Ich probe hiermit mal einen deutlicheren Aufstand und versuche mich im Forum unverblümt an der politischen Rezension einer (immerhin sehr aktuellen) Comicserie. Sind Comics nicht auch irgendwie Magazine?
Seit Ende letzten Jahres textet J.J. Miller den Marvel-Traditions-Titel Iron Man (Marvel ist einer der 2 größten Comic-Hersteller in den USA, neben D.C., Heimat von Superman & Co.), und obwohl ich heutzutage weder Geld noch Inklination habe, Marvels so genau zu verfolgen, fiel ich doch etwas aus den Socken als ich mal kurz in diese Serie hineinlugte (weil früherer großer Fan dieses "Nicht-Superhelden" - wie fan, äh, man am tollen Cover oben sieht, hat sich der Panzer mal wieder verändert in letzter Zeit, sieht realistischer aber auch irgendwie "japanischer" aus als früher).
Das Kapitel um das es mir bei diesem Marvel-Titel geht, heißt The Best Defense - es ist eine "Miniserie" von 6 Heften, die jetzt im Mai endet.
Story
Tony Stark, alias Iron Man (IM), hat vor nicht all zu langer Zeit öffentlich zugegeben dass er es immer selber war, der hinter der IM-Maske agierte. Und: Schon lange davor stellte seine Firma, Stark Industries, den Betrieb als staatlich-beauftragter Waffenkonstrukteur offiziell ein; sie verdient anderswie eh genug.
Was er nicht wusste ist dass es ein US-Gesetz gibt, dass es dem Staat erlaubt, jeglichen Patentschutz zu umgehen bei Produkten die "die nationale Sicherheit gewährleisten könnten", und daher hat ein (eher machtgeiler) Senator sich Stark besonders angenommen, und arbeitet mit einem Team seit Jahren daran, IM's Technologie nachzubauen und militärisch einzusetzen. Allerdings arbeiten der Senator und andere militärische Kontraktoren schlampig, und bei Tests und im Einsatz sterben und verletzen sich Soldaten, wenn sie die neuen Apparate ausprobieren.
Als der Präsident dies mitbekommt, möchte er mit Stark reden. Letzterer ist ob der Unfälle schockiert, und beide kommen zu dem Schluss dass Stark die Situation nur korrigieren kann, wenn er selber entscheiden kann, welche seiner Erfindungen wo und wie eingesetzt werden sollen. Er schlägt also dem Präsi vor, er, Stark, solle Verteidigungsminister werden! Als der Präsident ihn etwas später nach einer Rede bei einem Militär-College vorstellt, verspricht Stark sogar, dass er im Falle seiner Wahl durch den Senat den Krieg an sich neu definieren wird, nämlich: Derartige Technologie einzusetzen, dass niemand mehr in Kriegen sterben muss!
Die Sache nimmt ihren Lauf, der Senat hört Ergebnisse eines Anhörungs-Komittees, das nicht gerade erpicht ist von der Idee einen Superhelden als politischen Machthaber einzusetzen, Washington wird bedroht...
(Ich habe die letzten 2 Hefte noch nicht erworben - bin noch dafür am Sparen.)
Kritik
Dass Superhelden auch politisch agieren können, ist nichts so sehr Neues (man erinnert sich evtl. an gewisse Folgen von Green Lantern und Captain America). Auch dass Marvel einen echten Präsidenten ins Geschehen einbindet, nicht. Aber dass zur Zeit des zweifelhaften Irakkrieges der amtierende Präsident so positiv dargestellt wird (also Bush jr. z.B. als gewitzter Sarkast - der u.a. auf die erschrockene Verneinung seines Stabschefsentspr. reagiert, als er und Stark ankündigen, Stark wolle Verteidigungsminister werden), und dass ein Superheld derartig geradlinig den Marsch durch die Institutionen angeht, nimmt einem doch ein wenig die Spucke!
Besonders wenn man seit Jahrzehnten die Abenteuer eines phantastischen Helden verfolgt, der sich immer an den allgemeinen Comic-Gutmensch-Kodex gehalten hat, inkl. dessen Absurditäten ("verheimliche immer wer du bist" / "lass dir die Kleider vom Leib reissen, nur müssen die Genitalien immer verdeckt bleiben" / "stehe nur zur Rettung zur Verfügung, nie zur Parteinahme"), wirkt dieser neue realistische Umschwung in der Comicwelt verwirrend. Nicht nur bei IM geht es so zu - auch bei D.C. kam gerade eine Alternativhistorie heraus, die beschreibt was gewesen wäre wenn Superman in der USSR als Baby gelandet wäre (Superman: Red Son).
Entweder haben die Großen der Comic-Industrie die Politik als weiteren Umsatzmacher entdeckt, oder Comic-Autoren nehmen wahrhaftig zu aktuellen politischen Diskussionen immer deutlicher Stellung (in einem zumindest mir unbekannten Ausmaß)! So war es schon mal in den Dreißigern (da gab es z.B. so eine Art "panzerlosen Anti-Stark" namens Daddy Warbucks im bekanntesten Comic-Strip der Zeit).
Sicherlich wurden Zeichner auch immer gerne als Propagandisten zu Zeiten von Kriegen eingesetzt, aber in den Vierzigern war das Feindbild doch etwas klarer (meint man zumindest aus Sicht des Alten Europa).
Starks Rede, die das Böse eines jeden Krieges aufs reine Morden reduziert, und die andeutet, dass der "öffentliche Superheld" diesen Aspekt diesmal mit wirklich allen Mitteln verhindern will, ist relativ naiv, und man fragt sich ob hier die Leser wieder auf kindliches Comic-Fan-Niveau reduziert werden. Aber im nächsten Heft wird Stark von einem Anhörungs-Senator dann auch gleich dieser Naivität bezichtigt. Und in einer anderen Szene, als Stark sich in der Öffentlichkeit "anzieht" um dann als IM wegzuzischen, fragt der Stabschef ihn noch schnell ob er denn eigentlich Republikaner sei - Stark:
I don't know - is that a deal-breaker? ("Ich weiß nicht - ist das Einer der sich nicht an Absprachen hält?")
Ich bin also als Alt-Fan verwirrt, als politisch einigermaßen informierter Beobachter misstrauisch, aber auf jeden Fall gespannt ob der Schreiber (Miller) die Sache einigermaßen intelligent zu einem Schluss bringt. Momentan weiß ich nicht ob ich lachen, weinen oder loben soll; man merkt jedenfalls, dass in den USA doch ziemlich anders übers Kriegsführung geredet wird, als bei uns. Fürs nächste "Kapitel" (also ab Juni) ist bereits angekündigt dass IM im Irak zum Einsatz kommt. Dann gleich als Bushs persönliche Ultima Ratio?
Man darf aufgeregt auf die nächsten Hefte warten (und das in meinem Alter! ). Übrigens: Bitte nicht "spoilen" - klar ist im WWW schon alles detailliert beschrieben! (Also Augen zu und zum Comic-Händler durchtasten...)
Abschließend noch (Achtung: Englisch!) ein paar Hintergrund-Gedanken Millers zur Miniserie.
(Bildnutzungs-Hinweis: Das Cover-Bild oben ist ein Link zur Marvel-Wikia-Website, IM-Seite.)
Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 19 Oktober 2017 - 16:36.