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Alfred Bester's Kurzgeschichten


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8 Antworten in diesem Thema

#1 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 28 März 2004 - 10:18

Hallo (& dankeschön dass es jetzt ein allgemeines KG-Forum gibt!)

Ich möchte hier eine Lanze brechen (dt. Idiom?) für Alfred Bester's KGen, die ich noch gar nicht so gut kenne, die mich aber sehr beindrucken je mehr ich sie vors Auge bekomme. Wenn Andere auch an diesem Autor interessiert sind, und ihnen evtl. KG-Lesen noch neu ist, schlage ich vor z.B. bei ihm anzufangen.

Ich fände es gut, wenn hier Rezis zu Bester's KGen erscheinen und darüber diskutiert wird. Viel Spaß dabei!

Ich fang mal mit meiner Lieblingsgeschichte an.

The Pi Man (1959)

Diese Geschichte kann man nicht beschreiben, weil man dann alles gleich verrät. Kennt jemand den "Galactus"-Charakter im Marvel-Comic-Universum? Nun, es geht hier im sehr übertragenen Sinne um einen (wesentlich kleineren) Menschen der "auch nicht anders kann".

Sie zeigt m.E. die Quintessenz von guter Nachkriegs-Stil-Schreibe: Kurze, schnelle Sätze, verrückte Szenarien, Schnellschuss-Dialoge und Bester's typisches Spiel mit Sprache(n) und Wörtern (um nicht zu sagen Druckzeichen). Man fällt innerhalb den ersten 5 Sätzen in einen Wirbel aus dem man nicht mehr so schnell herauskommt. Es hilft übrigens an einer Stelle ein wenig über die New Yorker Beatnikszene vor ca. 50 Jahren zu wissen.

Für mich eine der besten Kurzgeschichten aller Zeiten.

"Technischer" Hinweis: Wie auch bei anderen Texten von Bester gibt es kaum eine Ausgabe von dieser KG, die keine Setzfehler enthält. Auch verschiedene Versionen der KG scheint es zu geben; einige davon weniger gut als andere, finde ich. (Z.B. habe ich gerade die Anthologie Virtual Unrealities von Random House vorliegen, und nenne den Verlag ab sofort Random Generator House, weil er noch nicht mal eine einfache Formel - x.x + x + 41 - satzmäßig hinkriegt.) Ich habe in meiner Jugend mal aus lauter Verzweiflung die Geschichte abgetippt, und korrigiert und ausgedruckt - wenn ich ein gutes OCR-Programm finde, stell ich sie irgendwann in Zukunft mal ins Web.

Letzte Frage: Gibt es die Geschichte eigentlich auf deutsch?

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 28 März 2004 - 10:49.

/KB

Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.

Da ergriff eins der kleinsten das Wort:

"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,

dann wünschen wir einfach mit Willen

die Wünsche-Erfüllung fort!"

Sie befolgten den Rat und von Stund an war

wieder spannend das Leben und heiter.

Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr

und vielleicht gar ein wenig gescheiter.

(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)


#2 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 29 März 2004 - 07:42

Es sieht so aus als ob die Geschichte enthalten ist in der Sammlung HÖLLE IST EWIG aus dem Suhrkamp Verlag. Ich schaue heute abend mal nach (und lese sie dann gleich bei der Gelegenheit).Sullivan

#3 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 29 März 2004 - 11:32

Toll, Sullivan. Bin gespannt wie der Titel übersetzt wurde.

Hier noch eine Bester-KG-Rezi, diesmal ein wenig ausführlicher:

Fondly Fahrenheit (1954)

Ein hochentwickelter Androide, den sein Käufer in der Zukunft erworben hat, um durch Einnahmen dessen Arbeit (gut) zu leben, fängt an durchzudrehen. Die Story fängt mit einer Hetzjagd an, und hört mit einer auf; dazwischen sind Mensch und Maschine ewig auf der Flucht, während Ersterer versucht zu verstehen was bei Letzterem versagt hat. Man kapiert erst am Ende dass es nicht nur um eine einfache Dysfunktion geht, sondern um etwas viel Bedrohlicheres.

Dies ist eine der bekanntesten Kurzgeschichten Bester's; sie heißt laut einem anderen (sehr lesenwerten) Thread zum Thema KG allgemein auf deutsch Geliebtes Fahrenheit. (Die Fahrenheitskala ist übrigens die amerikanische Temperaturskala, d.h. 10° F sind ca. minus 12° C, 100° F sind fast 38° C.)

Strotzend vor süß-ekeliger Boshaftigkeit, im Zeichen der Gestalt des sich rächenden menschlichen Konstrukts (wie ja z.B. auch Sklavenhaltung eins ist), tanzt die Sicht des Betrachters darin vom Kopf des Menschen, zu der Sicht des Androiden, dann der eines neutralen Erzählers, hin und her. Manchmal inmitten eines Satzes. Genauso wie der Android (Data würde grün vor Neid) bei seinen Anfällen anfängt dämonenhaft zu tanzen und zu singen:

  Oh, it's no feat to beat the heat.
  All reet! All reet!
  So jeet your seat
  Be fleet be fleet
  Cool and discreet
  Honey...

Dieses (doch eher unübersetzbare?) Lied ist der Geschichtsfaden, und dokumentiert neben dem Titel m.E. wieder mal Bester's Lieblingsnebenbeschäftigung - mit Sätzen, Wörtern und deren Klang-/Bedeutungs-Spiel. (Nur, was bedeutet "jeet your seat"? Evtl. so etwas wie "beweg deinen Hintern"?) Ich stelle mir einen Voodoo-Rhythmus als Untermalung dafür vor...

Wie oft bei Bester enthalten die im Rasertempo anscheinend lieblos aneinander gereihten Szenen auch ein wissenschaftliches Rückgrat - Synästhesie - das Bester aber am Ende genial/manisch/spielerisch verbogen hat.

Ob das Ganze eine Antwort auf Asimov's zu nette Roboter war? Jedenfalls: Wahnsinn! <_<

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 29 März 2004 - 12:33.

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#4 Sullivan

Sullivan

    Autarchonaut

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Geschrieben 30 März 2004 - 06:33

Ich habe meine beiden Bester Sammlungen mal herausgesucht, folgende Titel sind enthalten:

Aller Glanz der Sterne, Suhrkamp, 1991
Aus dem Englischen von Uwe Anton

    [*]Verwschwindibus (Disappearing Act)
    [*]Adam - und keine Eva (Adam and no Eve)
    [*]Stern des Glanzes, Stern der Pracht (Star Light, Star Bright)
    [*]Achterbahn (The Roller Coaster)
    [*]Oddy und Id (Oddy and Id)
    [*]Eine schwerwiegende Entscheidung (The Starcomber)
    [*]Reisetagebuch (Travel Diary)
    [*]Geliebtes Fahrenheit (Fondly Fahrenheit)
    [*]Hände weg von Zeitmaschinen (Hobson's Choice)
    [*]Er wollte nicht sterben (The Die-Hard)
    [*]Von der Zeit und der Third Avenue (Of Time and Third Avenue)
    [/list]Die Hölle ist ewig, Suhrkamp, 1993
    Aus dem Amerikanischen von Michael Koseler

      [*]Die Hölle ist ewig (Hell is forever)
      [*]Die Zeit ist der Verräter (Time is the Traitor)
      [*]Die Männer, die Mohammed ermordeten (The Men who murdered Mohammed)
      [*]Der Pi-Mann (The Pi Man)
      [*]Meine Affäre mit der Science Fiction (My Affair with Science Fiction)
      [/list]

#5 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 30 März 2004 - 06:45

Hallo yippie,

gestern abend habe ich mit großem Vergnügen Der Pi-Mann gelesen, eine wirklich hervorragende Kurzgeschichte in einem irrwitzigen Tempo. Schon die Idee vom Ausgleicher ist genial, aber wie Bester diese Idee umsetzt ist meisterhaft. Nach einer kurzen Weile fängt man an, in den gleichen verrückten Bahnen zu denken wie der Held. Sehr gut hat mir auch der Schluss gefallen, sie bringt die Geschichte zu einem würdigen Ende.

Sullivan

P.S. Vielleicht schaffe ich diese Woche noch GELIEBTES FAHRENHEIT. Das Gedicht wurde folgendermaßen übersetzt:

Schwitze, schwitze in der Hitze,
ob beim Flitzen oder Sitzen;
bevor die Blitze dieser Hitze
meine Grütze stibitzen,
rasch, mein Schätzchen,
eine kühle Spritze...


Hat zwar relativ wenig mit dem Original zu tun, aber die Stimmung wird sehr gut wiedergegeben.

#6 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 30 März 2004 - 17:33

Sehr gut hat mir auch der Schluss gefallen, sie bringt die Geschichte zu einem würdigen Ende.

    :

Schwitze, schwitze in der Hitze,
ob beim Flitzen oder Sitzen;
bevor die Blitze dieser Hitze
meine Grütze stibitzen,
rasch, mein Schätzchen,
eine kühle Spritze...

Yo, Sullivan, schön dass sie dir auch gefiel. Hm, das Problem mit dem Ende ist, dass der letzte Satz in den verschiedenen engl. Versionen die ich kenne sich gerade unterscheidet... (Meine Webversion ist hart in Arbeit, also sobald sie on-line geht, sag ich Bescheid und du kannst's ja mal vergleichen.) Wenn du aber allgemeiner meinst, dass Lizzie es "wagt", stimme ich dir zu.

Ja, die dt. Version vom Androidenlied finde ich auch nicht schlecht, allerdings fehlt m.E. der Sinn von "cool and discreet". In der Geschichte haben die Protagonisten ja gerade mit Coolbleiben und Diskretion ihre Hauptprobleme... ;)

Danke für deine ausführlichen Bester-KG-Listen - da sind auf jeden Fall einige Titel dabei die ich noch nie gesehen habe.

Die Mohammed-KG wurde wohl für den Hugo nominiert, ich fand sie aber etwas enttäuschend. Sie erinnert mich übrigens an die Art wie R.A. Lafferty seine KGen aufbaut. Immerhin ist es eine erneute wissenschaftlich "erlaubbare" Erklärung für Zeitreisen (L. Niven machte es ja mit seinen Zeitreisengeschichten ähnlich).

Oddy und Id fand ich zwar interessant, aber auch nicht so umwerfend. Immerhin motivierte die Geschichte mich nochmal den Unterschied zwischen "Ich" und "Es" bei Freud nachzulesen! Man fragt sich auch wer nun zuerst in einer SF-Geschichte ein beweisbares "Talent zum Glück haben" erfand - van Vogt (in den Waffenhändler-Büchern) oder Bester? Niven (in der Ringwelt-Serie) hat auf jeden Fall von einem der beiden geklaut! ^_^

Weiteres in noch folgenden Rezensionen (yippee!)...

P.S.1: Apropos Rezensionen - habe mir jetzt mal die auf deiner Website zu Gaiman's anderen Büchern durchgelesen. Bin motiviert! http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/smile2.gif

P.S.2: Das Pi Man im Titel bezieht sich (u.a.) ja auf ein bekanntes engl. Kindergedicht; das geht leider im Deutschen ein wenig unter.

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 30 März 2004 - 17:37.

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Da ergriff eins der kleinsten das Wort:

"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,

dann wünschen wir einfach mit Willen

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Sie befolgten den Rat und von Stund an war

wieder spannend das Leben und heiter.

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und vielleicht gar ein wenig gescheiter.

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#7 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 31 März 2004 - 06:31

Danke für den Hinweis mit "Simon", ich hatte mich tatsächlich etwas gewundert. Der Ausspruch "Simon says" war mir noch einigermaßen geläufig, aber das passte hier irgendwie nicht.

Hm, das Problem mit dem Ende ist, dass der letzte Satz in den verschiedenen engl. Versionen die ich kenne sich gerade unterscheidet...

Ich meinte gar nicht so sehr den letzten Absatz (bin schon gespannt auf das Original!). Im vorletzten sagt die Frau folgende Worte:

"Na schön", sagte sie gelassen. "Wir wollen nicht kleinkariert sein. Wenn Liebe etwas Kleines ist und aufhören muss, dann möge sie aufhören. Mögen alle kleinen Dinge wie Liebe und Ehre und Barmherzigkeit und Lachen aufhören - wenn es darüber hinaus etwas Größeres gibt."

Diese Einstellung gefällt mir! Mittlerweile bin ich richtig froh, dass ich in der Schule französisch gelernt habe. Dadurch konnte ich die italienischen und lateinischen Passagen halbwegs übersetzen. Eine geniale Idee, dass der Pi-Mann warten muss bis sein Englisch wieder da ist. http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/wink.png Sullivan

#8 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 22 April 2004 - 12:41

So, ich habe gestern Geliebtes Fahrenheit gelesen. Die Geschichte kam mir irgendwie bekannt vor, wahrscheinlich habe ich sie doch schon gelesen aber dann wieder vergessen.

Die Idee mit dem durchdrehenden Androiden ist wirklich gut und am Ende gibt es eine kleine Überraschung (eigentlich unnötig dies bei einer Kurzgeschichte zu erwähnen, sie lebt ja hauptsächlich von der Pointe). Der Wechsel der Perspektiven ist ziemlich verwirrend und erst zum Schluss wird klar, was Bester damit beabsichtigt. Dadurch lohnt es sich auf jeden Fall, die Geschichte ein zweites Mal zu lesen.

Übrigens würde sich die Geschichte sehr gut für eine Verfilmung eignen, eventuell als Folge von OUTER LIMITS. http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/wink.png

@yippie:
Das Lied "Schwitze, schwitze in der Hitze" spielt in der Tat eine wichtige Rolle. Es ist zwar gut übersetzt, aber an das Original kommt es nicht heran...

Sullivan

#9 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 27 April 2004 - 17:41

Kleine Sendepause bei mir; habe versucht die unten-folgende Rezi-Reihe abzuschließen (wobei ich nach der letzten KG wieder vorne anfangen musste, bis mir klar war was ich schreiben wollte, und welche ich besonders mag).

Zu Sullivan's Postings: Ja, das Zitat aus Pi Man find ich auch sehr gut. Wenn du eine Chance hast, die KG zu lesen, sag mir doch mal wie dir der Spruch am Ende von der Traitor-KG gefällt. (Bin hier und unten nur deswegen etwas geheimnisvoll weil ich nicht immer gleich alles "spoilen" will.)

Zu deinen Worten zur Fahrenheit-KG

Übrigens würde sich die Geschichte sehr gut für eine Verfilmung eignen, eventuell als Folge von OUTER LIMITS.

möchte ich lieber abwinken, sorry. Aus meiner Sicht könnte man die Stimmung und Form dieser KG nicht übertreffen. Jeder Geschichts-Abschnitt, der mit einer "wunderbaren" oder "wunderschönen" Fahrenheit-"Messung" endet, ist doch auch eine Iteration in einer Spirale, der wahre Kern wächst sozusagen von innen heraus um am Ende in all seinem Schrecken aufzublühen. Wie soll man das alles in so ein genau darstellendes Medium wie einen Film hineinkriegen? Ich finde diese Geschichte lebt sehr vom Klang/Musik der Stimme des Erzählers und der eigenen Fantasie. (Wobei ich durchaus sehe dass sie wiederum bekannte Filmszenen zitiert.)

Hier nun weitere (Kurz-)Rezensionen: Bester scheint ein besonderer Fan der Zeitreise gewesen zu sein - er hat eine ganze Reihe von Zeitreise-Kurzgeschichten geschrieben, von denen ich einige hier kurz nebeneinander besprechen möchte...

    [*]Disappearing Act ('53)
    Zeitreisen sind unmöglich - jeder weiß das - und in dieser Zeitreisegeschichte erklärt Bester in einer Umgebung, die sehr an Kubrick's Film aus 1964, Dr. Strangelove, erinnert (also einer verrückten, selbstüberschätzenden atombombenliebenden Epoche vor noch gar nicht so langer Zeit in einer Alternativwelt gar nicht so weit weg), wie Zeitreisen doch möglich sind, nämlich auf rein individueller Basis, wenn man ein wenig angegriffen und fantasievoll ist. Und wenn wir Anderen Zeitreisende verstehen wollen, brauchen wir DichterInnen. "Send me a poet," sagt der General am Ende. Make poetry not war, sagt Bester.


    [*]Hobson's Choice ('52)
    Dies ist m.E. eigentlich ein essayistischer Dialog von Bester über Zeitreisen, gekleidet in einen dünnen, eher düsteren Geschichtsmantel. Ab Mitte der Geschichte unterhält sich der Held mit einem Zeitreisemaschinenoperator über Für und Wider, zwischen Kommentaren der beiden über ständig ankommende Zeittouristen, die (zum Totlachen!) noch zu schnell bzw. langsam in ihrer Sprache getaktet sind, je nachdem ob sie zeitflussabwärts oder -aufwärts geschwommen sind. Ansonsten sind die Ankömmlinge stereotypisch gut gelaunt. Am Ende ist die Zeitreise nur noch ein Symbol für fehlgeleiteten Eskapismus (man beachte die Bettlersprüche, die dauernd in der Geschichte als Pausenfüller auftauchen!). Der Titel bezieht sich auf ein englisches Sprichwort und bedeutet man hat gar keine Wahl. Also: Hände weg von Zeitmaschinen! Die Realität, wie immer dunkel sie sein mag, ist dem vor zu ziehen.


    [*]Of Time and Third Avenue ('51)
    Diese Geschichte fällt in die "Nebeneffekte einer Zeitreise"-Sparte. Ich finde sie besonders lesenswert, weil sie die vorgenommene Zeitreise gar nicht erst mehr erwähnt. Irgend etwas ist schief gelaufen und ein aufgeweckter junger Mann kriegt ein Buch in die Hände dass ausführlich die Daten eines Jahres mehr als 30 Jahre in der Zukunft vorhersagt. Das darf nicht sein, also wird ein zeitreisender Agent hingeschickt. (Auch hier frage ich mich ob Bester derartige Agenten als Erster erdacht hat? Kennt jemand eine Geschichte mit derartigen Agenten vor 1951?)

    Sehr gut gefällt mir hier der lockere, oberflächliche, ruhige Stil der Geschichte, inkl. den Sprachproblemen die der Agent hat, weil sein Vokabular sich bereits in wenigen Jahrzehnten so weit vom Vokabular der Fünfziger entfernt hat. Der Titel spricht übrigens die Zweifel an, die der junge Mann und seine Freundin den größten Teil der Handlung an dem Agenten haben; 3rd Avenue war in den Fünfzigern nicht gerade Manhattan's nobelste Adresse - Abzockerei war dort Alltag. Bis zum letzten Satz soll eben d. LeserIn auch zweifeln...


    [*]The Men Who Murdered Mohammed ('58)
    Hier erörtert Bester m.E. frei eine Idee, ohne sich furchtbar viel Gedanken über eine ausgefeilte Erzähltechnik zu machen. Am Anfang erinnert mich die Geschichte stark an R.A. Lafferty's Stil. Diese Geschichte hält sich an die physikalische Unmöglichkeit von Zeitreisen indem sie das vom Zeitreisenden Erlebte anders erklärt. Sie ist letztendlich auch ein langes (freches) Kommentar über die Unzulänglichkeit von Professortypen mit der Realität umzugehen.


    [*]Time is the Traitor ('53)
    Dies ist eine Zeitreisegeschichte, die gar keine ist; im Sinne unserer Diskussion über machbare Zeitreisen an einer Stelle im Zeitreise-Thread geschieht hier höchstens eine Reise in die Zukunft. Sie ist eher eine Parabel darüber wie ein katastrophaler Moment extremer Rücksichtslosigkeit den weitergehenden Lebenslauf vieler Menschen ändern kann, und dass dadurch auch die Charaktere der Menschen sich ändern.

    Die Geschichte hat denselben Zack-Zack-Stil wie Pi Man, und da einer der Hauptfiguren auch ein Mann ist, der fremdartige Fähigkeiten hat und sehr "getrieben" wirkt, das Ganze aber in einem Umfeld von Mord und Tod und verächtlichem Umgang mit Frauen stattfindet, könnte man sagen dies ist die "dunkle Seite" von Pi Man.

    Mir gefiel hier wieder sehr der Umgang mit Sprache; Bilder werden ständig überzeichnet - es gibt einen Mann der der Beste Freund der Galaxie ist, und dafür auch galaxieweit bekannt ist (und es auch wirklich ist) und einen anderen Mann, der einen Wirtschaftskapitän nur darstellen soll, und den beschreibt Bester immer als "magnificent decoy" (also etwa: "prächtiger Lockvogel"). Diese Phrase allein löst ein Klingeln bei mir aus, denn es erinnert mich sehr an entspr. Figuren in unserer Weltpolitik. Die Zukunftswelt, die Bester beschreibt, ist die westliche Welt - seine Planeten und Raumschiffe sind nur Verkleidung für unsere Städte und ICEs.

    Die Art wie die Geschichte daher zischt erinnert mich auch sehr an die Cartoon-Szenen im Film Cool World, allerdings etwas weniger süß als dort.
    [/list]Meine Favoriten sind die beiden Geschichten mit dem Wort "Time" im Titel. Die ersten beiden Geschichten in der obigen Liste sind übrigens klare Antikriegs-Szenarien; Bester macht es ähnlich Kubrick (bzw. dieser machte evtl. Bester 10 Jahre später nach?) indem er den Krieg und seine Vertreter/Opfer skurril bis lächerlich darstellt.

    Man hat bei Bester oft das Gefühl dass er karikiert: Er überzeichnet die patriarchale Welt (z.B. den entscheidungsfreudigen Macho) aber zeigt auch ihre lustig-liebenswerteren Seiten auf. Und gelegentlich gönnt er sich ein leckeres Durch-den-bitteren-Kakao-Ziehen... <_<

    Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 27 April 2004 - 19:25.

/KB

Yay! Fantasy-Reimerei Mitte August...
[..] Verzweiflung beschlich sie im Stillen.

Da ergriff eins der kleinsten das Wort:

"Wenn sich all unsere Wünsche erfüllen,

dann wünschen wir einfach mit Willen

die Wünsche-Erfüllung fort!"

Sie befolgten den Rat und von Stund an war

wieder spannend das Leben und heiter.

Die Kinder war'n froh wie vor Tag und Jahr

und vielleicht gar ein wenig gescheiter.

(BewohnerInnen der Stadt der Kinder, aus der "Geschichte vom Wunsch aller Wünsche", aus Die Zauberschule & andere Geschichten, Neuauflage im Thienemann-Verlag, S. 93, von Ende)



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