Geschrieben 24 April 2014 - 02:02
@Seti: Die meiste Zeit hab ich bisher in Bayern gewohnt, die kurzen Zeiten dazwischen waren teilweise eher unerfreulich, gehören nicht unbedingt zu den Themen, über die ich gerne rede. Ausnahmen sind Österreich und die Schweiz, da hat es mir sehr gut gefallen, aber leider war ich nicht besonders lange dort. Ein running Gag waren meine Anläufe, nach Israel auszuwandern. Das erste mal, als in der Ex-DDR wieder die erste Synagoge brannte. Meine Mutter hatte es in den Nachrichten gehört, kam total aufgelöst zu mir und meinte, dass die Sch..ße schon wieder los geht. Mir schoss sofort ein Satz durch den Kopf: „Ohne mich!“, und ich beschloss spontan, nach Israel zu gehen. Da meine Hebräischkenntnisse damals eher rudimentär waren, hab ich am nächsten Tag Wörterbücher und eine Grammatik gekauft...
Durch einen (aberwitzigen) Zufall hab ich ein paar Monate danach auf einem Bücherflohmarkt ein Kinderbuch gefunden, „Die Kinder vom Jordantal“, und da war auf der Rückseite ein Comic, eine Diskussion, mit dem Fazit: „Wenn denen (gemeint waren die Nazis) unsere Nasen nicht gefallen, ist das deren Problem. Sollen die doch gehen.“ Und das fand ich megastark. Wieso sollen immer wir abhauen? Wenn ich mir meine Familiengeschichte so ansehe, dann muss ich feststellen, dass es sich gelegentlich doch rentiert, zu kämpfen. Also bin ich geblieben.
Als ein paar Jahre später die Firma, für die ich arbeitete, pleite ging, bin ich ungefähr eine Stunde lang vor einem Reisebüro gestanden, und hab überlegt, ob ich mir ein Ticket kaufe. Weiß selbst nicht, wieso ich es dann doch nicht gemacht hab. Irgendwie hatte ich zu wenig Startkapital, hab dann immer Jobs mit der Laufzeit für ein, manchmal für zwei Projekte angenommen, bis mir schließlich die Leitung einer Entwicklungsabteilung „verpasst“ worden ist. Da es der Firma nicht so besonders ging, hab ich einen „Notruf“ losgelassen, bekam eine Verbindung zu einer israelischen Firma, die eine Kooperation wollte, was auch prima geklappt hat. Mein Boss hat irgendwie geahnt, dass ich da dahinter stecke, wollte von mir wissen, wie die ausgerechnet auf uns gekommen sind. Ich hab mit den Schultern gezuckt, „Ja, mei...“ gesagt, er hat „Ja, dann...“ geantwortet und damit war das Thema erledigt.
Da ich oft tagelang in der Firma war, manchmal nur ein oder zwei mal in der Woche heim gekommen bin, ist einmal eine echt schräge Geschichte passiert: Ich bin an einem Freitag Abend tatsächlich mal nach Hause gefahren, hab gesehen, dass meine Mutter in ihrem Wohnzimmer auf der Couch eingeschlafen war. Sie ist natürlich aufgewacht, als sie mich gehört hat, war dann völlig verblüfft, dass ich da bin und meinte, dass sie gerade geträumt hat, ich hätte aus Tel Aviv angerufen und gesagt, dass ich den letzten Flug verpasst hab und erst morgen komme...
Als sich die Firma dann gegen Ende 2001 sehr erfolgreich am Dot-Com Sterben beteiligt hat, ich meine 3 Monate angestauten Resturlaubs und Überstunden nehmen musste (hab tatsächlich nur einen Urlaubstag verloren...), war die erste Frage meine Mutter, als ich es ihr erzählt hatte: “Aber du gehst nicht nach Israel? Oder?“
Wär ich aber beinahe. Hätte einen Job bei Smartlink in Netanja haben können (die hatten zwar offiziell einen Einstellungsstop, aber der galt nicht für mich). Einen Monat bevor ich fliegen wollte, war dann das Purim-Attentat in Netanja. Luftlinie etwa einen Kilometer von der Firma weg. Und wegen der Feiertage konnte ich meine Freunde dort nicht erreichen! Das war echter Horror, und ich hab mir überlegt, dass es meinen Freunden und Verwandten hier in München bei jedem Attentat in Israel dann genauso gehen würde, wie mir jetzt gerade.
Zwar meinten meine dortigen Bekannten praktisch alle, dass die Attentate nur punktuelle Ereignisse seien, das Leben im Rest des Landes ganz normal weiterging. Das Problem waren aber die Zurückgebliebenen. Bis man denen am Telefon erklärt hatte, dass man ok sei, erlebten die den echten Horror.
Daher entschied ich mich dann, in München zu bleiben, höchstens im Urlaub nach Israel zu düsen.
(Wie locker das manche Leute in Israel sehen, hat ein Freund von mir erlebt, der öfters für Motorola dort war. Bei seinem ersten Aufenthalt hatten ihm seine Kollegen erklärt, dass das Gebäude eine gute und eine schlechte Seite hat. Auf der guten Seite sind die Entwicklungslabors, auf der schlechten Seite die Verwaltungsbüros. Als er wissen wollte, was daran gut oder schlecht sei, erfuhr er: „Die Fenster auf der schlechten Seite sehen ins Westjordanland. Und von dort kommen die Geschosse..“)
(Direkt betroffene sehen es natürlich anders. Vor ein paar Jahren hab ich in der Nightshow auf Eilat 104 (ein Internetradio) einen Anruf von einer Frau aus Ashkelon gehört, und die hat unmittelbar nach einem der vielen Raketenangriffe aus Gaza berichtet. Dass die das gar nicht locker genommen hat, ist klar. Ashkelon war (und ist) eines der bevorzugten Ziele der Hamas-Idioten.)
Gänsehaut und Nackenverspannung abklingen lassen…
Was war die andere Frage? Wo ich überall Verwandte hab. Hm. Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ich hab früher Ahnenforschung betrieben, dabei eine Menge über meine Familie herausgefunden, und noch mehr ungeklärte Fragen entdeckt. Also ich vermut mal, dass es in (mindestens) einigen 10 Ländern Verwandte von mir gibt. Klar ist Deutschland, Tschechien, (Ex-) Jugoslawien, Iran, USA... Ein paar Länder sind mehr oder weniger unklar. So hieß es zum Beispiel immer, wir hätten einen Onkel aus Transsylvanien, und ich dachte, ich wüsste, wer das ist. Aber vor ein paar Jahren hab ich dann herausgefunden, dass der auch aus Jugoslawien stammt, es aber keinen Zusammenhang mit der Familie des Bruders meines Vaters gibt (Seine Vorfahren kamen aus der Gegend von Offenbach, wurden von König Rudolf in Jugoslawien angesiedelt). Wer von dem Verein jetzt aus Transsylvanien stammt, ist mir (momentan) nicht klar. Eine andere aberwitzige Story ist die der Schwester meiner Großmutter aus Tschechien. Die heißt Rosi Leis. Hab im Internet mal die Biographie von Rose Leis („A verdroisinger Hard“ dt.: „Ein verdrossenes Herz“) gefunden, und auch ein Foto von ihr. Rose ist ganz eindeutig nicht Rosi Leis, aber die Biographie weist ein paar Details auf, die mir sehr bekannt vorkommen. Rose ist zwar in Husselbach in der Nähe von Minsk (Weißrussland) aufgewachsen, Rosi in Privlaki (Bröhlig) in Tschechien. Aber: In der Biographie kommen Namen von Familien vor, die auch bei uns auf den Familientreffen erwähnt wurden. Ich hab deshalb eine Tante – Schwester meines Vaters – vor ein paar Jahren gefragt, ob ich Verwandte in Minsk habe, worauf sie ganz fröhlich antwortete: „Ja, das ist der Bruder vom Großvater...“. Jetzt weiß ich nicht, ob sie ihren Großvater, also meinen Urgroßvater, oder meinen Großvater, ihren Vater gemeint hat, aber letzterer würde passen, da einer seiner beiden Brüder verschollen, der andere tot ist. Da passt so viel zusammen und gleichzeitig schließt es sich aus. Ich bekomm das nicht auf die Reihe, das ist, als würde einiges in einem Paralleluniversum spielen. Jedenfalls scheint es sicher zu sein, dass ich auch in Weißrussland Verwandte habe. Ob im Iran nach Verwandte leben, weiß ich nicht sicher. Mein Onkel von dort (der Mann einer Cousine meines Vaters) ist – soweit ich weiß, hab ihn nur ein mal gesehen – mit seiner Familie nach Europa gegangen. Der war übrigens ein Schah Fan. Deshalb heißt seine erste Tochter Farah, nach der Frau des Schahs...
Solche Geschichten gibt es noch von einer Reihe weiterer Länder. Aber die sind teilweise so schräg, dass nicht einmal ich weiß, wie ich die in verständlicher Form wiedergeben könnte...
Schalom,
Schlomo