... aber die Emergents (wie heißen sie auf deutsch?) werden sehr interessant dargestellt und besitzen mit "Focus" eine faszinierende Technologie.
In der Übersetzung heißen die Emergents einfach "Aufsteiger".
"Faszinierend" würde wohl nur Spock die Technologie bezeichnen. Die Idee selbst, also der Fokus, ist in der Tat glaubhaft, allerdings in der Anwendung auf lebende Menschen absolut inakzeptal, unmoralisch und monströs. In der Hand skrupelloser Tyrannen allerdings ein nahezu perfektes Unterdrückungsinstrument wie sehr schön gezeigt wird.
Vinge gibt sogar die Erklärung dafür. Seine Theorie ist, dass sich die Rassen alle relativ gleich entwickeln und entweder den Sprung in den Weltraum schaffen oder sich vernichten.
Wo hat er das erwähnt? Im Buch habe ich keinen Hinweis auf diese Theorie gelesen, oder es ist mir entgangen.
Man kann das natürlich als genialen Kniff sehen ABER wieso wird erst zum Schluss deutlich dass wir die Spinnen nur gefiltert aus Sicht der anderen Rassen sehen? Bei den Radio Shows ist es offensichtlich, bei allen anderen Dingen nicht. Natürlich kommt es so zu einer großen Überraschung am Ende, aber auf die hätte ich dann lieber verzichtet.
(Hier habe ich ein wenig über meine Antwort nachdenken müssen, also nicht erschrecken wenn sie etwas länger geworden ist.

)
Gut ich will einmal eine Erklärung versuchen. Vieles basiert auf Schlußfolgerungen die ich sehr weitgehend in den Text hineininterpretiere, deswegen ist es fraglich ob sie für jedermann (oder dich) überzeugend sind, aber egal:
Mich hat von Anfang an misstrauisch gemacht dass die Gestalt Spinnen nie näher beschrieben wurde, und das obwohl eine lebensechte Statue mit drei Spinnen gefunden wurde.
Ezr Vinh macht sich sogar diesbezüglich seine Gedanken:
"Da waren drei von den Geschöpfen, lebensgroß, wie er annahm. Das Wort "Spinne" ist Alltagssprache, die Art Begriff, der sich im Lichte eingehender Untersuchung fast bis zur Nutzlosigkeit auflöst. [...] Diese Wesen sahen ziemlich wie die schlanke, zehnbeinige Sorte aus. Aber entweder trugen sie Kleidung, oder sie waren stacheliger als ihre Namensvettern. Ihre Beine Beine waren umeinander geschlungen, als ob alle nach etwas verborgenem unter ihnen griffen. Hatten sie Sex miteinander, kämpften sie, oder was? Ezrs Phantasie mühte sich ab."
Eigentlich sehr schön beschrieben, aber das wars dann. Als "exakte" Beschreibung ist das ist nicht sehr aufschlußreich.
Dann der Stil der Spinnenerzählung, Sherkaners Leben. Nichts deutet anfangs darauf hin dass wir es hier mit einer außerirdischen Rasse zutun haben, die zumindest physisch nichts mit uns gemein hat. Da gibt es lustigerweise Autos, Gasthäuser, Postämter, Feldwebel, Universitätsprofessoren, Priester usw. alles wie bei uns vor hundert Jahren. Richtig idyllisch. Das ganze wirkt so vertraut als würde ich aus meinem Fenster schauen. Allerdings ist das schon derart übertrieben das ich es unmöglich als ernsthafte Vision durchgehen lassen kann. Wenn Vinge das alles ernst gemeint haben sollte, müsste ich mich in dem Autoren schon schwer getäuscht haben.
Vinge hat diesen Duktus ganz bewußt gewählt. Aber warum?
Ich denke er stand ganz einfach vor dem Problem, wie er eine Alienrasse aus der Innenperspektive schildern soll. So etwas ganz und gar realistisch anzupacken ist meiner Meinung nach völlig unmöglich, also mußte er zu einer anderen Strategie greifen.
Er tat so als wären die Spinnen Menschen, obwohl er sich natürlich bewußt war das das im Grunde nicht zutrifft. Aber trotz der Fremdartigkeit der Spinnen gibt es genügend Gemeinsamkeiten, die eine Transformation der Begriffe und Denkweisen in die Perspektive eines Menschen erlauben. Die Spinnen sind zwar fremd aber bis zu einem gewisse Grad auch Verwandte im Geiste. Die Spinnen sind Sozialwesen das heißt sie haben einen Gemeinschaftssinn und benötigen Organisation, sie haben Nachkommen (Kinder) und kümmern sich um sie, das heißt wir unterstellen ihnen so etwas wie Fürsorge, Liebe ihren Kindern gegenüber, sie sind zweigeschlechtlich, sie leben in Gruppen, ja sie haben so etwas wie Autos, Postämter, Gasthäuser, Parlamente, Abgeordnete, Militär usw. ich will das jetzt nicht alles im Detail ausführen. Aber: in
Wirklichkeit sieht das alles ganz anders aus. Der Punkt ist, dass die Spinnen innerhalb bestimmter Parameter einfach als menschenähnlich eingestuft werden können. Man könnte also eine Geschichte erfinden die so tut als wären die Spinnen tatsächlich Menschen.
Diese Transformation nimmt zwar letztlich der Autor vor. Im Roman wird diese Übersetzung in unsere Begriffswelt von den Roman-Figuren geleistet, das sind die Blitzkopfübersetzer und ganz speziell die geniale Linguistin Trixia Bonsol, die sich in die Spinnen verliebt hat und als einzige die Denkweise der Spinnen versteht, etwas was einem normalen Menschen völlig unmöglich ist. Und wenn man sich die Sherkaner Geschichte nocheinmal genau durchliest dann merkt man sehr deutlich dass sich diese Erzählung stilistisch vom Rest des Romans unterscheidet und als persönlich gefärbte Biografie, als farbige Lebensgeschichte die sich jemand ausgedacht hat durchgehen kann.
Nun kann man natürlich mit Recht fragen, warum hat der Autor das nicht gleich von Anfang an so dargestellt?
Ich glaube das war einfach ein erzählerisches Stilmittel um die Sache in der Schwebe zu halten, um nicht gleich zu Beginn einen Teil der Spannung aus der Geschichte zu nehmen.
Ich gebe zu, ich war auch erst etwas irritiert und diese 1:1 Übertragung hat mir anfangs nicht unbedingt geschmeckt. Das hat sich allerdings im Laufe der Geschichte schnell gelegt. Der Sherkaner Zweig hat seinen eigenen Reiz und ist recht unterhaltsam, er ist zugleich ernst wie unernst. Die Spinnen sind Originale (Hrunkner Unnerbei der alte Freund der Familie Sherkaner) und teilweise sogar richtige Karikaturen (das Militär, die geehrte Pedure). Die Kabbeleien des Träumers Sherkaner mit seiner Frau Oberst Viktoria Schmid(!) sind einfach herrlich. Oder die altklugen Kinder, die sind doch richtiggehend putzig und drollig geschildert (wenn man bedenkt was für kleine Spinnenmonster sich wirklich hinter den harmlosen Kinderchen verstecken

) ...
Im Grunde ist doch nur Sherkaner an einen Wandel interessiert, oder? Ich habe die ganze Motivation dahinter nicht ganz verstanden. Das Militär möchte natürlich einen strategischen Vorteil haben, Sherkaner schwebt dagegen eine neue Spinnen Gesellschaft vor, die auch im Dunkeln überleben kann. Ich habe den Tiefschlaf während der Kälteperiode nicht als Nachteil für die Spinnen empfunden. Sicherlich vergehen so immer ein paar hundert Jahre, aber was spricht dagegen?
Sherkaner ist ein Visionär, und deswegen neugierig. Er will wissen was hinter dem Horizont ist.
Der technologische Wandel wird nie wirklich bewußt
gewollt, er entsteht als zivilisatorische
Notwendigkeit wenn die Bedingungen dafür gegeben sind. Zum Beispiel ausgelöst durch weltanschaulichen Perspektivenwechsel, rationales Denken, durch Bevölkerungsdruck, nationale Konflikte (Europa in der frühen Neuzeit) und noch vieles vieles mehr.
Was die Spinnen angeht, so wurde ihre Zivilisation durch die Dunkelphasen immer wieder zurückgeworfen, ihre Kulturgüter zerstört und mußten sich wie Sisyphos immer und immer wieder aus dem Schlamm emporarbeiten. Niemand weiss wie lange sich die Spinnenzivilsation bereits auf dem Planeten abmüht ohne vorwärts zu kommen. Ich kann dieser Vorstellung nichts Angenehmes abgewinnen. Zumal die Spinnen offenbar eine ehemalige Raumfahrerrasse gewesen sind, also lediglich den Zustand wiederherstellen den sie einmal gehabt hatten.
Ich frage mich immer was daran so schön sein soll wenn das Leben in den immer gleichen Bahnen verläuft, wenn es keinerlei Entwicklung gibt, keine Wissenszuwachs, wenn in zehntausend Jahren das Leben genauso abläuft wie
vor zehntausend Jahren? Der technologische Wandel hat unser Leben im Schnitt angenehmer gemacht, die Frage ist nur in welchem Tempo soll das alles weitergehen?
Auch bei uns gibt es viele Menschen die sich die einfachen alten Zeiten zurückwünschen (vor allem unsere Fantasy Freunde

) allerdings wohl kaum
ohne die heutige medizinische Versorgung und Hygenie.
P.S. Vielleicht könntest du beschreiben was du genau als
sense of wonder empfindest. Jeder versteht darunter etwas anderes. Vielleicht auch in Bezug zu der Geschichte hier oder im Vergleich zu einer Geschichte wo dies deiner Meinung nach besonders gut gelungen ist.
P.S.S. Ich sehe gerade, dass du Picknick am Wegesrand liest. Vielleicht kannst du ja eine Rezi schreiben wenn du damit fertig bist, dein Eindruck würde mich interessieren.
Trurl
(Die Bearbeitung betraf nur ein Satzmonster das lesbarer gemacht wurde und eine kleine unwichtige Ergänzung)
Bearbeitet von Trurl, 24 März 2004 - 18:18.