So langsam wird das Story-Jahr 2015 halbwegs komplett. Nach der Lektüre der Best-of-Anthologien von Jonathan Strahan, Gardner Dozois und Neil Clarke (die Links verweisen jeweils auf die offenen Lesezirkel zu den Büchern) sowie der Anthologien Meeting Infinity (herausgegeben von Jonathan Strahan) sowie Old Venus (herausgegeben von George R.R. Martin und Gardner Dozois) gönne ich mir jetzt noch Rich Hortons Auswahl. Mal sehen, ob noch weitere Highlights dazu kommen ...
Rich Horton (ed.): The Year's Best Science Fiction & Fantasy 2016 (Prime Books, 2016)
Rich Horton: The Year in Fantasy and Science Fiction, 2015
Hortons Einleitung kreist um die „sad puppies“, den Hugo, Preise allgemein und darum, dass seine eigene Best-of-Auswahl ja auch nicht mehr als eine Art Empfehlungsliste darstellt. Was mir hier und vor den einzelnen Geschichten fehlt: Er begründet seine Auswahl nicht. Kann man machen, viele Geschichten sprechen ja für sich, andere aber eben leider nicht. Da wäre die Motivation vielleicht doch ganz interessant gewesen.
Ray Nayler: Mutability (Asimov†™s)
Eine Zukunft, in der alle Menschen unsterblich zu sein scheinen, aber irgendwie nicht groß etwas zu tun haben. Die Kehrseite der Medaille: Das Gedächtnis kann da nicht mithalten, Sebastian und Sophia, die sich in Ray Naylers Geschichte begegnen, kennen sich ganz offenkundig von früher her, doch keiner der beiden kann sich daran erinnern. Es mag ein wenig widersprüchlich klingen: Die Story ist angenehm erzählt, gleichzeitig aber auch ziemlich langweilig, weil eigentlich gar nichts passiert. Insofern passt der Inhalt ganz gut zu dieser sowohl perfekten als auch total öden Zukunft, die hier geschildert wird.
Brooke Bolander: And You Shall Know Her by the Trail of Dead (Lightspeed)
(diese Geschichte habe ich ausnahmsweise nicht gelesen, sondern mir von Gabrielle de Cuir vim Lightspeed-Team vorlesen lassen; trotz der Länge von mehr als einer Stunde und zwanzig Minuten war das wirklich unterhaltsam)
Da stößt selbst die Volltextsuche an ihre Grenzen: Für das Wörtchen „fuck“ werden „mehr als hundert Übereinstimmungen“ gemeldet; der Ton ist also inklusive jeder Menge weiterer Schimpfwörter ziemlich vulgär. Inhaltlich geht es in den Cyberspace: Rhye und Rack, zwei Hacker, haben sich mit Kriminellen eingelassen, Rack wird von ihnen getötet, Rhye macht sich auf in virtuelle Welten, um dort nach seinem Bewusstsein zu suchen.
Das ist, der unflätigen Sprache zum Trotz, schon gut erzählt - die Erzählung war nicht von ungefähr in der Novelette-Kategorie für Hugo, Nebula und Locus Award nominiert. Ein bisschen straffer hätte das vielleicht erzählt werden können (z.B. einfach jedes zweite „Fuck“ streichen †¦), aber letztlich hat mir die Geschichte schon gut gefallen.
Die Story online (inklusive Audio-Fassung): http://www.lightspee...now-trail-dead/
Naomi Kritzer: Cat Pictures Please (Clarkesworld)
(gelesen in Neil Clarkes Best-of-Anthologie)
Naomi Kritzer ist meine persönliche Autoren-Entdeckung des Jahres. Schon ihre Geschichte „So much cooking“ war grandios, mit „Cat Pictures Please“ (ebenfalls gelesen in Neil Clarkes Best-of-Anthologie) kann sie mich erneut begeistern - und zwar erneut wirklich restlos.
In der Story (ausgezeichnet mit dem Hugo 2016 und dem Locus Award 2016, nominiert für den Nebula 2015) geht es um eine künstliche Intelligenz, die das Internet durchstreift, sich für Katzenbilder begeistert und versucht, Menschen zu helfen. Mit leichter Hand erzählt, wird das ernste Thema der allmächtigen Maschine charmant umgedeutet - im Text ausdrücklich erwähnt sind böse Beispiele wie Hal (2001), Skynet (Terminator) und die Matrix (köstlich, dass unsere naive KI, der Ich-Erzähler, als den Menschen Gutes wollende Artgenossen Android Marvin aus dem „Anhalter“ und Frankensteins Monster aufzählt). Das ist insgesamt einfach großartig gemacht, ich bin sehr begeistert.
Auch wenn mir persönlich „So much cooking“ [ebenfalls in Clarkes Auswahl enthalten, hier aber nicht] vielleicht sogar noch einen Tick besser gefallen hat (ein Vergleich auf hohem Niveau, vielleicht auch der Erstbegegnung mit der Autorin geschuldet), kann ich angesichts des ernsteren Themas und der damit höheren Relevanz die Preise absolut gut geheißen, mit denen „Cat Pictures Please“ überschüttet wurde. Autorin und Geschichte haben es absolut verdient, ich mache mich definitiv auf die Suche nach weiteren Naomi-Kritzer-Storys. (Und was ich noch nachholen muss bei nächster Gelegenheit, ist die die Lektüre der im Text erwähnten Story „Maneki Neko“ von Bruce Sterling aus dem Jahr 1998, in der es ebenfalls um eine „gute“ KI gehen soll.)
Die Story online (inklusive Audio-Version): http://clarkesworldm.../kritzer_01_15/
Geoff Ryman: Capitalism in the 22nd Century, or, A.I.R. (Twelve Tomorrows)
(gelesen in Jonathan Strahans Best-of-Anthologie, auch im Dozois vertreten, ebenso im Clarke)
Eigentlich ganz nette Geschichte um brasilianische Zwillinge, die aus einer von künstlichen Intelligenzen und Chinesen beherrschten Welt, in der sich der Großteil des Lebens Matrix-mäßig abspielt, ausbrechen wollen. „Ganz nett“ heißt: angenehm zu lesen, ohne deshalb aber zu überragen; damit eigentlich nichts für Bestenlisten oder Ähnliches.