Moin z'ammen,
ich seh schon. Obwohl ich kaum noch in Foren aktiv bin, sollte ich mich für gelegentliche Klarstellungen wohl
doch mal wieder anmelden.
Ein paar Anmerkungen: Ich bin erstaunt, hier zu lesen, daß ich eine Rezension meines eigenen Magazins verfaßt
habe. Das ist mir ganz neu. Wohl habe ich im SF-Jahr bei Golkonda einen Übersichtsartikel über die deutsche SF-
Storyszene des vorausgegangenen Jahres veröffentlicht. Die einmal jährliche Nova-Ausgabe ist nur ein kleiner Teil
davon, etwa zehn von mehreren hundert jährlich neu veröffentlichten Kurzgeschichten. Natürlich ist es immer etwas
problematisch, wenn man etwas zu einer Publikation sagen muß, an der man selbst beteiligt war. Aber in einer so
kleinen Szene wie unserer kommt man nicht umhin, zu einem der beiden regelmäßig erscheinenden Story-Magazine
mehr zu sagen, als es bloß zu erwähnen.
Warum ich diesen Überblick überhaupt schreibe? Das kann ich genau sagen. Nicht weil ich der Klügste und Beste bin,
sondern weil vermutlich niemand sonst in der Szene so bescheuert ist, für einen Artikel von 12 bis 15 Druckseiten, der
ihm maximal 150 Euro Honorar einbringt, 5.000 bis 8.000 Seiten Material zu lesen. (Die Stories werden übrigens nicht
bloß gelesen, zu jeder einzelnen verfasse ich eine durchschnittlich 20zeilige Notiz mit Zusammenfassung der Handlung,
Leseeindrücken und ggf. Zitaten.) Wer solche Mühen noch nie auf sich genommen hat, kann sich natürlich leicht über
die mangelnde Neutralität des Verfassers mokieren. Da kann ich nur sagen: Selber machen macht schlau.
Auch wenn es viele sicher nicht gern hören, sei noch angemerkt: Ich kenne nichts weniger Neutrales als die Urteile eines
"Durchschnittslesers". Die meisten Otto-Normal-Leser urteilen aus dem hohlen Bauch heraus ausschließlich nach den
Maßstäben trivialer Zerstreuungsbedürfnisse. Kann jeder machen, wie er will. Jemand, der sich intensiv mit dem Genre
befaßt hat und einigermaßen mit Literatur außerhalb der SF auskennt, kann allerdings fundiertere bzw. "neutralere"
Urteile abgeben. Übrigens kann man nicht nur, sondern sollte sogar als Herausgeber in der Lage sein, mit etwas
Abstand einigermaßen objektiv zu beurteilen, was man da gemacht hat. Das gehört zum Lernprozeß. Kein Redakteur,
der ehrlich ist, kann von sich behaupten, daß er noch nie Fehlurteilen erlegen ist und ins Klo gegriffen hat.
Der eigentliche Konflikt zwischen Kritiker- und Herausgeberperspektive ist für mich nicht die Frage der Objektivität/
Neutralität, sondern etwas anderes: Als Kritiker kann ich eine Sammlung lesen und feststellen, diese Stories sind
herausragend, jene mittelmäßig und wieder andere eher zweifelhaft. Als Herausgeber, der eine Anthologie oder ein
regelmäßiges Magazin füllen will, muß ich mit dem arbeiten, was ich habe. Da weiß ich, daß unsere kleine Szene
qualitativ nicht genug hergibt, um eine Publikation ausschließlich mit Spitzenstories zu füllen. Da muß ich auch
darauf achten, nicht immer dieselben Autoren und dieselbe Art von Geschichten zu bringen, sondern auch neuen
Autoren und frischen Ideen eine Chance zu geben, ggf. auch mit qualitativen Abstrichen. Die Perspektiven eines
Kritikers und eines Herausgebers können daher gar nicht dieselben sein. Man kann darüber streiten, ob es machbar
ist, mal die eine, mal die andere Rolle einzunehmen.
Aber natürlich ist es auch schön, wenn es einen Blödmann gibt, der die Übersichtsartikel im SF-Jahr schreibt.
Gruß
Michael
Bearbeitet von Michael Iwoleit, 24 November 2016 - 00:03.