Meine komplette Rezi:
Man nimmt das pralle Taschenbuch mit dem kunstvollen Klappdeckel in die Hand und fragt sich, wie dieser Dietmar Dath bereits ein Jahr nach Pulsarnacht, solch einen Brocken zustande bringt.
Hat er gar nicht. Sechs Jahr schrieb er an Feldeváye (sprich: Feldeweihe), wahrscheinlich ist »Pulsarnacht« so etwas wie ein Abfallprodukt – im Nachhinein erklären sich da einige Ideen.
Dieser lange Schreibprozess gibt einen Hinweis darauf, dass Dath in »Feldeváye« eine ganze Menge Hirnschmalz steckte und so liest sich das Buch auch. Wenn man nicht wüsste, dass Dath ein Vielschreiber ist und uns auch weiterhin mit SF-Romanen zu beschenken plant, könnte man sogar von einem opus magnum sprechen. Ideen-Opulenz, Bedeutungstiefe und Sprachbrillanz legen das nahe. Aber auch das ist bei Dath eigentlich schon wieder normal. Mainstream.
Auf Dath muss man sich einlassen wollen. Auch in »Feldeváye« gibt es etliche Wortneuschöpfungen, aber diesmal ohne Glossar. Etliche Begriffe ergeben sich direkt aus dem Kontext, einige nicht. Diese Hürde ist aber noch flach. Viel höher ist die Barriere, die Daths literarischer Stil aufwirft. Unter den SF-Fans gibt es viele, die ihm Manierismus vorwerfen. Verschwurbelte Sätze und dergleichen.
Sollte man also auch mögen oder ignorieren können, sonst wird das mit einem Besuch der letzten Künste nichts.
Die letzte Mauer stellt der eigene Verstand dar. Dietmar Dath ist ein helles Köpfchen und denkt über Dinge nach, die man nicht unbedingt verstehen muss. Oder, dessen Verständnis sich erst nach und nach einstellt. Das verlangt zu entscheiden, ob man Stellen überliest, ob man zu ihnen zurückkehrt und es verlangt gegebenenfalls auch, sich einzugestehen, dass man für manches einfach nicht das passende Köpfchen hat. »Feldeváye« ist ein Buch, dass man garantiert bei einer zweiten Lektüre besser versteht. Manchmal hat Thomas Mann doch Recht.
Also: »Feldeváye« ist kein Leichtgewicht. Es liest sich stellenweise sauschwer, stellenweise flüssiger als vieles was im Bücherregal steht und an manchen Stellen bekommt man den Mund vor Ehrfurcht nicht mehr zu und will sich der lyrischen Pracht an den Hals werfen.
Worum geht es nun in diesem sonderbaren SF-Roman?
Der Klappentext verrät es. Wenn man ihn nicht lesen mag eingedenk der vielen absurden Klappentexte, kommt man nicht ganz so leicht drauf. Dath erzählt eine Lebensgeschichte. Eine Biografie. Er verriet, dass es sein Plan war, dieses Leben wie eine Geschichtsepoche zu gestalten. Von der Renaissance bis heute etwa. Mit all den Umbrüchen, Revolutionen und Veränderungen.
Tatsächlich spiegeln sich diverse Menschheitsentwicklungen wider im Leben der Kathrin Ristau. Zu Beginn erleben wir sie als junges Mädchen in einem Teil des Planeten Feldeváye, in dem ein strenges Matriarchat regiert und das Schnapsbrennen einen Teil des Lebensunterhaltes sicherstellt. Der andere Teil ergibt sich, wenn es gelingt Kunstwerke zu finden, die eine Alienrasse sporadisch fein säuberlich verpackt auf dem Planeten erscheinen lässt. Dabei handelt es sich um Gemälde, Filme, Bücher und Musik aus den frühen Tagen der menschlichen Rasse. Heute gilt Kunst als überholt, ebenso durch die Wirklichkeit verdrängt, wie der Glaube. Die Menschen auf Feldeváye haben sich an diese Geschenke angepasst. Es gibt ganze Städte, die nur zur Aufbewahrung oder Präsentation der Kunst errichtet wurden. Eine ganze Verwaltungsstruktur beschäftigt sich damit herauszufinden, was man mit dieser Kunst anfangen könnte und warum sie überhaupt auftauchen.
Der ganze Planet dreht sich um Kunst und keiner weiß warum. Oder wie. Oder wohin.
Wenn man sich überlegt, was es bedeutet, wenn eine Gesellschaft keine Kunst mehr hat, weil sie verwirklicht ist, verknotet sich schnell das Hirn.
Genau das nämlich ist das Problem von Dath zukünftiger Menschheit. Es gibt nämlich Kunst sehr wohl noch. Nur anders. Genau zwei dieser Nichtkünstler verschlägt es nach Feldeváye, in die Eiswüste, in der Kathrin nach Kunst sucht.
Klemens genmanipuliert und programmiert Krankheiten. Seine Viren färben Haare, reparieren den Körper, formen ihn um, verändern den Geist. Was auch immer. Severin erschafft virtuelle Räume voller Töne und er umgibt sich mit hochgezüchteten Schlangen. Das Paar stürzt auf Feldeváye ab, zerstritten durch die lange Reise und gerade durch diesen Streit und der darin verborgenen Liebe, vereint sie ihre Fertigkeiten und bringen etwas auf den Planeten, dass sowohl Samen als auch Gift werden wird. Kunstide. Das sind quasi biologische Maschinen, die Menschen befähigen, KünstlerInnen zu sein, zu werden – sich zu verwandeln.
Und damit die ganze Gesellschaft …
Eine Gesellschaft im Umbruch und die Hauptfigur im Zentrum der Ereignisse. Daths Entwicklungsroman liefert die ganze Palette an Themen, die man in solch einem großen Rahmen erwarten kann. Dabei wechselt er zwischen theoretischen Betrachtungen und jeder Menge Action hin und her. Die Prozesse, in denen sich die Gesellschaft transformiert, zerstört und wieder neu zusammengesetzt wird, unterfüttert er immer wieder mit den Erlebnissen seines Figurenensembles. In ihm gibt es nicht nur die Familie Ristau und die beiden Abgestürzten, sondern auch jede Menge Aliens und intelligente Tiere. Daths Fantasie scheint dabei beständig auf Hochtouren zu laufen und neue Dinge zu erschaffen, bzw. bekannte SF-Zutaten umzuwandeln.
So gibt es eine Art Nulltransportersystem, die Verkürzer. Sie werden von dem Lapithen zur Verfügung gestellt, eine rätselhafte Alienrasse, die im Auftrag einer anderen Rasse agiert. Diese wiederum hat ihren übermächtigen Entwicklungsstand gänzlich ohne Sprache erreicht. Auch die anderen außerirdischen Rassen sind ungewöhnlich. Die Rengi etwa sind intelligente Muschelkollektive, die Storema hochphilosophische Geistwesen in hölzernen Panzern.
Gerade die Storema liefern Dath etliche Gelegenheiten, sich mit andersartigem Denken zu beschäftigen. Er integriert die Storema-Denkfiguren sogar aktiv in die Handlung und demonstriert immer wieder, dass Missverständnisse zwischen fremden Kulturen oft genug auf fehlendes Begreifen grundlegender Prinzipen beruhen.
Die Fremdartigkeit der Aliens spielt aber nicht nur bei Begrifflichkeiten eine Rolle. Dath baut es auch in die Handlung ein. So teilt sich die eine Kultur einvernehmlich auf, nur um im Krieg auf beiden Seiten Einfluss zu erhalten. Die anderen greifen in die Zeit ein, um Dinge den ihnen genehmen Weg gehen zu lassen. Selten waren Aliens weiter davon entfernt, menschenähnliche Staffage zu sein. Dass Dath auch hier Kreise zu ziehen liebt und sich einige Rätsel des Romans am Ende als logische Konsequenzen herausstellen, verringert die Fremdartig nicht unbedingt. Seine Gedankengänge sind oft genug ziemlich schräg, aber diese Achterbahn lang zu düsen, kann schon ein rasendes Vergnügen sein.
Großen Spaß bereiten auch die biologischen Entwicklungen. Seien es die sich zur Zivilisation mausernden Schlangen, das Fliegenlernen der Comtramuralen-Kinder oder die denkenden Gärten. Höhepunkt ist die Verschmelzung dreier Figuren zu einem schnellen Menschen. Überhaupt gesteht Dath seinen Figuren eine breitestmögliche Entfaltung zu. Geschlechter- und Identitätswechsel, bis zum völligen Verlust derselben, Versteckspiel mit den LeserInnen und Vererbung. Immer wieder reichen Daths Figuren etwas weiter an ihren Nachwuchs, an die Liebsten, an Klone und auch an die Gegner. Nie kommt es zum Bewahren, stets dreht es sich weiter oder zurück oder ganz woanders hin. Einige Namen verwirren. Weil auch die Figuren sich verwirren. Oder weil die Lesegeschwindigkeit zu Pausen zwingt. Aber das sind die Namen. Dahinter stecken bei Dath eigentlich immer ganz einzigartige Charaktere, deren Macken und Absonderlichkeiten er das gesamte Buch über weiter poliert. Nie scheint er fertig zu sein, neue Facetten zu entdecken. Ganze Kapitel widmet er dieser Pflege. Poetische Streicheleien und harte Innensichten sind darunter. Aber auch geniale Experimente, wie die immer wieder eingestreuten Chronikteile, der liber severini. In einem davon fügt Dath scheinbar wahllos Sätze aneinander. Kindersätze. Beobachtungen aus Kinderaugen. Und plötzlich steht man selbst als Kind im Raum. Verzaubert von einer riesigen Welt an Möglichkeiten und Wundern.
Und so ist »Feldeváye« auch ein Liebesroman. Die Liebe bestimmt nicht nur den zentralen Figurenkonflikt, wenn auch erst spät offenbar. Als treibende Kraft hinter dem Denken und Aufbegehren widmet Dath ihr bezaubernde Kapitel. Voller potischer Kraft, zärtlich, ohne Kitsch, aber auch mit lyrischer Freiheit, fernab von Konventionen. Dath schöpft aus dem Vollen und schenkt reich ein. »Feldeváye« ist ein Roman über das Begehren.
Feldeváye ist aber auch ein Planet, dessen Befruchtung durch Kunst dazu führt, dass sich die Gesellschaft weiter entwickelt. Aus einer scheinbar perfekten, aber starren Ordnung, wird ein fließendes Vorwärts. Das führt zu Experimenten im Zusammenleben, zu Fehlern, Kriegen, Revolutionen, Restauration, Anarchie und auch zu so etwas wie Kommunen, Selbstverwirklichung. Alles in steter Veränderung, immer dann, wenn ein Zustand des perfekten Glücks erreicht wird, spielt Dath den Faust und strebt weiter. Und wenn er vorher erst einmal alles zerstören muss.
Hat man das sanft ausschwingende Ende erreicht, erfährt man in der Danksagung, dass der Autor keinen Kunstdiskurs im Sinne hatte. Ein Roman sei es.
Ja, ein Science-Fiction Roman, bis oben hin angefüllt mit Leidenschaft für das Genre. Und ein bisschen Kunst hat noch niemanden geschadet. Wenn man Veränderungen mag.
Fazit:
»Feldeváye« ist ein groß angelegter Weltenentwurf und eine reichhaltige Lebensgeschichte. Dath zieht an allen möglichen und eigentlich unerreichbaren Registern der Science-Fiction Literatur und entlässt auf die LeserInnen ein Bach-Oratorium. Mit diesem Buch hat sich Dath selbst zum derzeit bedeutendsten deutschsprachigen SF-Autor gedrechselt.
(Quelle: Der gleiche Text von mir
auf Fantasyguide)
Bearbeitet von lapismont, 28 Juni 2014 - 22:33.