Hallo Henrik,
Schön, dass Du in die Diskussion noch einmal einsteigst.
Die Nahrungsaufnahme (oder abstrakter: die Energiezufuhr) ist natürlich elementar für die Existenz der Lebewesen und gleichzeitig ein Anknüpfungspunkt für die Evolution. Der Erfolg der dieser Methode Lebewesen durch verspeisen anderer Lebewesen mit Energie zu versorgen ist unbestritten, deswegen gibt es sie ja.
Man könnte sich natürlich auch Formen der Energiezufuhr ausdenken die auf anderen Prinzipien bestehen und es gibt sie bei den Pflanzen und Algen auch: durch Sonnenlicht mittels Photosynthese.
Komplexe dynamische Systeme entwickeln sich im Wechselspiel mit ihrer Umwelt DURCH fressen und gefressen werden. Lebewesen müssen sich ernähren um zu überleben. Wer sich besser ernährt, der lebt länger und besser, also ist fressen einer der wichtigsten Triebe. Und gleichzeitig auch der Motor für eine weitere Entwicklung, die Evolution des Lebens eben. Baxter hat das mit seinem Buch eigentlich ganz gut begründed.
Ich möchte hier widersprechen, weil mir diese Sichtweise zu kurz greift. Als den eigentlichen Antriebsmotor für die Evolution würde ich die Ernährung nicht direkt bezeichnen.
Ernährung ist ein Faktor für das Überleben des Individuums. Aber sie dient indirekt einem anderen Zweck, nämlich das Individuum solange am Leben zu erhalten bis es sich reproduziert hat.
Die Evolution setzt aber nicht beim Individuum an, sondern bei der Art. Ob das Individuum überlebt ist der Evolution völlig schnuppe. Hauptsache ist, dass die Art überlebt. Deshalb ist der eigentliche Motor der Evolution der Reproduktionserfolg der Art. Nur die Arten die ihre Gene am effizientesten weiterverbreiten existieren weiter. Da spielt natürlich bei räuberischen Arten der Jagderfolg auch eine Rolle. Die Art die effektiver (erfolgreicher) jagt hat gegenüber einer konkurrierenden räuberischen Art ein Reproduktionsvorteil und wird langfristig die andere Art verdrängen (Hyänen verdrängen Löwen). Es ist also nicht so einfach die Evolution auf das reine Fressen und Gefressen werden zu reduzieren. Evolution ist nicht das Überleben des stärksten Fressers (denn was heißt schon stärkster in der Evolution), sondern des Bestangepasstesten unter den gerade herrschenden Umweltbedingungen (als die Mammuts Ende der Eiszeit ausstarben waren auch die Tage der Säbelzahntiger gezählt).
Der Reproduktion der Arten wiederum wird beeinflusst durch die Veränderung der Umweltbedingungen, die eine physische Anpassung der Art (Mutation) erzwingt. Schafft die Art diese Anpassung nicht, weil sie physisch bereits zu stark auf eine vorhandene Anpassungsform spezialisiert ist (das Beispiel mit dem Säbelzahntiger), stirbt sie aus (Selektion). Die Mutationsrate von Lebewesen ist relativ konstant, sie wirkt sich als Unterscheidungskriterium aber erst dann aus, wenn diese Mutation unter veränderten Umweltbedingungen einen entscheidenden Überlebensvorteil bietet (in Form einer größeren Reproduktionsrate), ansonsten werden Mutationen sehr schnell aussortiert (Selektion). Zum Beispiel ist ein dichtes Haarkleid nur dann ein Überlebensvorteil wenn die allgemeinen Klimabedingungen sich in Richtung kälter verschieben (Vorteil der Säugetiere gegenüber den Dinosauriern). Das ist alles natürlich extrem stark verkürzt dargestellt, aber mir geht es nur darum das Prinzip der Evolution zu zeigen. Die Evolution ist im Grunde ein blinder Prozess dem es schnurzegal ist was auf der Erde herumkreucht und fleucht.
Wären die Umweltbedingungen völlig stabil so wäre keine Evolution in Richtung höhere Lebewesen in Gang gekommen und auf der Erde würde es nur Bakterien geben. *
Was mir bei der Evolution wichtig ist im Hinterkopf zu behalten ist erstens die Abhängigkeit von den Gegebenheiten der Umwelt zu beachten. Sie entscheidet in welche Richtung sich die Evolution entwickelt. Zweitens die Unvorhersehbarkeit dieser Entwicklung. Katastrophen können die Evolution in ganz neue Richtungen lenken. Und drittens: der historische Verlauf der Evolution ist unwiederholbar. Würde die Evolution auf der Erde wieder von Null beginnen so hätten wir heute eine ganz andere Form der Evolution. Die Evolution hat unter unendlich vielen Pfaden zufällig einen einzigen ausgewählt der zu uns Menschen geführt hat. Es hätte aber auch ganz anders kommen können. Deshalb meine Idee, mein Vorschlag diesen historischen nicht reproduzierbaren Verlauf der Evolution als solchen darzustellen, indem man alternative Evolutionen zeigt, andere mögliche Evolutionen. Genau das ist für mich auch Science Fiction oder vielleicht besser Speculative Science. Eigentlich ein Wissenschaftsthema mit den Mitteln der SF realisiert. Schade dass es das noch nicht in der Form gibt, wie es mir vorschwebt.
Zum Drachenei:
Den Roman kenne ich natürlich und als Gedankenexperiment ist er wirklich sehr interessant und spannend. Etwas in der Art hatte ich mir auch unter diesen anderen hypothetischen nichtbiologischen Evolutionen vorgestellt.
Forward hätte allerdings die Kultur der der fremden Wesen auf dem Neutronenstern etwas radikaler und nicht so furchtbar konventionell darstellen können. Ich war seinerzeit darüber etwas enttäuscht, dass es Forward irgendwie nicht gelungen ist, den Cheela wenigstens einen Hauch von Fremdartigkeit zu verleihen zumal sie physisch völlig nichtbiologisch sind. Vor allem im Kontrast zu der sehr originellen und exotischen Umgebung auf dem Neutronenstern, dessen physikalische Bedingungen sehr exakt ausgearbeitet sind, fällt dieser Punkt negativ auf. Das ist der Jammer mit den Hard-Science Autoren: die Physik ist stimmig, weil sie sich darin gut auskennen, die Aliens sind es dagegen meist nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Dummerweise habe ich den Roman wohl irgendwann verschenkt und musste ich ihn mir erst kürzlich wieder antiquarisch besorgen.
* Wenn Dich der ganze Themenkomplex interessiert, es gibt ein sehr spannendes nicht allzu umfangreiches Buch von
Josef H. Reichholf, Der schöpferische Impuls. Eine neue Sicht der Evolution das ich empfehlen kann. Reichholf führt das Ganze im Detail aus und erläutert die Evolution im Wechselspiel zwischen Umwelt - Organismus, Zeiten der Veränderung und des Gleichgewichts.
Wobei ich zu meiner Überraschung anmerken muß dass Reichholf ebenfalls der Ernährung des Organismus einen hohen Stellewert einräumt, wie ich bei einem kurzen Blick in sein Buch feststellen muß.
Mein eigener Ansatz ist hier eher an Dawkins ("Das egoistische Gen"), der Soziobiologie und dem Primat der Gene ausgerichtet. Baxter scheint mehr der Reichholfschen These anzuhängen. Ich glaube ich muß mir noch einmal Reichholfs Argumente im Detail ansehen.
Trurl
Bearbeitet von Trurl, 10 April 2004 - 12:42.