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Jonathan Strahan (ed.): Meeting Infinitiy (Solaris, 2015)


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#1 Armin

Armin

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Geschrieben 05 Dezember 2016 - 08:29

Nach der Lektüre der Best-of-Anthologien von Jonathan Strahan, Gardner Dozois und Neil Clarke (die Links verweisen jeweils auf die offenen Lesezirkel zu den Büchern) haben sich für mich zwei herausragende Anthologien des Jahres 2015 herauskristallisiert: Jonathan Strahans Meeting Infinity sowie Old Venus, herausgegeben von George R.R. Martin und Gardner Dozois. Beide haben sich damit auf meiner Leseliste einen Platz ganz oben gesichert; in diesem Thread möchte ich peu à peu meine Meinung zu den Storys aus Meeting Infinity dokumentieren, Old Venus folgt dann wahrscheinlich direkt im Anschluss.

 

Jonathan Strahan (ed.): Meeting Infinity (Solaris, 2015)

 

Die Buchbeschreibung bei Amazon:

 

Continuing the award-nominated SF anthology series from multiple award-winning editor Jonathan Strahan.

 

The world we are living in is changing every day. We surf future shock every morning when we get out of bed. And with every passing day we are increasingly asked: how do we have to change to live in the future we are faced with?

 

Whether it†™s climate change, inundated coastlines and drowned cities; the cramped confines of a tin can hurtling through space to the outer reaches of our Solar System; or the rush of being uploaded into some cyberspace, our minds and bodies are going to have to change and change a lot. Meeting Infinity will be one hundred thousand words of SF filled with action and adventure that attempts to answer the question: how much do we need to change to meet tomorrow and live in the future? The incredible authors contributing to this collection are: Gregory Benford, James S.A. Corey, Aliette de Bodard, Kameron Hurley, Simon Ings, Madeline Ashby, John Barnes, Gwyneth Jones, Nancy Kress, Yoon Ha Lee, Ian McDonald, Ramez Naam, An Owomoyela, Benjanun Sriduangkaew, Bruce Sterling and  Sean Williams

 

The books of the “Infinity Project† trace an arc: from the present day into the far future, and now from the broad canvas of interstellar space to the most intimate space of all - ourselves.

 

 

Kommen wir zu den Geschichten:

 

James S.A. Corey: Rates of Change

(gelesen in Gardner Dozois†™ Best-of-Antho)

Gehirne, die in neue Körper verpflanzt werden - das ist nichts Neues, aber es ist im Rahmen eines Mutter-Sohn-Konflikts interessant genug erzählt, um nicht zu langweilen.  Von Corey (also Daniel Abraham und Ty Tabor) hätte ich allerdings was Space-Opera-Mäßiges in Richtung der „Expanse“-Reihe erwartet.

 

Benjanun Sriduangkaew: Desert Lexicon

Isyavan hat nach ihrer Verurteilung die Wahl: ab zur Arbeit in die Minen oder als technisch aufgerüsteter Soldaten-Cyborg für neunzig Tage in den Kampf gegen alte Kriegsmaschinen. Sie entscheidet sich für Letzteres, obwohl bislang noch kein Team mehr als sechzig Tage überstanden hat.

Eine Geschichte, die keinen besonderen Eindruck bei mir hinterlassen hat, weder negativ noch positiv - Durchschnitt halt.

 

Simon Ings: Drones

(gelesen in Jonathan Strahans Best-of-Antho)

In einem England der nicht allzu fernen Zukunft sind die Bienen ausgestorben, außerdem leidet die Gesellschaft unter starkem Frauenmangel. Nicht spektakulär, aber nett zu lesen.

 

Kameron Hurley: Body Politic

Eine ziemlich verwirrende Geschichte um High-Tech-Spionage, Verhöre und eine mysteriöse „Opposition“. Hat mich nicht gepackt.

 

 

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Erstes Zwischenfazit: kein sonderlich geglückter Einstieg in die Anthologie mit gleich vier nicht überragenden Storys hintereinander zum Auftakt. Ich weiß ja, dass noch einige überdurchschnittliche Geschichten kommen (McDonald, Lee, Kress, Bodard), die ich bereits gelesen habe - da hätte ich mir von Herrn Strahan ein etwas geschickteres Händchen beim Zusammenstellen gewünscht.


Bearbeitet von Armin, 05 Dezember 2016 - 08:30.


#2 Armin

Armin

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Geschrieben 06 Dezember 2016 - 07:27

Nancy Kress: Cocoons

(gelesen in Neil Clarkes Best-of-Antho)

Auf dem Planeten Windsong verwandeln sich infizierte Menschen in fremdartige Kreaturen, die trotz ihrer Metamorphose immer noch die Erinnerung an ihr Menschsein behalten.

Eine Story, die auch in den siebziger Jahren hätte erscheinen können, vielleicht sogar in den Fünfzigern, und sicher besser in „Old Venus“ gepasst hätte als in „Meeting Infinity“. Man darf dann sicher auch geteilter Meinung sein und im Urteil zwischen „herrlich altmodisch“ und „wenig innovativ“ schwanken. Ich entscheide mich für Ersteres, weil ich auch diese Geschichte von Nancy Kress wieder gerne gelesen habe und deshalb die Schwächen ebenso gerne übersehe †¦

 

Gwyneth Jones: Emergence

(gelesen in Jonathan Strahans Best-of-Antho, außerdem auch im Dozois vertreten)

Irgendwie eine moderne Asimov-Geschichte, oder? Statt um Roboter, die menschlich werden, geht†™s um künstliche Intelligenzen und die Frage, ob man sie als Sklaven behandeln darf oder ihnen Menschenrechte zugestehen sollte. Auch sonst steckt eine ganze Menge in dieser Geschichte drin, vieles wird nur grob angerissen, möglicherweise hätte die Autorin ein paar Seiten mehr gebraucht, um alle Themen angemessen abzuhandeln - vieles habe ich als eher zäh empfunden. Faszinierend immerhin am Anfang, dass es von den Jupiter-Monden zur Erde geht, auch dass die Hauptperson dank verschiedener lebensverlängernder Maßnahmen über dreihundert Jahre alt ist.

 

Yoon Ha Lee: The Cold Inequalities

(gelesen in Neil Clarkes Best-of-Antho)

Der Titel dieser Geschichte verweist auf „The Cold Equations“ von Tom Godwin (1954 in Astounding Science Fiction erschienen).  Darin geht†™s um einen blinden Passagier, der das Gleichgewicht aus zu transportierender Ladung und dafür benötigter Energie durcheinander bringt (die Godwin-Story gibt†™s hier als pdf: http://photos.state....Equations.pdf).

In Lees Geschichte geht†™s ein bisschen neuzeitlicher zur Sache: Die Menschheit wird in digitalisierter Form mit einem Raumschiff befördert. Das einzig wache Besatzungsmitglied namens Sentinel Anzhmir entdeckt eine Unregelmäßigkeit in den Daten - seine einzige Erklärung: Es muss einen blinden Passagier geben.

Gut geschrieben, auch wenn nicht immer alles so ganz logisch erscheinen will. Trotzdem gern gelesen.

 

Bruce Sterling: Pictures from the Resurrection

„The Ninja Zombie had been shot, beaten, starved, and left to wither in the Texan Sun.† So weit der Anfang der Geschichte, tot ist der Ninja Zombie deshalb aber noch lange nicht †¦ Was für ein Auftakt - die Story fängt absolut irre an, kann dieses Niveau dann fast logischerweise nicht ganz halten, bleibt aber doch immer unterhaltsam mit viel, viel schwarzem Humor. Und natürlich ist die Geschichte auch ein gelungener, scharfzüngiger Kommentar zur politischen Situation in den USA, speziell in Sachen Einwanderung. Gut gemacht, Mr. Sterling, ein Highlight des Buchs.

 

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Nächstes Zwischenfazit: Es geht aufwärts; einerseits mit den mir bereits vorher bekannten Geschichten von Nancy Kress und Yon Ha Lee, aber vor allem auch mit der ersten positiven Überraschung dieser Anthologie, der Story von Bruce Sterling. Warum die es in keine der Best-of-Anthos geschafft hat, ist mir absolut schleierhaft.



#3 Armin

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Geschrieben 09 Dezember 2016 - 08:20

Gregory Benford: Aspects

Eine Story aus dem „Galactic Centre“-Romanzyklus des Autors (auf Deutsch u.a. „Im Meer der Nacht“, „Durchs Meer der Sonnen“, „Himmelsfluss“ usw.) - die habe ich zwar wohl mal gelesen, so richtig präsent ist mir der Inhalt aber nicht mehr. Für die Lektüre der Geschichte wäre das allerdings gut, denn die will nicht so recht als eigenständige Story funktionieren. Jonathan Strahan verrät in der kurzen Vorbemerkung auch nicht mehr, als dass  es um Familie Bishop, die auf der fernen Welt Snowglade um ihr Überleben kämpft. Dort gibt†™s dann diverse Begegnung mit Roboter-Feinden und man muss sich „Aspects“ genannte Erinnerungen der Vorfahren runterladen, um zu bestehen. Na ja, nichts, was den Leser vom Hocker reißt.

 

Madeline Ashby: Memento Mori

„Memento Mori“ spielt in einer Welt, in der man sich recht mühelos einen neuen Körper beschaffen kann. Hauptfigur Anika kümmert sich um Menschen, die eine solche Veränderung vornehmen, doch schnell wird klar, dass sie ihre eigenen Probleme hat - die kommen aus einer Vergangenheit, an die sich nicht erinnern kann.

Eine eigentlich gute Story, für ein „sehr gut“ fehlt es aber an Emotionen - insgesamt geht es ein bisschen zu nüchtern zu, um als Leser richtig Anteil am Geschehen zu nehmen.  



#4 Armin

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Geschrieben 11 Dezember 2016 - 08:29

Sean Williams: All the Wrong Places

Diese Geschichte macht vor allem in der ersten Hälfte richtig Spaß und ist großartig zu lesen. Großes Kompliment an Sean Williams, der mich da richtig mitgerissen hat. Hinten raus fährt der Autor die Story dann aber leider gegen die Wand und verlabert das Potenzial. Das ist sehr, sehr schade.

Es geht um einen jungen Mann, der seiner Ex-Freundin Cate nachtrauert. In einer Zukunft, in der es Transmitter gibt, die jede beliebige Distanz überbrücken können, folgt er ihr erst zum Mond, dann zum Mars und dann immer weiter hinaus in die Galaxis. Um das Risiko zu minimieren, gibt†™s die Möglichkeit, sich beim Transport auch noch duplizieren zu lassen. Bald sind sowohl die Hauptperson als auch Cate in mehrfacher Ausführung unterwegs, wobei unser Ich-Erzähler dann auch anfängt, mit seinen Duplikaten Botschaften auszutauschen.

Um meine Unzufriedenheit deutlich zu machen: Ich hätte gerne eine Version der Geschichte gelesen, in der der Erzähler tatsächlich auf Cate trifft und ich als Leser das miterleben darf. Stattdessen wird die Story immer abstrakter und schleppt sich einer selbst-reflexiven Erkenntnis entgegen, die ich als vergleichsweise öde empfunden habe. Noch mal: sehr, sehr schade. Die andere Variante muss ich vielleicht mal selbst schreiben, Lust dazu hätte ich.

 

Aliette de Bodard: In Blue Lily†™s Wake

(gelesen in Neil Clarkes Best-of-Antho)

Eine Geschichte aus Aliette de Bodards „Xuya“-Universum. Laut der Übersicht übers Xuya-Universum spielt „In Blue Lily†™s Wake“ zeitlich direkt nach der Story „Three Cups of Grief, By Starlight“ (die in Gardner Dozois†˜ Best-of-Antho zu finden ist). Hier geht es um die namensgebende Seuche („Blue Lily“), die vor elf Jahren viele Opfer gefordert hat, darunter auch eins der halborganischen Raumschiffe („mindships“), die im Xuya-Universum umherschwirren, und um zwei Frauen, die mit ihren Entscheidungen aus der Vergangenheit fertig werden müssen. Das Fazit ist ein ganz ähnliches wie bei „Three Cups of Grief, By Starlight“: nicht einfach zu lesen (durch die chinesischen Namen, das exotische Setting), aber lohnenswert.

Der erwähnte Überblick übers Xuya-Universum: http://aliettedeboda...iverse-of-xuya/



#5 Armin

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Geschrieben 12 Dezember 2016 - 09:11

Ramez Naam: Exile From Extinction

Flucht zu den Sternen (samt „Kindern“ in der Stasis) vor einem Krieg zwischen Menschen und künstlichen Intelligenzen - der Clou, der hier nicht verraten werden soll, ist leider schnell durchschaut, auch sonst kann die Story kaum fesseln.

Ramez Naam hatte ich nach seiner Geschichte „Water“ (unter anderem zu finden in Jonathan Strahans „The Best Science Fiction and Fantasy of the Year, Volume Eight“, 2014) als sehr interessanten Autor in Erinnerung, seine Trilogie mit „Nexus“, „Crux“ und „Apex“ steht immer noch auf meiner Leseliste - hier hat er mich aber leider enttäuscht.

 

John Barnes: My Last Bringback

Layla ist einer der wenigen Menschen, der noch auf normale Art und Weise geboren wurde, statt gentechnisch modifiziert zu sein. Und sie ist die führende Expertin für Alzheimer. Ihr aktueller und letzter Patient: sie selbst.

Es dauert, bis sich Laylas wahre Natur offenbart, der Autor hat das sehr geschickt konstruiert. Das ist einerseits gut und spannend gemacht, andererseits fällt es natürlich schwer, Sympathien für die Hauptperson zu entwickeln.

 

An Owomoyela: Outsider

(gelesen in Neil Clarkes Best-of-Antho)

Mir persönlich kommt das Gender-Gedöns hier zu aufgesetzt rüber, das verdirbt mir den Spaß am Lesen - die Kulisse mit einer Gesellschaft ohne Konflikte, aber auch ohne Selbstbestimmung, die durch die Ankunft eines Flüchtlings von der Erde bedroht wird, hat durchaus was - aber echter Lesespaß will sich angesichts des geradezu missionarisch wirkenden Eifers des Autors (keine Ahnung, wie der korrekte Genitiv lautet, sorry) nicht einstellen.

 

Ian McDonald: The Falls: A Luna Story

(gelesen in Gardner Dozois†™ Best-of-Antho)

Eine ruhige Geschichte, aber eine sehr gute. Der Titel verrät†™s: Wie schon „The Fifth Dragon“ (im letzten Jahr in Jonathans Strahans Best-of-Anthologie, Volume 9, vertreten) spielt auch „The Falls: A Luna Story“ vor demselben Hintergrund wie McDonalds neuer Roman-Mehrteiler „Luna“ („New Moon“ ist ja schon erschienen und kommt im Dezember auch auf Deutsch, „Wolf Moon“ ist für nächstes Jahr angekündigt).

In der Story geht es um Nuur, deren Tochter Shahina der ersten Generation der auf dem Mond geborenen Kinder angehört und sich immer mehr von der Mutter entfremdet. Parallel  führt Nuur als Psychotherapeutin Gespräche mit der künstlichen Intelligenz eines Satelliten, der auf dem Weg zum Saturn ist.

Wie gesagt: ein eher ruhiger Abschluss der Anthologie, fast schon melancholisch, aber sehr schön erzählt. Das macht sehr viel Lust auf McDonalds Mond-Romane.

 

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Fazit: folgt ...



#6 Armin

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Geschrieben 14 Dezember 2016 - 08:32

Das versprochene Fazit:

Tja, hat sich das nun gelohnt? Sagen wir es so: Wenn ich Meeting Infinity vor den diversen Best-of-Anthologien gelesen hätte, wäre das Buch auf jeden Fall ein sehr guter Fang gewesen. Das enthält nämlich vier Top-Geschichten, und zwar von Nancy Kress, Aliette de Bodard, Bruce Sterling und Ian McDonald. Der Herausgeber kann natürlich nichts dafür, dass ich drei schon vorher gelesen hatte †¦ Ich bin aber froh, auf die Sterling-Geschichte gestoßen zu sein, die wirklich klasse ist, auch die erste Hälfte der Story von Sean Williams war sehr unterhaltsam. Die meisten anderen Storys sind zumindest ordentlich, von einigen Autoren hatte ich allerdings mehr erwartet (Naam, Benford, Corey). Insofern: gute Anthologie, aber nicht herausragend. Mal sehen, wie†™s mit Old Venus aussieht.




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