(ich eröffne mal einen Thread, der auch gleich noch den anstehenden zweiten Band berücksichtigt)
Ian McDonald: Luna (Heyne, 2016)
(Luna: New Moon, 2015)
Die Zukunft: Schon lange ist der Mond den Menschen zu einer zweiten Heimat geworden. Doch auf dem Erdtrabanten geschieht nichts, ohne dass die dort ansässigen, rivalisierenden Wirtschaftsgiganten - die sogenannten Fünf Drachen - davon erfahren. Einer davon ist die Corta Helio Corporation unter dem Vorsitz der Patriarchin Adriana Corta. Als junge Frau musste sich Adriana in der brutalen Mondgesellschaft nach oben kämpfen - und hat sich dabei eine Menge Feinde gemacht. Feinde, die Adriana und ihren Clan nun zu Fall bringen wollen †¦
(amazon.de)
Ian McDonald bringt seine Brasilien-Begeisterung (Brasyl, 2007) auf den Mond. Er selbst spricht von „Dallas on the Moon“, und das trifft es ziemlich gut. Das Setting ist dank zweier vorab erschienener, übrigens hervorragender Erzählungen schon halbwegs bekannt: The Fifth Dragon (in Jonathan Strahans Anthologie Reach for Infinity, 2014) und The Falls: A Luna Story (in Jonathan Strahans Meeting Infinity, 2015). Es geht um die oben erwähnten, sogenannten „Fünf Drachen“, die den Mond beherrschen, mit besonderem Augenmerk auf die brasilianisch-stämmigen Cortas. Daneben gibt es noch die MacKenzies (Australien), Asamoahs (Ghana), Suns (China) und Woronzows (Russland), die jeweils unterschiedliche Wirtschaftszweige kontrollieren. Alle anderen Menschen haben ganz andere Sorgen: Sauerstoff und Wasser sind streng reglementiert, jeder Atemzug, jeder Schluck kostet. Auch sonst hat sich der Autor nette Details für seine Mondgesellschaft einfallen lassen, so zum Beispiel, dass alle Gegenstände des täglichen Bedarfs aus dem 3D-Drucker kommen; besonders zelebriert wird das in Sachen Kleidung der Reichen und Schönen. Auch die Art und Weise, wie praktisch alles mit irgendwelchen Verträgen geregelt wird, zählt dazu.
Luna ist - Dallas lässt da tatsächlich schön grüßen - eine Geschichte der Intrigen und Ränkespiele, garniert mit ordentlich Sex in den verschiedensten Spielarten. Im Mittelpunkt stehen die Cortas um Matriarchin Adriana, inzwischen achtzig Jahre alt, ihre Söhne Rafa, Lucas, Carlinhos und Wagner sowie Tochter Ariel, die einzige, die nicht im Familienclan beschäftigt ist, sondern als extrem erfolgreiche Anwältin arbeitet. Dazu kommen diverse Enkel (Lucasinho, Robson, Luna) und natürlich die Angehörigen der anderen Familien. Der Deutschlandfunk spricht von einer „Weltraum-Seifenoper“, was ein wenig abwertend klingt, ins andere Extrem geht der auf dem Buch verewigte Tor.com-Kommentar: „Luna ist für Science-Fiction, was Game of Thrones für die Fantasy ist.“ - das trifft es auch nicht wirklich, höchstens am Rande. Zumal es zwar eine Fortsetzung geben wird - Luna: Wolf Moon erscheint am 28. März 2017, die deutsche Übersetzung ist bei Heyne als Luna - Wolfsmond für 9. Mai angekündigt, also erfreulich früh -, dann aber wohl auch Schluss sein soll. McDonalds Mondgesellschaft ist demnach weit davon entfernt, sich eine vergleichbar epische Schlacht um die Herrschaft über den Mond zu liefern, wie das George R.R. Martins Häuser von Westeros tun.
Großartig im Sinne des viel beschworenen „sense of wonder“ ist die Eröffnungsszene, in der sich eine Gruppe junger Leute um Lucasinho Corta auf den sogenannten „Mondlauf“ begibt, zwanzig Meter weit, von einer Luftschleuse zur anderen durchs Vakuum, in fünfzehn Sekunden zu bewältigen. Das ist klasse beschrieben, ein genialer Auftakt. Es geht ein wenig geerdeter, um nicht zu sagen: irdischer, weiter, denn bald stehen die typischen Intrigen um Macht und Geld im Vordergrund. Auch das wird allerdings nie langweilig, zumal Ian McDonald seine Geschichte rasant erzählt, immer wieder zwischen den einzelnen Personen hin- und herspringt (allerdings längst nicht zwischen so vielen wie Martin in Game of Thrones, um den hinkenden Vergleich ein letztes Mal zu bemühen) und die Story mit vielen, siehe oben, netten Details spickt - von echtem Kaffee (der besser riecht als schmeckt) bis hin zum Sex in der Schwerelosigkeit (der im freien Fall wird überschätzt, erfahren wir). Das ist klasse geschrieben, immer spannend, gegen Ende hin gibt†™s auch ordentlich Action und ein absolut empfehlenswerter Roman. Die Fortsetzung darf kommen.