kennengelernt haben, kämpften sie auf unterschiedlichen Seiten, denn in diesem Konflikt stehen sich seit jeher ihre Heimatwelten gegenüber – Alana stammt von dem Planeten Landfall, Marko von dessen verfeindetem Mond Wreath. Was der Auslöser dieses Krieges war, erfährt man nicht; vielleicht erinnert sich auch niemand mehr. Ein Grund könnte möglicherweise das unterschiedliche Aussehen der sich bekriegenden Parteien sein. Die Spezies beider Welten wirken zwar auf den ersten Blick wie Menschen und verhalten sich in vielerlei Hinsicht auch so, unterscheiden sich in einem Punkt jedoch deutlich von uns und voneinander: die einen haben Vogel- oder Insektenflügel, die anderen hingegen tragen Hörner oder Geweihe. Darüber hinaus sind die einen eher technisch versiert und kämpfen mit Schusswaffen, während ihre Gegner über Magie verfügen und mit Hieb- und Stichwaffen kämpfen. Doch auch wenn sich die Assoziation zu einem Kampf zwischen Engeln und Teufeln förmlich aufdrängt, lässt sich keine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse treffen.
Das merkt man schon an den Hauptfiguren, die zwar beide ihre Fehler und Schwächen, und Ecken und Kanten haben, aber trotzdem grundsympathisch sind. Alana und Marko hatten die Schnauze voll vom Krieg, desertierten und sind nun schon seit Monaten fahnenflüchtig; die genaueren Umstände ihres Kennenlernens werden jedoch erst später angedeutet (und wahrscheinlich in künftigen Ausgaben noch näher beleuchtet). Eines kann hier aber getrost schon verraten werden: die Chemie zwischen ihnen stimmt(e) einfach; die Geschichte setzt nämlich just zu dem Zeitpunkt ein, als sie stolze Eltern einer Tochter werden – den Anfang von »Saga« bildet dabei dieses großartige erste Panel. Hazel, so der Name ihrer Tochter, tritt übrigens während der Geschichte als Erzählerin auf und kommentiert die Erlebnisse ihrer Eltern aus dem 'Off' (in dem oben verlinkten Bild stammt der handgeschriebene Satz über Alana von ihr), momentan lässt sich aber nur spekulieren, welche Bedeutung ihr später zukommen wird. Mit ihrer Geburt beginnt jedenfalls die Odyssee der kleinen Familie, die gleichzeitig auch eine Flucht vor den Schergen beider Seiten ist und sie an viele exotische Orte in diesem wundersamen Universum führt und – voraussichtlich und hoffentlich – noch führen wird.
Und wundersam ist dieses Universum wahrhaftig: Im Laufe der Geschichte gesellt sich eine ganze Wagenladung an ausgefallenen Geschöpfen und Ideen hinzu. Da wären z.B. die adligen Robotregenten, die auf der Seite Landfalls stehen und deren Köpfe an alte Röhrenfernseher erinnern; eine Auftragskillerin, die unter dem Rock ihres armlosen Torsos den Unterkörper einer Spinne verbirgt; eine tigergroße Siamkatze, die als Lügendetektor fungiert; den rotzfrechen Geist einer Teenagerin, die durch eine Landmine starb und der deshalb die Gedärme aus dem schwebenden Leib hängen und und und … Außerdem noch Raumschiffe in der Form von Trilobiten und – Simmons-Fans dürfen sich freuen – sogar Baumschiffe. Vaughan und Staples brennen wirklich ein ganzes Feuerwerk an Ideen ab.
Die Texte von Brian K. Vaughan sind kurz und präzise, voller Sprachwitz und mit herrlichen One-Linern. In dem gleichfalls von ihm stammenden »Y: The Last Man« fiel mir schon seine Vorliebe für (pop-)kulturelle Referenzen auf, in »Saga« setzt er dies auch fort. Natürlich kann er in einem fremden SF-Fantasy-Universum nicht mit den Namen von Bands oder Filmen um sich werfen, dennoch gibt es immer wieder Bezüge auf uns bekannte Dinge und Themen. Wenn Alana über ihr Vorhaben spricht, die Flügel ihrer Tochter zu beschneiden und Marko diesen Brauch barbarisch nennt, ist klar, worauf Vaughan da anspielt. Teilweise wirkt es dennoch etwas befremdlich, wenn bspw. ein geflügelter Bewohner Landfalls erwähnt, dass sein Smartphone beim Updaten einer App abgeschmiert ist – so viele Gemeinsamkeiten mit unserer Welt ist man aus weit, weit entfernten Galaxien eigentlich nicht gewohnt. Am Anfang haben mich solche Dinge ein wenig irritiert, mit der Zeit fand ich es jedoch ziemlich erfrischend.
Bei Fiona Staples Artwork fällt einem sofort ihr außergewöhnlicher Stil ins Auge: Die Figuren und alles, womit diese interagieren wie z.B. Gegenstände oder Fahrzeuge, sind eher klassisch gezeichnet; d.h. sie verfügen über klare Konturen. Sie sind zwar nicht unbedingt plastisch, aber durch den sparsamen Einsatz von Schattierungen auch nicht völlig 'flach'; besonders die Mimik der Figuren wirkt sehr überzeugend und natürlich. Alles, was für das Geschehen nebensächlich ist, wird hingegen nur getuscht, also ohne sichtbare Begrenzungslinien, was ihren Hintergründen manchmal einen fast aquarellartigen Look verleiht. Dadurch heben sich die Figuren ab, wirken aber trotzdem nicht wie Fremdkörper, sondern eher so, als wären sie in den Fokus gerückt. Hier mal ein Beispiel – wie man sieht, wird der Blick konstant auf das Wesentliche, nämlich die Handlungsträger, gelenkt, was sehr angenehm zu lesen war (Comics mit sehr detaillierten Hintergründen werden mit der Zeit dann doch etwas anstrengend – ich hab mich bspw. bei Jim Lees nichtsdestoweniger grandiosen Zeichnungen in »Batman: Hush« manchmal förmlich von den Details erschlagen gefühlt). Interessanterweise verrät Staples in einem kurzen Interview am Ende des Buches, dass die endgültigen Zeichnungen und die komplette Koloration am Computer entstanden sind.
Sowohl grafisch als auch sprachlich geht es mitunter recht derbe zur Sache – da explodieren Köpfe, Arme werden abgetrennt, Beleidigungen wie 'Arschloch', 'Fotze' oder (mein persönlicher Favorit) 'Federficker' fallen, und außerdem gibt es gelegentlich nackte Haut und recht expliziten Sex. Dennoch ist »Saga« weder Splatter, noch Porno oder Pulp, bedient sich aber manchmal derer Elemente, wobei diese Szenen jedoch immer in einem erzählerischen Kontext stehen. In den USA löste der Comic jedenfalls gleichmal eine Kontroverse aus, weil in einem Panel (einer späteren Ausgabe) zwei Männer bei Fellatio zu sehen waren. Sicherlich sind all diese Dinge nicht unbedingt alltäglich in der Comic-Landschaft, und in die Hände des pubertierenden Sprösslings gehört »Saga« auch nicht unbedingt – wohlgemerkt wegen der Gewalt, nicht wegen zwei sich liebender Männer –, aber meiner Meinung nach gibt es nichts zu sehen, wovor ein erwachsener Mensch schreiend davonrennen und einen Exorzisten rufen müsste.
Noch ein paar Worte zur deutschen Ausgabe: Die Übersetzung stammt von Marc-Oliver Frisch, dessen Arbeit mir schon aus den ebenfalls bei Cross Cult erscheinenden »The Walking Dead«-Comics bekannt ist und der auch bei »Saga« seine Sache sehr ordentlich macht. Allerdings muss man dabei auch gleich etwas erwähnen, das sicher nicht jedem zusagen wird – die Namen der Orte, der Gruppierungen und mancher Personen wurden bei uns übersetzt. Aus dem Mond 'Wreath' wurde bspw. im Deutschen 'die Ranke', aus der Killerin 'The Stalk' wurde 'Die Pirsch'. Mich stört das zwar nicht, aber ich bin mir sicher, dass sich an einer Übersetzung wie 'Freilanzer', die auf den ersten Blick doch etwas gewöhnungsbedürftig ist, wohl die Geister scheiden werden (da es sich hier um eine Gilde freischaffender Auftragsmörder handelt, ist der deutsche Begriff im Sinne der ursprünglischen Wortbedeutung einer free lance sogar recht passend, aber Englischpuristen werd ich damit wohl trotzdem nicht überzeugen können).
Apropos Unterschiede in den Versionen: Der Preis der deutschen Ausgabe liegt mit 22 Euro für 170 Seiten Comic ziemlich hoch; im Vergleich dazu kostet die amerikanische Ausgabe nur ein Drittel dessen. Im Gegensatz zum US-Paperback kommt die deutsche Fassung aber als ein sehr schickes Hardcover daher. Freilich kann man darüber streiten, ob die bessere Verarbeitung einen fast dreifachen Preis rechtfertigt – man sollte aber meiner Meinung nach noch bedenken, dass ein paar andere Faktoren ebenfalls Einfluss auf diesen durchaus beträchtlichen Preisunterschied haben (z.B. die Bezahlung von Übersetzung und Lektorat, geringere deutsche Auflagen und demzufolge eine geringere Gewinnspanne und – nicht zu vergessen – die für deutsche Titel vorgeschriebene Buchpreisbindung, während die US-Ausgabe mittlerweile preisreduziert verkauft wird). Letztendlich muss wohl jeder für sich ausmachen, was er/sie bereit ist, für einen Comic zu zahlen. Wer einmal in die Welt von Saga reinschnuppern möchte und des Englischen mächtig ist, macht mit den knapp 8 Euro sicher nichts verkehrt. Und wem allein bei meiner Beschreibung dieses farbenfrohen SF-Fantasy-Mashups das Herz aufgegangen ist (und wer sich nicht an der Eindeutschung der Namen stört), dem kann ich das Cross-Cult-Hardcover nur wärmstens empfehlen.
Bearbeitet von Seti, 06 März 2014 - 23:38.